Leitsatz (amtlich)
Wenn die Eltern nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Abs. 2 VStG für ein dauernd erwerbsunfähiges pflegebedürftiges Kind von über 18 Jahren einen Freibetrag bei der Vermögensteuer beantragen können, ist bei der Ermittlung des Gesamtvermögens ein Schuldabzug auch für eine den Freibetrag übersteigende kapitalisierte Unterhaltsverpflichtung nicht möglich.
Normenkette
VStG § 5 Abs. 1 Nr. 3; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 74 Abs. 1 Nr. 1; BewG 1965 § 118 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind als Eheleute gemeinschaftlich jeweils zur Vermögensteuer 1964, 1965 und 1966 vom Beklagten und Revisionskläger (FA) veranlagt worden. Sie begehrten für ihren im Februar 1942 geborenen, unstreitig an multipler Sklerose erkrankten und damit dauernd erwerbsunfähigen und pflegebedürftigen Sohn anstelle des in § 5 Abs. 1 Nr. 3 Abs. 2 des VStG bestimmten und in den Vermögensteuerbescheiden gewährten Freibetrages von 20 000 DM die Absetzung einer dauernden Last in Höhe von 126 000 DM gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 1 des BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) und § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965. Die Kläger berufen sich bei ihrem Antrag auf das rechtskräftige Urteil des FG Berlin vom 25. April 1969 III 667/67 (EFG 1969, 521). Den Betrag errechneten sie unter Zugrundelegung eines monatlichen Aufwandes für Pflege und sonstige Kosten von 700 DM bei Anwendung des Vervielfältigers 15; die Ehefrau ist im Jahre 1920 geboren.
Das FA lehnte den Antrag ab, weil auch die auf einem Antrag beruhende Freibetragsregelung für Unterhaltsleistungen der Eltern an ihre Kinder auf Grund einer Verpflichtung eine Sonderregelung darstelle und nur dann als abzugsfähige Last abzusetzen sei, wenn den Eltern kein Kinderfreibetrag zustehe oder gewährt werden könne. Hier sei der Freibetrag nach § 5 VStG zu gewähren. Ob der Freibetrag von Amts wegen oder nur auf Antrag gewährt werde, sei ohne Bedeutung, wenn kein Wahlrecht zwischen Kinderfreibetrag und dem Abzug einer dauernden Last bestehe.
Nach erfolglosen Einsprüchen erkannte das FG dem Grunde nach das Begehren als gerechtfertigt an. Es gab der Sache nach für die Vermögensteuer 1964 und 1965 durch den um 126 000 DM verminderten Ansatz des Gesamtvermögens auf je 65 000 DM statt; für die Vermögensteuer 1966 setzte es wegen des zu diesem Stichtag höheren Lebensalters der Ehefrau (Vervielfältiger 14) den Abzug mit 117 600 DM und das Gesamtvermögen auf 67 000 DM fest. Das steuerpflichtige Vermögen und die Vermögensteuer jeweils für die drei Stichtage wurden nicht festgesetzt. Das FG ließ die Revision ausdrücklich zu. Es führte im einzelnen u. a. aus: Die Möglichkeit der Kläger, für den Sohn einen Kinderfreibetrag nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG zu erhalten, hindere den Abzug der Verpflichtung nach § 74 Abs. 1 Nr. 1 BewG, § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 nicht, sofern der Steuerpflichtige auf das Antragsrecht hinsichtlich des Kinderfreibetrags verzichtet habe, wie das FG bereits in seinem rechtskräftigen Urteil III 667/67 entschieden habe (so auch Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., § 118 BewG Anm. 14). Den gleichen Rechtsstandpunkt hätten dem Grundsatz nach RFH und Oberster Finanzgerichtshof (OFH) in den im einzelnen benannten Entscheidungen eingenommen. Die durch Krankheit und Hilfsbedürftigkeit des Kindes bedingte Belastung werde nicht durch die typisierende Freibetragsregelung ausgeglichen, die nur den in der Regel zu gewährenden Unterhalt erfasse, und zwar bei einem noch nicht 18jährigen Kinde ohne Berücksichtigung etwaiger Krankheit. Die Auffassung von Generalvorschrift (§ 74 Abs. 1 Nr. 1 BewG bzw. