Leitsatz (amtlich)
Der Begriff „Bewohner des Zollauslands” i. S. des § 40 Abs. 1 AZO setzt nicht voraus, daß sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Zollausland befindet.
Normenkette
AZO § 40
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) kam im Jahre 1972 aus Korea nach Berlin und lebte bis Ende April 1978 in einem Schwesternwohnheim ohne eigene Möbel. Nach ihren Angaben hatte sie ursprünglich bis zum Anfang des Jahres 1978 noch die Absicht, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, wo sie ihren Wohnsitz bei ihren Eltern beibehalten habe. Während eines zweimonatigen Koreaaufenthaltes im Jahre 1976 sei noch von ihrer Rückkehr die Rede gewesen. Am 17. März 1978 heiratete die Klägerin einen Deutschen. Bei der Rückkehr von einem Besuch in Korea erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) mit Bescheid vom 26. Oktober 1978 für einen mitgeführten Wandschirm, den die Klägerin in ihrer Heimat als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte, unter Zugrundelegung eines geschätzten Zollwerts von 800 DM 172,10 DM Eingangsabgaben (68 DM Zoll und 104,10 DM Einfuhrumsatzsteuer).
Das Finanzgericht (FG) Berlin wies die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage auf Aufhebung des Steuerbescheids als unbegründet ab und ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (Urteil vom 16. September 1980 VII 912/80, Entscheidungen der Finanzgerichte 1981, 372). Zur Begründung führte es aus:
Die Einfuhr des Wandschirmes sei nicht nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 b des Zollgesetzes (ZG) i. V. m. § 40 Abs. 1 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) und § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von Eingangsabgaben befreit. Das FG habe zwar keine Zweifel, daß es sich bei dem Wandschirm um ein Gut handle, das nach seiner Art und den vorliegenden Umständen Heiratsgut sei. Dennoch seien die Voraussetzungen der Abgabenbefreiung nicht erfüllt, weil dieser Wandschirm nicht von einem Bewohner des Zollauslandes eingeführt worden sei. Vielmehr seien die Klägerin und ihr Ehemann zur Zeit der Eheschließung beide Bewohner des deutschen Zollgebietes gewesen.
Ein Abgabenpflichtiger könne zwar mehrere Wohnsitze im steuerrechtlichen Sinn innehaben. Es sei im vorliegenden Fall keinesweges ausgeschlossen, daß die Klägerin neben ihrem Wohnsitz in Berlin, der nach herrschender Auffassung auch mit der Anmietung eines möblierten Zimmers begründet werden könne, weiterhin ihren Wohnsitz in der Wohnung ihrer Eltern habe beibehalten können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24. Oktober 1969 IV 290/64, BFHE 97, 272, BStBl II 1970, 109). Darauf komme es im vorliegenden Fall jedoch nicht an.
Mit dem Begriff „Bewohner” i. S. des § 40 Abs. 1 AZO sei etwas anderes als der bloße Wohnsitz gemeint. Sonst hätte der Verordnungsgeber diesen in der Rechtssprache geläufigen Begriff verwendet. „Bewohner” sei das Substantiv zu „bewohnen” und bezeichne ein Verhalten, das persönliche Gegenwart erfordere. Diese – wenn auch nicht notwendig ununterbrochene – Gegenwart sei daran zu erkennen, wo der Bewohner seinen Lebensmittelpunkt begründe, also nach dem tatsächlichen Wohnort. In vergleichbarer Weise habe das Umsatzsteuerrecht für den Fall der Ausfuhrlieferung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 a UStG 1973) den Begriff des ausländischen Abnehmers ebenfalls nach dem Wohnort bestimmt (Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, 1. Aufl., § 6 Anm. 29, 30 und 32). Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grunde Vorschriften mit vergleichbaren Regelungsinhalten unterschiedlich ausgelegt werden sollten.
Mit Rücksicht darauf, daß die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Eheschließung bereits sechs Jahre in Berlin gearbeitet habe, sei davon auszugehen, daß sie seit langem im deutschen Zollgebiet ihren Lebensmittelpunkt und damit ihren Wohnort gehabt habe. Sie sei daher Bewohnerin dieses Gebietes. Daran ändere nichts, daß die Klägerin möglicherweise bis kurz vor ihrer Eheschließung noch die Absicht gehabt habe, nach Korea zurückzukehren.
