Leitsatz (amtlich)

  1. Wenn ein im ZT verwendeter Warenbegriff durch die als Rechtsverordnung ergangenen Erläuterungen ausgelegt und damit näher bestimmt ist, so können die Steuergerichte unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgültigkeit dieser Erläuterungen nur prüfen, ob die darin enthaltene Auslegung möglich ist.
  2. Es ist den Steuergerichten in solchen Fällen im Hinblick auf die Sondervorschrift in § 49 ZG 1939 auch verwehrt, tarifliche Begriffe unter dem Gesichtspunkt einer auf § 1 Abs. 2 StAnpG gestützten wirtschaftlichen Betrachtungsweise entgegen den verbindlichen Erläuterungen selbst auszulegen.
 

Normenkette

ZG § 49 Abs. 3; StAnpG § 1 Abs. 2

 

Streitjahr(e)

1961

 

Tatbestand

Gegenstand des Streites ist die Tarifierung einer von der Klägerin und Revisionsbeklagten (im folgenden Steuerpflichtige - Stpfl. -) im März 1961 eingeführten, von ihr als Fugenkitt angemeldeten Ware. Die Ware wurde vom Zollamt (ZA) mit vorläufigem Steuerbescheid zunächst der Tarifnr. 32.12, nach Einholung eines Gutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) der Tarifnr. 39.02 B XIV a des Zolltarifs (ZT) 1961 zugewiesen und die sich hiernach ergebenden Eingangsabgaben nachgefordert. Nach dem Gutachten der ZPLA besteht die Ware aus rund 20 v. H. Polybuten und rund 80 v. H. mineralischen Füllstoffen (Calciumcarbonat und Asbest), erhärtet auch über einen längeren Zeitraum hin nicht und entspricht deshalb nicht der Begriffsbestimmung für Kitt in den Erläuterungen I Abs. 2 zu Tarifnr. 32.12 ZT 1961. Auch als Harzkitt im Sinne der Erläuterungen I Abs. 3 Ziff. 5 zu Tarifnr. 32.12 kann die Ware nach dem Gutachten der ZPLA nicht angesehen werden.

Der Einspruch, mit dem die Stpfl. Tarifierung als Kitt der Tarifnr. 32.12 begehrt hatte, blieb ohne Erfolg, die Berufung dagegen führte zur Zuweisung der Ware in die Tarifnr. 32.12 und demzufolge zur Aufhebung der Nachforderung. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1963 S. 547 Nr. 721 abgedruckt ist, soll die Erläuterung I Abs. 2 zu Tarifnr. 32.12 ZT 1961, die nur ein Erzeugnis, das nach der Anwendung erhärtet, als Kitt gelten läßt, eine unzulässige Abänderung des im Tariftext zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers darstellen und daher rechtsunwirksam sein. Auch solche Kitte, die nach ihrer Anwendung in absehbarer Zeit nicht erhärten, fielen daher als Kitt unter die Tarifnr. 32.12 ZT 1961.

Hiergegen richtet sich die nunmehr als Revision anzusehende Rechtsbeschwerde des Beklagten und Revisionsklägers - im folgenden Hauptzollamt (HZA) -, mit der unrichtige Rechtsanwendung gerügt und beantragt wird, das Urteil des FG aufzuheben und die Berufung der Stpfl. kostenpflichtig als unbegründet zurückzuweisen.

Die Stpfl. beantragt, die Revision kostenpflichtig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die Feststellungen der Vorinstanz über die Beschaffenheit der Ware, d. h. darüber, daß es sich bei ihr weder um ein auf der Basis von Kunstharz hergestelltes Produkt handelt, noch daß sie nach der Anwendung erhärtet, lassen einen Fehler nicht erkennen und sind daher für den Senat bindend.

Wenn die Vorinstanz dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die strittige Ware als Kitt der Tarifnr. 32.12 ZT 1961 zuzuweisen sei, weil die Erläuterungen I Abs. 2 zu Tarifnr. 32.12, nach welcher nur solche Kitte dieser Tarifnummer zuzuweisen sind, die nach der Anwendung erhärten, eine unzulässige Abänderung des im Tariftext zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers darstellten, so beruht diese Ansicht des FG auf einer Verkennung tarifrechtlicher Auslegungsgrundsätze. Das FG hat den im ZT verwendeten Begriff Kitt zunächst unter Heranziehung des Chemielexikons vom Römpp ausgelegt, wonach Kitte Stoffe sind, die meist, aber nicht immer erhärten. Es hat daraus die Folgerung gezogen, daß dann, wenn der Tarifgesetzgeber, wie mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im ZT selbst angenommen werden müßte, der Tarifnr. 32.12 "Kitte" schlechthin unterstellt wissen wollte, der Verordnungsgeber in den Erläuterungen insoweit keine Einschränkungen vornehmen dürfte.

