Entscheidungsstichwort (Thema)
Erweiterung des Prüfungszeitraums und vGA an beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer
Leitsatz (NV)
1. Für die Beurteilung der Frage, ob mit nicht unerheblichen Steuernachzahlungen zu rechnen ist (§ 4 Abs. 3 BpO(St), darf die Finanzbehörde von den tatsächlichen Feststellungen der geprüften Veranlagungszeiträume auf die tatsächlichen Verhältnisse früherer Zeiträume schließen, soweit ihr dazu nicht bereits Tatsachen aus anderen Quellen zugänglich sind.
2. Ein Gesellschafter beherrscht eine Kapitalgesellschaft, wenn er den Abschluß des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts erzwingen kann. Das ist der Fall, wenn der Gesellschafter auf Grund der ihm aus seiner Gesellschafterstellung fließenden Stimmrechte den entscheidenden Beschluß durchsetzen kann.
3. Eine Zusammenrechnung der Stimmen mehrerer Gesellschafter wegen Gleichrichtung der Interessen kommt bei mittelbarer Beteiligung eines Begünstigten an einer GmbH dann in Betracht, wenn der Begünstigte die vermittelnde GmbH beherrscht.
Normenkette
AO 1977 § 194 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 3; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2
Tatbestand
An der im Jahre 1975 gegründeten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Steuerberatungs-GmbH, waren der Steuerberater W zu 67 v. H. (ab 1. Februar 1979 zu 52 v. H.), die X-GmbH zu 33 v. H. und ab dem 1. Februar 1979 Frau B zu 15 v. H. beteiligt. Zu Geschäftsführern der Klägerin waren die Steuerberater W (ab 26. September 1975 alleinvertretungsberechtigt), H und M bestellt. H war zu 50 v. H. und W ab 1979 zu 20 v. H. an der X-GmbH beteiligt. Die von H als freier Mitarbeiter der Klägerin erbrachten beratenden Leistungen wurden in den vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahren - diese liefen vom 1. Februar bis 31. Januar des folgenden Jahres - 1977/1978 mit 60 000 DM, 1978/1979 und 1979/1980 mit jeweils 75 000 DM vergütet. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, daß die Beschlüsse der Klägerin mit Dreiviertelmehrheit zu treffen waren. Im Anstellungsvertrag vom 1. April 1975 war vorgesehen, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer W jährliche Tantiemen in Höhe von 10 v. H. des Gewinns abzüglich 50 000 DM erhielt. Nach dem Gesellschafter-Beschluß vom 10. Juli 1975 bedurften die Festsetzung des Tantiemebetrages und die Änderung der laufenden Bezüge des W der Zustimmung aller Gesellschafter. Hinsichtlich der Tantiemen ist in diesem Beschluß folgendes bestimmt:
,,Der Arbeitnehnmer erhält neben seinem monatlichen Gehalt eine einmal jährliche Tantieme, deren Höhe sich der Umsatzentwicklung und der Betriebsergebnisse anpassen soll. Maßgebend sind die Verhältnisse des Geschäftsjahres, für das die Tantieme gezahlt wird. Damit sind seine vorgebrachten Ansprüche auf Zahlung eines Weihnachts- und Urlaubsgeldes (13. und 14. Gehalt) abgegolten. Die Festsetzung des Tantiemebetrages bedarf der Zustimmung aller Gesellschafter. Eine Änderung der laufenden Gehaltsbezüge erfolgt nur aufgrund der Zustimmung aller Gesellschafter."
Bei der Klägerin wurde 1981 eine Außenprüfung für die Jahre 1978 bis 1980 durchgeführt. Dabei stellte der Prüfer fest, daß W seit 1975 neben seinem Gehalt und den im Anstellungsvertrag vereinbarten Tantiemen zusätzliche Tantiemen in Höhe von 47 000 DM (1978), 64 000 DM (1979) und 67 000 DM (1980) und zusätzliches Gehalt von 15 000 DM (1978) erhalten hatte. Diese Zahlungen, die jeweils erst kurz vor Abschluß des Wirtschaftsjahres, für das sie geleistet wurden, oder mit Rückwirkung nach Gesellschafterbeschluß vereinbart worden waren, wertete die Betriebsprüfung als verdeckte Gewinnausschüttungen. Da sich aufgrund der vom Prüfer angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen Steuernachzahlungen von mehr als 3 000 DM jährlich errechnen ließen und da feststand, daß auch in den Vorjahren Tantiemen unter gleichen Bedingungen gezahlt worden waren, erweiterte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Prüfungsanordnung vom 20. Juli 1981 den Prüfungszeitraum auf die Jahre 1976 und 1977. In dieser Prüfungsanordnung waren als zu prüfende Steuern einschließlich der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen genannt: Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, Einheitswert-Betriebsvermögen, Vermögensteuer, Gewerbesteuer, Feststellung der gemeinen Werte nichtnotierter Anteile und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977. Begründet wurde diese Erweiterung damit, daß auch in diesen Jahren Tantiemen an den Gesellschafter-Geschäftsführer W gezahlt wurden und nach dem Ergebnis der Prüfung im eingeschränkten Prüfungszeitraum auch im erweiterten Prüfungszeitraum mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen gerechnet werden könnte.
