Leitsatz (amtlich)
Unfallkosten eines Steuerpflichtigen, die durch die Fahrt zu seinem Steuerberater veranlaßt wurden, können entweder Werbungskosten (Betriebsausgaben) oder Sonderausgaben sein.
Orientierungssatz
Fahrtkosten (als durch die Steuerberatung veranlaßte Nebenkosten) zum Büro des Steuerberaters oder des Lohnsteuerhilfevereins können entweder Werbungskosten (Betriebsausgaben) oder Sonderausgaben sein.
Normenkette
EStG 1980 § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 6; EStG § 4 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) bezogen 1979 und 1980 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Bei der Einkommensteuererklärung 1979, in der die Kläger Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen geltend machten, wirkte ein Lohnsteuerhilfeverein mit. Am 25.Februar 1980, während sich der Kläger wegen der Abfassung der Einkommensteuererklärung 1979 in den Räumen des Lohnsteuerhilfevereins aufhielt, wurde sein Wagen von einem unbekannten Autofahrer beschädigt.
Die hierdurch verursachten Kosten von 687 DM sowie die Kosten für die Fahrt zum Lohnsteuerhilfeverein in Höhe von 15 DM machten die Kläger in der Einkommensteuererklärung 1980 als Sonderausgaben (Steuerberatungskosten) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte den Abzug ab.
Mit ihrem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 begehrten die Kläger, diese Kosten als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Einspruch war insoweit erfolglos.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 396 veröffentlicht ist, gab der Klage statt. Es war der Ansicht, Fahrt- und Unfallkosten seien entweder --anteilig-- als Werbungskosten oder als Sonderausgaben absetzbar. Da die bisher berücksichtigten Werbungskosten den Pauschbetrag überstiegen, wirkten sich die streitigen Kosten steuerlich sowohl bei den Werbungskosten als auch bei den Sonderausgaben voll aus. Eine Aufteilung könne daher unterbleiben.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 9 Abs.1 Satz 1 und 10 Abs.1 Nr.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts hätten die Unfallkosten nicht abgezogen werden dürfen. Sie seien weder Werbungskosten noch Sonderausgaben.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die Unfallkosten steuermindernd berücksichtigt worden sind.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend hat das FG nicht nur die Fahrtkosten, sondern auch die Unfallkosten, soweit sie nicht den Werbungskosten zuzuordnen sind, als Sonderausgaben berücksichtigt. Sie sind grundsätzlich unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten abziehbar. Eine Aufteilung ist im Streitfall nicht erforderlich.
Nach § 10 Abs.1 Nr.6 EStG dürfen Steuerberatungskosten als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn sie weder Werbungskosten noch Betriebsausgaben sind (§ 10 Abs.1 Satz 1 EStG).
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Steuerberatungskosten, soweit sie sich auf die Ermittlung der Einkünfte beziehen, Werbungskosten und soweit sie das Ausfüllen der Steuererklärung oder Beratung in Tarif- und Veranlagungsfragen betreffen, Kosten der Lebensführung, die jedoch seit dem Veranlagungszeitraum 1965 als Sonderausgaben abziehbar sind (Urteile vom 30.April 1965 VI 207/62 S, BFHE 82, 449, BStBl III 1965, 410; vom 30.April 1965 VI 7/63 U, BFHE 82, 455, BStBl III 1965, 412; vom 18.November 1965 IV 151/64 U, BFHE 84, 519, BStBl III 1966, 190).
b) Unfallkosten teilen nach der Rechtsprechung des BFH zu den Werbungskosten rechtlich das Schicksal der Fahrtkosten. Handelt es sich um eine beruflich veranlaßte Fahrt und somit bei den Fahrtkosten um Werbungskosten, sind die auf einer solchen Fahrt durch einen Unfall entstandenen Aufwendungen in der Regel (Ausnahme: Fahrten unter Alkoholeinfluß, Umwegfahrten und Ähnliches) ebenfalls Werbungskosten (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH- Urteile vom 6.April 1984 VI R 103/79, BFHE 141, 35, BStBl II 1984, 434, und vom 25.März 1988 VI R 207/84, BFHE 153, 337, BStBl II 1988, 706, jeweils m.w.N.). Fährt der Steuerpflichtige zu seinem Steuerberater, um dort ausschließlich Fragen der Einkünfteermittlung zu besprechen, handelt es sich um eine beruflich veranlaßte Fahrt und somit bei den auf dieser Fahrt durch einen Unfall entstandenen Kosten um Werbungskosten.
c) Fährt der Steuerpflichtige zu seinem Steuerberater, um dort ausschließlich die Steuererklärung ausfüllen zu lassen oder Fragen der Einkommensteuerveranlagung oder des Steuertarifs zu besprechen, sind die Unfallkosten nicht beruflich, sondern privat veranlaßt. Entsprechend der Behandlung dieser Kosten bei einer beruflich veranlaßten Fahrt teilen auch bei privater Veranlassung Unfallkosten rechtlich das Schicksal der Fahrtkosten. Die Fahrtkosten sind jedoch als Sonderausgaben abziehbar, weil sie mit der Steuerberatung zusammenhängen und durch diese veranlaßt sind.
