Leitsatz (amtlich)
Beantragt ein Zollschuldner, der nach längerer gleichbleibender Tarifierung einer Ware die tarifliche Einordnung in einem Fall mit Erfolg angefochten hat, die Berichtigung auch der früher ergangenen Bescheide, die er hatte unanfechtbar werden lassen, ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Zollbehörde die Berichtigung ablehnt.
Normenkette
AO § 94 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führt seit 1961 Schweißelektroden ein. Diese bestehen aus Silberlegierungsstäben, die mit einem besonderen Flußmittel überzogen sind. Diese Stäbe ließ die Klägerin in der Regel bei Zollstellen in X abfertigen, die die eingeführten Stäbe bis Mitte 1963 als Halberzeugnis aus Silber der Tarifnr. 71.05 zuwiesen und die dort vorgesehenen Eingangsabgaben in Höhe von 4 % Zoll und 4 % Ausgleichsteuer festsetzten. Mitte 1963 änderten die Zollstellen ihre Tarifauffassung, indem sie sich der Tarifierung einer Einfuhrsendung der Klägerin durch das Zollamt (ZA) Y vom 21. November 1962 anschlossen, das die Silberlote als Fertigerzeugnisse aus Silber der Tarifnr. 71.14 mit einer Zollbelastung von 6,8 % und einer Ausgleichsteuerbelastung von 6 % zugewiesen hatte. Gleichzeitig wurden gegen die Klägerin steuerstrafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil sie die Silberlote bis Mitte 1963 unter Angabe der Tarifnr. 71.05 angemeldet hatte. Diese Ermittlungen schlossen ab mit einem Bericht der Zollfahndungsstelle vom 27. Januar 1965, wonach eine vorsätzliche Abgabenverkürzung durch die Klägerin ausschied. Nach Abschluß der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen veranlaßte die Klägerin eine Überprüfung der Tarifierung der eingeführten Silberlote, indem sie gegen die Bescheide vom 6. April, 30. April und 5. Mai 1965 eine Klage beim FG anhängig machte. In dem rechtskräftigen Urteil vom 2. Juli 1969 wies das FG die eingeführten Silberstäbe wiederum als Halbzeug aus Silber der Tarifnr. 71.05 zu.
Unter Bezugnahme auf dieses Urteil stellte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 1969 den Antrag, die Tarifierung von 55 Zollbescheiden aus dem Zeitraum vom 13. Januar 1964 bis zum 10. Mai 1967, in denen ummantelte Lötstäbe aus Silber nach der Tarifnr. 71.14 abgefertigt worden waren, zu berichtigen und der Klägerin die aus der Tarifierungsänderung folgende Abgabendifferenz zu erstatten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt – HZA –) gab dem Änderungsantrag der Klägerin statt, soweit er sich auf Bescheide bezog, die nach der erstmaligen Anfechtung eines Zollbescheides wegen der streitigen Tarifierungsfrage ergangen waren, und wies das ZA an, die Tarifierung von 33 in der Zeit vom 20. Juli 1965 bis zum 10. Mai 1967 ergangenen Zollbescheiden entsprechend dem Antrag der Klägerin zu ändern. Im übrigen wies das HZA die Änderungsanträge der Klägerin zurück. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Klage, mit der sie geltend machte, die Ablehnung ihres Antrags auf Berichtigung noch weiterer Zollbescheide sei ermessensfehlerhaft. Sie beantragte, das HZA für verpflichtet zu erklären, alle in der Zeit vom 13. Januar 1964 bis zum 15. Februar 1965 von den untergeordneten Zollstellen erlassenen Zollbescheide hinsichtlich der falsch tarifierten ummantelten Silberlote zu berichtigen und die zuviel erhobenen Eingangsabgaben zu erstatten.