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965) und der vorrangigen Spezialvorschrift (Kinderfreibetrag nach § 5 VStG) sei wegen der verschiedenartigen Bedeutung und dem andersartigen Zweck der beiden Vorschriften abzulehnen. Die Regelung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG berücksichtige nur die üblichen Aufwendungen für das Kind, nicht aber außergewöhnliche Aufwendungen. Diese vermögensteuerliche Regelung entspreche § 32 Abs. 2 Nr. 2b des EStG; für die Einkommensteuer sei es anerkannt, daß die Kinderfreibeträge nicht außergewöhnliche Aufwendungen für ärztliche Betreuung mitumfaßten, sondern letztere nach § 33 und nach § 33a Abs. 6 EStG geltend gemacht werden könnten. Der Vermögensteuerfreibetrag könne allerdings nicht neben der Rentenlast begehrt werden, da die Unterhaltsrente alle Aufwendungen umfasse. Von einer Trennung in übliche und außergewöhnliche Aufwendungen nach § 217 AO sehe das FG ab, weil hier die Erkrankung des Kindes so schwer sei, daß die außergewöhnlichen Aufwendungen den weit überwiegenden Anteil ausmachten. Der Monatsbetrag von 700 DM erscheine glaubhaft und sei nicht bestritten. Die Berechnung des Kapitalwerts der Rente ergebe sich aus §§ 16 BewG, 14 BewG 1965.
Gegen das FG-Urteil legte das FA Revision ein; es rügt unrichtige Anwendung des § 74 Abs. 1 Nr. 1 BewG, § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG. Die Vorschritten ständen nach ihrer systematischen Stellung im unmittelbaren Zusammenhang. Die Grundlage für die Vermögensbesteuerung biete das Bewertungsgesetz, wie sich aus § 4 Abs. 1 VStG mit der Bezugnahme auf das Gesamt- bzw. Inlandvermögen ergebe. Nach dem Sinnzusammenhang und dem Gesetzeszweck sei der Abzug von Unterhaltsleistungen solange ausgeschlossen, als der Steuerpflichtige einen Kinderfreibetrag erhalte, gleich, ob von Amts wegen oder auf Antrag. Von diesem gesetzgeberischen Zweck gehe die spätere Vermögensteuer-Gesetzesänderung vom 16. Januar 1952 aus, nämlich die besonderen Unterhaltsverpflichtungen für erwerbsunfähige Kinder ohne Rücksicht auf das Lebensalter durch dieselbe Feibetragsregelung zu pauschalieren, um jede Ermittlung der Höhe der Unterhaltspflichten durch Typisierung auszuschalten. Die Belastung der Steuerpflichtigen durch eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Personenkreis des § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG werde dort abschließend geregelt ohne die Nachweismöglichkeit höherer tatsächlicher Aufwendungen. Art. 3 GG bedinge keineswegs die vom FG vorgenommene Auslegung, da der Gesetzgeber verfassungskonform eine steuerliche Begünstigung so ausgestalten könne, daß sie in Ausnahmefällen unter Umständen nicht voll zur Auswirkung komme (Entscheidung des BFH vom 1. Dezember 1967 III 164/65, BFHE 91, 258, BStBl II 1968, 319). Der vergleichende Hinweis auf § 32 Abs. 2 Nr. 2b EStG gehe fehl. Die außergewöhnliche Belastung des Einkommensteuergesetzes und die Freibetragsregelung des § 5 VStG hätten verschiedene Ziele; im Einkommensteuerrecht könnten Kinderfreibetrag und außergewöhnliche Belastung nebeneinander gewährt werden, während im Vermögensteuerrecht eine außergewöhnliche Belastung nicht geregelt sei und ein Abzug gesetzlicher Unterhaltsleistung als Schuld nur in Betracht kommen könne, wenn ein Kinderfreibetrag nicht vorgesehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Abweisung der Klage.
