Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der in § 18 Abs. 1 StromStV normierten Antragsfrist
Leitsatz (NV)
1. Fällt der Ablauf der Frist für die Beantragung einer Steuervergütung mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist zusammen und wird ein entsprechender Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist und damit nach dem Erlöschen des Vergütungsanspruchs gestellt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit der Folge einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht in Betracht.
2. Die Normierung nicht wiedereinsetzungsfähiger Festsetzungsfristen begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
3. Einem Industrieunternehmen, das zur Optimierung des Energiesektors einen Mitarbeiter in leitender Position eingesetzt hat, ist zuzumuten, sich über die Voraussetzungen von strom- und mineralölsteuerrechtlichen Entlastungsmöglichkeiten selbst zu informieren, so dass dem HZA im Rahmen der Bearbeitung von Entlastungsanträgen keine besondere Hinweis- oder Fürsorgepflicht obliegt.
4. Zur Erlangung eines Billigkeitserweises nach § 163 Satz 1 AO sind die besonderen Umstände der behaupteten Existenzgefährdung substantiiert darzulegen. Hierzu reichen allgemeine Hinweise auf gestiegene Kosten, eine angespannte Liquiditätslage, eine Reduzierung der Kontokorrentlinie und auf eine rückläufige Produktion nicht aus.
Normenkette
StromStG § 10 Abs. 1; StromStV § 18 Abs. 1; MinöStG 1993 § 25a; AO §§ 47, 89, 110 Abs. 1, § 155 Abs. 4, § 163 S. 1, § 171 Abs. 3, § 227
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt antragsgemäß für die Kalenderjahre 2003 und 2004 Mineralölsteuervergütungen nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG 1993). Den am 16. Mai 2006 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) gestellten Antrag, ihr darüber hinaus für die Kalenderjahre 2003 und 2004 eine Steuervergütung nach § 25a MinöStG 1993 und § 10 des Stromsteuergesetzes (StromStG) zu gewähren, lehnte das HZA mit Hinweis auf den Ablauf der Festsetzungsfrist ab. Daraufhin beantragte die Klägerin am 24. Mai 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und hilfsweise die Gewährung der begehrten Steuervergütungen im Wege einer Billigkeitsentscheidung. Zur Begründung berief sich die Klägerin auf ein Versehen des stets zuverlässigen Leiters des Bereichs Controlling, der die Anträge nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 und nach § 25a MinöStG 1993 verwechselt und den Unterschied zwischen der Antragsfrist des § 18 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV) und der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) nicht berücksichtigt habe. Beide Anträge lehnte das HZA ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Verpflichtungsklage der Klägerin zwar zulässig, jedoch unbegründet sei. Das HZA sei nicht daran gehindert gewesen, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand isoliert zu entscheiden. Eine Wiedereinsetzung komme im Streitfall deshalb nicht in Betracht, weil eine solche hinsichtlich der Frist des § 18 Abs. 1 StromStV nicht zur Folge haben könne, dass damit gleichzeitig eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene und nicht wiedereinsetzungsfähige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO stattfinde. § 171 Abs. 3 AO setzte ausdrücklich voraus, dass der Antrag auf Festsetzung einer Steuervergütung vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt worden sei. Dem Urteil des FG Hamburg vom 19. Dezember 2006 4 K 107/06, das in einem vergleichbaren Fall entschieden habe, dass die Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist des § 18 Abs. 1 StromStV zum rückwirkenden Eintritt der in § 171 Abs. 3 AO vorgesehenen Ablaufhemmung und damit zum Aufleben des zunächst erloschenen Vergütungsanspruchs führe, könne nicht gefolgt werden.
