Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff der schädlichen Entnahme.

 

Normenkette

EStG §§ 10a, 4/1

 

Tatbestand

Der im Jahre 1951 verstorbene Ehemann der Beschwerdegegnerin (Bgin.) betrieb sein Möbeleinzelhandelsgeschäft seit 1930 in den Grundstücken K 28 und H Straße 2 a in R, die im Eigentum seiner Mutter standen. Nach deren Tod im Jahre 1940 wurden Erben der Grundstücke seine vier minderjährigen Töchter, mit denen er zusammen veranlagt wurde. Er selbst erbte ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht an den Grundstücken, das er zunächst kapitalisiert in seine Bilanz aufnahm. Er nahm dann nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1943, da das Finanzamt dies auf Grund der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (Urteil VI 76/39 vom 17. Mai 1939, Reichssteuerblatt - RStBl - 1939 S. 939) verlangte, nach anfänglichem Sträuben die Grundstücke selbst in die Bilanz auf.

Im Jahre 1950 nahm der Ehemann der Bgin. die Steuervergünstigung für nicht entnommenen Gewinn in Höhe eines festgestellten Betrages von 5.572 DM in Anspruch. Nach seinem Tod im Jahre 1951 führte die Bgin. den Betrieb weiter. Da zu diesem Zeitpunkt nur noch die jüngste, mit der Bgin. zusammen veranlagte Tochter minderjährig war, hielt das Finanzamt nur noch eine Aktivierung der Grundstücke mit 1/4 des Wertes für erforderlich, weil der Bgin. an diesem Anteil der Tochter ein Verwaltungs- und Nutznießungsrecht zustand. Bezüglich der Anteile der volljährigen Töchter nahm das Finanzamt an, daß diese mit 3/4 des Wertes der Grundstücke (Buchwert) entnommen worden seien und berechnete danach eine Entnahme von 62.430 DM. Damit überstiegen die Gesamtentnahmen von 129.957 DM den Gewinn von 79.873 DM um 46.084 DM. Das Finanzamt nahm deshalb für den Steuerabschnitt 1951 eine Nachversteuerung des nicht entnommenen Gewinns vor.

Im Einspruchsverfahren machte die Bgin. geltend, eine Entnahme liege nicht vor, da keine Wertentnahme zu betriebsfremden Zwecken erfolgt sei. Es handle sich nur um den Fortfall des Nießbrauchsrechts, womit die Grundstücke als notwendiges Betriebsvermögen ausgeschieden seien. Sie bezog sich dabei auf das Urteil des Senats IV 233/51 U vom 24. Oktober 1951 (Slg. Bd. 56 S. 10, Bundessteuerblatt - BStBl § 1952 III S. 5).

Der Einspruch blieb erfolglos. Auf die Berufung gab das Finanzgericht dem Antrag der Bgin. statt und führte dazu folgendes aus:

Die Steuerbilanz folge grundsätzlich der Handelsbilanz, soweit nicht besondere steuerliche Vorschriften etwas anderes bestimmten. Es erscheine bedenklich, lediglich aus Gründen der Haushaltsbesteuerung Gegenstände, die dem Unternehmer selbst nicht gehörten, als Betriebsvermögen zu behandeln. Gegen die Behandlung der dem Nießbrauchsrecht unterliegenden Grundstücke als wirtschaftliches Eigentum ließen sich sehr erhebliche Einwendungen geltend machen. Das Finanzgericht teile die im Schrifttum erhobenen Bedenken gegen die Zusammenfassung des Vermögens und der Einkünfte von zusammenzuveranlagenden Personen. Selbst wenn man die Rechtsauffassung des Reichsfinanzhofs für zutreffend halte, daß die Grundstücke als Betriebsvermögen bilanziert werden müßten, so müsse doch dem Umstand, daß der Nießbrauch des verstorbenen Ehemanns zeitlich begrenzt war, durch eine Rückstellung in der Bilanz Rechnung getragen werden. Die Bilanzen seien deshalb seit 1940 unrichtig gewesen, weil sie diese Verpflichtung zur Rückgabe nicht enthielten. Aus den Urteilen des Reichsfinanzhofs VI A 473/37 vom 29. November 1937 (RStBl 1937 S. 1204) und VI 76/39 vom 17. Mai 1939 sei gegen die Zulässigkeit einer Rückstellung nichts herzuleiten, da diese Frage in den Urteilen nicht geprüft worden sei. Die Unrichtigkeit der Bilanz habe sich einkommensteuerlich nicht ausgewirkt. Es sei auch noch zu bedenken, daß der Ansatz der Grundstücke ohne Ausweis einer entsprechenden Verpflichtung zur Rückgabe in der DM-Eröffnungsbilanz gemäß § 75 des D-Markbilanzgesetzes (DMBG) sich auf die Vermögensteuer ausgewirkt habe. Da eine Berichtigung der früheren rechtskräftigen Veranlagungen nicht mehr möglich sei, bleibe zu prüfen, ob nach Treu und Glauben hier eine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs in der Form zulässig sei, daß in der Anfangsbilanz 1951 eine Verpflichtung zur Rückgabe der Grundstücke eingesetzt werde. Die Frage sei zu bejahen. Die Aktivierung der Grundstücke in der Bilanz zum 31. Dezember 1940 sei dem Ehemann der Bgin. aufgezwungen worden. Eine Prüfung, wie hoch die Verpflichtung zur Rückgabe der Grundstücke zahlenmäßig zu bemessen sei, erübrige sich, da sich bei Ansatz der Verpflichtung keinesfalls eine Mehrentnahme ergeben würde. Dem Finanzgericht sei auch durchaus zweifelhaft, ob überhaupt von einer Entnahme in einem Fall gesprochen werden könne, in dem das Ausscheiden der Grundstücke aus dem Betriebsvermögen unabhängig von einer Willensentscheidung des Steuerpflichtigen erfolgt sei. Eine Entscheidung hierüber brauche aber das Finanzgericht nicht zu treffen. Fehl gehe schließlich die Auffassung des Finanzamts, daß eine geänderte Rechtsauffassung in der Rechtsprechung nur Bedeutung für die Zukunft habe. Vielmehr müsse diese sowohl bei Berichtigungsveranlagungen wie bei der Beurteilung der laufenden Veranlagung zugrunde gelegt werden.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, daß das Finanzgericht zu Unrecht die Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs nach Treu und Glauben für möglich gehalten habe. Es sei allein zu entscheiden, was mit den beim Erlöschen des Nießbrauchs in voller Höhe noch bilanzierten Grundstücken steuerlich zu geschehen habe. Hier könne nur eine Entnahme in Betracht kommen, da zuvor eine Einlage der Grundstücke erfolgt sei. Das spätere Ausscheiden der Grundstücke zu irgendeinem Zeitpunkt sei damals schon voraussehbar gewesen und in Kauf genommen worden. Für den Entnahmebegriff sei die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) maßgebend.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist im Ergebnis nicht begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Behandlung der Grundstücke als notwendiges Betriebsvermögen infolge des Nießbrauchs des Ehemanns der Bgin. an dem Vermögen seiner Töchter auf Grund des Urteils des Reichsfinanzhofs VI 76/39 vom 17. Mai 1939 (RStBl 1939 S. 939) zutreffend war oder nicht. Die hiergegen bestehenden Bedenken sind vom Finanzgericht erörtert und auch von v. Wallis in der Finanz-Rundschau 1957 S. 247 ff. eingehend behandelt worden. Es kann auch dahingestellt bleiben, inwieweit die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 ausgelöste Entwicklung in der rechtlichen Behandlung der Haushaltsbesteuerung bei Ehegatten (siehe dazu Theis in "Der Betrieb" 1957 S. 829 ff.) zu einer anderen Beurteilung der Frage von Kindesvermögen als notwendigem Betriebsvermögen des Vaters Anlaß gibt. Der Senat hält eine Erörterung dieser Fragen und ein Eingehen auf die Urteilsgründe des Finanzgerichts deshalb nicht für erforderlich, weil er aus anderen Gründen das Vorliegen einer zur Nachversteuerung des nicht entnommenen Gewinns 1950 gemäß § 10 a EStG 1950 und § 31 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) führenden Entnahme verneint.