Die begehrte Absetzung einer dauernden Last läßt sich für den 1. Januar 1964 aus § 74 Abs. 1 Nr. 1 BewG und für den 1. Januar 1965 und 1. Januar 1966 aus § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 nicht herleiten. Die Auffassung der Kläger, daß sich Schuldabzug und Kinderfreibetrag nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG dem Grundsatz nach nicht ausschließen, ist nicht zutreffend. Es sind vielmehr zur Ermittlung des Wertes des Gesamtvermögens, wie sich aus dem im Bewertungsgesetz ausgesprochenen Abzugsverbot betrieblicher Schulden und Lasten ergibt, solche Schulden und Lasten nicht abzugsfähig, die anderweitig bewertungsmäßig berücksichtigt werden. Aus eben diesem Gesichtspunkt ist die Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber einem Kinde vom Schuldenabzug ausgeschlossen, weil diese Last durch einen Freibetrag bei der Vermögensteuerveranlagung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG berücksichtigt wird. Den Abzug schließt auch der vom FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung genannte Kommentar Rössler-Troll, a. a. O., 9. Aufl., § 118 BewG Anm. 14, aus, solange dem Steuerpflichtigen für ein unter 18 Jahre altes Kind der Freibetrag zusteht, auch wenn der Berechtigte auf den Freibetrag verzichten sollte, wo hingegen bei einem nur auf Antrag zu gewährenden Freibetrag für ein dauernd erwerbsunfähiges Kind über 18 Jahre alt es dem Steuerpflichtigen überlassen bleiben sollte, ob er den Freibetrag für das Kind beanspruchen oder den Abzug seiner Unterhaltsverpflichtung geltend machen wolle. Demgegenüber wird in der Literatur überwiegend ein Wahlrecht zwischen Inanspruchnahme des Freibetrages und dem Abzug der kapitalisierten Unterhaltsrente je nachdem, ob das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat oder nicht, verneint. Denn die grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen gegen den Abzug statt des Freibetrages gelten gleichermaßen für die Freibetragsgewährung sowohl von Amts wegen wie auf Antrag, da in beiden Fällen der Tatbestand der Unterhaltsverpflichtung nach dem Gesetz durch einen Freibetrag begünstigt werde, während bei Kindern über 18 Jahre nur besondere Voraussetzungen zusätzlich in Form eines Antrages nachgewiesen werden müssen (siehe Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, Ausgabe 1972, § 118 BewG Anm. 53, und Steinhardt, Bewertungsgesetz, Ausgabe 1972, § 118 Anm. 14). Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 20. Oktober 1972 III R 7/72 (BFHE 107, 310, BStBl II 1972, 98) eingehend dargelegt, daß nach der Gesetzessystematik die Unterhaltslast trotz etwaiger unterschiedlicher Höhe mit einem gesetzlich festgelegten Pauschbetrag zu berücksichtigen ist. Mit der Regelung des Kinderfreibetrages sind auch, wie dort ausgeführt, erhöhte Aufwendungen für Krankheit des Kindes abgegolten. Das Urteil III R 7/72 betraf allerdings ein dauernd erwerbsunfähiges Kind, das am Vermögensteuerstichtage noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte; das gleiche gilt für das nichtveröffentlichte Urteil des Senats vom 12. Januar 1973 III R 90/72. In dem Urteil III R 7/72 wird jedoch ausgeführt, daß auch bei über 18jährigen, dauernd erwerbsunfähigen Kindern der Kinderfreibetrag nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG alle Unterhaltskosten mit erhöhten Aufwendungen infolge Krankheit abgilt. Diesen Rechtsstandpunkt, der für den Streitfall entscheidungserheblich ist, hält der Senat in Übereinstimmung u. a. mit den zuletzt genannten Kommentaren aufrecht. Er räumt dem Antragserfordernis keine materiell-rechtliche Wirkung ein, die durch die Möglichkeit einer Wahl das System des gesetzlichen Kinderfreibetrags durchbrechen würde. Vielmehr ist das Antragserfordernis für die Gewährung des Freibetrages darin begründet, daß das FA im Steuerfestsetzungsverfahren den Sachverhalt zwar von Amts wegen zu ermitteln hat, daß ihm aber nicht zugemutet werden kann, Ermittlungen in bezug auf eine Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren über 18 Jahre alten Kindern ohne besonderen Antrag und entsprechenden Darlegungen vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat den typischen Fall der Unterhaltsverpflichtung gegenüber volljährigen erwerbsunfähigen Kindern vermögensteuerlich ebenfalls typisierend in der Weise geregelt, daß ein Freibetrag wie für alle übrigen Kinder in Höhe von 20 000 DM zugestanden wird. Das vom FG zur Stützung seiner Ansicht herangezogene Urteil vom 7. Mai 1971 III R 65/69 (BFHE 102, 547, BStBl II 1971, 696) betrifft einen anderen Sachverhalt und andere Rechtsfragen. Dort wurde ohne Erfolg ein Kinderfreibetrag wegen Verzögerung der Berufsausbildung des volljährigen Kindes und nicht wie hier eine kapitalisierte Rentenschuld für ein dauernd erwerbsunfähiges Kind begehrt.