Wegen der Höhe des Zollwertes komme auch keine Abgabenfreiheit in Betracht, die für Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden gewährt werde. Mit Rücksicht darauf, daß § 40 Abs. 1 AZO nicht anzuwenden sei, habe auch unerörtert bleiben können, ob die zollrechtlichen Formalitäten zur Abfertigung als abgabenfreies Heiratsgut erfüllt worden seien.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung einfachen Gesetzesrechts und des Grundgesetzes (GG).
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zu Recht hat zwar das FG den eingeführten Wandschirm als Heiratsgut i. S. des § 40 Abs. 2 AZO angesehen. Nach seinen Feststellungen ist diese Ware der Klägerin in ihrer Heimat zur Hochzeit geschenkt worden. Sie hat sie also „aus Anlaß der Eheschließung … von anderen Personen erhalten”. Daß die Klägerin sie erst einige Monate nach der Eheschließung eingeführt hat, ist unschädlich, da § 40 AZO dafür keine Frist setzt.
2. Nach § 40 Abs. 1 AZO ist jedoch Heiratsgut nur unter der Bedingung zollfrei – und in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift über § 1 Abs. 1 Satz 1 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsordnung i. d. F. von 1978 auch frei von Einfuhrumsatzsteuer –, daß es „aus Anlaß der Eheschließung zwischen einem Bewohner des Zollgebiets und einem Bewohner des Zollauslands eingeführt wird”. Das FG hat den Begriff „Bewohner des Zollauslands” i. S. der genannten Bestimmung verkannt. Eine Person ist nicht nur dann Bewohner des Zollauslands, wenn sie dort den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat.
3. Für die Auslegung des Begriffs „Bewohner des Zollauslands” ist von folgenden Überlegungen auszugehen:
a) Es kann eine Person gleichzeitig sowohl Bewohner des Zollgebiets als auch Bewohner des Zollauslands sein. Weder aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 1 AZO noch aus seinem Sinn und Zweck ergibt sich etwas anderes. Es sollen Personen in den Genuß der Zollfreiheit gelangen, die besondere Beziehungen mit dem Zollausland verbindet, und zwar in der Weise, daß sie bei einer Eheschließung mit einem Inländer z. B. Empfänger von Geschenken aus dem Zollausland zu sein pflegen, die wegen ihrer Widmung nicht mehr am Güterumsatz und an der Preisbildung teilnehmen und deren Befreiung von Eingangsabgaben wegen des besonderen Anlasses zu unangemessenen Zollvorteilen nicht führen können (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 b ZG, auf dessen Ermächtigung § 40 AZO beruht). Nichts spricht also dafür, daß § 40 AZO die Zollfreiheit für den Fall beschränken wollte, daß der Begünstigte bei unverändert engen Beziehungen zum Zollausland auch ebenso enge oder noch engere Beziehungen zum Zollgebiet entwickelt hat.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch folgendes bestätigt: § 40 AZO geht offenbar davon aus, daß aus Anlaß der Eheschließung der Ehegatte, der Bewohner des Zollauslands ist, übersiedelt (§ 40 Abs. 2 AZO; „der übersiedelnde Teil”). Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 6. Mai 1982 VII R 32/80 (BFHE 136, 17) entschieden, daß der Begriff der Übersiedlung auch dann erfüllt ist, wenn das Wohnen einer Person von einem Ort im Zollausland, dernicht Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen ist, zu einem Ort im Zollgebiet verlegt wird.
Aus diesem Grund ist auch die Rechtsprechung des BFH zum Wohnortbegriff des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a UStG (= § 6 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980) im vorliegenden Fall nicht anwendbar (vgl. Urteil vom 31. Juli 1975 V R 52/74, BFHE 117, 192, BStBl II 1976, 80). Der BFH hat seine Entscheidung, daß Wohnort im genannten Sinne der Ort ist, wo eine Person den örtlichen Mittelpunkt ihres Lebens hat, ausdrücklich damit begründet, aus dem Gesetzeswortlaut der genannten Bestimmung des UStG ergebe sich, daß ein Ausländer nureinen Wohnort i. S. dieser Bestimmung haben könne. Aus § 40 Abs. 1 AZO kann dagegen der gleiche Schluß nicht gezogen werden.
b) Aus § 40 Abs. 1 AZO ergibt sich ferner, daß die Staatsangehörigkeit allein kein Kriterium für die Frage ist, welches Land eine Person „bewohnt”. Das belegt 140 Abs. 1 letzter Halbsatz AZO, wonach es unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich unschädlich ist, wenn der Bewohner des Zollauslands deutscher Staatsangehöriger ist.
