Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Übernehmers einer Gastwirtschaft für Steuerschulden des Vorgängers
Leitsatz (NV)
Ermöglicht der ,,Veräußerer" einer Gastwirtschaft dem ,,Erwerber" vertraglich den Eintritt in seine Rechte aus einem Miet- und Pachtvertrag mit einem Dritten und übereignet er ihm wirtschaftlich die Einrichtungsgegenstände, so haftet der Erwerber nach § 116 AO für die vom Veräußerer geschuldeten Steuern.
Normenkette
AO § 116
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ,,erwarb" durch Vertrag vom 25. September 1974 zusammen mit P die Gaststätte X in . . . von Frau C. Nach dem Vertrag übertrug Frau C das Eigentum an der Einrichtung der Gaststätte auf den Kläger und P, ferner die Rechte aus dem Mietvertrag für das Ladenlokal gegen Übernahme ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Firma R sowie der Firma B in Höhe von 144 871 DM. Die Firma R hatte diesem Vertrag bereits mit Erklärung vom 23. September 1974 zugestimmt. Frau C war ihrerseits am 29. Januar 1971 als Unterpächterin in einen zwischen der Y-AG und der Firma R am 28. Juli 1970 abgeschlossenen Pachtvertrag eingetreten. Die Gewerbeanmeldung durch Frau C war am 16. Dezember 1971 erfolgt. Am 15. September 1974 war die Gaststätte auf Anordnung des Gewerbeamtes geschlossen worden. Mit Vertrag am 30. September 1974 verkauften der Kläger und P die Gaststätte für 210 000 DM weiter an die Brüder Z. Am 5. November 1974 wurde das Lokal von diesen unter dem Namen ,,E" wieder eröffnet.
Das FA nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom 7. November 1975 nach § 116 der Reichsabgabenordnung (AO) für Umsatzsteuerschulden der Frau C in Anspruch, und zwar für Umsatzsteuer 1973 in Höhe von 24 500 DM sowie für Umsatzsteuervorauszahlungen I bis III/1974 in Höhe von 17 000 DM. In einem weiteren Haftungsbescheid, ebenfalls vom 7. November 1975, zog das FA den Kläger für Gewerbesteuerschulden 1973 der Frau C in Höhe von 8 064 DM zur Haftung heran.
Mit seiner nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger im wesentlichen folgendes geltend: Nicht Frau C, sondern die Firma R habe das Lokal veräußert. Das ergebe sich daraus, daß die Firma R der Übertragung des Lokals von Frau C auf den Kläger zugestimmt habe und daß die Y-AG der Firma R mitgeteilt habe, daß das Pachtverhältnis mit Frau C am 28. Februar 1974 beendet werden müsse. Er habe auch keinen lebenden Betrieb übertragen bekommen. Das Lokal sei auf behördliche Anordnung geschlossen gewesen. Es habe erst nach erheblichen Aufwendungen in Höhe von ca. 25 000 DM wieder eröffnet werden können.