Das FG wies die Klage mit folgender Begründung ab: Die angefochtene Entscheidung lasse einen Ermessensfehler nicht erkennen. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, der die Behörde zur Berichtigung schon unanfechtbar gewordener Bescheide nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO verpflichte, sei nicht gegeben. Der von der Klägerin vorgetragene Umstand, sie habe sich durch das Auftreten der Fahndungsbeamten bei der Eröffnung der strafrechtlichen Ermittlungen so eingeschüchtert gefühlt, daß es ihr ratsam erschienen sei, gegen die nach Beginn der Fahndungsermittlungen erlassenen Bescheide keine Rechtsmittel einzulegen, könne nicht dazu führen, die Verantwortung für die Nichteinlegung der Rechtsbehelfe in den Bereich der Verwaltung zu verlagern. Die Eröffnung der strafrechtlichen Ermittlungen durch die Fahndungsbeamten möge die Klägerin verständlicherweise beeindruckt haben. Es sei auch möglich, daß sie unter dem ersten Eindruck der von der Fahndung gegen sie erhobenen Vorwürfe es für ratsam gehalten habe, sich der Tarifauffassung der Verwaltung anzupassen. Dies sei aber nicht durch ein besonderes widerrechtliches Verhalten der Verwaltung hervorgerufen worden. Wenn die Fahndungsbeamten bei Beginn der Ermittlungen der Klägerin gegenüber erklärt hätten, sie sei verpflichtet, die eingeführten Waren in Zukunft tarifgerecht anzumelden, sei dies lediglich eine Folgerung aus der von der Verwaltung seinerzeit vertretenen Tarifauffassung, Diese Erklärung der Fahndungsbeamten stelle keine Beeinträchtigung der rechtlichen Möglichkeiten der Klägerin dar, eine Überprüfung der Tarifauffassung der Verwaltung zu veranlassen und Rechtsbehelfe gegen die später erlassenen Steuerbescheide einzulegen. Das HZA habe deshalb den nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellten Berichtigungsantrag ohne Ermessensverstoß mit der Begründung zurückweisen können, daß die Klägerin die Gründe für die Berichtigung der Bescheide im Rechtsbehelfsverfahren hätte geltend machen müssen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie trägt vor, ihre Sache weise gewisse Parallelen mit dem vom Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 21. November 1968 VII 3/65 (BFHE 94, 306, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1969 S. 106 – ZfZ 1969, 106 –, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1969 S. 143 – HFR 1969, 143 –) entschiedenen Fall auf. Die Bescheide, deren Berichtigung noch streitig sei, gehörten zu einem Gesamtkomplex. Sie seien innerhalb von 13 Monaten ergangen. Wegen der einheitlichen materiellen Streitfrage habe die Klägerin gegen drei Bescheide erfolgreich ein Rechtsbehelfsverfahren geführt. Damit entfalle der als entscheidend herausgestellte Gesichtspunkt, daß die Berichtigung grundsätzlich nicht mit Gründen verlangt werden könne, die in einem Rechtsbehelfsverfahren hätten vorgebracht werden können. Zuzugeben sei allerdings, daß die erfolgreich angefochtenen Bescheide zeitlich hinter den streitigen gelegen haben, wodurch sich dieser Fall von dem des angeführten Urteils VII 3/65 unterscheide.
Dieser Unterschied sei aber nicht so schwerwiegend, zumal besondere Umstände die Klägerin davon abgehalten hätten, schon vorher ein Rechtsbehelfsverfahren anzustrengen. Die Zollverwaltung habe nämlich gleichzeitig mit der Änderung ihrer Tarifauffassung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin in Gang gesetzt und den Vorwurf erhoben, die Klägerin habe durch die Anmeldung einer falschen Tarifnummer Eingangsabgaben verkürzt. Das Vorgehen der Zollverwaltung sei gewiß nicht widerrechtlich, aber doch außergewöhnlich hart gewesen. Normalerweise hätte man erwartet, daß die Zollverwaltung zunächst gründlich die Tarifierungsfrage prüfe und dann, wenn sich die Anmeldung wirklich als falsch herausgestellt habe, die strafrechtlichen Ermittlungen einleite. Ihr damaliges Vorgehen könne man als überstürzt bezeichnen. Es habe aber nicht seine Wirkung auf die Klägerin verfehlt. Das Erscheinen der Zollfahndungsbeamten habe sie so nachhaltig beeindruckt, daß sie die von der Zollverwaltung für richtig gehaltene Tarifierung zunächst widerspruchslos hingenommen habe. Sie habe befürchten können, durch ein sozusagen widersetzliches Verhalten den Verdacht der Zollverwaltung und deren Unmut zu verschärfen. Sie sei auch von der Richtigkeit der Tarifauffassung der Zollverwaltung überzeugt gewesen. Als die Klägerin dann Anfang 1965 erfahren habe, daß die Zollverwaltung ihren Verdacht fallengelassen habe, habe sie ein Rechtsbehelfsverfahren angestrengt.