Das HZA habe es zu Recht auch abgelehnt, die beantragte Steuervergütung im Wege einer Billigkeitsentscheidung festzusetzen. Rechtsgrundlage für eine Billigkeitsentscheidung könne nicht § 227 AO sein, denn auf Vergütungsansprüche finde diese Vorschrift keine Anwendung. Als Anspruchsgrundlage komme jedoch § 163 Satz 1 AO i.V.m. § 155 Abs. 4 AO in Betracht. Indes lägen im Streitfall weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe vor. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen könne grundsätzlich keine sachliche Unbilligkeit begründen. Der von der Klägerin behauptete Verstoß des HZA gegen die sich aus § 89 Satz 1 AO ergebende Fürsorgepflicht liege nicht vor. Den Akten seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Klägerin neben ihrem Antrag nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 weitergehende Anträge nach § 25a MinöStG 1993 und nach § 10 StromStG habe stellen wollen. Dem HZA habe sich folglich eine dahingehende Beratungspflicht nicht aufdrängen müssen. Unbeschadet dessen hätte die Klägerin aus einem Rundschreiben des HZA vom 15. Oktober 2003 die Möglichkeit einer weiteren Vergütung im Rahmen des sog. Spitzenausgleichs entnehmen können. Auch wäre es der Klägerin infolge des in dem Schreiben enthaltenen Hinweises auf die Internetseite der deutschen Zollverwaltung möglich gewesen, sich über die Existenz des Vergütungstatbestands des § 25a MinöStG zu informieren. Selbst wenn die Klägerin dieses Schreiben aufgrund eines Fehlers des HZA bei der Adressierung nicht erhalten haben sollte, begründe dieses Versehen keinen Verstoß des HZA gegen § 89 Satz 1 AO. Auch eine Billigkeitsmaßnahme wegen persönlicher Billigkeitsgründe komme nicht in Betracht.
Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie die Verpflichtung des HZA zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hilfsweise die Verpflichtung des HZA, die beantragten Steuervergütungen im Wege einer Billigkeitsmaßnahme zu gewähren. Entgegen der Sachverhaltsdarstellung des FG habe der Leiter des Bereichs Controlling die Anträge nicht verwechselt, sondern er sei davon ausgegangen, dass über den Antrag nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 hinaus kein weiterer Antrag gestellt werden müsse bzw. gestellt werden könne. Verfahrensfehlerhaft habe es das FG unterlassen, zu prüfen bzw. Beweis darüber zu erheben, ob ihr, der Klägerin, das in der Urteilsbegründung in Bezug genommene Schreiben des HZA vom 15. Oktober 2003 überhaupt zugegangen sei. Nicht verständlich sei die Abweichung von der im Urteil des FG Hamburg vom 19. Dezember 2006 4 K 107/06 vertretenen Rechtsansicht. Vielmehr sei der Zusammenhang zwischen der Antragsfrist des § 18 Abs. 1 StromStV und der Festsetzungsfrist zu beachten, der sich aus § 171 Abs. 3 AO ergebe. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist habe auch die Hemmung der Festsetzungsfrist zur Folge. Der Rechtsauffassung des FG stünden verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere solche aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) entgegen. Auch hinsichtlich der Mineralölsteuervergütung sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Unzutreffend sei die Feststellung des FG, dass eine Festsetzungsfrist keine gesetzliche Frist sei. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass im Streitfall die Besonderheit vorliege, dass das HZA den Ablauf von Festsetzungsfristen erst prüfen könne, wenn Vergütungsanträge vorlägen.