Gegen diese Prüfungsanordnung erhob die Klägerin nach erfolgloser Beschwerde Klage. Das Finanzgericht (FG) hob daraufhin die Prüfungsanordnung insoweit auf, als sie die Umsatzsteuer betraf, und wies die Klage im übrigen als unbegründet ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung der §§ 194, 196 der Abgabenordnung (AO 1977).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Prüfungsanordnung vom 20. Juli 1981 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung ist ermessens- und rechtsfehlerhaft. Die Prüfungsanordnung und das Urteil des FG, soweit es mit der Revision angefochten wurde, waren deshalb aufzuheben (§ 121 i. V. m. § 100, § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Klägerin unterliegt nach § 193 Abs. 1 AO 1977 der Außenprüfung, deren zeitlichen Umfang die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen bestimmt (§ 194 Abs. 1 Satz 2, § 196 AO 1977; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juli 1985 VIII R 48/85, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433). Das der Finanzbehörde zustehende Ermessen ist allerdings durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist im gerichtlichen Verfahren zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 IV R 109/86, BFHE 149, 101, BStBl II 1987, 361, m. w. N.).
Nach § 4 Abs. 2 BpO(St) - nunmehr § 4 Abs. 3 BpO(St) - vom 17. Dezember 1987 (BStBl I 1987, 802) soll bei anderen Betrieben als Großbetrieben die Prüfung nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume ausgedehnt werden, für die vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben wurden. Von diesem Grundsatz darf u. a. abgewichen werden, wenn mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen ist. Mit derartigen Mehrsteuern ist zu rechnen, wenn sie wahrscheinlich sind (BFH-Urteil vom 1. August 1984 I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350). Dies bedeutet, daß die Finanzbehörde von den tatsächlichen Feststellungen der geprüften Veranlagungszeiträume auf die tatsächlichen Verhältnisse früherer Zeiträume schließen darf, soweit ihr dazu nicht bereits Tatsachen aus anderen Quellen zugänglich sind (z. B. aus dem Handelsregister oder den Akten).
2. Davon ausgehend, konnten die Finanzbehörden im Streitfall nicht mit Steuernachforderungen aufgrund der von ihnen angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen der Klägerin an ihren Gesellschafter W rechnen.
Eine verdeckte Gewinnausschüttung i. S. des § 6 Abs. 2 Satz 2 KStG 1968 setzt u. a. voraus, daß Leistungen an Gesellschafter nicht aus betrieblichen Gründen, sondern mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis gewährt werden (BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 294/81, BFHE 141, 266, BStBl II 1984, 673).
a) Bei einem beherrschenden Gesellschafter ist eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis auch dann anzunehmen, wenn es an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung darüber fehlt, ob und in welcher Höhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll (BFH in BFHE 141, 266, BStBl II 1984, 673).
Die Finanzbehörden sind zwar zu Recht davon ausgegangen, daß der Gesellschafter W - wie bei der Außenprüfung für die Jahre 1978 bis 1980 festgestellt - ,,wahrscheinlich" seit 1975 zusätzliche Tantiemen und zusätzliches Gehalt erhielt, die nicht in seinem Angestelltenvertrag als Geschäftsführer vereinbart waren. Jedoch kann aus den Feststellungen der Außenprüfung und den sonst den Finanzbehörden bei ihrer Entscheidung bekannten Umständen nicht der Schluß gezogen werden, daß W auf die Klägerin in den Wirtschaftsjahren 1975/1976 und 1976/1977, auf die die Außenprüfung erweitert werden soll, beherrschenden Einfluß ausübte.