Mit Recht und Billigkeit unvereinbar sei es darüber hinaus, daß vom gleichen ZA, das für die Berichtigung der streitigen Bescheide zuständig sei, Änderungsbescheide über sämtliche Einfuhren der Klägerin seit dem 1. Januar 1964 erlassen worden seien. Die Änderung habe den Zollwert betroffen und zu Nacherhebungen geführt. Es befremde, daß für einen kleinen Teil der Bescheide, deren Änderung im Ermessen der Zollstelle gestanden und zu Erstattungen geführt hätte, die Berichtigung versagt werde.
Das HZA führt aus, dem von der Klägerin angeführten BGH-Urteil VII 3/65 könne nicht entnommen werden, daß die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens ausreiche, um auch alle dem Rechtsbehelfsverfahren zeitlich vorangegangenen rechtskräftigen Abgabenfestsetzungen wieder aufzurollen. Ein solches Verfahren hätte die Aushöhlung der Bestimmungen über das Rechtsbehelfsverfahren zur Folge. Die Zollverwaltung habe es auch nicht durch das seinerzeit eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren mitverschuldet, daß die Klägerin keinen Einspruch eingelegt habe. Es müsse im übrigen darauf hingewiesen werden, daß nach dem inzwischen ergangenen Tarifentscheid des Tarifausschusses der EWG-Komission vom 21. September 1973 mit Flußmitteln ummantelte Silberstäbe zum Löten oder Schweißen von Metallen zur Tarifstelle 71.14-A gehörten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Klägerin rügt zu Unrecht, die Ablehnung einer Berichtigung der hier in Rede stehenden Bescheide verletze § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Diese Vorschrift gestatte es, Steuerbescheide, soweit sie Zölle oder Verbrauchsteuern betreffen, auch dann noch zu ändern, wenn sie bereits unanfechtbar geworden sind. Die Berichtigung ist innerhalb der Verjährungsfrist zugunsten und zuungunsten der Steuerpflichtigen möglich. Die Berichtigung, liegt, soweit sie zugunsten der Steuerpflichtigen erfolgen soll, im Ermessen der Verwaltung. Lehnt die Verwaltung einen Berichtigungsantrag ab, kann ihre Entscheidung als Ermessensentscheidung nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO).
Die Ablehnung einer Berichtigung ist, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage war, die Fehlerhaftigkeit der Bescheide in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen (BFH-Urteile vom 30. Juni 1964 VII 155/62 U, BFHE 80, 44, BStBl III 1964, 490; vom 29. September 1964 VII 245/63 U, BFHE 80, 492, BStBl III 1964, 651). Durch die Berichtigungsmöglichkeit soll dem Steuerpflichtigen kein zweiter, an keine Rechtsbehelfsfristen gebundener Rechtsanspruch auf Nachprüfung der Steuerbescheide eingeräumt werden. Dieser Grundsatz gilt jedoch, wie der Senat schon wiederholt entschieden hat, nicht ausnahmslos (vgl. das schon erwähnte Urteil VII 3/65, weiterhin die Urteile vom 15. Oktober 1968 VII 40/65, BFHE 94, 41, HFR 1969, 83; vom 3. Dezember 1968 VII R 36/66, BFHE 94, 312, HFR 1969, 183). Es ist möglich, daß unter den besonderen Umständen des Einzelfalls die Ablehnung der Berichtigung unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids einen Ermessensfehlgebrauch darstellt.
Die Umstände des zu beurteilenden Sachverhalts sind nicht so gelagert, daß die Ablehnung einer Berichtigung der 1964 bis Anfang 1965 ergangenen Eingangsabgabenbescheide ermessensfehlerhaft war. Es ist schon zweifelhaft, ob die in diesen Bescheiden vorgenommene Einordnung der Silberlote unter die Tarifnr. 71.14 überhaupt falsch war. Die Tarifierung, die das FG in dem mit rechtskräftigem Urteil vom 2. Juli 1969 abgeschlossenen Verfahren wegen der Eingangsabgabenbescheide vom 6. April, 30. April und 5. Mai 1965 in der Hinsicht vorgenommen hat, daß die Silberlote unter die Tarifnr. 71.05 fallen, erscheint nicht bedenkenfrei. Die Tariffrage ist jedenfalls schwer zu beurteilen und braucht in diesem Verfahren, das die Berichtigung von Bescheiden zum Gegenstand hat, nicht gelöst zu werden. Wird nämlich zugunsten der Klägerin unterstellt, daß die Silberlote, wie seinerzeit vom FG vorgenommen, der Tarifnr. 71.05 zuzuweisen sind, und daß ferner, was ebenfalls nicht zweifelsfrei ist, die Ansprüche aus den Bescheiden, um die es hier geht, noch nicht verjährt sind, ist das Berichtigungsbegehren der Klägerin nicht gerechtfertigt.
