Leitsatz (amtlich)
Bei der Veräußerung eines Grundstückes gegen Nettoerlös ist ein Erlaßantrag des Veräußerers hinsichtlich der Hypothekengewinnabgabe-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis grundsätzlich abzulehnen (Tz. 78 der VAO zu § 131 LAG).
Für die Entscheidung über einen Antrag auf ausnahmsweisen Erlaß von Hypothekengewinnabgabe-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis trotz eines Nettoerlöses des Grundstücksverkaufes kommt es darauf an, ob und inwieweit dem Veräußerer nach den Gesamtumständen des Falles um die Zeit des Endes des - gegebenenfalls abgekürzten - Erlaßzeitraumes zuzumuten ist, den Nettoerlös zur Abgabe-Entrichtung zu verwenden (Tz. 79 der VAO zu § 131 LAG).
Die Verhältnisse während des Erlaßzeitraumes scheiden bei diesen Entscheidungen aus.
Normenkette
VAO-LAG131 78; VAO-LAG131 79
Tatbestand
Die Bfin. ist, als Alleinerbin nach ihrem am 2. Dezember 1952 verstorbenen Ehemann, Eigentümerin eines Mietwohngrundstückes geworden. Durch notariellen Vertrag vom 18. Oktober 1954 verkaufte sie das Grundstück (Einheitswert = 26.000 DM) für 27.000 DM. Hiervon waren 12.000 DM bar zu zahlen. Der Mehrbetrag des Kaufpreises wurde durch übernahme der bestehenden Grundstücksbelastungen abgegolten. Mit dem 1. November 1954 sollten der Besitz sowie Nutzungen und Lasten des Grundstücks auf die Erwerberin übergehen. In dem Vertrage erfolgte zugleich die Auflassung.
Die Bfin. hat beantragt, ihr die Hypothekengewinnabgabe-Leistungen für den Zeitraum vom 1. April 1952 bis zum 31. Oktober 1954 wegen wirtschaftlicher Bedrängnis zu erlassen. Diese Leistungen haben sich auf 1.268,25 DM belaufen. Die Bfin. hat ihren Erlaßantrag damit begründet, daß sie kein anderes als das Einkommen aus dem Grundstücke gehabt habe, und daß sie den Barerlös von 12.000 DM aus dem Grundstücksverkaufe in Höhe von 3.000 DM zur Abdeckung von Schulden anläßlich der Krankheit und des Ablebens des Ehemannes habe verwenden müssen. Die von ihr mit Hilfe des Verkaufserlöses erworbene Forderung von 10.000 DM anzugreifen, um die Hypothekengewinnabgabe-Leistungen abzudecken, sei ihr nicht zuzumuten. Sie sei zur Zeit des Kaufabschlusses bereits nahezu 63 Jahre alt gewesen und benötigte den verbleibenden Teil des Barerlöses zur Sicherung ihres zukünftigen Lebensunterhaltes.
Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt. Beschwerde und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Finanzgericht hat ausgeführt:
Es müsse der Bfin. trotz der Zahlung der streitigen Leistungen zwar der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleiben. Es sei hierbei aber lediglich die Zeitspanne des sogenannten Erlaßzeitraums (hier vom 1. April 1952 bis zum 31. Oktober 1954) zu berücksichtigen. Der Lebensunterhaltsbedarf für die Zukunft bleibe außer Betracht. In der genannten Zeitspanne habe die Bfin. tatsächlich
den Verkaufserlös von 12.000 DM ./. Schulden ---------- 3.000 DM -------------- 9.000 DM zuzüglich Grundstückserträge rund ------------ 6.000 DM zusammen also -------------- rund ------------ 15.000 DMzur Verfügung gehabt. Aus diesen Mitteln habe sie die streitigen Hypothekengewinnabgabe-Leistungen erbringen können und tatsächlich nahezu erbracht. Für die Erstattung der gezahlten Beträge fehle die Grundlage.