c) Ein gewisser Anhaltspunkt für den Inhalt, der dem Begriff „Bewohner des Zollauslands” nach dem objektivierten Willen des Verordnungsgebers zukommen soll, ist die Verwendung des Begriffs „Wohnsitz” in § 40 Abs. 1 letzter Halbsatz AZO. Daraus ergibt sich, daß der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff (vgl. § 8 AO 1977) zumindest insoweit zur Auslegung heranzuziehen ist, als er im Unterschied zum Wohnsitzbegriff des BGB nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen zur Wohnsitzbegründung abstellt, sondern auf die tatsächliche Gestaltung (vgl. z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 8 AO 1977 Anm. 1, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BFH). Ferner ist daraus zu entnehmen, daß der genannte Begriff wie der steuerliche Wohnsitzbegriff voraussetzt, daß im Zollausland eine Wohnung besteht, eine Wohnstätte also, die zum persönlichen Aufenthalt jederzeit zur Verfügung steht, ohne daß diese unbedingt der ausschließlichen Benutzung der betreffenden Person vorbehalten oder mit Möbeln ausgestattet sein muß, die im Eigentum dieser Person stehen.
Nach dem oben geschilderten Sinn und Zweck des § 40 AZO können aber an das Bestehen bzw. Weiterbestehen einer solchen Wohnstätte keine zu engen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist zur Erfüllung des Begriffs nicht unbedingt die dauernde oder auch nur fast ununterbrochene Anwesenheit an dieser Wohnstätte im Zollausland erforderlich. Bei Gastarbeitern wie der Klägerin, bei der eine periodische Rückkehr zur eigenen Wohnstätte im Zollausland schon wegen der großen Entfernung praktisch ausscheidet, muß es genügen, wenn bis zum Zeitpunkt der Eheschließung die Absicht noch nicht aufgegeben worden ist, nach Beendigung der Beschäftigung im Zollgebiet zu der zur Verfügung stehenden Wohnstätte im Zollausland zurückzukehren. Nach Sinn und Zweck der Regelung des § 40 Abs. 1 AZO ist dabei nicht der exakte Zeitpunkt der Eheschließung maßgebend, sondern eher der Zeitpunkt, an dem sich die Eheschließenden zur Heirat entschließen.
4. Das FG hat – von seiner Rechtsauffassung nur konsequent – keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Eheschließung eine Wohnung in Korea in dem geschilderten Sinn zur Verfügung stand und ob sie bereits vor dem genannten Zeitpunkt die Absicht zur Rückkehr nach Korea aufgegeben hatte. Das FG hat sich vielmehr damit begnügt, den Vortrag der Klägerin wiederzugeben, sie habe bis Anfang 1978 die Absicht gehabt, in ihre Heimat zurückzukehren, wo sie einen Wohnsitz bei ihren Eltern behalten habe. Das FG wird daher die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
5. Sollte das FG zum Ergebnis gelangen, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung nicht Bewohnerin des Zollauslands im genannten Sinn war, wird es darauf ankommen, ob die sonstigen Einwendungen der Klägerin gegen die Erhebung der Eingangsabgaben gerechtfertigt sind. Das ist nicht der Fall.
a) Die Eingangsabgabenfreiheit des § 40 AZO könnte der Klägerin erst recht nicht gewährt werden, wenn diese Vorschrift, wie sie meint, nichtig wäre. Überdies ist dieses Vorbringen unzutreffend. § 24 Abs. 1 ZG ermächtigt den BMF unter den genannten Voraussetzungen, u. a. Zollfreiheit für Heiratsgut anzuordnen, verpflichtet ihn aber nicht, die Ermächtigung voll auszuschöpfen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 13. Mai 1975 VII R 99/72, BFHE 116, 235). Das gilt um so mehr, als der BMF schon nach der Ermächtigung Bedacht darauf nehmen mußte, keine unangemessenen Zollvorteile zu gewähren.
b) § 40 Abs. 1 AZO verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Normgeber diesen Grundsatz nur dann verletzt, wenn die unterschiedliche Behandlung, die er in der betreffenden Norm vorgesehen hat, willkürlich ist. Der Verordnungsgeber hat aber beim Erlaß des § 40 Abs. 1 AZO nicht willkürlich gehandelt, indem er keine Zollfreiheit für Heiratsgut schlechthin vorsah, sondern diese davon abhängig machte, daß einer der Ehegatten Bewohner des Zollauslands im oben geschilderten Sinn ist.
Fundstellen
Haufe-Index 510612 |
BFHE 1983, 565 |