aa) Nach allgemeinem Sprachgebrauch werden unter "Steuerberatungskosten" Honorare für verschiedene Arten von Tätigkeiten der steuerberatenden Berufe verstanden (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 82, 449, BStBl III 1965, 410). § 10 Abs.1 Nr.6 EStG ist jedoch dem Normzweck entsprechend weit auszulegen. Wegen der Schwierigkeit und Unübersichtlichkeit des Steuerrechts sollen auch solche Ausgaben steuermindernd berücksichtigt werden, die dem Steuerpflichtigen dadurch entstehen, daß er zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten oder zur Wahrung seiner steuerlichen Rechte fremde Hilfe in Anspruch nimmt. Bedient sich der Steuerpflichtige bei der Einkommensteuererklärung eines Steuerberaters oder, wie im Streitfall, eines Lohnsteuerhilfevereins, zählen zu den Steuerberatungskosten auch die damit zwangsläufig verbundenen und durch die Steuerberatung veranlaßten Nebenkosten wie die Fahrtkosten zum Büro des Steuerberaters oder des Lohnsteuerhilfevereins (ebenso Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 8.Aufl., § 10 Anm.21; Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, 15.Aufl., § 10 EStG Anm.197; Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 Anm.264; Söhn in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10 Anm.I 38). Das FA wendet sich mit der Revision auch nicht mehr gegen eine Berücksichtigung der Fahrtkosten.
bb) Kosten, die durch einen Unfall auf dieser Fahrt entstanden sind, sind ebenfalls durch die Steuerberatung veranlaßt und daher als Sonderausgaben abziehbar. Entgegen der Auffassung des FA ergeben weder Wortlaut noch Sinn der Vorschrift Anhaltspunkte dafür, daß nur zielgerichtete, zweckbestimmte Aufwendungen als Sonderausgaben abziehbar sind. Insbesondere beschränkt § 10 Abs.1 Nr.6 EStG den Abzug nicht auf Steuerberaterkosten. Anders als in § 10 Abs.1 Nr.7 Satz 5 EStG sind bestimmte Aufwendungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Entstehungsgeschichte bestätigt dieses Ergebnis. § 10 Abs.1 Nr.8 (jetzt § 10 Abs.1 Nr.6) EStG wurde als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH eingeführt, wonach als Werbungskosten oder Betriebsausgaben nur der Teil der Steuerberatungskosten abgezogen werden konnte, der bei der Ermittlung der Einkünfte oder des Gewinns anfiel (BFHE 82, 449, BStBl III 1965, 410; BFHE 84, 519, BStBl III 1966, 190). Nach der Gesetzesbegründung sollten Steuerpflichtige jedoch in allen Fällen --also nicht nur, wenn die Beratung mit der Ermittlung der Einkünfte oder des Gewinns zusammenhing-- die Möglichkeit haben, die ihnen durch eine Steuerberatung erwachsenen Kosten bei der Ermittlung des Einkommens abzuziehen (BTDrucks IV/3189, S.6). Das Anliegen des Gesetzgebers, alle durch die steuerliche Beratung entstandenen Kosten zu berücksichtigen, legt es nahe, neben Fahrtkosten zum Büro des Steuerberaters oder Lohnsteuerhilfevereins auch Unfallkosten zu erfassen, wenn sie nach der Rechtsprechung auch als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden könnten.
Dieses Ergebnis wird durch folgende Überlegung bestätigt: Dient die Unterredung mit dem Steuerberater nicht ausschließlich der Ermittlung der Einkünfte, sind die Steuerberatungskosten grundsätzlich in Werbungskosten und Sonderausgaben aufzuteilen und schwerpunktmäßig zuzuordnen. Könnten die Unfallkosten nicht als Sonderausgaben abgezogen werden, handelte es sich insoweit um nicht abziehbare Privataufwendungen. Wegen des von der Rechtsprechung aus § 12 Nr.1 Satz 2 EStG abgeleiteten Aufteilungsverbots (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 19.Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, und vom 27.November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213), könnten dann jedoch die Unfallkosten insgesamt, d.h. auch insoweit, als sie Werbungskosten darstellen, nicht berücksichtigt werden. Der Abzug der Unfallkosten hinge deshalb allein davon ab, ob der Steuerpflichtige ausschließlich Fragen der Einkünfteermittlung besprechen wollte. Dieses Ergebnis widerspräche dem erklärten Zweck des § 10 Abs.1 Nr.6 EStG, Kosten für die Steuerberatung zur Ermittlung der Einkünfte und des Einkommens gleichzubehandeln.
d) Sind die Unfallkosten, wie oben ausgeführt, als durch die Steuerberatung veranlaßt nach § 10 Abs.1 Nr.6 EStG als Sonderausgaben abziehbar, können sie insgesamt, d.h. teilweise als Werbungskosten und teilweise als Sonderausgaben, abgezogen werden. Für die Aufteilung von Aufwendungen, die zum Teil steuerbaren Einkünften und zum Teil Sonderausgaben zuzuordnen sind, gelten die Grundsätze des Aufteilungsverbots nicht (BFH-Urteil vom 10.Juni 1986 IX R 11/86, BFHE 147, 318, BStBl II 1986, 894, m.w.N.). Im Streitfall kann eine Aufteilung oder Zuordnung jedoch unterbleiben, weil sich die Aufwendungen sowohl beim Abzug als Werbungskosten als auch beim Abzug als Sonderausgaben in voller Höhe steuerlich auswirken.
Fundstellen
Haufe-Index 62867 |
BFH/NV 1989, 46 |
BStBl II 1989, 967 |
BFHE 157, 559 |
BFHE 1990, 559 |
BB 1989, 2310-2311 (LT) |
DB 1989, 2207-2208 (ST) |
DStR 1989, 679 (KT) |
HFR 1990, 76 (LT) |