Zur Begründung ihrer Rb. macht die Bfin. geltend: Der Grundstücksertrag innerhalb des Erlaßzeitraumes sei nicht auf rund 6.000 DM, sondern nur auf rund 4.000 DM zu beziffern. Ferner sei der Erlaß von Hypothekengewinnabgabe-Leistungen nach Tz. 79 der Verwaltungsanordnung zu § 131 des Lastenausgleichsgesetzes (Erlaß der Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe wegen wirtschaftlicher Bedrängnis) - VAO zu § 131 LAG - (vom 10. Juli 1956 IV C/5 - LA 2623 - 3/56: BStBl 1956 I S. 347 ff.) im Falle der Veräußerung eines Grundstückes ausnahmsweise zulässig, wenn die Verwendung eines zur Abgabeentrichtung ausreichenden Nettoerlöses nach den Gesamtumständen des Falles dem Veräußerer billigerweise nicht zugemutet werden könne.
Der Bfin. hätten aus dem Barerlöse rund ---- 9.000 DM aus Grundstückserträgen -------------------- 4.000 DM ------------------------- zusammen rund -- 13.000 DM zur Verfügung gestanden. Die Lebenshaltungskosten seien für den Erlaßzeitraum zu bemessen mit: a) für sie selbst (31 Monate zu je 250 DM) auf -------------- 7.750 DM b) für ihren am 2. Dezember 1952 verstorbenen Ehemann (9 Monate zu je 75 DM) auf 675 DM 8.425 DM so daß nur 4.575 DMam Ende des Erlaßzeitraumes verblieben seien. Wenn hiervon noch die streitigen Hypothekengewinnabgabe-Leistungen von 1.268,25 DM gedeckt würden, reichten die restlichen rund 3.300 DM lediglich noch zum Unterhalte für etwas mehr als ein Jahr. Dieses Ergebnis sei nicht zumutbar. Im übrigen spreche der Umstand, daß die Hypothekengewinnabgabe-Leistungen tatsächlich entrichtet worden seien, nicht gegen die Bfin., weil ihr früherer Stundungsantrag nur infolge einer versehentlichen Berechnung der beauftragten Stelle abgelehnt worden, und zudem ein pünktlicher Steuerzahler nicht ungünstiger zu behandeln sei als jemand mit rückständigen Beträgen. Schließlich seien die streitigen Hypothekengewinnabgabe-Beträge zumindest nach § 131 AO zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung ergibt folgendes:
Maßgebende Rechtsgrundlage ist die VAO zu § 131 LAG vom 10. Juli 1956, a. a. O. Wie deren Wortlaut klar ergibt, beschränkt sie die Anwendung des § 131 LAG in Erlaßsachen auf die in ihr bestimmten Fälle. Wegen der besonderen Bedeutung des Lastenausgleichsfonds (ß 5 LAG) hat der Gesetzgeber in § 131 LAG seinerseits die Anwendung des § 131 AO für den Fall des Erlasses von Hypothekengewinnabgabe-Leistungen besonders geregelt. Zu Unrecht rügt die Bfin. im übrigen, daß die Vorinstanzen nicht den Bundesminister der Finanzen um Auslegung der genannten VAO zu § 131 LAG ersucht bzw. angefragt haben, ob er gegebenenfalls über den Rahmen der VAO zu § 131 LAG hinaus in dem vorliegenden Streitfalle einen Erlaß auszusprechen bereit sei; die VAO zu § 131 LAG enthält, wie ihr Wortlaut zeigt, eine abschließende Regelung des Gebietes des § 131 LAG gemäß dessen Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2. Es handelt sich um vom Gesetzgeber angeordnete Richtlinien für die Ausübung des Ermessens. An diese haben sich, wenn, wie hier, weder ein Verfassungs- oder sonstiger Rechtsverstoß noch eine Ermessensüberschreitung vorliegt, auch die Steuergerichte zu halten.
