Leitsatz (amtlich)

1. An der Auffassung des Urteils des erkennenden Senats III 63/52 U vom 16. Mai 1952 (Slg. Bd. 56 S. 480, BStBl. 1952 III S. 185) über die Nichtanwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 7 Abs. 1 2. StDVO-SHG für den Fall, daß ein schon bisher verpachteter Betrieb durch den Eigentümer an einen Flüchtling veräußert oder weiterverpachtet wird, hält der Senat nicht fest. Entsprechendes gilt auch für die Veräußerung und Verpachtung nach § 6 Abs. 1 2. StDVO-SHG.

2. Verpachtet der Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes, an dem seiner Schwägerin der lebenslängliche Nießbrauch zusteht, den Betrieb mit Zustimmung der Schwägerin anläßlich der Eheschließung der Schwägerin mit einem Flüchtling langfristig an diesen, so können die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 2. StDVO-SHG gegeben sein.

 

Normenkette

2. StDVO-SHG § 6 Abs. 1; 2. StDVO-SHG § 7 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist als Erbe seines Bruders Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes, an dem laut Testament des Bruders dessen Ehefrau (Schwägerin des Bf.) der lebenslängliche Nießbrauch zusteht. Am 19. Mai 1950 ging die Schwägerin des Bf. die Ehe mit einem Flüchtling ein, für den mit der Eheschließung der gesetzliche Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung begründet wurde. Am gleichen Tag verpachtete der Bf. mit Zustimmung seiner Schwägerin den landwirtschaftlichen Betrieb auf 12 Jahre an den nunmehrigen Ehemann der Schwägerin.

Streitig ist, ob dem Bf. auf Grund dieser Verpachtung die Vergünstigung des § 6 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes (2. StDVO-SHG) -- Nichterhebung der auf den Betrieb entfallenden Soforthilfeabgabe -- zusteht. Das Finanzgericht hat die Anwendbarkeit der Vergünstigungsvorschrift bejaht. Infolge der Zustimmung der Nießbraucherin liege ein rechtsgültiger Pachtvertrag vor, der auch dem Zweck der Vergünstigungsbestimmung -- Eingliederung eines Flüchtlings in die Landwirtschaft -- gedient habe. Insbesondere sei durch den langjährigen Pachtvertrag die erforderliche Sicherung für die Eingliederung des Flüchtlings geschaffen worden, die ohne diesen Vertrag wegen der Möglichkeit eines frühzeitigen Todes oder einer Scheidung der Ehe nicht gegeben gewesen wäre, da in diesem Falle der Nießbrauch der Ehefrau erloschen bzw. die Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes weggefallen wäre.

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts beruft sich auf die Entscheidung des erkennenden Senats III 63/52 U vom 16. Mai 1952, Slg. Bd. 56 S. 480, Bundessteuerblatt (BStBl.) 1952 III S. 185. In dieser zu § 7 Abs. 1 2 StDVO-SHG (Verpachtung eines gewerblichen Betriebes) ergangenen Entscheidung habe der Bundesfinanzhof ausgeführt, die Vergünstigung könne dann nicht gewährt werden, wenn ein schon bisher an einen Einheimischen verpachteter Betrieb vom Eigentümer nunmehr an einen Flüchtling verpachtet werde, da für diesen Fall der Anreiz für den Eigentümer, einen selbst unterhaltenen Betrieb zugunsten eines Flüchtlings aufzugeben oder einen Flüchtling an seinem Betrieb zu beteiligen, entbehrlich sei. Wenn aber schon im Falle der Verpachtung eines schon vorher verpachteten Betriebes die Vergünstigung nicht zu gewähren sei, müsse das gleiche erst recht im vorliegenden Fall gelten, in dem einem Dritten der lebenslängliche Nießbrauch an dem Betrieb zugestanden habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Der Senat vermag bei erneuter Prüfung an den oben wiedergegebenen Ausführungen seines Urteils vom 16. Mai 1952 -- auf denen übrigens dieses Urteil nicht berunte -- nicht festzuhalten Die Vergünstigungen des § 6 Abs. und § 7 Abs 1 2. StDVO-SHG bezwecken die Eingliederung von Flüchtlingen in die einheimische Wirtschaft. Dieser Zweck wird durch Veräußerung oder langfristige Verpachtung von Betrieben an Flüchtlinge ohne Rücksicht darauf erreicht, ob dem Eigentümer eine solche Maßnahme etwa deshalb leichter fällt, weil er schon bisher den Betrieb nicht selbst geführt hat.

Es fragt sich also nur noch, ob etwa der Umstand, daß dem Bf. die Nutzungen an dem Betrieb durch den Nießbrauch seiner Schwägerin bis zu deren Tod entzogen waren, und daß der Ehemann der Schwägerin (Flüchtling) schon auf Grund der Eheschließung in die Rechte der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung an dem Betrieb eingetreten war, der Anwendung der Vergünstigungsvorschrift entgegensteht. Auch diese Frage ist zu verneinen. Nach dem im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen ergangenen Erlaß des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten betreffend Durchführung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vom 9. Januar 1950, Ministerialblatt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1950 S. 1, Abschnitt 3, 2 soll eine einer Verpachtung auf mindestens 12 Jahre gleichzusetzende Eingliederung eines Flüchtlings in die Landwirtschaft auch dann vorliegen, wenn ein Flüchtling die Heirat mit der einheimischen Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes eingeht, sofern nich, zwischen den Ehegatten Gütertrennung vereinbart wird. Gegen diese uber den Wortlaut hinausgehende, dem Sinn und Zweck der Vergunstigungsvorschrift jedoch entsprechende Auslegung des § 6 Abs. 1 2. StDVO-SHG bestehen keine Bedenken. Dann wird man aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch in dem Vorgenen der Beteiligten im vorliegenden Fall eine Eingliederung des Ehemannes der Schwägerin in die einheimische Landwirtschaft zu erblicken haben, die die Anwendung der Begünstigungsvorschrift rechtfertigt. Denn wie bei der Eingliederung eines Flüchtlings durch Einheirat kommt hier letzten Endes die Ehefrau, die ohne die Begünstigung nach § 23 des Soforthilfegesetzes im Innenverhältnis die auf den Betrieb entfallende Soforthilfeabgabe zu entrichten hätte, durch ihre Heirat mit einem Flüchtling in den Genuß der Begunstigung. Die auf den landwirtschaftlichen Betrieb des Bf. entfallende Soforthilfeabgabe bleibt somit gemäß § 6 Abs. 3 2. StDVO-SHG ab 1. Juli 1950 unerhoben

Hiernach mußte die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts mit der Kostenfolge des § 309 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückgewiesen werden. Der Streitwert wird für das gesamte Rechtsmittelverfahren auf 470 DM (Soforthilfeabgabe für 1 3/4 Jahre) festgestellt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407900

BStBl III 1954, 135

BFHE 1954, 589

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge