Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderungszinsen
Leitsatz (amtlich)
Das FA ist nicht berechtigt, Nachzahlungszinsen festzusetzen, wenn die gesamte Steuerschuld im Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer bereits getilgt ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 56/93, BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490).
Orientierungssatz
Parallelentscheidung: BFH, 13.11.1996, XI R 57/96, NV.
Normenkette
AO 1977 § 233a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte mit Vertrag vom 18. September 1989 ein bebautes Grundstück verkauft. In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für das Streitjahr, zuletzt für Dezember 1989 vom 8. Januar 1990, hatte sie die Grundstücksveräußerung --die Lieferung erfolgte im November 1989-- nicht berücksichtigt. Im März 1991 erteilte die Klägerin der Grundstückserwerberin eine Rechnung, in der sie die Umsatzsteuer gesondert auswies. Am 5. Juni 1991 reichte sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1989 ein, in der sie neben den bereits erklärten Umsätzen nunmehr auch die Grundstücksveräußerung als steuerpflichtigen Umsatz auswies und eine Vorauszahlung von 1 109 952,58 DM errechnete. Zusammen mit dieser berichtigten Voranmeldung legte die Klägerin dem FA die von ihr im März 1991 ausgestellte Rechnung und eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck des Inhalts vor, daß die Grundstückserwerberin der Klägerin einen Anspruch von 1 109 920 DM aus der Umsatzsteuervoranmeldung für März 1991 übertrage. Am 18. Juni 1991 ging beim FA die Umsatzsteuerjahreserklärung 1989 ein, in der die Klägerin unter Berücksichtigung der Übertragung des Grundstücks eine Steuerschuld von 1 179 495 DM erklärte und durch Gegenüberstellung dieser Schuld mit dem Vorauszahlungssoll 1989 von 1 180 647,51 DM eine Abschlußzahlung von ./. 1 152,51 DM errechnete.
Das FA übersandte der Klägerin den mit der "Mitteilung für 1989 über Umsatzsteuer" zusammengefaßten "Bescheid für 1989 über Zinsen zur Umsatzsteuer" vom 25. November 1991 über Nachzahlungszinsen in Höhe von 38 804 DM. Die Zinsberechnung geht von bei Ablauf der Karenzzeit festgesetzten Vorauszahlungen von 70 727,51 DM und einem für die Zinslaufzeit von 7 Monaten vorhandenen Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs.3 der Abgabenordnung (AO 1977) von 1 108 767,49 DM aus. Der Einspruch gegen den Zinsbescheid hatte keinen Erfolg. Während des Klageverfahrens erließ das FA von den festgesetzten Zinsen einen Teilbetrag von 27 717 DM.
Das Finanzgericht (FG) führt in seinem klageabweisenden Urteil im wesentlichen aus, im Streitfall seien die Voraussetzungen der Zinspflicht nach § 233a Abs.1 AO 1977 gegeben, obgleich die - -nach § 168 AO 1977 einer Steuerfestsetzung gleichstehende-- Umsatzsteuererklärung 1989 zu keiner Steuernachforderung geführt habe, der im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Eignung zugekommen sei, noch fällig werden zu können. Der erkennende Senat des FG folge dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. März 1995 I R 56/93 (BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490) nicht. Er messe dem Umstand, daß der Gesetzgeber aus verwaltungstechnischen Rücksichten die Sollverzinsung habe einführen wollen, größeres Gewicht bei als der BFH. Die verwendeten Begriffe seien --gerade wenn Formulierungsmängel und Unabgestimmtheiten zutage träten-- in der Zielrichtung der Verwirklichung der Sollverzinsung auszulegen. Das bedeute, daß eine die Verzinsung auslösende Steuernachforderung oder Steuererstattung anzunehmen sei, wenn aufgrund der Gegenüberstellung von Festsetzungssoll und Vorsoll ein Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs.3 Satz 1 AO 1977 verbleibe. Dabei sei auf das zu Beginn des Zinslaufs vorhandene Vorsoll abzustellen; anschließend eintretende Veränderungen der Zahlungen hätten bei der Bestimmung des Unterschiedsbetrags außer Betracht zu bleiben. Die Umsatzsteuerschuld des Streitjahrs sei auch nicht erst im Zeitpunkt der Optionsausübung entstanden, sondern rückwirkend mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung erbracht worden sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 233a AO 1977. Das FG habe zu Unrecht nicht die Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490 angewendet. Darüber hinaus stehe der Verzinsung entgegen, daß sich unter Berücksichtigung des letzten Vorsolls bei der Steuerfestsetzung kein Unterschiedsbetrag zu ihren Lasten ergeben habe. Einen Verfahrensmangel stelle dar, daß sich das FG mit dem von ihr gestellten Hilfsantrag, wegen der steuerpflichtigen Veräußerung der vorhandenen Betriebsvorrichtung die Zinsen auf 203 DM herabzusetzen, nicht befaßt habe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie den Zinsbescheid vom 25. November 1991 und die Einspruchsentscheidung vom 24. September 1992 aufzuheben, soweit die Zinsen nicht bereits erlassen wurden, hilfsweise, die Zinsen auf 203 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 4. April 1996 IV A 4 -S 0460a- 19/96 (BStBl I 1996, 371) sei das Urteil des I.Senats in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zu Unrecht ist das FG von einem Zinsanspruch des FA ausgegangen.
