Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Doppelbesteuerungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Hat der als Steuerschuldner in Anspruch genommene Gläubiger von Kapitalerträgen oder ein Dritter für ihn Zahlung geleistet, so ist die nach Zahlungseingang erfolgte Inanspruchnahme des Schuldners der Kapitalerträge aus Haftung unzulässig.
Das gilt auch dann, wenn der Steuerschuldner gegen den ihn betreffenden Heranziehungsbescheid Rechtsbehelfe geltend gemacht hat.
EStG § 1 Abs. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 44, § 49 Abs. 1 Nr. 5; KapStDV § 5 Abs. 1 Satz 2, § 12; DBAS
Normenkette
EStG § 1 Abs. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1, §§ 44, 49/1/5; KapStDV § 5 Abs. 1 S. 2, § 12; DBA CHE Art. 6
Tatbestand
Streitig sind einmal die Haftung der Revisionsklägerin (Stpfl.), einer AG, aus § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, § 5 KapStDV in der Fassung vom 28. September 1953 (BStBl I 1953, 414) vom 25. Februar 1956 (BStBl I 1956, 43), zum anderen die Rechtmäßigkeit des vom Revisionsbeklagten (FA) gegen sie erlassenen Haftungsbescheides vom 4. Juli 1961.
Die Stpfl. hat in den Wirtschaftsjahren 1950/51 ff. an eine Schweizer Kapitalgesellschaft (im folgenden kurz: Firma S. genannt) Lizenzzahlungen geleistet, die das FA auf Grund der anläßlich einer Betriebsprüfung im Jahre 1957 getroffenen Feststellungen in übereinstimmung mit der Stpfl. insoweit als verdeckte Gewinnausschüttung ansah, als sie in den Wirtschaftsjahren 1952/53 bis 1956/57 in Höhe von 324.636 DM gezahlt worden waren. Die Stpfl., die im Schriftsatz vom 10. September 1965 nach wie vor die Gesellschaftereigenschaft der Firma S. bestreitet, erkannte dem FA gegenüber am 9. September 1960 die von ihr als Lizenzgebühren gebuchten Zahlungen insoweit als nicht abzugsfähig und als verdeckte Gewinnausschüttungen an.
Unstreitig erließ das FA gegen die Firma S. als Gläubigerin der ihr als verdeckt zugeflossenen Kapitalerträge am 29. Mai 1961 einen Haftungsbescheid über 81.159 DM, gegen den diese Einspruch einlegte, über den bisher nicht entschieden worden ist. Die geforderte Steuer wurde am 9. Juni 1961 von der Stpfl. für die Firma S. beim FA eingezahlt. Am 4. Juli 1961 erließ das FA gegen die Stpfl. (als Schuldnerin der genannten Kapitalerträge) ebenfalls einen Haftungsbescheid über die gleiche Summe. Einspruch und Berufung der Stpfl. blieben ohne Erfolg. Das FG begründet seine Entscheidung wie folgt:
Als Schuldnerin inländischer Kapitalerträge hatte die Stpfl. für Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer (§§ 43, 44 EStG, § 15 KStDV). Steuerschuldnerin (als Gläubigerin der Kapitalerträge) sei die Firma S., die nach Art. 6 Abs. 2 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern (DBAS vom 15. Juli 1931 (RGBl II 1934, 38, RStBl 1934, 199) bzw. in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 9. September 1957 (BGBl II 1959, 183, BStBl I 1959, 151) mit ihren inländischen Dividenden und Zinsen dem Steuerabzug unterliege. Sie habe allerdings seit 1957 einen Anspruch auf teilweise Erstattung der Steuer (Art. 6 Abs. 3 DBAS in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 9. September 1957). Im Streitfall könne es dahingestellt bleiben, ob die Haftung des Schuldners der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, § 5 Abs. 1 Satz 2 KapStDV) eine Steuererhebung im Abzugswege im Sinne von Art. 6 Abs. 2 DBAS sei; jedenfalls ändere es auch nichts an der Steuerschuldnerschaft des Gläubigers der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 5 Abs. 1 Satz 1 KapStDV), wenn Art. 6 Abs. 2 DBAS die Inanspruchnahme des schweizerischen Steuerschuldners ausschließen würde, sobald die Zahlung der Kapitalerträge ohne die Vornahme des Abzugs der Kapitalertragsteuer erfolgt sei. Die Haftung der Stpfl. entfalle damit nicht etwa im Hinblick auf ihre Akzessorietät nur deshalb, weil der Steueranspruch gegenüber dem Steuerschuldner nicht mehr verwirklicht werden könne.
