Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachzuwendungen an Arbeitnehmer
Leitsatz (NV)
1. Eine Sachzuwendung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer (hier: ,,freie Verpflegung") ist eine Leistung gegen Entgelt i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967, wenn sich beide Vertragsparteien darüber einig sind, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht nur für den Barlohn, sondern auch für den Sachlohn erbringen soll (Anschluß an BFH-Urteile vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495; vom 4. Oktober 1984 V R 82/83, BFHE 142, 66, BStBl II 1984, 908).
2. Diese Vereinbarung kann sich ergeben aus Tarifverträgen und aus Einzelarbeitsverträgen (auch mündlichen oder schriftlichen Nebenabreden) und sonstigen Umständen wie der faktischen betrieblichen Übung.
Normenkette
UStG 1967 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt die Personenschiffahrt. In den Streitjahren gewährte sie ihren Arbeitnehmern u. a. ,,freie Verpflegung". Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, die Klägerin habe durch die Gewährung ,,freier" Verpflegung steuerbare Umsätze an die Arbeitnehmer ausgeführt. Die Bemessungsgrundlage für die Umsätze ermittelte das FA in Anlehnung an die lohnsteuerrechtliche Behandlung von Sachbezügen: Die bei der Lohnsteuer für freie Kost und Unterkunft maßgebenden Werte kürzte es um die darin enthaltenen Beträge für Beherbergung und die darin enthaltene Umsatzsteuer. Die für die Beköstigung der im Kabinendienst tätigen Arbeitnehmer ermittelten Werte wurden als zu 50 v. H. auf inländische Streckenanteile entfallend erfaßt.
Einspruch und Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide vom 16. Dezember 1976 blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat maßgebend abgestellt auf die Grundsätze im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Februar 1975 V R 103/72 (BFHE 115, 75, BStBl II 1975, 255) und folglich eine Lieferung von Naturalleistungen ,,gegen Entgelt" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1967) deswegen bejaht, weil zwischen Leistung und Gegenleistung eine innere, d. h. kausale Verknüpfung bestehe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 und der Art. 2 und 8 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (67/228/EWG) - Zweite Mehrwertsteuer-Richtlinie - sowie die Verletzung von Verfahrensrecht.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil sowie die Umsatzsteuerbescheide 1968 bis 1971 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Umsatzsteuer aus jeweils 0,80 DM je Hauptmahlzeit (Mittag und Abend) und 0,40 DM je Frühstück zu berechnen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das Urteil des FG steht in inhaltlichem Widerspruch zu den vom BFH in seinem Urteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76 (BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495) aufgestellten Rechtsgrundsätzen (vgl. auch BFH-Beschluß vom 24. März 1983 V B 56/82, BFHE 138, 111, BStBl II 1983, 391; BFH-Urteile vom 6. Juni 1984 V R 33/83, BFHE 141, 355, BStBl II 1984, 686; vom 6. Juni 1984 V R 136/83, BFHE 141, 359, BStBl II 1984, 688; vom 4. Oktober 1984 V R 82/83, BFHE 142, 66, BStBl II 1984, 808). Wie der BFH im Beschluß in BFHE 138, 111, BStBl II 1983, 391, zusammenfassend ausgeführt hat, ist bei Gewährung von Sachzuwendungen an Arbeitnehmer vorgreiflich zu prüfen, ob sich die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einerseits und die Lohnzahlungen sowie die sonstigen Zuwendungen des Arbeitgebers andererseits als gegenseitige rechtliche Verpflichtungen (bzw. Berechtigungen) derart gegenüberstehen, daß auch die