Die Grundstücke sind im Jahre 1940 gegen den Willen des Ehemanns der Bgin. im Anschluß an eine Betriebsprüfung in die Bilanz aufgenommen worden, weil sie als notwendiges Betriebsvermögen vom Finanzamt angesehen wurden. In den Eigentumsverhältnissen und der Nutzung der Grundstücke hat sich in den Folgejahren nichts geändert. Mit dem Tode des Ehemanns der Bgin. erlosch sein Nießbrauchsrecht, soweit die bereits volljährigen Töchter als Grundstückseigentümerinnen in Betracht kamen, während der Bgin. am Vermögen der minderjährigen Tochter weiterhin die Verwaltung und Nutznießung zustand. Zum mindesten in Höhe des Anteils der volljährigen Töchter verloren die Grundstücke damit ihren bisherigen Charakter als Betriebsvermögen. Es mag sein, daß buchungstechnisch gesehen das Ausscheiden nur im Wege der Entnahme erfolgen konnte. Nach den Akten sind 3/4 des Buchwerts von 83.240 DM = 62.430 DM ausgebucht worden. Eine Realisierung der möglicherweise in dem Grundstück steckenden stillen Reserven hat das Finanzamt nicht angenommen. Der gesamte Vorgang hat sich demnach nur als Buchungsvorgang abgespielt. Der erkennende Senat hat in den beiden Urteilen IV 347/53 S vom 4. Februar 1954 (Slg. Bd. 58 S. 528, BStBl 1954 III S. 112) und IV 346/53 U vom 9. Dezember 1954 (Slg. Bd. 60 S. 226, BStBl 1955 III S. 88) ausgesprochen, daß eine schädliche Entnahme im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949 nicht gegeben ist, wenn eine Einzelfirma zu den Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird und der bisherige Unternehmer mit seiner Ehefrau die sämtlichen Anteile der Kapitalgesellschaft erhält. Der Senat hat dazu ausgeführt, daß man nicht eine Entnahme bejahen und die Gewinnverwirklichung verneinen könne. Wenn auch zuzugeben ist, daß der Sachverhalt im Falle der Umwandlung mit dem hier streitigen Sachverhalt nicht in vollem Umfang gleichzusetzen ist, so ist doch aus den gleichen Gründen die Annahme einer Entnahme zu verneinen, da auch hier eine Realisierung stiller Reserven nicht stattgefunden hat. Hinzu kommt, daß eine Entnahme, ebenso wie eine Einlage, ein Tätigwerden des Steuerpflichtigen voraussetzt. Ein solches liegt aber hier tatsächlich nicht vor. Mit dem Erlöschen des Nießbrauchsrechts des Ehemanns der Bgin. verliert nach der bisherigen Rechtsprechung das in seinem Betrieb genutzte Kindesvermögen automatisch die Eigenschaft als notwendiges Betriebsvermögen. Die bilanzmäßige Ausbuchung ist nur eine buchmäßige Klarstellung des rechtlichen Zustandes. Eine Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG in Verb. mit § 10 a EStG 1950 liegt daher nach Ansicht des Senats in diesem Fall nicht vor.

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist deshalb im Ergebnis nicht begründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408892

BStBl III 1958, 1

BFHE 1958, 1

BFHE 66, 1

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