Aber auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Stpfl. aus ihrer Haftung entfalle damit nicht. Wenn der BFH im Urteil I 40/60 S vom 28. November 1961 (BFH 74, 281, BStBl III 1962, 107) ausgeführt habe, daß die Inanspruchnahme des Schuldners im Hinblick auf die Natur der Kapitalertragsteuer (als einer Form der Einkommensteuervorauszahlung) und auf die Erstattungspflicht aus § 13 KapStDV entfalle, wenn feststehe, daß die streitigen Einkünfte beim Gläubiger nicht mehr erfaßt werden können, so treffe dies in Fällen wie dem vorliegenden nicht zu, in denen die Kapitalertragsteuer den Charakter einer Objektsteuer habe.
Die Haftung der Stpfl. setze auch kein Verschulden voraus, so daß es eines weiteren Eingehens auf diesen Punkt nicht bedürfe. Ihre Inanspruchnahme aus der Haftung sei auch nicht unzweckmäßig, was keiner weiteren Darlegung bedürfe, und auch nicht deshalb unbillig, weil nach Versteuerung der vereinnahmten Lizenzgebühren durch die Firma S. in der Schweiz eine Anrechnung der nun in der Bundesrepublik im Haftungswege nacherhobenen Kapitalertragsteuer nicht mehr möglich und somit für die Stpfl. ein Rückgriff (durch Kürzung späterer Ausschüttungen) nicht gegeben sei. Die Haftung gewinne gerade in denjenigen Fällen ihre Bedeutung, in denen der Steueranspruch gegenüber dem eigentlichen Steuerschuldner nicht mehr verwirklicht werden könne.
Hiergegen richtet sich die als Revision zu behandelnde Rb. der Stpfl., zu deren Begründung sie folgendes ausführen läßt:
Wie bereits der RFH in dem nicht veröffentlichten Urteil I A 208/34 vom 26. März 1935 dargelegt habe, handele es sich begrifflich nicht mehr um eine Erhebung der Steuer an der Quelle im Sinne des Art. 6 Abs. 2 DBAS, wenn der Steuerabzug unterblieben sei und der Gläubiger als Haftender in Anspruch genommen werde. Daraus folge, daß bei Unterbleiben des Steuerabzugs und unverkürzter Auszahlung der Kapitalerträge an den schweizerischen Gläubiger dessen Steuerschuld gegenüber der Bundesrepublik als dem Quellenstaat endgültig erloschen sei und nur noch das der Schweiz als dem Wohnsitzstaat zugeteilte Besteuerungsrecht aus Art. 6 Abs. 1 DBAS bestehe. Entgegen der Auffassung des FG komme es nicht darauf an, ob in diesem Falle der Gläubiger der Kapitalerträge nach deutschem Recht als Steuerschuldner bezeichnet werden könne, sondern allein darauf, daß er der Bundesrepublik Deutschland gegenüber keine Steuerschuld mehr habe.
Dieses Erlöschen der Steuerschuld gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wirke in Ansehung der Akzessorietät jeder Haftung für fremde Schuld (vgl. das BFH-Urteil I 40/60 S, a. a. O., sowie den Beschluß des BFH I B 16/66 vom 15. November 1966, BFH 87, 270, BStBl III 1967, 130) auch zugunsten des Haftenden. Nur bei schuldhafter Unterlassung der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer könne der Schuldner der Kapitalerträge sich aus dem § 162 Abs. 2 BGB innewohnenden Rechtsgedanken auf das Erlöschen seiner Haftung nicht berufen. Eine schuldhafte Unterlassung liege im Streitfall nicht vor, da die Stpfl. alles getan habe, um sich über die Angemessenheit der von ihr geleisteten Zahlungen zu vergewissern.
Darüber hinaus gebe es keine Haftung ohne Verschulden. Das zeige die zum Rechtskreis der Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers ergangene Rechtsprechung, die die Haftung verneine, wenn die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer infolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums unterblieben sei (BFH-Urteile VI 183/59 S vom 24. November 1961, BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37; VI 270/62 U vom 5. Juli 1963, BFH 77, 408, BStBl III 1963, 468). Es widerspreche aber die Geltendmachung der Haftung in einem solchen Falle auch den Grundsätzen von Recht und Billigkeit.
