Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der vollständige Wechsel der Gesellschafter einer KG auch noch nach Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1967 als Geschäftsveräußerung im ganzen anzusehen ist.
Normenkette
UStG 1967 § 1 Abs. 1, § 10 Abs. 4; UStDB 1951 § 85
Tatbestand
An der Firma X Eisenwerk A + B, die in der Form einer GmbH & Co. KG betrieben wurde, waren die A Vermögensverwaltung GmbH als Komplementärin und natürliche Personen als Kommanditisten beteiligt. Durch notariellen Vertrag haben sämtliche Gesellschafter ihre Anteile gegen Entgelt übertragen, und zwar die Komplementärin ihren Anteil an die C GmbH und die Kommanditisten ihre Anteile an D, welche ihrerseits alleinige Gesellschafterin der C ist. Die neuen Gesellschafter betrieben das Unternehmen als OHG weiter und führten es unter der bisherigen Firma fort. Im Handelsregister wurde eingetragen, daß der Gesellschafterwechsel durch Übertragung der Anteile auf die neuen Gesellschafter im Wege der Sonderrechtsnachfolge stattgefunden habe, was den vertraglichen Vereinbarungen entspricht.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) sah in diesem Vorgang eine Geschäftsveräußerung im ganzen und erließ gegen die "X Eisenwerke z. H. E" einen gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen Umsatzsteuerbescheid über ... DM Steuer aus diesem Vorgang. Der Zustellungsadressat des Bescheides, E, war der Bevollmächtigte der ehemaligen Gesellschafter nach Abtretung der Anteile an die neuen Gesellschafter. Gegen den Bescheid wurde Einspruch eingelegt. Das FA setzte zunächst die Vollziehung des Bescheides aus. Mit Verfügung vom ... hob es die Aussetzung wieder auf und lehnte eine weitere Aussetzung der Vollziehung ab. Die Beschwerde war erfolglos.
Mit der Klage begehren die Kläger, die obige Verfügung aufzuheben und das FA zur Aussetzung der Vollziehung zu verpflichten. Zur Begründung der Klage führen sie aus: Es beständen in zweifacher Hinsicht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides. Zum einen sei der Adressat des Bescheides nicht zutreffend bezeichnet und habe E keine Zustellungsvollmacht gehabt. Zum anderen sei die Rechtsprechung des BFH, nach der die Auswechslung aller Gesellschafter einer KG zum gleichen Zeitpunkt eine Geschäftsveräußerung im ganzen darstelle, unzutreffend, weil nach der Rechtsprechung des BGH bei Vereinbarungen wie den vorliegenden die KG in ihrer rechtlichen Existenz bestehenbleibe, ein Leistungsaustausch hinsichtlich des Unternehmens somit nicht stattfinde und kein Raum dafür verbleibe, mit dem BFH eine "Altgesellschaft" und eine "Neugesellschaft" anzunehmen. Außerdem sei die Rechtsprechung des BFH zum UStG 1951 ergangen und könne im neuen Umsatzsteuerrecht keine Geltung mehr beanspruchen, weil die neue Umsatzsteuer wegen der Vorsteuerabzugsmöglichkeit im Ergebnis nicht erhoben werde. Selbst wenn man aber von der Übertragungstheorie des BFH, die schon im Ausgangspunkt unbillig sei, ausgehe, könne die sog. Altgesellschaft mangels Existenz nicht zur Umsatzsteuer herangezogen werden, sondern sei die sog. Neugesellschaft in Anspruch zu nehmen, die Gesamtrechtsnachfolgerin sei.
Das FG hat der Klage stattgegeben und in seiner Entscheidung ausgeführt: Aus der vom Zivilrecht abweichenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise des BFH ergäben sich erhebliche logische Unzulänglichkeiten bei der rechtlichen Bewältigung der vom BFH angenommenen Leistungsaustauschkonstruktion. Dies erhelle insbesondere daraus, daß der Umsatzsteuerbescheid an ein zivilrechtlich nicht existierendes Gebilde zu richten sei. Zumindest für das im System geänderte UStG 1967 bestehe keine Notwendigkeit, an der Konstruktion der Rechtsprechung des BFH festzuhalten. Auch sei der Steuerbescheid nicht wirksam geworden. Selbst wenn man den Bescheid als eine gegen die allein existierende Gesellschaft in der neuen Zusammensetzung gerichtete Verfügung annehmen würde, wäre E nicht Zustellungsbevollmächtigter gewesen. Der Bescheid habe nur einen Rechtsschein erzeugt, der auf die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als frühere Gesellschafter falle, so daß diesen ein Rechtsschutzbedürfnis an der Klage zuzuerkennen sei. Die Klage sei als Klage der früheren Gesellschafter aufzufassen.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision, mit der das FA begehrt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Mit der Revision wird die Verletzung materiellen Rechts sowie Divergenz zur Rechtsprechung des BFH gerügt. Unzutreffend sei die Auffassung des FG, daß nach dem UStG 1967 keine Notwendigkeit mehr bestehe, den Fall des gleichzeitigen Wechsels aller Gesellschafter einer Personengesellschaft unter Fortführung der Firma und des Handelsgeschäftes als Geschäftsveräußerung im ganzen zu beurteilen. Die vom FG gerügten Ungereimtheiten lägen nicht vor. Der BFH habe stets die Personengruppe der Altgesellschafter als Steuerpflichtige angesehen. Auch der Hinweis auf den Vorsteuerabzug gehe fehl, weil das Vorliegen der Vorsteuerabzugsberechtigung sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles richte. Außerdem spreche § 10 Abs. 4 UStG 1967 dafür, daß auch im neuen Umsatzsteuerrecht die Geschäftsveräußerung im ganzen als steuerbarer Umsatz angesehen werde, so daß insoweit die Rechtslage die gleiche geblieben sei. Rechtsirrig sei schließlich auch die Annahme des FG, der Steuerbescheid sei nicht wirksam geworden. Er sei nicht etwa an die Gesellschaft in ihrer neuen personellen Zusammensetzung, sondern an die Altgesellschaft gerichtet gewesen, für die E als Zustellungsbevollmächtigter zu betrachten sei.
Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides bestehen.
1. Der BFH hat zwar in mehreren Entscheidungen den gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang erfolgten vollständigen Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft als eine Geschäftsveräußerung im ganzen angesehen (vgl. Urteile vom 21. März 1968 V 81/65, BFHE 92, 123, BStBl II 1968, 507; vom 21. März 1968 V 80/64, BFHE 92, 351, BStBl II 1968, 595; vom 25. Juli 1968 V 170/65, BFHE 93, 196, BStBl II 1968, 759; vom 25. Juli 1968 V 192/65, BFHE 93, 199, BStBl II 1968, 760, und vom 5. März 1970 V R 33/69, BFHE 99, 76, BStBl II 1970, 535). Da er in den angeführten Urteilen jedoch davon ausgegangen ist, daß § 85 UStDB 1951 einen eigenständigen Steuertatbestand bilde (vgl. dazu auch das Urteil vom 9. Februar 1956 V 267/55 U, BFHE 62, 270, BStBl III 1956, 99), bedarf die Frage, ob ein derartiger Vorgang auch im Geltungsbereich des UStG 1967 als eine (unter § 1 Abs. 1 fallende) steuerbare Geschäftsveräußerung im ganzen zu betrachten ist, einer erneuten Überprüfung. Das UStG 1967 spricht (abgesehen von § 19 Abs. 3) die Geschäftsveräußerung nämlich nur im Zusammenhang mit der Bemessungsgrundlage in § 10 Abs. 4 an und enthält keine § 85 UStDB 1951 entsprechende Umschreibung als (selbständigen) Steuertatbestand.
2. Ernstliche Zweifel bestehen aber auch daran, ob der Umsatzsteuerbescheid wirksam geworden ist. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 AO werden Verfügungen (Verwaltungsakte) dadurch wirksam, daß sie demjenigen zugehen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Soll von einem Verwaltungsakt eine Personenmehrheit (Personengesellschaft) als solche betroffen werden, muß sie Adressat des Verwaltungsakts sein. Kann diese Personenmehrheit nicht unter Angabe eines gemeinschaftlichen Namens bestimmt werden, wie dies bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) im Gegensatz zu den Handelsgesellschaften (vgl. §§ 105, 124, 161 HGB) oft der Fall ist, so muß der Adressat entweder durch Angabe der Gesellschafter oder in anderer geeigneter Weise eindeutig bezeichnet werden (BFH-Urteil vom 17. März 1970 II 65/63, BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598); es muß aus einem Verwaltungsakt objektiv für jeden klar erkennbar sein, an wen er sich richtet (BFH-Urteil vom 24. März 1970 I R 141/69, BFHE 98, 531, BStBl II 1970, 501). Dabei braucht der Adressat eines Bescheides nicht aus dem Anschriftenfeld hervorzugehen; es genügt, wenn er sich aus dem Bescheid insgesamt mit Sicherheit entnehmen läßt (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 17. Mai 1974 VI R 197/71, BFHE 112, 452, BStBl II 1974, 648; vom 26. September 1974 IV R 24/71, BFHE 114, 156, BStBl II 1975, 311, und vom 12. August 1976 IV R 105/75, BFHE 120, 129, BStBl II 1977, 221).
Im vorliegenden Fall konnte die Personengruppe, die ursprünglich in der Gesellschaft zusammengeschlossen war und an die sich der Bescheid richten sollte, nicht mehr durch Angabe eines Firmennamens bezeichnet werden, weil dieser Firmenname nunmehr zur Bestimmung der in anderer personeller Zusammensetzung fortbestehenden Gesellschaft dient. Zur wirksamen Bekanntgabe des Bescheides wäre es dementsprechend erforderlich gewesen, die einzelnen Mitglieder der Personengruppe, die das FA in Anspruch nehmen wollte, namentlich zu bezeichnen.
Hinzu kommt noch, daß es ernstlich zweifelhaft ist, ob die Personengruppe als solche - die Steuerbarkeit des Vorgangs unterstellt - als Steuerschuldner anzusehen ist, oder ob nicht vielmehr jeder einzelne Gesellschafter entsprechend seinem Anteil Steuerschuldner ist. Die wirtschaftliche Zusammenfassung mehrerer Anteilsübertragungen zu einer Geschäftsveräußerung im ganzen braucht nicht notwendig dazu zu führen, den Vorgang einem Personenzusammenschluß zuzurechnen mit der Folge, daß dieser und nicht dessen Glieder Steuerschuldner ist.
Fundstellen
BStBl II 1977, 654 |
BFHE 1978, 364 |