Die Typisierung der Unterhaltspflicht bedeutet keinen Verstoß gegen Art. 3 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG liegt keine Verletzung des Gleichheitssatzes vor, wenn die gesetzliche Regelung - hier Pauschalierung - auf einem vernünftigen, aus der Natur der Sache sich ergebenden oder sonst einleuchtendem Grunde beruht. Davon ist auszugehen, wenn bei den Krankheits- und Unterhaltskosten für die Finanzverwaltung eine Einzelberechnung mit vermögensteuerlicher Auswirkung entweder gar nicht möglich ist oder in der Regel bei jeweils verschiedenen, von außen nicht überprüfbaren Einzelumständen bis zum unzumutbaren Eindringen in den persönlichen Familienbereich führen würde.
Gegenüber der Ausschließlichkeit des vermögensteuerlichen Kinderfreibetrages greift der Hinweis des FG auf die im Einkommensteuerrecht gegebene Möglichkeit nicht durch, neben dem Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Nr. 2b EStG für erwerbsunfähige Kinder außergewöhnliche Aufwendungen (z. B. für ärztliche Betreuung und Pflege) nach § 33, § 33a Abs. 6 EStG geltend machen zu können. Die vom FG angewendete vergleichsweise Auslegung versagt schon deswegen, weil es sich bei Vermögensteuer und Einkommensteuer um verschiedene gesetzliche Regelungen mit verschiedener Zielsetzung handelt. Es ist also eine verschiedenartige Regelung in beiden Rechtsgebieten durchaus möglich, wenn sich nur beide im Rahmen des Grundgesetzes halten. Bereits in den genannten früheren Urteilen führte der Senat zu einer solchen Gesamtbetrachtung aus, es dürfe nicht übersehen werden, daß die Unterhaltsverpflichtung in erster Linie das Einkommen betreffe und demgemäß zu Recht und Billigkeit vorwiegend bei der Einkommensteuer und Lohnsteuer Berücksichtigung finde.
Somit ist das Urteil des FG wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Da der Rechtsstreit als einzigen Streitpunkt die Berücksichtigung der Unterhaltslast betraf, kann nach § 126 Abs. 3 FGO der Senat unter Aufhebung der Vorentscheidung durch Abweisung der Klage selbst entscheiden. Durch die Aufhebung der Vorentscheidung erübrigt es sich, auf die unrichtige Fassung des FG-Urteils einzugehen. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 Gr. S. 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) ist Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Hier waren Gegenstand der Klage die Vermögensteuerbescheide 1964, 1965 und 1966 mit ihren betragsmäßig festgesetzten Vermögensteuern, nicht aber das jeweilige Gesamtvermögen als Berechungselement, das das FG im Urteilstenor und den Urteilsgründen allein zum Gegenstand seiner Entscheidung machte.
Fundstellen
Haufe-Index 70486 |
BStBl II 1973, 618 |
BFHE 1973, 274 |