Schließlich bestehe der angefochtene Haftungsbescheid angesichts der auf die Steuerschuld (wenn auch nur unter Vorbehalt) geleisteten Zahlung nicht zu Recht. Aus ihm könne nicht vollstreckt werden, da die Leistung des Steuerschuldners dem Haftenden (als Gesamtschuldner) zugute komme (§ 7 Abs. 1 und 4 StAnpG). Er könne aber - den Eintritt seiner Bestandskraft unterstellt - auch nicht als bedingt rechtswirksam, als eine Art Feststellungsbescheid aufrechterhalten bleiben für den Fall, daß das FA den geleisteten Steuerbetrag dem Steuerschuldner etwa erstatten müsse und alsdann die Stpfl. als Haftende in Anspruch nehmen wolle.
Das FA macht demgegenüber geltend, daß ein rechtsbeständiger Haftungsbescheid fortwirke, auch wenn die Steuerschuld durch einen anderen Gesamtschuldner getilgt worden sei. Ein nicht rechtsbeständiger Haftungsbescheid sei zwar durch die Zahlung insoweit gegenstandslos, als Zahlungen auf die Haftungssumme geleistet worden seien, vorausgesetzt, daß damit das Verfahren abgeschlossen sei. Sei aber der gegen den eigentlichen Steuerschuldner ergangene Bescheid von diesem angefochten und bestehe die Möglichkeit, daß der Bescheid aufgehoben werde, die Haftung des Haftenden jedoch bestehen bleibe, könne das Haftungsverfahren noch nicht als abgeschlossen und der Haftungsbescheid damit als gegenstandslos bezeichnet werden.
Wenngleich die verschiedenen Haftungsvorschriften des Steuerrechts ein unterschiedlich großes Maß an Verschulden voraussetzen (vgl. das BFH-Urteil II 125/62 U vom 12. August 1964, BFH 80, 481, BStBl III 1964, 647), sei für die Haftung nach § 44 EStG, §§ 5 und 12 KapStDV ein Verschulden des Haftenden nicht erforderlich. Allein die Unterlassung der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer begründe die Inanspruchnahme des Schuldners der Kapitalerträge (vgl. RFH-Urteil VI A 1149/33 vom 3. Juli 1935, RStBl 1935, 1127).
Entscheidungsgründe
Die als Revision zu behandelnde Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Haftungsbescheids.
Voraussetzung für die Zuweisung des Besteuerungsrechts der Einkünfte aus beweglichem Kapitalvermögen in Art. 6 Abs. 1 und 2 DBAS ist die Annahme einer Steuerpflichtigkeit dieser Einkünfte. Sie folgt für beschränkt Steuerpflichtige nach deutschem Recht aus § 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und wird in § 44 Abs. 5 EStG erneut verdeutlicht, wenn es dort heißt: "Der Gläubiger ist beim Steuerabzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) Steuerschuldner". Obwohl "der Sinn und Zweck des Steuerabzugs vom Kapitalertrag darin besteht, einen Teil der für die Ausschüttung der vom Gesellschafter geschuldeten Einkommensteuer sofort fällig werden zu lassen" (BFH-Urteil I 40/60 S, a. a. O.), läßt Art. 6 Abs. 2 DBAS - trotz grundsätzlicher Zuweisung des Besteuerungsrechts dieser Erträge an den Wohnsitzstaat (Art. 6 Abs. 1 DBAS) - das Recht des Quellenstaats zur Vornahme des Steuerabzugs unberührt. Damit wird einerseits die Steuerschuldnerschaft des in der Bundesrepublik Deutschland beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gläubigers der Kapitalerträge von der Schweiz anerkannt, andererseits die Durchsetzbarkeit des Steueranspruchs der Bundesrepublik Deutschland - abweichend von § 44 Abs. 5 EStG (Inanspruchnahme des Gläubigers bei Unterlassen der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer durch den Schuldner der Kapitalerträge) - auf die Vornahme des Steuerabzugs beschränkt.