Das FG wies die Klage ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Der Tatbestand, auf den der angefochtene Haftungsbescheid gestützt ist, ist 1974 verwirklicht worden. Die Frage, ob der Kläger zu Recht in Anspruch genommen worden ist, ist somit nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung zu entscheiden (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
2. Für den Fall, daß ein Unternehmen im ganzen übereignet wird, schreibt § 116 AO vor, daß der Erwerber neben dem Unternehmer für Steuern haftet, bei denen - in einem bestimmten zeitlichen Rahmen - die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmers gründet. Die Übereignung eines Unternehmens im ganzen bedeutet den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d. h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Übernehmer das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. § 116 AO verwendet den Begriff ,,übereignet" in einer gegenüber dem bürgerlichen Recht erweiterten Bedeutung. Es genügt daher, wenn die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens nur im wirtschaftlichen Sinn übereignet werden, wenn also ein eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf einen Erwerber übergegangen ist (vgl. z. B. Urteil des erkennenden Senats vom 27. November 1979 VII R 12/79, BFHE 129, 293, BStBl II 1980, 258, mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Das FG hat zutreffend entschieden, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
a) Das von Frau C auf den Kläger und P übertragene Unternehmen war eine Gastwirtschaft. Ihre wesentlichen Grundlagen waren das Lokal, in dem die Gastwirtschaft betrieben worden ist, und die Einrichtung dieses Lokals. Diese Grundlagen hat Frau C dem Kläger (und P) durch den Vertrag vom 25. September 1974 ,,übereignet", d. h. Frau C hat ihr eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf den Kläger übertragen. Dieses Herrschaftsverhältnis der Frau C über das Unternehmen resultierte hinsichtlich des Lokals aus einem Miet- bzw. Pachtvertrag zwischen ihr und der Firma R, hinsichtlich der Einrichtungsgegenstände aus ihrem rechtlichen Eigentum oder - soweit die Gegenstände ihr unter noch weiter bestehendem Eigentumsvorbehalt geliefert worden waren - aus ihrem wirtschaftlichen Eigentum. Dieses Herrschaftsverhältnis hatte Frau C als ,,Inhaberin" durch den Vertrag vom 25. September 1974 auf den Kläger übertragen. Das Lokal übertrug Frau C dem Kläger dadurch, daß sie ihm vertraglich den Eintritt in ihre Rechte aus dem Miet- bzw. Pachtvertrag mit der Firma R ermöglichte (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1960 V 190/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961, 256, und vom 6. September 1962 V 198/59, HFR 1963, 87). Die Einrichtungsgegenstände übereignete Frau C dem Kläger bzw. räumte diesem - soweit noch Eigentumsvorbehalt bestand - ihre Anwartschaftsrechte auf Eigentumsübertragung, d. h. das wirtschaftliche Eigentum, ein (vgl. BFH-Urteile in HFR 1961, 256; vom 11. Juli 1963 V 208/60, HFR 1963, 413, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 21, und vom 20. Juli 1967 V 240/64, BFHE 89, 466, BStBl III 1967, 684).
b) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß nach § 116 AO nur der Erwerber eines ,,lebenden" Unternehmens haftet. Das FG hat ohne Rechtsirrtum entschieden, daß auch diese Voraussetzung des § 116 AO erfüllt ist.
Durch § 116 AO soll die in dem Unternehmen liegende Sicherheit für die sich auf seinen Betrieb gründenden Steuern durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verlorengehen (vgl. BFHE 129, 293, BStBl II 1980, 258). Es kommt also darauf an, daß ,,die Verfügungsgewalt über die lebendige Kraft des Betriebs in andere Hände übergehe" (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 AO Anm. 3, Abs. 3, unter Hinweis auf Becker, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., 1930, § 96 A 3c ß 2). Das ist im vorliegenden Fall geschehen.
Die Tatsache, daß das Unternehmen zehn Tage vor dem Übergang auf den Kläger auf Anordnung des Gewerbeamtes geschlossen und erst am 5. November 1974 wieder eröffnet worden ist, hat das FG zutreffend als unbeachtlich angesehen. Es handelte sich, wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, um eine technisch bedingte, ohne weiteres behebbare, relativ kurzfristige Betriebsunterbrechung. An der fortwährenden lebendigen Existenz des Unternehmens änderte sich dadurch nichts. Das gilt auch bei Berücksichtigung der Tatsache, daß es sich um ein italienisches Spezialitätenrestaurant handelte (vgl. auch BFH-Urteil in HFR 1961, 256).
Auch die Aufwendungen, die der Kläger nach seinem Vorbringen für das Unternehmen erbracht hat, belegen entgegen der Auffassung der Revision nicht, daß der Kläger kein ,,lebendes" Unternehmen übernommen hat. Der vom Kläger nach seinen Angaben aufgewendete Betrag von 25 000 DM ist im Verhältnis zum Wert des Unternehmens - der Kläger hat es für 210 000 DM weiterverkauft - keine nennenswerte finanzielle Belastung, die die Annahme rechtfertigte, es sei ein wirtschaftlich ,,totes" Unternehmen übernommen und zunächst saniert worden. Das hat das FG zu Recht entschieden. Entgegen der Auffassung der Revision trifft es nicht zu, daß das FG dabei die Schuldübernahme von rd. 145 000 DM nicht berücksichtigt hat. Für die Entscheidung der Frage, ob wegen erheblicher Aufwendungen des Erwerbers nicht mehr von der Übernahme eines lebenden Unternehmens gesprochen werden kann, kann es nur darauf ankommen, ob die getätigten Investitionen im Verhältnis zum Wert des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. Das ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben.
c) Schließlich ist auch die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, daß die Weiterveräußerung des Unternehmens durch den Kläger mit Vertrag vom 30. September 1974 an der in seiner Person entstandenen Haftungsschuld nichts geändert hat. Eine weitere Übereignung des Betriebs durch den Übernehmer bringt die Haftung des ersteren nicht zum Erlöschen. § 116 AO macht das Entstehen oder den Fortbestand der Haftungsschuld nicht davon abhängig, daß der Erweber das Unternehmen selbst fortführt (vgl. auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6. Oktober 1972 III 1885/67, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1973, 123; Tipke/Kruse, a.a.O.).
3. Die Einwendungen der Revision halten einer näheren Prüfung nicht stand.
a) Der Kläger trägt vor, die Firma R sei durch die Übernahme des Unternehmens und seiner wesentlichen Grundlagen Ersterwerber geworden, weswegen das FA gegen sie den Haftungsbescheid hätte richten müssen. Es kann hier dahinstehen, ob dieser Einwand schon deswegen rechtlich ohne Bedeutung ist, weil dadurch die Haftung des Klägers (durch Übernahme des Unternehmens von der Firma R) rechtlich nicht ausgeschlossen wird. Jedenfalls widerspricht die Behauptung des Klägers den Feststellungen des FG, er kann damit in der Revisionsinstanz nicht gehört werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Das FG hat aus dem Vertrag vom 25. September 1974 und der Zustimmungserklärung der Firma R dazu vom 23. September 1974 gefolgert, daß ein Miet- bzw. Pachtvertrag zwischen der Firma R und Frau C damals bestand und der Kläger lt. Nr. 5 des Vertrages vom 25. September 1974 zwischen ihm und Frau C in diesen Vertrag eintrat. Das FG hat den Einwand des Klägers in der Vorinstanz, Frau C sei lediglich im Interesse der Firma R tätig geworden, ausdrücklich als widerlegt angesehen durch den klaren Wortlaut des Vertrages vom 25. September 1974. Das FG ist schließlich auch davon ausgegangen, daß eine etwaige Kündigung des Mietverhältnisses gegenüber Frau C bereits durch die Einverständniserklärung der Firma R vom 23. September 1974 rückgängig gemacht worden sei. Eine Verletzung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB vermag der Senat in diesen Ausführungen des FG ebensowenig zu erkennen wie etwa eine Verletzung der Regeln der Beweiswürdigung.
b) Wie oben ausgeführt, hat das FG zutreffend entschieden, der Kläger habe ein ,,lebendes" Unternehmen übernommen. Der Kläger rügt in diesem Zusammenhang, das FG habe § 76 FGO verletzt, weil es keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern sich auf eine Auskunft des Gewerbeamtes bezogen habe. Diese Rüge entspricht nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO. Es sind nicht die das Verfahrensrecht verletzenden Tatsachen angegeben worden. Der Kläger hat nicht vorgetragen, daß das FG von ihm angetretene Beweise übergangen hat oder welche seinerseits vorgetragenen Tatsachen das Gericht zu einer Beweisaufnahme hätte veranlassen müssen. Auch fehlen Angaben darüber, welche Ermittlungsmaßnahmen das FG hätte durchführen sollen und zu welchem Ergebnis sie vermutlich geführt hätten. Der Kläger kann mit dieser Rüge daher nicht gehört werden. Das gleiche gilt für die Rüge der Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht, die der Kläger im Zusammenhang mit seinen Aufwendungen für den erworbenen Betrieb vorgebracht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 413852 |
BFH/NV 1986, 62 |