Unabhängig davon habe das FG nicht beachtet, dass bei Antragstellung am 16. Mai 2006 für das Kalenderjahr 2004 zwar die Antragsfrist nach § 18 Abs. 1 StromStV, nicht jedoch die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen sei. Die genaue Höhe der Steuervergütung für das Jahr 2004 habe frühestens am 1. Januar 2005 ermittelt werden können. Demgemäß habe der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO erst am 31. Dezember 2005 begonnen. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
Bei der Befassung mit den vorgebrachten Billigkeitsgründen habe das FG übersehen, dass die Steuervergütungen nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 25a MinöStG 1993 von ähnlichen Voraussetzungen abhingen. In beiden Fällen handele es sich um Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, die Erdgase, Flüssiggase und andere gasförmige Kohlenwasserstoffe verwendeten. Infolgedessen hätte sich dem HZA aufdrängen müssen, dass diese Unternehmen auch die Voraussetzungen des § 25a MinöStG 1993 erfüllen könnten, zumal dieser Vergütungsanspruch erst durch das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform mit Wirkung zum 1. Januar 2003 eingeführt worden sei. Die Existenz des Rundschreibens vom 15. Oktober 2003 belege, dass auch das HZA einen erheblichen Aufklärungsbedarf erkannt habe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen das HZA zu verpflichten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hilfsweise die beantragten Steuervergütungen im Billigkeitswege festzusetzen.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an. Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte diese die Anträge auf Gewährung einer Stromsteuervergütung für das Kalenderjahr 2003 bis zum 31. Dezember 2004 und für das Kalenderjahr 2004 bis zum 31. Dezember 2005 stellen müssen. Zu diesen Zeitpunkten sei auch die Festsetzungsfrist abgelaufen. Weder § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO noch § 170 Abs. 3 AO könnten im Streitfall Anwendung finden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass das HZA die Anträge der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Gewährung der beantragten Steuervergütungen aus Gründen der Billigkeit zu Recht abgelehnt hat.
Die Ansprüche der Klägerin auf eine Stromsteuervergütung nach § 10 Abs. 1 StromStG und auf eine Mineralölsteuervergütung nach § 25a MinöStG 1993 sind infolge des Ablaufs der Festsetzungsfrist erloschen (§ 169 Abs. 1 und 2 Nr. 1 i.V.m. § 155 Abs. 4 und § 47 AO).
1. Gemäß § 155 Abs. 4 AO sind die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung von Steuervergütungen sinngemäß anzuwenden. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen ein Jahr (§ 169 Abs. 2 Nr. 1 AO).
a) Im Streitfall macht die Klägerin einen Anspruch auf Vergütung der Stromsteuer nach § 10 Abs. 1 StromStG für den im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 zu betrieblichen Zwecken entnommenen und für begünstigte Zwecke i.S. von § 9 Abs. 3 StromStG verwendeten Strom geltend. Gemäß § 18 Abs. 1 StromStV ist die Vergütung der Steuer für innerhalb eines Kalenderjahres entnommenen Strom bis zum 31. Dezember des folgenden Kalenderjahres schriftlich beim HZA zu beantragen. Folglich hätte die Klägerin einen entsprechenden Antrag für das Kalenderjahr 2003 bis zum 31. Dezember 2004 und für das Kalenderjahr 2004 bis zum 31. Dezember 2005 stellen müssen. Nach den Feststellungen des FG gingen die Vergütungsanträge jedoch erst am 16. Mai 2006 beim HZA ein.
Auch den auf die Kalenderjahre 2003 und 2004 bezogenen Antrag auf Vergütung der Mineralölsteuer nach § 25a MinöStG 1993 hat die Klägerin erst am 16. Mai 2006 gestellt. Allerdings enthält das MinöStG 1993 keine § 18 Abs. 1 StromStV entsprechende Antragsfrist.
b) Für beide Ansprüche war jedenfalls die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen, so dass die Ansprüche infolge des Eintritts der Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO erloschen sind. Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres, für das die Klägerin die Steuervergütungen begehrt und in dem die Vergütungsansprüche durch Entnahme des Stroms bzw. Verwendung des Mineralöls entstanden sind. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird der Beginn der Festsetzungsfrist nicht dadurch um ein Jahr hinausgeschoben, dass der Steuerpflichtige erst am Ende des Kalenderjahres bzw. am 1. Januar des darauffolgenden Jahres in der Lage ist, die Vergütung der Höhe nach genau zu berechnen. Entscheidend ist die Entstehung des Vergütungsanspruchs durch die innerhalb des Kalenderjahres erfolgte Verwirklichung des Entlastungstatbestands. Folglich begann im Streitfall die Festsetzungsfrist für das Kalenderjahr 2003 mit Ablauf des 31. Dezember 2003, sie endete mit Ablauf des 31. Dezember 2004. Für das Kalenderjahr 2004 begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2004, sie endete mit Ablauf des 31. Dezembers 2005. Eine Anwendung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO oder § 170 Abs. 3 AO kommt offensichtlich nicht in Betracht.
2. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin kann die durch den Ablauf der Festsetzungsfrist eingetretene Rechtsfolge nicht dadurch rückwirkend beseitigt werden, dass ihr nach § 110 Abs. 1 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Antragsfrist des § 18 Abs. 1 StromStV gewährt wird.
a) Nach § 110 Abs. 1 AO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Ob die in § 18 Abs. 1 StromStV normierte Antragsfrist einer Wiedereinsetzung fähig ist, oder ob es sich um eine Ausschlussfrist handelt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Nicht zu den in § 110 Abs. 1 AO genannten Fristen gehören solche, die dem Steuerpflichtigen kein bestimmtes Verhalten nahelegen und von diesem nicht durch eine entsprechende Ausrichtung seines Handelns befolgt werden können. Nicht wiedereinsetzungsfähig sind daher die gesetzlichen Fristen, die von den Finanzbehörden als Verwaltungsträger im Verwaltungsverfahren zu beachten sind. Daher kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in eine abgelaufene Festsetzungsfrist nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 19. August 1999 III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330, sowie BFH-Entscheidungen vom 21. Oktober 1996 VI R 4/94, BFH/NV 1997, 330, und vom 13. Juni 1995 I B 108/94, BFH/NV 1996, 104).
b) Eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist und damit ein Hinausschieben des Eintritts der Festsetzungsverjährung sieht das Gesetz nur für den Fall vor, dass ein Antrag auf Steuerfestsetzung vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt worden ist (§ 171 Abs. 3 AO). Hat es der Steuerpflichtige dagegen unterlassen, einen Antrag auf Steuerfestsetzung bzw. einen Vergütungsantrag innerhalb der Festsetzungsfrist zu stellen, ist das Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unabweisbar. Wie der Senat unter Aufhebung des Urteils des FG Hamburg vom 19. Dezember 2006 4 K 107/06 entschieden hat (Senatsurteil vom 24. Januar 2008 VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462), kann selbst bei unverschuldeter Säumnis des Steuerpflichtigen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht gewährt werden (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 10; Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 9a; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 11; a.A. ohne nähere Begründung Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 171 AO Rz 19, und Hartmann in Beermann/Gosch, AO § 171 Rz 17).
Ist ein Vergütungsanspruch aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung nach § 47 AO erloschen, kommt eine rückwirkende Anwendung von § 171 Abs. 3 AO nicht mehr in Betracht. Wie bereits ausgeführt, gehört die Festsetzungsfrist zu den nicht wiedereinsetzungsfähigen Fristen. Daher scheidet auch eine Wiedereinsetzung in die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO aus. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO wegen Versäumung einer zur Ablaufhemmung führenden Antragsfrist geht somit in den Fällen ins Leere, in denen die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen und der geltend gemachte Anspruch erloschen ist.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin begegnet dieses Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken aus Art. 19 Abs. 4 GG. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, eine gesetzliche Antragsfrist so zu bemessen, dass ihr Ablauf mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist zusammenfällt. Bei der Ausgestaltung von Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätzen kommt dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu, insbesondere der Vorrang, zwischen Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Herstellung der Gerechtigkeit im Einzelfall abzuwägen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 20. April 1982 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 268).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze begegnet die Normierung nicht wiedereinsetzungsfähiger Festsetzungsfristen (§ 169 Abs. 2 AO) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Festsetzungsfrist dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden; denn die Erweisbarkeit eines Anspruchs wird um so schwieriger, je mehr Zeit nach Entstehung des Anspruchs verstrichen ist (BFH-Entscheidungen vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211; vom 18. Juni 1998 V R 24/97, BFH/NV 1999, 281; vom 31. Januar 1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442, und BVerfG-Beschluss vom 22. Oktober 1981 1 BvR 172/81, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz 1974, § 46, Rechtsspruch 2). Diese Zielsetzung legitimiert zugleich eine Beschränkung der in § 171 Abs. 3 AO eröffneten Möglichkeit, den Ablauf der Verjährungsfrist zu hemmen. Nur für den Fall, dass der Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt worden ist, tritt nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Hemmung des Fristablaufs ein. Die gegen das Senatsurteil in BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462 eingelegte Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG-Beschluss vom 6. April 2009 1 BvR 1692/08).