1. Führt die Festsetzung einer Steuer zu einer Steuernachforderung, ist diese gemäß § 233a Abs.1 Satz 1 AO 1977 nach Maßgabe der folgenden Absätze zu verzinsen.
Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs.2 Satz 1 AO 1977). Er endet mit der Fälligkeit der Steuernachforderung, spätestens 4 Jahre nach seinem Beginn (§ 233a Abs.2 Satz 3 AO 1977 in der für das Streitjahr 1989 geltenden Fassung). Maßgebend für die Zinsberechnung ist nach § 233a Abs.3 Satz 1 AO 1977 die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen (Unterschiedsbetrag).
Nach der Entscheidung des I.Senats des BFH in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490 bezieht sich der Ausdruck Steuernachforderung auf eine Steuerzahlungsschuld, der zumindest im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Eignung zukommt, noch fällig werden zu können. Der erkennende Senat hat sich dieser Entscheidung des I.Senats mit Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 44/94 (BFH/NV 1996, 658) angeschlossen (so auch der V.Senat im Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524; offengelassen im Urteil des X.Senats vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503). Der erkennende Senat hält --wie er in seinem Urteil ausgeführt hat-- die Einwände der Finanzverwaltung gegen die vorgenommene Auslegung des § 233a Abs.1 AO 1977 für nicht durchgreifend. Dies gilt auch für die Bedenken des FG im Hinblick auf die Absicht des Gesetzgebers, die Verzinsung nach dem Sollprinzip auszugestalten. Diese Absicht kommt in der Fassung des § 233a AO 1977 nicht in ausreichendem Maße zum Ausdruck. Der Senat verweist im übrigen auf die Ausführungen des I.Senats im Urteil in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490 unter 5.
2. Nach den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen erweist sich der Zinsbescheid des FA als rechtswidrig, weil eine Steuernachforderung gegenüber der Klägerin im Zeitpunkt der Festsetzung der Umsatzsteuer 1989 nicht mehr bestand.
Der nachträgliche Verzicht im Jahre 1991 auf die Steuerbefreiung der Grundstücksveräußerung war möglich. Er war im Streitjahr 1989 zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 23. August 1988 X R 14/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1967 bis 1973, § 15, Rechtsspruch 109; vgl. auch Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 9 Rdnr.38); die auf den Umsatz entfallende Umsatzsteuer entstand im Zeitpunkt der Grundstückslieferung im November 1989 (§ 13 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes 1980). Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer für das Streitjahr ist das Ende des Jahres 1989 (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 1996 V R 62/94, BFHE 181, 188). Da sich aufgrund der Steuererklärung vom 18. Juni 1991 gegenüber den Voranmeldungen für das Streitjahr --einschließlich der Voranmeldung vom 5. Juni 1991-- ein Überschuß zugunsten der Klägerin ergab, war für die Festsetzung der Umsatzsteuer die Zustimmung des FA erforderlich (§ 168 Sätze 1 und 2 AO 1977). Diese Zustimmung enthielt die mit dem Zinsbescheid verbundene Mitteilung für 1989 über Umsatzsteuer vom 25. November 1991. Mit ihrer Bekanntgabe wurde die Umsatzsteuer 1989 festgesetzt (BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 42/94, BFHE 179, 248). Wie sich aus der in ihr enthaltenen Abrechnung ergibt, war zum Stichtag 13. November 1991 --also vor Festsetzung der Umsatzsteuer 1989-- die abzurechnende Umsatzsteuer von 1 179 495 DM in Höhe von 1 180 647,49 DM bereits getilgt. Die Festsetzung führte mithin nicht zu einer Steuernachforderung i.S. des § 233a Abs.1 Satz 1 AO 1977.
Der Senat braucht bei dieser Rechtslage nicht zu entscheiden, ob der Bescheid über Nachzahlungszinsen gegen § 233a Abs.3 Satz 1 AO 1977 verstößt, weil die festgesetzten Vorauszahlungen die festgesetzte Steuer übersteigen.
Der Zinsanspruch ist in Höhe von 27 717 DM durch Erlaß erloschen (§ 47 AO 1977). Entsprechend dem Antrag der Klägerin war der Zinsbescheid des FA vom 25. November 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. September 1992 nur in Höhe von 11 087 DM aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 65907 |
BFH/NV 1997, 102 |
BFHE 181, 405 |
BFHE 1997, 405 |
BB 1997, 405-406 (LT) |
DB 1997, 660 (LT) |
DStRE 1997, 175-176 (LT) |
DStZ 1997, 424 (LT) |
HFR 1997, 290 (L) |
StE 1997, 131 (K) |