Wie der erkennende Senat in seinem Urteil III 320/57 U vom 17. Januar 1958 (BStBl 1958 III S. 114, Slg. Bd. 66 S. 294) ausgesprochen hat, hat der leitende Gedanke bei der Anwendung der genannten VAO zu § 131 LAG ihr wirtschaftlicher Zweck zu sein, nämlich die Erhaltung des volkswirtschaftlich und sozialpolitisch erwünschten Besitzes. Dem Abgabeschuldner sollen die für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Beträge verbleiben (ß 131 LAG). Weil der gedachte Zweck im Falle der Veräußerung des Grundstückes an eine Person außerhalb der sogenannten Familieneinheit zugunsten des Abgabepflichtigen nicht mehr erfüllbar ist, verbietet Tz. 78 der VAO zu § 131 LAG hierfür grundsätzlich den Erlaß der Hypothekengewinnabgabe-Leistungen für den beendeten Erlaßzeitraum. Der Verordnungsgeber hat hierbei in Betracht gezogen, daß der Abgabeschuldner im Falle eines Barerlöses aus dem Verkaufe ohne weiteres besondere Mittel zu Verfügung hat, die ihn zur Abdeckung der Hypothekengewinnabgabe-Leistungen befähigen. Dieses Motiv des Verordnungsgebers ist deutlich aus Tz. 79 der VAO zu § 131 LAG erkennbar, nach der der Erlaß trotz des Verkaufes des Grundstückes ausnahmsweise zulässig ist, soweit es an einem ausreichenden Nettoerlöse fehlt.
Im vorliegenden Falle hat es an einem ausreichenden Nettoerlös nicht gefehlt. Insoweit verbleibt es hier bei der Regel der Tz. 78 der VAO zu § 131 LAG.
Tz. 79 a. a. O. räumt indessen noch als eine weitere Ausnahme den von der Bfin. in bezug genommenen Fall ein, daß dem Veräußerer die Verwendung des Netto-Verkaufserlöses nach den Gesamtumständen des Falles billigerweise nicht zugemutet werden könne.
Diese Vorschrift ist eine typische Ermessensvorschrift. Die gerichtliche Nachprüfung hat sich daher darauf zu beschränken, zu prüfen, ob die Entscheidung der Oberfinanzdirektion einen Ermessensmißbrauch oder sonstigen Rechtsverstoß enthält.
Es ist zu beachten, daß Tz. 79 a. a. O. eine Ausnahme von der Regelvorschrift der Tz. 78 darstellt, nach der ein Erlaß der Hypothekengewinnabgabe-Leistungen bei dem Verkaufe eines Grundstückes schlechthin ausscheidet. Es spielt dabei keine Rolle, daß der Lebenshaltungsbedarf des Erlaßzeitraums die in dieser Zeitspanne zur Verfügung stehenden Mittel überstiegen hat.
Auch in dem Falle der Tz. 79 Halbsatz 2 der VAO zu § 131 LAG ist davon auszugehen, daß der Lebenshaltungsbedarf im Erlaßzeitraume größer gewesen ist als der Betrag der zur Verfügung stehenden Mittel. Tz. 78 und Tz. 79 a. a. O. gelangen überhaupt nur unter dieser Voraussetzung zur Anwendung; denn ohne diese wäre der Erlaßantrag von vornherein abzulehnen. Die Tatsache allein, daß die Lebenshaltungskosten aus den Mitteln des Erlaßzeitraumes nicht haben gedeckt werden können, kann daher im Falle der Tz. 79 Halbsatz 2 a. a. O. keine Berücksichtigung finden. Deshalb scheidet insofern für deren Anwendung die Entwicklung im Erlaßzeitraume aus. Zwar richtet sich die Erlaßentscheidung nach der VAO zu § 131 LAG grundsätzlich nach den Verhältnissen des betreffenden Erlaßzeitraumes. Die Verhältnisse des nächsten Erlaßzeitraumes bleiben außer Betracht, wie der erkennende Senat in seinem oben angeführten Urteil III 320/57 U vom 17. Januar 1958 auseinandergesetzt hat. Dies kann indessen nur solange gelten, als das Grundstückseigentum des Abgabepflichtigen gedauert hat. So erklärt es sich ohne weiteres, daß Tz. 79 Halbsatz 2 a. a. O. von den Gesamtumständen des Falles spricht. Es bleibt im Falle des Grundstücksverkaufes gar nichts anderes übrig, als für die Erlaßfrage die Gesamtumstände des Falles