Wenn diese Auffassung zuträfe, dann müßten alle im ZT verwendeten Begriffe, sofern sie abweichend von dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem der Technik oder Wirtschaft angewendet werden sollten, im ZT selbst in diesem Sinn erläutert werden und es hätte nicht der Ermächtigung in § 49 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) 1939 an den Verordnungsgeber bedurft, die im ZT verwendeten Begriffe im Wege der Rechtsetzung verbindlich zu erläutern. Es ist aber gerade der Sinn und der Zweck dieser Erläuterungen, im ZT enthaltene Warenbegriffe, die sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem der Technik oder Wirtschaft auf Waren verschiedener Art oder Beschaffenheit beziehen, unter dem Gesichtspunkt der Tarifierung dieser Waren näher zu bestimmen und dabei u. U. ihre Anwendung auf einen Teil dieser Waren zu beschränken. Wesentlich ist nur, daß diese durch die Erläuterung verbindlich gegebene Auslegung möglich ist. Das aber ist hier der Fall. Denn nach der von Römpp gegebenen Definition gibt es Kitte, die erhärten und solche, die nicht erhärten, wobei sogar nach Römpp Kitte meist erhärten. Es war daher dem Verordnungsgeber erlaubt, zu bestimmen, daß unter den tariflichen Begriff Kitte nur solche gehören, die nach ihrer Anwendung erhärten. Der Verordnungsgeber entsprach damit auch seiner Verpflichtung, die Anwendung des Tarifs im Hoheitsbereich der Bundesrepublik den Brüsseler Begriffsbestimmungen anzupassen, die in den Erläuterungen 1955 zu Tarifnr. 32.12 ausführen, daß "hierher gehören pastenförmige, formbare Zubereitungen, die nach der Anwendung härten und insbesondere verwendet werden ...". Die spätere Änderung der Erläuterungen durch die Verordnung vom 21. Juni 1963 (BGBl II S. 731 f., Bundeszollblatt - BZBl - 1963 S. 436 f.), mit der die engere Auslegung des Tarifbegriffs Kitt mit Wirkung vom fünften Tage nach der Verkündung der Änderungsverordnung aufgegeben wurde, beruhte ebenfalls, wie sich aus der Begründung zu dieser Änderungsverordnung ergibt, auf Beschlüssen des Brüsseler-Zoll-Rats (BZBl 1963 S. 450); vgl. hierzu auch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 4/63 vom 5. Mai 1965 unter C II 3 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 19 S. 17 f., Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 298 Nr. 248).

Wenn das FG weiter den Standpunkt vertritt, daß selbst dann, wenn sogar der Gesetzgeber an Kitte im Sinne der fraglichen Erläuterungen gedacht haben sollte, der Begriff "Kitt" in Anwendung des § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes nach der Weiterentwicklung solcher Erzeugnisse und ihrer Anpassung an die veränderten Bauweisen jetzt umfassender ausgelegt werden müßte, so verkennt es, daß die einheitliche Anwendung der tariflichen Begriffe und damit ihre einheitliche verbindliche Auslegung durch die auf Grund der Spezialvorschrift des § 49 ZG 1939 als Verordnung ergangenen Erläuterungen im Rahmen des Brüsseler Zolltarifabkommens mit Rücksicht auf die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen Aufgabe der Zollpolitik ist und daher nicht Gegenstand wirtschaftspolitischer Erwägungen der Steuergerichte sein können. Diese können vielmehr nur prüfen, ob die Verordnungscharakter tragenden Erläuterungen sich im Rahmen einer möglichen Auslegung der im Tarif verwendeten Begriffe halten.

Da die Vorinstanz die Rechtslage verkannt hat, war ihre Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da die Ware nicht als Kitt tarifiert werden konnte, blieb nur übrig, sie, wie es die Verwaltung getan hat, der Tarifnr. 39.02 B XIV a ZT 1961 zuzuweisen. Denn die Bindekomponente Polybuten fällt als Polymerisationserzeugnis unter die Tarifnr. 39.02 und ist hier als "anderes Polymerisationserzeugnis in einer Form im Sinne der Vorschrift 3 a zu Kapitel 39, dem Abs. B XIV a zu unterstellen. Daß die ihm beigemischten mineralischen Füllstoffe seinen Charakter als ein Erzeugnis der Tarifnr. 39.02 nicht ändern, ergibt sich aus den Erläuterungen zu Kapitel 39 I (4).

Da die Ware sonach zu Recht der Tarifnr. 39.02 B XIV a ZT 1961 zugewiesen worden war, war die nunmehr als Klage anzusehende Berufung der Stpfl. gegen die Einspruchsentscheidung des HZA vom 2. November 1961 kostenpflichtig abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425808

BFHE 1966, 695

BFHE 86, 695

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