Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Verwendungsumsätze im Erstjahr

 

Leitsatz (NV)

Eine fehlerhafte, aber nicht mehr abänderbare Beurteilung der Verwendungsumsätze im Erstjahr ist für die Zulässigkeit einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 15 a UStG 1980 im Folgejahr maßgebende Grundlage (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).

 

Normenkette

UStG 1980 § 15 Abs. 2, § 15a Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) -- Ehegatten in Grundstücksgemeinschaft -- erwarben im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft ein Hausgrundstück. Sie vermieteten das Grundstück vom 1. Januar 1985 bis zum 1. November 1986 (22 Monate) an eine GmbH. Anschließend wurde das Grundstück an die B vermietet. Die Kläger kündigten dieses Mietverhältnis zum 14. Februar 1989 fristlos. Über das Vermögen der B ist im August 1989 das Konkursverfahren eröffnet worden. Die jeweiligen Zwischenmieter vermieteten das Hausgrundstück an Endmieter.

Die Kläger verzichteten auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) stimmte den Steueranmeldungen für 1983 und 1984 zu, in denen die Kläger Umsatzsteuern aus Rechnungen über die Herstellung des Gebäudes als Vorsteuerbeträge abgezogen hatten.

In einem Umsatzsteueränderungsbescheid (§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) vom 2. Januar 1989 für 1986 (Streitjahr) berichtigte das FA den Vorsteuerabzug gemäß § 15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 um 98/120 der abgezogenen Vorsteuerbeträge, weil es, das FA, von einer als Eigenverbrauch zu beurteilenden Entnahme des Grundstücks ausging. In der Begründung der Einspruchsentscheidung, mit der der Rechtsbehelf der Kläger zurückgewiesen wurde, führte das FA zusätzlich aus, die Vorsteuerberichtigung sei auch deswegen begründet, weil das Zwischenmietverhältnis mit der B wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht anerkannt werden dürfe.

Während des Klageverfahrens änderte das FA die Steuerfestsetzung für 1986 und berichtigte Vorsteuerbeträge gemäß § 15 a UStG 1980 nur noch in Höhe von ... DM (98/120 von X DM, nicht mehr in Höhe von 98/120 von Y DM = ... DM). Die Kläger machten diesen Bescheid durch entsprechenden Antrag zum Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Sie bestritten, daß das Hausgrundstück -- wie das FA behauptet habe -- nur von dem Ehemann an die B vermietet und mithin aus der Grundstücksgemeinschaft entnommen worden sei. Außerdem griffen sie die Höhe des Berichtigungsbetrages an, der ihrer Ansicht nach nur im Umfang des auf das Streitjahr entfallenden Teilbetrages angesetzt werden dürfe. In der mündlichen Verhandlung beantragten sie, die Umsatzsteuer auf 0 DM fest zusetzen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Kläger hätten, so begründete das FG sein Urteil, das Hausgrundstück vom Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung an steuerfrei vermietet, weil der Verzicht auf die Steuerbefreiung unwirksam sei; denn die Zwischenvermietung dürfe wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht als maßgebender Verwendungsumsatz beurteilt werden. Das FA habe die Rechtslage im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung objektiv unzutreffend beurteilt und könne diesen Fehler nur durch Änderung der Steuerfestsetzungen nach Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977), nicht aber durch Vorsteuerberichtigung gemäß § 15 a UStG 1980 korrigieren.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 15 a UStG 1980 und führt aus: Es liege eine Änderung der Verhältnisse durch Entnahme vor. Während ursprünglich beide Kläger ihr Hausgrundstück durch einen von ihnen mit dem Zwischenmieter geschlossenen Mietvertrag verwendet hätten, habe später nur der Ehemann den Zwischenmietvertrag mit der B geschlossen. Darin liege eine steuerfreie Entnahme des Hausgrundstücks, die zur Vorsteuerberichtigung verpflichte.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil der vom FG festgestellte Sachverhalt keine abschließende Beurteilung ermöglicht. Das FG hat § 15 a UStG 1980 unrichtig angewendet. Es hat nicht erkannt, daß eine Änderung der Verhältnisse vorlag, die zur Vorsteuerberichtigung berechtigt. Es hat ferner nicht untersucht, ob eine Änderung der Verhältnisse durch Entnahme zum Eigenverbrauch oder durch Änderung der Verwendungsumsätze vorlag.

1. Eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungs kosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge ist vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern (§ 15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980). Eine Änderung der Verhältnisse liegt auch vor, wenn das noch verwendungsfähige Wirtschaftsgut vor Ablauf des nach den Absätzen 1 bis 3 maßgeblichen Berichtigungszeitraums veräußert oder zum Eigenverbrauch entnommen wird und dieser Umsatz für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen ist als die Verwendung im ersten Kalenderjahr (§ 15 a Abs. 4 UStG 1980).