4. Im Streitfall ist für den Eintritt der Festsetzungsverjährung der konkrete Grund der Fristversäumung unerheblich. Ob der für das Controlling verantwortliche Mitarbeiter der Klägerin die Anträge nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 25a MinöStG 1993 verwechselt hat, wie das FG im Urteil ausführt, oder ob er nach dem Vortrag der Klägerin davon ausging, dass über den Antrag nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG hinaus keine weiteren Anträge erforderlich seien, ist daher ohne Belang.
5. Zutreffend hat das FG auch entschieden, dass im Streitfall die Gewährung der beantragten Steuervergütungen trotz des Ablaufs der Festsetzungsfrist aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht kommt. Ein Anspruch auf einen solchen Billigkeitserweis ergibt sich insbesondere nicht aus einer Verletzung der dem HZA obliegenden Fürsorgepflicht. Grundsätzlich hat sich der Steuerpflichtige mit der aktuellen Rechtslage selbst vertraut zu machen und sich über die Voraussetzungen zur Erlangung von Steuervorteilen, wie z.B. strom- und mineralölsteuerliche Entlastungsmöglichkeiten, selbst zu informieren (Söhn in HHSp, § 89 AO Rz 69, m.w.N.).
Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin keine im Umgang mit den Finanzbehörden unerfahrene Privatperson, sondern ein Industrieunternehmen ist, das zur Optimierung des Energiesektors einen Mitarbeiter in leitender Position eingesetzt hat. Wie die fristgerecht gestellten Anträge nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 belegen, war diesem Mitarbeiter auch bekannt, dass das Mineralölsteuerrecht Steuerentlastungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vorsieht. Die in § 25a MinöStG und in § 10 StromStG normierten Steuerbegünstigungen wurden bereits durch das Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999 eingeführt und danach mehrfach neu gefasst. Dass die Klägerin die mit Wirkung zum 1. April 1999 eingeführten Entlastungsmöglichkeiten mehrere Jahre unbeachtet gelassen hat, liegt in ihrem eigenen Verantwortungsbereich. Dem HZA musste sich bei der Bearbeitung der Anträge nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 nicht aufdrängen, dass die Klägerin auch den sog. Spitzenausgleich beantragen wollte. Denn ob ein solcher Anspruch besteht, hängt insbesondere von der Höhe des Selbstbehalts ab, der sich nach den Arbeitgeberanteilen an den Rentenversicherungsbeiträgen bemisst. Es ist durchaus möglich, dass einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes zwar ein Anspruch aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 zusteht, jedoch die nach § 25a Abs. 3 MinöStG 1993 bzw. § 10 Abs. 2 StromStG anzustellende Überschussrechnung ergibt, dass eine weitere Entlastung ausgeschlossen ist. Dass dem HZA entsprechende Angaben über die Rentenversicherungsbeiträge im Zeitpunkt des Eingangs oder der Bearbeitung der Anträge nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 vorlagen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Das FG hat hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Das HZA musste somit nicht davon ausgehen, dass die Klägerin gemäß § 89 Abs. 1 AO offensichtlich nur aus Versehen keine weiteren Vergütungsanträge gestellt hat.