Es kann im vorliegenden Falle nämlich nicht unbeachtet bleiben, daß die Klägerin die Tariffrage erst verhältnismäßig spät in einem Rechtsbehelfsverfahren hat klären lassen. Zwischen der Änderung der Tarifauffassung durch die Verwaltung und dem Beginn des Rechtsbehelfsverfahrens gegen drei Bescheide vom April und Mai 1965 liegen annähernd zwei Jahre. In diesem Zeitraum ist eine Vielzahl von Bescheiden ergangen, denen die geänderte Tarifauffassung der Zollverwaltung zugrunde lag. Die Klägerin hat in dieser Zeit nichts unternommen, um eine Bestätigung ihrer eigenen bisherigen Tarifauffassung zu erreichen. Es kann nicht angenommen werden, daß sie als Importeur einer Vielzahl einschlägiger Artikel gerade hinsichtlich der für sie in Betracht kommenden Stellen des Zolltarifs (ZT) unbewandert gewesen ist und ihr ferner die Möglichkeiten unbekannt gewesen sein sollten, auf welche Art und Weise auftretende Tarifierungszweifel beseitigt werden können. Es hätte schon im eigenen finanziellen Interesse der Klägerin gelegen, diesen Zweifel möglichst frühzeitig durch eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) oder durch Rechtsbehelfe gegen einen der ersten Abgabenbescheide, in welchem die Zollverwaltung von der bisherigen Tarifierung abgewichen war, klären zu lassen. Sie hat statt dessen entweder die geänderte Tarifauffassung der Verwaltung für richtig gehalten oder hingenommen oder aus sonstigen Gründen die Einlegung von Rechtsbehelfen versäumt oder unterlassen.
Die vorliegende Streitsache unterscheidet sich damit wesentlich von dem mit dem Urteil VII 3/65 entschiedenen Fall, in welchem der Abgabenpflichtige gegen einen der ersten endgültig erlassenen Eingangsabgabenbescheide ein Rechtsbehelfsverfahren angestrengt hatte, das dann Anlaß für die Berichtigung aller später ergangenen Bescheide werden konnte. Der BFH hat es in diesem Fall als nicht vereinbar mit Recht und Billigkeit und als ermessensfehlerhaft angesehen, die Berichtigung der nicht angefochtenen – später ergangenen – Bescheide nur um deswillen zu versagen, weil gegen diese kein Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt worden ist. Dies würde, so führt der BFH aus, darauf hinauslaufen, daß der Steuerpflichtige jeden der während und möglicherweise auch noch nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens erlassenen Bescheide nur und ausschließlich zum Zwecke der Vermeidung ihrer Unanfechtbarkeit gesondert anfechten müßte. Eine derartige Kumulierung von Rechtsbehelfen bei Identität des Streitgegenstandes, die praktisch dazu führe, daß die Anfechtung zum Selbstzweck werde, habe keine Beziehung zu Sinn und Zweck des für den Normalfall aufgestellten Grundsatzes.
Diese Sachlage ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es ist der Auffassung des HZA in der Revisionsentgegnung durchaus zuzustimmen, daß die Durchführung eines verhältnismäßig spät angestrengten Rechtsbehelfsverfahrens nicht Anlaß sein darf, nun auch alle vorher ergangenen bestandskräftig gewordenen Abgabenfestsetzungen wieder aufzurollen und nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO zu berichtigen. Hierdurch würden die auch für Eingangsabgabenbescheide geltenden Bestimmungen über das Rechtsbehelfsverfahren weitgehend ausgehöhlt und zur Bedeutungslosigkeit herabgedrückt werden.
