Entscheidungsstichwort (Thema)

Nacherhebung von GrESt gemäß § 3 GrEStWoBauG NW

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Nichtanwendung des § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG NW kann darauf abzustellen sein, ob nach den vertraglichen Vereinbarungen der Erwerber die Auflassung erst bei Bezugsfertigkeit und nach Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen aus dem Kaufvertrag und einem Baubetreuungsvertrag verlangen konnte.

2. Die Nacherhebung der GrESt gemäß § 3 GrEStWoBauG NW ist verfahrensmäßig ein gesonderter Steuerfall.

3. Zur Verjährung des GrESt-Anspruchs (Nacherhebung).

4. Die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung auf Grund vorläufiger Prüfung des Freistellungsbegehrens berührt nicht die Verpflichtung des FA, die endgültige Prüfung im Nacherhebungsverfahren vorzunehmen (betr. Einwand der Verwirkung).

 

Normenkette

GrEStG NW § 16a; GrEStG NW § 19 Abs. 3; GrEStWoBauG NW § 1 Nr. 4, § 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klin. ist alleinige Rechtsnachfolgerin ihres im Jahre 1976 verstorbenen Ehemannes. Dieser hat am 1. Juli 1970 mit S einen notariell beurkundeten Kaufvertrag abgeschlossen, nach dessen Inhalt S an ihn ein Trenngrundstück im Ausmaß von ca. . . . qm ,,nebst ein zu errichtendes Gebäude mit . . . WE, welches im Bau (Ausschachtung) befindlich ist" verkaufte. Für den Grund und Boden wurde ein Quadratmeterpreis von . . . DM vereinbart. In Anrechnung auf den Kaufpreis und zur weiteren Finanzierung übernahm der Käufer ein erststelliges Hypothekendarlehen in Höhe von . . . DM und ein zweistelliges Bausparkassendarlehen in Höhe von . . . DM. In § 8 des Vertrages ist ausgeführt, mit dem Käufer (Ehemann der Klin.) sei am gleichen Tag ein Betreuungsvertrag abgeschlossen worden. Anschließend garantierte S dem Ehemann die Anmietung der in dem Bauvorhaben zu erstellenden Wohnungen durch die X (Mietpreis . . . DM /qm). Im Kaufvertrag wurde weiter vereinbart, der Ehemann trage die Kosten einschließlich der GrESt. Er beantragte im Kaufvertrag Befreiung von der GrESt nach § 1 Nr. 4 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG NW).

Nach Abgabe eines förmlichen Antrags auf GrESt-Befreiung durch den Ehemann erteilte das FA am 3. August 1970 die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Das Gebäude wurde Ende Juni 1971 bezugsfertig. Aufgrund Auflassung vom 8. September 1971 wurde der Ehemann der Klin. am 26. Februar 1973 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.

Im Jahre 1977 stellte die Steuerfahndungsstelle Ermittlungen darüber an, wem die Errichtung des Wohnblocks zuzurechnen sei. Dabei stieß sie auch auf den im Kaufvertrag erwähnten Betreuungsvertrag. Nach dessen Inhalt wurde S mit der Erstellung des Bauvorhabens nach bekannten Plänen und bekannter Baubeschreibung beauftragt. Die den Grundstückskaufpreis beinhaltenden Gesamtherstellungskosten wurden mit . . . DM vereinbart. Die Steuerfahndung stellte weiter fest, daß die ursprünglich einem Dritten am 23. September 1969 erteilte Baugenehmigung am 27. Januar 1970 dem S erteilt worden war sowie daß der Rohbau am 2. Dezember 1970 abgenommen wurde und der Schlußabnahmeschein ebenfalls S erteilt worden war (Schlußabnahme 3. August 1971). Außerdem stellte die Steuerfahndung fest, daß S das Gebäude vermietet und die von ihm für die Zeit vom 23. bis 30. Juni 1971 erhaltenen Mieten nicht an den Ehemann der Klin. abgeführt hatte. Die Steuerfahndungsstelle vertrat die Ansicht, S sei Bauherr des Gebäudes geblieben, weshalb die GrESt gegen den Ehemann der Klin. festzusetzen sei. Die Besteuerungsgrundlage errechnete die Steuerfahndungsstelle auf . . . DM, nämlich . . . DM zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von . . . DM und Darlehensgebühren in Höhe von . . .. DM.