6. Der von der Klägerin in diesem Zusammenhang gerügte Verfahrensverstoß mangelnder Sachaufklärung liegt nicht vor. Das FG hat nicht dadurch gegen § 76 Abs. 1 FGO verstoßen, dass es keinen Beweis über den Zugang des Schreibens des HZA vom 15. Oktober 2003 erhoben hat. Von Amts wegen musste sich eine solche Beweiserhebung nicht aufdrängen. Seine Ansicht, dass dem HZA kein Verstoß gegen die aus § 89 Satz 1 AO folgende Fürsorgepflicht vorzuwerfen sei, hat das FG damit begründet, dass sich in den Akten keine Anhaltspunkte dafür finden ließen, dass die Klägerin über den Antrag nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 MinöStG 1993 hinaus weitere Vergütungsanträge nach anderen Rechtsvorschriften habe stellen wollen. Es seien keine besonderen Umstände zu erkennen, aufgrund derer das HZA verpflichtet gewesen sein könnte, die Klägerin auf weitere Vergütungsmöglichkeiten hinzuweisen. Diese Ausführungen tragen die Begründung für die Ablehnung des von der Klägerin begehrten Billigkeitserweises. Nur ergänzend und hilfsweise hat das FG das Schreiben des HZA vom 15. Oktober 2003 in Bezug genommen und dessen Zugang unterstellt. Selbst wenn in dieser Vorgehensweise ein Verfahrensfehler liegen würde, könnte das erstinstanzliche Urteil auf diesem nicht beruhen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge hinsichtlich des Zugangs des Schreibens des HZA vom 15. Oktober 2003 gestellt und damit nach der Rechtsprechung des BFH (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597, m.w.N.) ihr Rügerecht verloren hat.
7. Schließlich begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG aufgrund des Vorbringens der Klägerin persönliche Billigkeitsgründe nicht zu erkennen vermocht hat. Ausweislich des Tatbestands hat die Klägerin zwar eine existenzgefährdende wirtschaftliche Notlage behauptet, jedoch hat das FG dieses Vorbringen nur dahingehend gedeutet, dass die Klägerin sich darauf berufen hat, wirtschaftlich auf die Gewährung der Steuervergütung angewiesen zu sein, was für einen Billigkeitserweis nach § 163 Satz 1 AO jedoch nicht ausreiche. Selbst wenn die Ausführungen des FG dahingehend verstanden werden könnten, dass es unzutreffend davon ausging, dass ein Billigkeitserweis nach § 163 Satz 1 AO durch Festsetzung einer Steuervergütung selbst bei einer nachgewiesenen Existenzgefährdung nicht in Betracht komme, erweist sich das Urteil im Ergebnis dennoch als richtig. Denn vom Steuerpflichtigen ist zu verlangen, dass er die besonderen Umstände der behaupteten Existenzgefährdung substantiiert darlegt. In der von der Klägerin in der Revisionsbegründung in Bezug genommenen Klagebegründung hat die Klägerin jedoch nur unsubstantiiert auf eine Existenzgefährdung hingewiesen. Selbst aus dem ebenfalls in der Revisionsbegründung ausdrücklich in Bezug genommenen Schriftsatz an das HZA vom 25. Mai 2006 ergibt sich nach Auffassung des Senats keine ausreichend substantiierte Darlegung einer drohenden Existenzvernichtung. In diesem Schriftsatz beruft sich die Klägerin --ohne Belege hierfür vorzulegen-- allgemein auf rapide gestiegene Energiekosten, auf eine angespannte Liquiditätslage der Gesellschaft, auf eine Reduzierung der Kontokorrentlinie und auf eine rückläufige Produktion. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Klägerin im Falle der Verweigerung der begehrten Billigkeitsmaßnahme konkret in ihrer Existenz bedroht wäre. Somit konnte das FG dem Akteninhalt den für eine Maßnahme nach § 163 Satz 1 AO zu fordernden Nachweis einer durch die Versagung der Steuervergütungen herbeigeführten Existenzgefährdung nicht entnehmen, so dass sich die Klageabweisung im Ergebnis als rechtsfehlerfrei erweist.
Fundstellen
Haufe-Index 2204547 |
BFH/NV 2009, 1602 |
HFR 2010, 4 |