heranzuziehen. Maßgebend sind die Verhältnisse um die Zeit des durch die Grundstücksaufgabe gekennzeichneten Endes des Erlaßzeitraumes. Sie führen nach Tz. 78 a. a. O. regelmäßig zur Ablehnung des Antrages, wenn der Nettoerlös aus dem Verkaufe die Hypothekengewinnabgabe-Leistungen deckt. Wenn der Verordnungsgeber nach Tz. 79 Halbsatz 2 a. a. O. ausnahmsweise nach den Gesamtumständen des Falles eine abweichende Entscheidung zuläßt, können damit nur andere Umstände als die Tatsache der die Mittel des Erlaßzeitraumes übersteigenden Lebenshaltungskosten gemeint sein: d. h. die Gesamtumstände, die außerhalb des Mißverhältnisses zwischen Lebenshaltungskosten und Mitteln des abgelaufenen Erlaßzeitraumes liegen, also auf der einen Seite der Nettoerlös aus dem Grundstücksverkaufe bzw. die daraus resultierende Darlehnsforderung, auf der anderen Seite z. B. ein Notstand wegen einer verbliebenen hohen Verschuldung, hohen Lebensalters, hoher Ausgaben zur Krankheitsbekämpfung, Erwerbsunfähigkeit, Vermögenslosigkeit. Dabei wird die Frage zu prüfen sein, ob der Abgabepflichtige z. B. die Vermögenslosigkeit oder Verschuldung durch eigene Maßnahme, etwa durch Verschenkung oder Verschleuderung von Vermögen, herbeigeführt hat. Unter Umständen wird unter Ablehnung des Erlaßantrages eine bloße widerrufliche Stundung der Hypothekengewinnabgabe-Leistungen auf Lebenszeit, falls sie nicht, wie hier, im wesentlichen bereits gezahlt sind, auf Grund des § 131 LAG in Betracht zu ziehen sein; hierbei würden beim Ableben des Abgabepflichtigen im allgemeinen der Nachlaß bzw. die Erben zur Abdeckung der Rückstände heranzuziehen sein (vgl. die entsprechende Regelung in § 54 LAG in Verbindung mit der Verwaltungsanordnung zu § 54 des Lastenausgleichsgesetzes (Stundung und Erlaß der Vermögensabgabe wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit) vom 17. März 1955 - BStBl 1955 I S. 119 - und Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 8. Januar 1960 IV C/4 - LA 2341 - 9/59 - BStBl 1960 I S. 24 -).
Doch wird die Entscheidung immer nach den Zeitverhältnissen der Grundstücksaufgabe zu treffen sein. Im Falle der Bfin. kann die Deckung ihres Unterhaltes auf Lebenszeit nicht der Zweck des Erlaßverfahrens sein; denn die Abgabepflichtige kann nicht erwarten, durch das Erlaßverfahren, also auf Kosten der Allgemeinheit, wirtschaftlich bessergestellt zu werden, als sie stände, wenn sie das veräußerte Grundstück behalten hätte. Handelt es sich um Bauland oder um ein kleines ertragsarmes Mietwohngrundstück, so würde das Grundstück selbst voraussichtlich ebenfalls nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten bis zum Lebensende ausgereicht haben.
In dem sich das Finanzamt und das Finanzgericht für die Nichtanwendung der Tz. 79 Halbsatz 2 der VAO zu § 131 LAG auf Tz. 61 a. a. O. bezogen, die lediglich für die Gegenüberstellung der Lebenshaltungskosten und der vorhandenen Mittel innerhalb des laufenden Erlaßzeitraumes gilt, während Tz. 79 a. a. O. vom Verkaufsfalle spricht, haben sie die rechtliche Tragweite der letzterwähnten Tz. verkannt. Im übrigen stehen die bisherigen Zahlungen einer der Bfin. günstigen Entscheidung nicht entgegen.
Die angefochtene Entscheidung sowie die Beschwerdeentscheidung des Finanzamts unterliegen demnach der Aufhebung. Die Sache geht an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung zurück. Es werden die erforderlichen Feststellungen auf der Grundlage der obigen Richtlinien zu treffen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 409994 |
BStBl III 1961, 214 |
BFHE 1961, 586 |
BFHE 72, 586 |