Unter den im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände der Umsätze zu verstehen, die der Unternehmer mittels des bezeichneten Wirtschaftsgutes ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Die Verhältnisse ändern sich i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuer abzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein. Das gilt entsprechend, wenn die Veräußerung oder Entnahme (§ 15 a Abs. 4 UStG 1980) des Wirtschaftsguts aus der Sicht des Vorsteuerabzugs anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu be urteilen ist. Dabei ist für die rechtliche Würdigung der Umsätze im Erstjahr grundsätzlich die zutreffende Beurteilung maßgebend, nicht aber eine von dieser abweichende Behandlung durch die Beteiligten (§ 15 Abs. 2, 3 UStG 1980).

a) Für die Prüfung, ob in den Folgejahren (§ 15 a Abs. 1 UStG 1980) bzw. im Kalenderjahr der Veräußerung oder Entnahme (§ 15 a Abs. 4 UStG 1980) eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, besteht regelmäßig keine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Umsatzes im Erstjahr. Ist die Steuerfestsetzung für das Erstjahr jedoch unanfechtbar und nicht mehr änderbar (z. B. nach § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2, § 173 Abs. 1 AO 1977), bewirkt die Bestandskraft in Verbindung mit der Unabänderbarkeit, daß die der Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Anwendbarkeit des § 15 a Abs. 1 UStG 1980 selbst dann "maßgebend" ist, wenn sie unzutreffend war. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr -- gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr -- zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980 gegeben. Der Vorsteuerabzug kann gemäß § 15 a Abs. 1 UStG 1980 zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden.

Die durch Bestandskraft in Verbindung mit Unabänderbarkeit eintretende Gestaltung der im Erstjahr maßgebenden Rechtslage für das Erstjahr gebietet es, den Fall so zu behandeln, wie wenn für das Folgejahr eine Gesetzesänderung eingetreten wäre (vgl. zur Änderung der Verhältnisse durch Gesetzesänderung: BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Allerdings darf das Verfahrensrecht die Berichtigung nicht verbieten.

b) Der Senat hatte in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) ausgesprochen, daß eine fehlerhafte Beurteilung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ("für sein Unternehmen") nicht in einem Folgejahr nach § 15 a UStG 1973 berichtigt werden darf.

Er hat ferner in seinen Urteilen vom 3. Dezember 1992 V R 87/90 (BFHE 170, 472, BStBl II 1993, 411) und vom 21. Januar 1993 V R 15/91 und V R 111/91 (nicht veröffentlicht) zu den Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 ausgeführt, daß bei gleichbleibender Verwendung und unveränderter gesetz licher Regelung bezüglich der Verwendungsumsätze eine spätere andere recht liche Beurteilung als im Erstjahr nicht zur Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG 1980 führt. Die letztgenannte Aussage begrenzt der Senat im Hinblick auf die für den Streitfall maßgeblichen Erwägungen auf die Fälle, in denen die Steuerfestsetzung für das Erstjahr noch änderbar und nicht unanfechtbar ist.

2. Im Streitfall sind die Umsatzsteuerfestsetzungen 1983 und 1984, in denen das FA den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen -- zu Unrecht -- zugelassen hat, unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In ihnen ist eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Grundstücksvermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung zugrunde gelegt worden. Ob im Streitjahr 1986 eine Vermietung des Hausgrundstücks durch die Kläger oder eine Vermietung nur durch den Ehemann nach vorheriger Entnahme des Hausgrundstücks durch eine unentgeltliche Zuwendung von den Klägern an den Ehemann vorlag, ist bisher nicht geklärt. In beiden Fällen wäre eine Änderung der Verhältnisse (§ 15 a Abs. 1, 4 UStG 1980) gegeben.

Bei einer Vermietung des Hausgrundstücks durch die Kläger im Streitjahr (1986), einem Folgejahr innerhalb des Berichtigungszeitraums, wäre die Vermietung -- anders als nach der maßgebenden Beurteilung für das Erstjahr -- als steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) anzusehen; denn nunmehr wäre -- anders als im Erstjahr -- die Vermietung als steuerfrei zu behandeln, während seinerzeit -- wenn auch zu Unrecht -- eine steuerpflichtige Vermietung angenommen wurde. Die Vorsteuerberichtigung hätte für jedes Jahr der Änderung in Höhe der anteiligen auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge (§ 15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980) zu erfolgen.

Wenn die Vermietung des Hausgrundstücks im Streitjahr nur durch den Ehemann vorgenommen und ihr eine steuerfreie (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980) Veräußerung (§ 3 Abs. 1 UStG 1980) oder Entnahme zum Eigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980) vorausgegangen wäre, hätte dies ebenfalls den Vorsteuerabzug ausgeschlossen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980). Die Vorsteuerberichtigung erfolgte unter einer solchen Voraussetzung gemäß § 15 a Abs. 6 UStG 1980 so, als wäre das Wirtschaftsgut in der Zeit von der Veräußerung oder Entnahme bis zum Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums unter entsprechend geänderten Verhältnissen weiterhin für das Unternehmen verwendet worden. Sie wäre für das Kalenderjahr der Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch und die folgenden Kalenderjahre des Berichtigungszeitraums bereits bei der Berechnung der Steuer für den Voranmeldungszeitraum durchzuführen, in dem die Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch stattgefunden hat (§ 44 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1980).

3. Das FG wird bei der erneuten Verhandlung aufklären müssen, ob eine Veräußerung oder Entnahme zum Eigenverbrauch des Hausgrundstücks vorliegt. Die alleinige Unterschrift des Ehemannes unter dem Mietvertrag mit der B ist insoweit kein zwingendes Beweisanzeichen. Der Ehemann könnte als Bevollmächtigter seiner Ehefrau gehandelt haben, und die Vermietung könnte durch die Kläger als Grundstücksgemeinschaft durchgeführt worden sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419586

BFH/NV 1995, 347

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