Ein Gesellschafter beherrscht eine Kapitalgesellschaft, wenn er den Abschluß des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts erzwingen kann. Das ist der Fall, wenn der Gesellschafter aufgrund der ihm aus seiner Gesellschafterstellung fließenden Stimmrechte den entscheidenden Beschluß durchsetzen kann (vgl. BFH-Urteile vom 8. Januar 1969 I R 91/66, BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347, und vom 21. Juli 1976 I R 223/74, BFHE 119, 453, BStBl II 1976, 734). Dabei können die Stimmrechte mehrerer Gesellschafter zusammengerechnet werden, wenn die Interessen dieser Gesellschafter für das zu beurteilende Rechtsgeschäft so gleichgerichtet sind, daß das Rechtsgeschäft als Ausdruck dieser gleichgerichteten Interessen anzusehen ist (BFH-Urteile vom 26. Juli 1978 I R 138/76, BFHE 125, 557, BStBl II 1978, 659, und vom 29. April 1987 I R 192/82, BFHE 150, 412, BStBl II 1987, 797).
aa) Allein hätte der Gesellschafter W die Gewährung zusätzlicher Tantiemen und zusätzlichen Gehalts nicht erzwingen können. Er war zwar im Zeitpunkt der mutmaßlichen Beschlußfassung über diese zusätzlichen Bezüge, d. h. jeweils etwa zur Jahreswende 1975/1976 und 1976/1977, mit 67 v. H. am Stammkapital der Klägerin (= 100 000 DM) und damit mit 67 v. H. der Stimmen (vgl. § 47 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) beteiligt. Jedoch sah der Gesellschaftsvertrag vor, daß die Beschlüsse der Klägerin mit Dreiviertelmehrheit zu treffen waren. Diese Mehrheit konnte W somit nicht allein erreichen (vgl. auch BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 VIII R 5/87, BFHE 151, 457, BStBl II 1989, 96). Für die Rechtsverhältnisse der Geschäftsführer und damit auch für die Gewährung zusätzlicher Tantiemen und zusätzlichen Gehalts ist aber die Gesellschafterversammlung der Klägerin im Wege der Annexkompetenz zu § 46 Nr. 5 GmbHG zuständig, da eine andere Regelung in der Satzung nicht festgestellt ist (Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 15. Aufl. 1988, § 46 Rdnr. 2).
bb) Der Gesellschafter W könnte somit nur dann als beherrschend anzusehen sein, wenn die Anteile der X-GmbH an der Klägerin mit seinen Anteilen wegen gleichgerichteter Interessen zusammenzurechnen wären. Denn W und die X-GmbH waren zum maßgeblichen Zeitpunkt die alleinigen Gesellschafter der Klägerin.
Dafür sind aber keine Tatsachen festgestellt. Nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt kommt vielmehr allein eine Gleichrichtung der Interessen zwischen W und der X-GmbH vermittels der Interessen des H in Betracht, der freier Mitarbeiter der Klägerin ist und 50 v. H. der Geschäftsanteile der X-GmbH hält.
Es kann dahinstehen, ob die Interessen des H mit denen des W gleichgerichtet sind, denn jener vermochte sie jedenfalls entsprechend den obigen Grundsätzen in der Gesellschafterversammlung der X-GmbH nicht durchzusetzen. Denn aus seiner Gesellschafterstellung bei der X-GmbH standen ihm kraft Gesetzes (§ 47 Abs. 2 GmbHG) lediglich die Hälfte der Stimmrechte zu. Damit konnte H keinen Beschluß der X-GmbH durchsetzen, in der Gesellschafterversammlung der Klägerin für eine Erhöhung der Geschäftsführerbezüge des W zu stimmen. Denn bei Stimmengleichheit in der Gesellschafterversammlung gilt ein Antrag als abgelehnt (Baumbach/Hueck, a. a. O., § 47 Rdnr. 14). Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der oder die weiteren Gesellschafter der X-GmbH mit H und W zusammen gleichgerichtete Interessen verfolgten. Es ist nicht einmal festgestellt, wer im Zeitpunkt der wahrscheinlichen Beschlußfassung der Klägerin über die dem W zusätzlich gewährten Bezüge Gesellschafter der X-GmbH war.
Ohne Einfluß bleibt es, daß W ab 1979 und damit zu einem späteren Zeitpunkt zu 20 v. H. an der X-GmbH beteiligt war.
b) Darüber hinaus haben die Finanzbehörden keine Tatsachen festgestellt, aus denen zu schließen wäre, daß die zusätzlichen Bezüge des W nicht betrieblich, sondern durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt sind. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der BFH seit dem Urteil vom 16. März 1967 I 261/63 (BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626) die Veranlassung einer Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.
Dafür ergeben sich nach den tatsächlichen Feststellungen der Finanzbehörden keine Anhaltspunkte. Insbesondere haben sie nicht festgestellt, daß die zusätzlichen Bezüge des W unangemessen gewesen wären, wobei die obere Grenze im Einzelfall durch Schätzung zu ermitteln gewesen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1989 I R 89/85, BFHE 157, 408, BStBl II 1989, 854). Dies war im Streitfall Sache der Finanzbehörden, weil sich darauf die Ermessensentscheidung gründen kann, den Prüfungszeitraum zu erweitern.
Fundstellen
Haufe-Index 416827 |
BFH/NV 1990, 455 |