Leitsatz (amtlich)
Der Beschluß des BVerfG vom 14.Januar 1986 1 BvR 209/79, 1 BvR 221/79 (BStBl II 1986, 376), wonach es mit dem GG nicht vereinbar ist, daß die Steuerbegünstigung des § 34 Abs.4 EStG a.F. nur solchen selbständig Tätigen gewährt wurde, die hauptberuflich einen sog. Katalogberuf i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ausübten, ändert nichts daran, daß die nach § 34 Abs.4 EStG a.F. begünstigten Einkünfte keine Einkünfte aus einem solchen Katalogberuf sein dürfen.
Orientierungssatz
Die laufende berufsmäßige Erstellung von Gutachten (hier: durch einen Architekten) als gerichtlicher Sachverständiger (hier: für Baufragen) im Nebenberuf stellt eine Berufstätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, mithin die Ausübung eines Katalogberufs, so daß die Einkünfte daraus nicht nach § 34 Abs. 4 EStG a.F. begünstigt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 7.2.1985 IV R 102/83).
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger ist Architekt und vereidigter Sachverständiger.
Für das Streitjahr 1978 gab er zunächst keine Steuererklärung ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuerveranlagung. Im Einspruchsverfahren reichte der Kläger die Steuererklärung nach. Danach betrugen die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ... DM (Einnahmen ... DM). In den erklärten Einnahmen waren Einnahmen aus Gutachtertätigkeit in Höhe von 160 231 DM enthalten. Für diese Einnahmen beantragte der Kläger vergeblich den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F.
Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, bei den Einkünften aus Gutachtertätigkeit handele es sich um Einkünfte aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit i.S. des § 34 Abs.4 EStG a.F. Für die Tätigkeit als vereidigter Sachverständiger sei eine weitergehende Qualifikation erforderlich als für die übliche Tätigkeit des Architekten. Die Erstellung von Gutachten setze besondere Fachkenntnisse voraus. Der Sachverständige müsse sich mit der Wissenschaft auseinandersetzen. Das erfordere eine Fortbildung, die über das für einen Architekten notwendige Maß hinausgehe. Insbesondere bei der Beurteilung neuer Baustoffe und Baumethoden, für die es noch keine Langzeiterfahrung gebe, müsse sich der Sachverständige noch mit völlig fremden Materien befassen. Auch müsse er juristische Kenntnisse besitzen und in der Lage sein, vor den Gerichten die Sprache des Gerichts zu verstehen, um im Zusammenhang mit dem Gericht während der mündlichen Verhandlung die notwendigen technischen Dinge im Hinblick auf die Beweiswürdigung des Gerichts beurteilen zu können.
Allerdings seien nicht, wie noch mit der Einkommensteuererklärung beantragt, die gesamten Einnahmen aus der Gutachtertätigkeit begünstigt zu versteuern, sondern nur die daraus erzielten Einkünfte. Diese bezifferte der Kläger zunächst mit 133 296 DM. Nach erneuter Prüfung gab er sie mit 84 063 DM an.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 34 Abs.4 EStG a.F. Sie tragen vor, das FG habe die Sachverständigentätigkeit nicht als Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit i.S. des § 34 Abs.4 EStG a.F. angesehen, da es diese Einkünfte nicht als abgrenzbar von den sonstigen Einkünften aus der Architektentätigkeit beurteilt habe. Diese Rechtsauffassung des FG sei nicht haltbar. Die nach § 34 Abs.4 EStG a.F. vorzunehmende Abgrenzung der einzelnen Tätigkeiten sei vom FG unzutreffend vorgenommen worden, wie im übrigen auch die Sachverständigentätigkeit selbst unzutreffend gewürdigt worden sei. Diese fehlerhafte Rechtsanwendung müsse zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und für die Nebeneinkünfte von 84 063 DM die Tarifermäßigung des § 34 Abs.4 EStG a.F. zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. § 34 Abs.4 EStG a.F. gewährt Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus selbständiger Arbeit, die aus einer Berufstätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG bezogen werden, für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit bis zu 50 v.H. der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und/oder aus der Berufstätigkeit die Tarifermäßigung des § 34 Abs.1 EStG. Voraussetzung ist, daß die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und/oder aus der Berufstätigkeit die übrigen Einkünfte überwiegen, die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind.
