Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Bei Prüfung der Zulässigkeit eines Erlasses von HGA-Leistungen gemäß Tz. 79 VAO zu § 131 LAG sind die Verhältnisse um die Zeit der Grundstücksaufgabe maßgebend. Dabei können zukünftige Umstände, die in diesem Zeitpunkt bereits abzusehen sind, berücksichtigt werden.
Normenkette
LAG § 131; VAO-LAG131 79
Tatbestand
Die Bfin. verkaufte am 10. August 1954 ihr mit HGA belastetes Grundstück um 24.000 DM.
Am 15. September 1956 beantragte sie, die für den Erlaßzeitraum vom 1. Januar 1953 bis 31. August 1954 geschuldeten HGA-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis gemäß § 131 LAG zu erlassen.
Das Finanzamt lehnte den Antrag unter Hinweis auf die Tz. 72 und 79 der Verwaltungsanordnung zu § 131 des Lastenausgleichsgesetzes (Erlaß der Leistungen auf die HGA wegen wirtschaftlicher Bedrängnis) vom 10. Juli 1956 - VAO zu § 131 LAG - (BStBl 1956 I S. 347) ab. Die Oberfinanzdirektion bestätigte am 20. Januar 1958 diese Entscheidung. Der Bfin. sei von dem Verkaufserlös für das Grundstück mindestens ein Betrag von 8.500 DM verblieben. Auf diesen Betrag sei sie, da sie nach Verabschiedung des Rentenreformgesetzes monatliche Einkünfte von 410,50 DM beziehe, zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts nicht angewiesen. Ihr könne daher zugemutet werden, die geschuldeten Abgabeleistungen in Höhe von 584,96 DM zu erbringen.
Die Bfin. wandte ein, die Oberfinanzdirektion habe zu Unrecht ihre Entscheidung auf die Verhältnisse nach Verabschiedung des Rentenreformgesetzes (am 23. Februar 1957) gestützt. Für den Erlaß der HGA-Leistungen müsse aber ihre wirtschaftliche Notlage - beruhend auf ihrem Alter, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit sowie auf Krankheit und Tod ihres Ehemannes - im Erlaßzeitraum maßgebend sein, unter deren Druck sie das Grundstück veräußert habe. Sie hätte dies nicht getan, wenn sie mit der im Jahre 1957 erfolgten Rentenerhöhung gerechnet hätte.
Die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die Entscheidung der Oberfinanzdirektion sei nicht ermessensmißbräuchlich. Die Auffassung der Bfin., für den Erlaß der HGA-Leistungen sei ihre wirtschaftliche Lage im Erlaßzeitraum maßgebend, gelte nicht bei Anwendung der Tz. 79 VAO zu § 131 LAG. Ihr Vorbringen über die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere im Zeitpunkt des Hausverkaufs, könne deshalb bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden, auch wenn es an sich zutreffen möge.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Fällige Leistungen auf die HGA können bei wirtschaftlicher Bedrängnis insoweit erlassen werden, daß dem Abgabepflichtigen der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleibt (ß 131 Abs. 1 Satz 1 LAG). Das Nähere bestimmt nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LAG der Bundesminister der Finanzen. In der VAO zu § 131 LAG wurden diese Bestimmungen erlassen. Sie gelten zeitlich uneingeschränkt für den Erlaßzeitraum 1953 bis 1955.
Diese VAO enthält keine Rechtsnormen, sondern vom Bundesminister der Finanzen den nachgeordneten Finanzbehörden gegebene Richtlinien für die Ausübung des in § 131 LAG bzw. § 131 AO für den Erlaß von Abgabeleistungen eingeräumten Ermessens. Die Steuergerichte haben bei jeder Erlaßentscheidung, die auf die VAO zu § 131 LAG gestützt ist, zu prüfen, ob sich die in dem jeweiligen Fall in Betracht kommende Regelung innerhalb der Grenzen hält, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat. Wenn sich ergibt, daß die Regelung diese Grenzen nicht überschreitet, ist zu prüfen, ob die Oberfinanzdirektion ihr Ermessen in übereinstimmung mit den Anordnungen der VAO zu § 131 LAG ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs III 243/60 U vom 1. Februar 1963, BStBl 1963 III S. 242, Slg. Bd. 76 S. 663).
Nach den Tz. 72 Satz 1 und 78 VAO zu § 131 LAG ist ein Erlaß von Abgabeleistungen des Veräußerers im allgemeinen unzulässig, wenn das Grundstück, für das die Abgabeleistungen zu erbringen sind, während des allgemeinen Erlaßzeitraums auf nicht zur Familieneinheit gehörige Personen übergeht. Es bleibt ausnahmsweise zulässig, soweit bei der Veräußerung ein zur Abgabeentrichtung ausreichender Nettoerlös nicht erzielt wurde oder seine Verwendung zur Abgabeentrichtung nach den Gesamtumständen des Falles dem Veräußerer nicht zugemutet werden kann (Tz. 79 VAO zu § 131 LAG). Soweit ein Erlaß unter diesen Ausnahmevoraussetzungen zulässig ist, wird er nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der bisherigen Familieneinheit für einen verkürzten Erlaßzeitraum, der mit dem Eigentumsübergang endet, gewährt (Tz. 72 Satz 2 VAO zu § 131 LAG).
Der Bundesfinanzhof hat zur Anwendung dieser Bestimmungen, besonders der Tz. 79 VAO zu § 131 LAG in dem Urteil III 357/59 U vom 24. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 214, Slg. Bd. 72 S. 586) ausgesprochen, daß für die Prüfung eines Erlasses im Falle einer Grundstücksveräußerung die Verhältnisse um die Zeit des durch die Grundstücksaufgabe gekennzeichneten Endes des Erlaßzeitraums maßgebend seien. Dies gelte sowohl für die Frage, ob der Nettoerlös aus dem Verkauf die HGA-Leistungen decke, als auch für die Frage, ob die Gesamtumstände des Falles ausnahmsweise einen Erlaß zuließen. Die Entscheidung werde immer nach den Zeitverhältnissen der Grundstücksaufgabe zu treffen sein. Der Senat hält an diesen Grundsätzen fest. Soweit in der genannten Entscheidung die Auffassung zum Ausdruck kommen sollte, bei Würdigung der Gesamtumstände des Falles im Sinne der Tz. 79 VAO zu § 131 LAG könnten in Zukunft zu erwartende Umstände nicht berücksichtigt werden, würde er sich ihr nicht anschließen.
Die Oberfinanzdirektion hat - da sie davon ausging, es komme auf die Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Entscheidung an -, die Gesamtumstände des Falles im Zeitpunkt der Grundstücksaufgabe nicht näher geprüft und gewürdigt. Ihre Entscheidung und die Entscheidung des Finanzgerichts sind daher aufzuheben. Bei einer erneuten Entscheidung über den Antrag der Bfin. werden die vorstehenden Ausführungen zu berücksichtigen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 411437 |
BStBl III 1965, 70 |
BFHE 1965, 196 |
BFHE 81, 196 |