Entscheidungsstichwort (Thema)
Kontokorrentschuld: außergewöhnliche private Verwendung größeren Umfangs
Leitsatz (NV)
Begleicht eine Familien-KG private Handwerkerrechnungen eines Gesellschafters in Höhe von etwa 50 000 DM, so wird durch die Ausweitung des Kontokorrentkredits eine Privatschuld begründet (Anschluß an die BFH-Urteile vom 23. 6. 1983 IV R 192/80, BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725, vom 24. 5. 1984 IV R 221/83, BFHE 141, 316, BStBl II 1984, 706).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 12 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kommanditgesellschaft. Persönlich haftender Gesellschafter ist S, Kommanditist sein Sohn. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie unterhielt bei ihrer Hausbank ein Kontokorrentkonto, das bis zu einem bestimmten Kreditrahmen überzogen werden konnte.
S errichtete ein Einfamilienhaus. Er ließ zwei den Bau betreffende Handwerkerrechnungen über 1 009,13 DM (Ende 1973) und über 49 095,64 DM (Anfang 1974) von dem Kontokorrentkonto der Klägerin begleichen. Der bereits bestehende Minussaldo des Kontos erhöhte sich entsprechend, ohne daß der Kreditrahmen überschritten wurde. Die Klägerin verbuchte die Zahlungen als Privatentnahmen des S. Das Kontokorrentkonto wurde erst 1975 wieder auf seinen früheren Stand - vor Bezahlung der Handwerkerrechnungen - zurückgeführt.
Die Klägerin setzte in ihrer Erklärung zur einheitlichen Gewinnfeststellung für 1974 die gesamten Zinsen für die Kontokorrentschuld als Betriebsausgaben ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Klägerin zunächst vorläufig erklärungsgemäß, vertrat jedoch nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, daß die Zinsen, soweit sie durch die Begleichung der Handwerkerrechnungen verursacht worden seien, keine Betriebsausgaben seien. Die nichtabzugsfähigen Zinsen errechnete er mit 11,5 v. H. von ca. 50 000 DM = 5 750 DM und erhöhte in dem vorbehaltslosen Feststellungsbescheid vom 15. März 1977 den Gewinn um 5 750 DM. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung der § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 EStG und beruft sich insbesondere auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. November 1967 VI R 71/66 (BFHE 91, 37, BStBl II 1968, 177).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der IV. Senat des BFH hat nach Ergehen der Vorentscheidung eingehend zu der Frage Stellung genommen, wann passivierte Kredite (auch Kontokorrentkredite), deren Valuta ganz oder teilweise für private Zwecke verwandt worden ist, Betriebsschulden darstellen und demgemäß die für diese Schulden aufgewandten Zinsen Betriebsausgaben sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Er hat in dem Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 192/80 (BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725) für einen bilanzierenden Einzelunternehmer dargelegt, dieser könne über einen Kontokorrentkredit grundsätzlich auch Entnahmen zur Deckung des üblichen Lebensbedarfs finanzieren; der Kredit bleibe insgesamt Betriebsschuld, die Kreditzinsen seien insgesamt Betriebsausgaben; eine Ausnahme sei für Beträge zu machen, die eindeutig für eine außergewöhnliche private Verwendung größeren Umfangs gedacht seien, wie z. B. zur Finanzierung eines privaten Hausbaues. In dem Urteil vom 24. Mai 1984 IV R 221/83 (BFHE 141, 316, BStBl II 1984, 706) hat der IV. Senat weiterhin ausgeführt, daß diese Grundsätze sinngemäß zumindest dann auch auf die Gewinnermittlung von Personenhandelsgesellschaften anzuwenden seien, wenn die Gesellschafter unmittelbar oder mittelbar nur Eheleute oder andere Familienangehörige seien; die Tilgung selbst hoher Einkommensteuerschulden der Gesellschafter sei allerdings keine außergewöhnliche private Verwendung, die mit der Finanzierung eines privaten Hausbaues vergleichbar sei.