Das FG hat festgestellt, daß die Verwaltung in keiner Weise auf die Klägerin – hier insbesondere auf ihre gesetzlichen Vertreter – eingewirkt hat, ein Rechtsbehelfsverfahren wegen der Tarifierungsfrage etwa zu unterlassen. Diese Feststellung ist von der Klägerin in ihrer Revision nicht angegriffen worden. Eine derartige Einwirkung kann in Übereinstimmung mit dem FG auch nicht darin erblickt werden, daß die Fahndungsbeamten erklärt haben, die Klägerin müsse die Waren in Zukunft tarifgerecht anmelden. Die Klägerin räumt selbst ein, daß in den 1963 begonnenen Ermittlungen seitens der Zollfahndungsstelle kein rechtswidriges Verwaltungshandeln erblickt werden kann. Sie, d. h. ihre gesetzlichen Vertreter oder die strafrechtlich Verantwortlichen, will aber, wie es in der Revisionsbegründung nunmehr formuliert wird, von dem Erscheinen der Fahndungsbeamten so nachhaltig beeindruckt worden sein, daß sie die von der Zollverwaltung für richtig gehaltene Tarifierung zunächst widerspruchslos akzeptiert habe. Es soll nicht verkannt werden, daß das Erscheinen von Zollfahndungsbeamten und die Eröffnung, daß steuerstrafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden, bei dem Steuerpflichtigen Befürchtungen vielfältiger Art auslösen und bei ihm eine gewisse Unsicherheit bewirken, wie er sich im Verlauf der Ermittlungen verhalten soll. In diesem Falle tut ein Steuerpflichtiger gut daran, sich von einer sachverständigen Person beraten zu lassen und dieser die Beurteilung etwa auftretender Rechtsfragen und rechtlicher Zweifel anheimzugeben. Bei nüchterner Beurteilung der Sachlage hätte es, wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, der Klägerin oder einem von ihr herangezogenem Berater schon im Jahre 1963 nicht entgehen können, daß auch die Fahndungsbeamten hinsichtlich der zutreffenden Tarifierung der Silberlote sich noch nicht vollständig sicher waren und deshalb von dieser Ware aus dem Lager der Klägerin Proben zur weiteren Untersuchung entnommen haben. Es bleibt der Klägerin unter diesen Umständen nicht der Vorwurf erspart, daß sie sich tatenlos verhalten hat. Es war ihr zuzumuten, schon in Anbetracht der erheblichen finanziellen Auswirkungen einer anderen Tarifierung als bisher, jetzt von sich aus und möglichst in einem frühen Stadium des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine Klärung der Tariffrage, notfalls durch die Gerichte, vornehmen zu lassen.
Bei Abwägung aller dieser Umstände muß daher gesagt werden, daß es der Klägerin nicht erst im Jahre 1965, also nach Abschluß des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens möglich war, ein Rechtsbehelfsverfahren wegen der streitigen Tariffrage in Gang zu setzen. Eine Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO scheidet daher aus diesen Gründen aus.
Mit dem weiteren Einwand, es widerspreche Recht und Billigkeit, die Bescheide einerseits wie geschehen wegen des Zollwerts zuungunsten der Klägerin zu berichtigen, andererseits aber eine Berichtigung zu ihren Gunsten wegen der Tarifierung abzulehnen, kann die Klägerin jetzt nicht mehr gehört werden. Die Tatsache einer zwischenzeitlichen Berichtigung wegen des Zollwerts ist in der Vorinstanz nicht vorgetragen worden. Es handelt sich somit um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden darf. Die Klägerin hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem FG Schreiben verschiedener Zollstellen vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß Ermittlungen wegen des Zollwerts liefen. Aus der Sitzungsniederschrift und aus der Vorentscheidung geht jedoch nicht hervor, zu welchem Zweck diese Schreiben dem Gericht überreicht worden sind. Ihre Vorlage erfolgte möglicherweise im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ansprüche aus den Bescheiden, deren Berichtigung die Klägerin zu ihren Gunsten begehrte, schon verjährt sind oder die Verjährung unterbrochen worden ist. Das Vorbringen der Klägerin in der Revisionsinstanz läßt auch nicht erkennen, ob sie mit dem Hinweis auf stattgefundene Berichtigungen wegen des Zollwerts eine mangelnde Sachaufklärung durch das FG rügt. Sollte mit dem von ihr vorgebrachten Hinweis eine diesbezügliche Verfahrensrüge gemeint sein, ist diese jedenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben.
Aufgrund des dem FG zur Entscheidung vorliegenden Sachverhalts ist dieses somit zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Ablehnung der Berichtigung der Bescheide des Jahres 1964 und von Januar und Februar 1965 nicht als ermessensmißbräuchlich anzusehen war.
Die Revision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514707 |
BFHE 1974, 233 |