Das FA schloß sich der Rechtsauffassung der Steuerfahndung an und setzte durch Bescheid vom 15. Dezember 1977 gegen die Klin. als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes eine GrESt in Höhe von . . . DM fest. Gleichzeitig hat es auch gegen S die Steuer festgesetzt. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Mit der Klage hat die Klin. die Aufhebung des GrESt-Bescheides begehrt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, daß die Steuer - ihre Entstehung unterstellt - im Zeitpunkt ihrer Festsetzung verjährt gewesen sei. Dem FA sei aufgrund des Inhalts des Kaufvertrages bekannt gewesen, daß gleichzeitig ein Betreuungsvertrag abgeschlossen worden sei. Ihr Ehemann habe auch dem FA gegenüber erklärt, er habe das Grundstück in unbebautem Zustand erworben und als Bauherr den S mit der Errichtung des Bauvorhabens beauftragt. Das FA verkenne den Inhalt seiner Ermittlungspflicht, wenn es meine, es könne sich darauf beschränken, die Frage nach der Steuerbefreiung nur anhand der vom Erwerber eingereichten Unterlagen zu prüfen. Wenn die Steuer nicht verjährt sei, so sei doch das FA an ihrer Geltendmachung deshalb gehindert, weil es die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt habe, die einem Freistellungsbescheid gleichstehen müsse. Außerdem verstoße das FA mit der Geltendmachung des Steueranspruchs gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, denn nach den im Jahre 1973 herrschenden Rechtsvorstellungen habe der Ehemann der Klin. die Voraussetzungen eines Bauherrn erfüllt. Schließlich hat die Klin. vorgetragen, der Steueranspruch sei verwirkt, denn ein Grundstückserwerber könne aus dem über sieben Jahre andauernden Schweigen des FA nur entnehmen, daß seinem Befreiungsantrag endgültig stattgegeben worden sei.

Das FG hat die Steuer auf . . . DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Herabsetzung der Steuer beruhte darauf, daß sich bei der Vermessung ein Mindermaß des Grundstücks ergeben hätte.

Mit der Revision verfolgt die Klin. ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klin. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Zutreffend hat das FG dahin erkannt, daß dem Ehemann der Klin. die begehrte GrESt-Befreiung aus § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG NW nicht zustand, weil er nicht das Gebäude bezugsfertig errichtet hat. Dabei hat es richtigerweise darauf abgestellt, daß der Ehemann der Klin. nach den vertraglichen Vereinbarungen mit S die Auflassung erst bei Bezugsfertigkeit des Bauvorhabens und nach Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen aus Kauf- und Betreuungsvertrag verlangen konnte. Die Vertragsparteien haben damit eindeutig zu erkennen gegeben, daß der Eigentumsverschaffungsanspruch des Erwerbers sich auf ein Grundstück mit fertiggestelltem Gebäude bezog. Dies wird mit der Revision auch nicht mehr angegriffen.