Der Umstand, daß eine Leistung von einem Steuerschuldner nur in einer bestimmten Form, wie hier im Wege des Steuerabzugs, erzwungen werden kann, schließt indes weder den Fortbestand der Steuerschuld aus, wenn die Vornahme des Steuerabzugs durch den Schuldner der Kapitalerträge unterblieben ist, noch die Möglichkeit der Erfüllung der Steuerschuld durch den Steuerschuldner, wenn er zur Erfüllung seiner Steuerschuld zwangsweise nicht mehr angehalten werden kann. Im Gegensatz zur Auffassung der Stpfl. lassen die Auskehrung der Kapitalerträge ohne Vornahme des Steuerabzugs und ihr Verbringen in das Ausland die Steuerschuld nicht deshalb erlöschen, weil sie nicht mehr erzwingbar ist. Wenn auch im Steuerrecht die Verjährung, abweichend vom bürgerlichen Recht (das dem Schuldner nur ein Leistungsverweigerungsrecht gibt: § 222 BGB), die Steuerschuld zum Erlöschen bringt (§ 148 AO), so kennt doch auch das Steuerrecht - und kannte es selbst im Zusammenhang mit der Verjährung (§ 148 Abs. 2 AO a. F.) bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BStBl I 1965, 643) - die Naturalobligation insofern, als auch das in nicht (mehr) erzwingbarer Erfüllung einer Steuerschuld Geleistete nicht zurückgefordert werden kann. Auch die nicht (mehr) erzwingbare Leistung ist nicht "ohne rechtlichen Grund", nicht "zu Unrecht" erfolgt (§ 151 AO). Würde die zwangsweise nicht (mehr) durchsetzbare Steuerschuld nicht erfüllbar sein, könnte der Zahlung auch keine Erfüllungswirkung (Tilgung der Schuld) zukommen.
Die Tilgungswirkung der zur Erfüllung der Steuerschuld geleisteten Zahlung ist es aber, die im Streitfall den Erlaß des Haftungsbescheids vom 4. Juli 1961 rechtswidrig erscheinen läßt.
Haften mehrere - wie z. B. der Steuerschuldner und der neben ihm persönlich für die Steuer Haftende (§ 97 Abs. 2, § 118 AO) - nebeneinander für dieselbe steuerrechtliche Leistung, so sind die Gesamtschuldner; das FA kann die geschuldete Leistung von jedem von ihnen - wenn auch insgesamt nur einmal - verlangen (§ 7 StAnpG). Das schließt nicht aus, sondern bedingt es unter Umständen sogar, daß das FA gegen den Steuerschuldner einen Steuerbescheid und - daneben - zugleich gegen den Haftungsschuldner einen Haftungsbescheid erläßt. Während es zur Geltendmachung des Steueranspruchs gegen den Steuerschuldner in der Regel verpflichtet ist, steht die Geltendmachung des Haftungsanspruchs in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Der Erlaß eines Haftungsbescheids ist aber ausgeschlossen, wenn der Steuerschuldner - oder für ihn ein Dritter - die geschuldete Leistung bereits erbracht hat (§ 7 Abs. 4 StAnpG).
Der Senat kann die Frage dahingestellt sein lassen, ob im Falle des vom Senat verneinten "Erlöschens" einer Steuerschuld infolge Auskehrung der Kapitalerträge ohne Vornahme des Steuerabzugs und Verbringens der ausgekehrten Kapitalerträge in das Ausland die Haftung des Schuldners der Kapitalerträge entfallen müßte, insbesondere, ob es sich bei der Haftung aus § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, § 5 Abs. 1 Satz 2, § 12 KapStDV um eine Haftung für fremde Schuld handele und jede Haftung für fremde Schuld akzessorischer Natur sei. Es kann im Streitfall auch die Frage dahingestellt sein lassen, ob es aus den Gründen des BFH-Urteils VI 270/62 U (a. a. O.) für vertretbar anzusehen sei, den Schuldner der Kapitalerträge - ähnlich wie den Arbeitgeber - bei der Durchführung der Besteuerung zur Mitwirkung heranzuziehen, ihn aber auf der anderen Seite, entsprechend Recht und Billigkeit, nur dann persönlich für die Steuer in Anspruch zu nehmen, wenn er seine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Steuer klar erkannt hat oder erkennen mußte. Denn auf diese Fragen kann es nach den vorstehenden Ausführungen hier nicht mehr ankommen.
Fundstellen
Haufe-Index 412671 |
BStBl III 1967, 657 |
BFHE 1967, 343 |
BFHE 89, 343 |