Unter Berufstätigkeit im Sinne dieser Bestimmung kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14.Januar 1986 1 BvR 209/79, 1 BvR 221/79 (BStBl II 1986, 376) nicht nur die praktische Berufstätigkeit der im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten freien Berufe (Katalogberufe) verstanden werden, sondern auch die freiberuflich ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende und erzieherische Tätigkeit. Insoweit hat sich die Rechtslage gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. Urteil vom 30.November 1978 IV R 34/74, BFHE 126, 467, BStBl II 1979, 239) geändert. Begünstigt werden können aber nach § 34 Abs.4 EStG a.F. allein die wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit, vorausgesetzt, daß die daraus erzielten Einkünfte von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind. Das ist nur möglich, wenn sich Berufstätigkeit und begünstigte Tätigkeit vom Gegenstand der Betätigung her klar unterscheiden. Daraus ergibt sich, daß nach § 34 Abs.4 EStG a.F. Einkünfte aus einer Berufsarbeit, die einer Berufstätigkeit der im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten praktischen freien Berufe zuzuordnen ist, genausowenig begünstigt werden können wie die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dasselbe gilt auch für Einkünfte aus praktischen freien Berufen, die den im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG namentlich aufgezählten Berufen ähnlich sind. Deshalb erfordert die Abgrenzung der begünstigten Nebeneinkünfte gegenüber den nicht begünstigten Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit, daß die Nebeneinkünfte nicht aus einer freiberuflichen Tätigkeit bezogen werden, die zu den in § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten, in § 34 Abs.4 EStG a.F. als Berufstätigkeit bezeichneten typischen freien Berufen (sog. Katalogberufe) oder zu einem ähnlichen Beruf gehören. Die begünstigungsfähigen Nebeneinkünfte dürfen für sich keine Einkünfte aus einer typischen praktischen Berufstätigkeit i.S. des Katalogs des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG darstellen, weil § 34 Abs.4 EStG a.F. die allein begünstigungsfähigen wissenschaftlichen, künstlerischen und schriftstellerischen Tätigkeiten bewußt gerade in Gegensatz zu den laufenden praktischen Berufsarbeiten der im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten Berufe gesetzt hat. Dieses Merkmal der begünstigungsfähigen Einkünfte muß folgerichtig bei selbständig Tätigen und nichtselbständig Tätigen in gleicher Weise gegeben sein. Diese Auslegung des § 34 Abs.4 EStG a.F. hat auch das BVerfG unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit der typischen freien Berufe als sachgerecht beurteilt und verfassungsrechtlich nicht beanstandet (vgl. Beschluß vom 3.Januar 1973 1 BvR 508/72, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs.4 --ab 1955--, Rechtsspruch 43). Die Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1986, 376 hat an diesem Grundsatz nichts geändert; sie befaßt sich mit dieser Frage nicht.
2. Ob die Einkünfte des Klägers als gerichtlicher Sachverständiger für Bauschäden etc. nach § 34 Abs.4 EStG a.F. tarifbegünstigt sind, hängt also entscheidend davon ab, ob sie Einkünfte aus dem im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten und vom Kläger ausgeübten praktischen freien Beruf eines Architekten oder einem ähnlichen Beruf darstellen oder ob sie der freiberuflichen, allein wissenschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen sind, die außerhalb eines praktischen freien Berufs ausgeübt wird.
Die ständige mit nachhaltigen Einkünften verbundene laufende Tätigkeit als zugelassener gerichtlicher Sachverständiger ist heute in vielen Bereichen ein selbständiger Beruf. Er gehört zu den freien Berufen, die einkommensteuerrechtlich unter die Berufstätigkeiten des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG (Katalogberufe) einzureihen sind, wenn der Sachverständige seine qualifizierten Gutachten auf der Grundlage wissenschaftlicher Disziplinen erstellt, die an Universitäten etc. gelehrt werden und er von seiner Ausbildung und seiner beruflichen Praxis her einem der im Katalog des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG aufgeführten Berufsstände oder einem ähnlichen Berufsstande angehört. Danach ist nicht zweifelhaft, daß Architekten und Ingenieure, die hauptberuflich als gerichtliche Sachverständige für Hochbau, Tiefbau, Maschinenbau etc. tätig sind, eine Berufstätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ausüben. Auch im Fall des Klägers hat das FG zutreffend ausgeführt, daß seine Tätigkeit als Sachverständiger für Bauschäden etc. zur Architektentätigkeit gehört. Alle Tätigkeiten, die der Kläger als Sachverständiger ausübt, sind auch in der HOAI als Architektenleistungen erfaßt.
Wird eine solche Gutachtertätigkeit als gerichtlicher Sachverständiger für Baufragen nicht als Hauptberuf, sondern laufend als Nebentätigkeit neben einer freiberuflichen oder nichtselbständigen Haupttätigkeit als Architekt betrieben, kann hinsichtlich der Zuordnung im Rahmen des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG nichts anderes gelten. Auch als Nebentätigkeit stellt daher die Tätigkeit als Sachverständiger für Baufragen die Ausübung des Katalogberufs eines Architekten oder eines Ingenieurs i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG dar. Der Senat hat schon wiederholt darauf hingewiesen, daß die laufende berufsmäßige Erstellung von Gutachten als gerichtlicher Sachverständiger im Nebenberuf eine Berufstätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG darstellt, mithin eines Katalogberufs, dessen Einkünfte nach § 34 Abs.4 EStG a.F. nicht begünstigt werden können. Ähnliche Fälle hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. u.a. Urteil vom 7.Februar 1985 IV R 102/83, BFHE 143, 82, BStBl II 1985, 293).
Fundstellen
Haufe-Index 61465 |
BStBl II 1986, 843 |
BFHE 147, 328 |
BFHE 1987, 328 |
DB 1986, 2367-2368 |
HFR 1987, 74-74 (ST) |