2. Weiter ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß der Steueranspruch im Zeitpunkt seiner Geltendmachung nicht verjährt war. Der Grundstückserwerb durch den Ehemann der Klin. war zunächst gemäß § 1 Nr. 1 bzw. Nr. 4 GrEStWoBauG NW materiell vorläufig steuerfrei. Er hatte erklärt, daß er ein unbebautes Grundstück zum Zwecke der Bebauung durch ihn erworben habe. Die Steuerpflicht war erst nachträglich gemäß § 3 GrEStWoBauG NW im Jahre 1971 entstanden, denn mit der bezugsfertigen Erstellung des Gebäudes durch S im Jahre 1971 mußte er zwangsläufig seine erklärte Absicht, das Gebäude selbst zu errichten oder fertigzustellen, aufgeben. Wenn der Ehemann der Klin. nach dem jetzt bekannten Sachverhalt schon bei Vertragsabschluß nicht die Absicht hatte, den begünstigten Zweck selbst zu verwirklichen, so ist das unbeachtlich. Denn die Nacherhebung der Steuer gemäß § 3 GrEStWoBauG NW ist verfahrensmäßig ein gesonderter Steuerfall. Die verfahrensmäßige Trennung ist darin begründet, daß die Entscheidung des FA über einen beim Grundstückserwerb gestellten Steuerbefreiungsantrag regelmäßig anhand vorläufiger Kenntnisse über einen erst künftig zu verwirklichenden Sachverhalt getroffen werden muß; diese Entscheidung ist daher nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes materiell vorläufig und konnte in dieser vorläufigen Eigenschaft nicht durch spätere Erkenntnisse unrichtig werden. Denn die endgültige Prüfung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nach der Sachverhaltsverwirklichung im sog. Nacherhebungsverfahren getroffen werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 11. Juli 1985 II R 106/82, BFHE 144, 169, 172, BStBl II 1985, 593 m. w. N.). In diesem Nacherhebungsverfahren oblag es dem Ehemann der Klin., das FA unter Vorlage des Betreuungsvertrages mit S gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG NW) darüber zu unterrichten, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 4 GrEStWoBauG NW erfüllt war. Über das Bestehen dieser Verpflichtung war er ausweislich des von ihm gestellten förmlichen Befreiungsantrags informiert. Da der Ehemann der Klin. dieser Verpflichtung nicht nachkam, konnte die Verjährung gemäß § 16 a Satz 2 GrEStG NW nicht vor Ablauf des Jahres 1976 beginnen, nämlich fünf Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden war.

Zu Unrecht unterscheidet die Revision zwischen einer ,,ursprünglichen Steuer" und einer ,,Nachsteuer". Die Steuer ist materiell identisch, denn die Steuer entstand im Hinblick darauf, daß der Erwerbsvorgang (zunächst) materiell vorläufig von der Besteuerung ausgenommen war, erstmalig in dem Zeitpunkt, in dem der Ehemann der Klin. seine erklärte Absicht, das Gebäude selbst zu errichten oder fertigzustellen, zwangsläufig aufgeben mußte (vgl. dazu bereits Senats-Urteil vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416).

3. Der Einwand der Verwirkung, den die Klin. erhebt, greift, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht durch. Aus den Ausführungen unter 2. ergibt sich, daß die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung aufgrund vorläufiger Prüfung des Freistellungsbegehrens die Verpflichtung des FA, die endgültige Prüfung im Nacherhebungsverfahren vorzunehmen, nicht berührt. Das würde selbst dann gelten, wenn das FA einen schriftlichen Freistellungsbescheid unter Nachversteuerungsvorbehalt erteilt hätte (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Februar 1985 II R 74/82, BFHE 143, 163, BStBl II 1985, 374). Im übrigen beruht die von der Klin. gerügte Untätigkeit des FA gerade darauf, daß ihr Ehemann seiner - zeitlich vorrangigen - Verpflichtung zur Erstattung der Anzeige nicht nachgekommen war, so daß für das FA keine Verpflichtung zum Handeln bestand.

4. In dem Umstand, daß die Klin. als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes für die GrESt in Anspruch genommen wurde, hat das FG zutreffend keinen Ermessensverstoß gesehen. Denn ausweislich des Inhalts der Kaufvertragsurkunde hatte sich dieser im Innenverhältnis zur Tragung der Steuer verpflichtet.

5. Die angefochtene Entscheidung ist aber deshalb aufzuheben, weil die vom FG getroffenen Feststellungen seine Entscheidung über die Höhe der Steuer nicht tragen. Das FG hat lediglich festgestellt, die Steuerfahndungsstelle habe ermittelt, daß der verstorbene Ehemann der Klin. außer dem Festpreis Finanzierungskosten und Darlehensgebühren getragen habe. Welche Vereinbarungen diesbezüglich getroffen sind, hat das FG nicht festgestellt. Die Sache ist deshalb nicht spruchreif.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414945

BFH/NV 1988, 327

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