sonstige betriebliche Zuwendung des Arbeitgebers eine Vergütung für geleistete Dienste ist. Auf dieser ersten Prüfungsstufe ist zu fragen, ob die Sachzuwendung Gegenstand der arbeitsvertraglichen Beziehungen geworden ist und ob ggf. mit ihr geleistete Dienste abgegolten werden sollen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich darüber einig sein, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht nur für den Barlohn, sondern auch für den Sachlohn erbringen soll, mithin auch der Sachlohn Vergütung für geleistete Dienste ist. Bei dieser Sachlage ist die Sachleistung eine entgeltliche Leistung im Sinn des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967. Dieses Leistungsaustauschverhältnis vollzieht sich in Gestalt eines tauschähnlichen Umsatzes im Sinn des § 3 Abs. 12 UStG 1967, da der Leistung des Arbeitgebers eine sonstige Leistung des Arbeitnehmers gegenübersteht. Das Argument der Klägerin, es sei nicht möglich, den Wert des ideellen Arbeitsanteils als Gegenleistung wertmäßig zu bestimmen, ist nur dann von Bedeutung, wenn das FG aufgrund der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis kommen sollte, daß die ,,freie Verpflegung" freiwillig gewährt worden ist (vgl. Urteil in BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495 und BFH-Beschluß vom 17. September 1981 V B 43/80, BFHE 134, 65, BStBl II 1981, 775). Nur in diesem Fall hätte es zu beachten, daß es bei freiwilligen Sachzuwendungen nicht möglich ist, einen ideellen Arbeitsanteil zu bestimmen, da der Wertbemessung dieses Arbeitsanteils logischerweise die Beantwortung der Frage vorausgehen muß, wie der ideelle Arbeitsanteil konkret (d. h. prozentual) zu erfassen ist. Ein solcher Anteil ist aber bei freiwilligen Sachzuwendungen wegen der Einseitigkeit der Gewährung nicht erfaßbar (vgl. Urteil in BFHE 141, 355, 358, BStBl II 1984, 686). Zur Stützung dieser Rechtsauffassung hat sich der BFH auch auf Art. 2 und 8 der Zweiten Mehrwertsteuer-Richtlinie bezogen. Diese Auffassung steht in Zusammenhang damit, daß eine Gegenleistung bei betrieblichen Sachzuwendungen auch dann zu verneinen ist, wenn der Arbeitgeber Effektivität und Qualität der ihm ohnehin geschuldeten Arbeitsleistungen durch ,,freigebige" Zuwendungen zu steigern versucht (Urteil in BFHE 133, 133, 138 f., BStBl II 1981, 495).
2. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - auf der Grundlage der von ihm vertretenen Rechtsauffassung zu Recht - keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen, abschließend darüber zu befinden, ob die ,,freie" Verpflegung gegen Entgelt gewährt worden ist. Die Vereinbarung, daß ein Teil der Arbeitsleistung als Entgelt für die Sachzuwendungen geschuldet sein soll, kann sich ergeben aus Tarifverträgen (im Rahmen der Tarifbindung, § 3 Abs. 1 und 2 des Tarifvertragsgesetzes in der Fassung vom 25. August 1969, BGBl I 1969, 1323), aus schriftlichen Arbeitsverträgen, aus zusätzlichen Abreden (auch mündlichen oder schriftlichen Nebenabreden und sonstigen Umständen wie der faktischen betrieblichen Übung; vgl. Urteile in BFHE 138, 111, BStBl II 1983, 391; BFHE 142, 66, BStBl II 1984, 808; Mößlang, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1987, 419).
Kommt das FG zu dem Ergebnis, daß eine Sachzuwendung gegen Entgelt vorliegt, ist die Gegenleistung nach dem Wert der anteiligen Arbeitsleistung zu bestimmen (vgl. Urteil in BFHE 141, 355, 359, BStBl II 1984, 686). Hingegen liegt bei freiwilligen Sachzuwendungen ein Leistungsaustausch nur dann vor, wenn der Arbeitgeber mit der Sachzuwendung auf eine erbringbare Gegenleistung außerhalb der ohnehin geschuldeten Arbeitsleistung abzielt.
Fundstellen