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Soweit das FG selbst die außergewöhnliche private Verwendung betrieblicher Kreditmittel als Entnahme ansieht und eine Privatschuld verneint, kann ihm nicht gefolgt werden. An der Entscheidung in BFHE 91, 37, BStBl II 1968, 177 ist festzuhalten (siehe auch Urteil des Senats vom 18. November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, 531, BStBl II 1981, 510). Eindeutig private Vorgänge größeren Ausmaßes dürfen nicht durch formale Buchungsakte dem betrieblichen Bereich zugerechnet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob im Falle eines Kontokorrentkredits der Kreditrahmen noch innegehalten oder überschritten wird. Dem FG ist zuzugeben, daß sich aus dem zur Kreditgewinnabgabe ergangenen BFH-Urteil vom 23. September 1960 III 162/59 U (BFHE 71, 666, BStBl III 1960, 497) eine andere Betrachtung ergeben könnte. Der BFH hat hier einen Kontokorrentkredit auch insoweit als betrieblich angesehen, als mit ihm beispielsweise private Grundstückskäufe finanziert worden waren. Andererseits hat der III. Senat des BFH in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 24. August 1956 III 218/54 S (BFHE 63, 334, BStBl III 1956, 325) herausgestellt, daß keine Betriebsschuld gegeben sei, wenn einwandfrei festgestellt werden könne, daß ein Bankkredit für private Zwecke verwendet werden soll und die Valuta alsbald entsprechend verwandt werde. Diese Beurteilung ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch für Kontokorrentkredite geboten, soweit bei wirtschaftlicher Betrachtung eindeutig größerer privater Aufwand in die betriebliche Sphäre verlagert werden soll.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern das BFH-Urteil vom 10. Oktober 1975 VI R 19/75 (BFHE 117, 72, BStBl II 1976, 69) die Auffassung des FG stützen könnte. Der VI. Senat bejaht die Verfassungsmäßigkeit der Beseitigung des Schuldzinsenabzugs als Sonderausgaben ab 1974 und macht lediglich allgemeine Ausführungen dazu, daß Betriebsinhaber private Darlehen durch betriebliche Darlehen ersetzen könnten; dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Vorgang als Steuerumgehung gewertet werden könnte (BFHE 113, 72, 74; ähnlich Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 13. März 1979 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, 393, BStBl II 1979, 322).
2. Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang prüfen müssen, ob die Belastung des betrieblichen Girokontos der Klägerin, einer Familien-Personengesellschaft, mit den zwei Handwerkerrechnungen eine außergewöhnliche private Verwendung größeren Umfangs war. Eine solche Annahme dürfte für die Rechnung über 49 095,64 DM naheliegen, selbst wenn entsprechend dem Vorbringen der Klägerin vor dem FG die Handwerkerarbeiten erst nach der Fertigstellung des Einfamilienhauses ausgeführt worden sein sollten. Für die Rechnung über 1 009,13 DM würde Gleiches gelten, wenn die hierdurch abgegoltene Handwerkertätigkeit in einem Zusammenhang mit derjenigen aus der anderen Rechnung stünde. Hingegen ist die gelegentliche Abbuchung einer kleineren Handwerkerrechnung aus einem gesonderten Auftrag weder außergewöhnlich noch von größerem Umfang.
Sollte danach die Ausweitung des Kontokorrentkredits zu einer Privatschuld geführt haben, wären die hierauf entfallenden Kontokorrentzinsen nicht abzugsfähig. Allerdings kann nicht der Auffasung des FA gefolgt werden, die Privatschuld sei erst dadurch getilgt worden, daß der Kontokorrentkredit 1975 wieder auf die ursprüngliche Höhe zurückgeführt wurde. Dabei wird übersehen, daß eine Kreditausweitung aus privatem Anlaß aus betrieblichen Gründen beibehalten werden kann und mit den zwischenzeitlich erzielten Betriebseinnahmen auch die im Kontokorrentkredit enthaltene Privatschuld anteilig getilgt werden kann. Der IV. Senat hält eine Aufteilung nach der Zinszahlenstaffelmethode für zulässig und geeignet (BFHE 139, 50, 55, BStBl II 1983, 725). Es kommen jedoch auch andere Aufteilungsmethoden in Betracht, die zu einem zutreffenden Ergebnis führen.
Fundstellen
Haufe-Index 413734 |
BFH/NV 1985, 24 |