Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise (Kur) können als außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig sein, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint. Zum Nachweis dieser Voraussetzungen ist es regelmäßig erforderlich, daß der Steuerpflichtige ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis vorlegt und sich am Zielort unter ärztlicher Kontrolle stehenden Kurmaßnahmen unterzieht.
Normenkette
EStG 1971 § 33
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) leidet seit Jahren an einer Hautkrankheit, die strenge Diät und eine dauernde Behandlung mit Fettsalben und Salzbädern erfordert und seine Erwerbsfähigkeit erheblich mindert. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte deswegen bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1973 u. a. den Freibetrag für Körperbehinderte in Höhe von 960 DM (§ 33 a Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes 1971 - EStG - i. V. m. § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1971 - EStDV -). Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA die Einkommensteuerschuld 1973 auf 4 084 DM.
Mit der Klage begehrte der Kläger erstmals neben weiteren Krankheitskosten, den auf ihn und seine Ehefrau entfallenden Anteil an den Kosten einer zweiwöchigen Pauschalflugreise nach Ibiza in Höhe von 1 584 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Diese von einem Reisebüro veranstaltete Reise hatte der Kläger im Juni 1973 zusammen mit seiner Familie unternommen. Nach einer amtsärztlichen Bescheinigung vom 2. September 1975 lagen beim Kläger infolge seiner Krankheit eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit und seit Jahren eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v. H. vor. Weiter bescheinigte der Amtsarzt die Notwendigkeit einer Heilkur in Ibiza unter Begleitung der Ehefrau.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) anerkannte die dem Kläger und seiner Ehefrau entstandenen Aufwendungen für die Flugreise nach Ibiza - abzüglich eines angemessenen Betrages für Haushaltsersparnis - als Krankheitskosten. Es führte aus, eine ärztliche Überwachung am Kurort sei im Streitfall entbehrlich gewesen, weil zur Behandlung der Krankheit eine Klimakur genügt habe. Die Reise nach Ibiza habe keine übliche Erholungsreise ersetzt, da der Kläger im Streitjahr mehrere Reisen in die Niederlande unternommen habe. Das FG lehnte es unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ab, neben der Steuerermäßigung gemäß § 33 EStG den Freibetrag nach § 65 EStDV zu gewähren (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1966 VI 313/64, BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457, und vom 28. Februar 1968 VI R 192/67, BFHE 92, 3, BStBl II 1968, 437).
Das FA rügt mit der Revision, die Vorentscheidung weiche von dem BFH-Urteil vom 10. März 1972 VI R 256/69 (BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534) ab. Dort sei entschieden, daß eine zur Behandlung einer Krankheit ärztlich empfohlene Reise, die sich in ihrem Ablauf nicht von einer Erholungsreise unterscheide, dann nicht zu einer außergewöhnlichen Belastung führe, wenn es an einer ärztlichen Betreuung am Zielort fehle.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Berücksichtigung des Freibetrages wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v. H. die Einkommensteuer 1973 auf 4 054 DM festzusetzen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur teilweisen Abweisung der Klage. Die Aufwendungen des Klägers anläßlich der Reise nach Ibiza sind keine außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen. Diese Voraussetzung fehlt bei Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen (BFH-Urteil vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78).
Zu den hiernach zu berücksichtigenden krankheitskosten können auch die Aufwendungen für eine Reise gehören, die der Heilung oder Besserung einer Krankheit dient. Nach der Rechtsprechung führt jedoch nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Kurreise zu einer außergewöhnlichen Belastung i. S. des § 33 EStG (BFH-Urteile vom 26. Juli 1957 VI 155/55 U, BFHE 65, 298, BStBl III 1957, 347; vom 11. Dezember 1964 VI 228/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 356 - HFR 1965, 356 -). Es ist vielmehr erforderlich, daß die der Behandlung einer Krankheit dienende Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (HFR 1965, 356 mit weiteren Hinweisen). An den Nachweis dieser Voraussetzungen werden nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (HFR 1965, 356) wegen der im allgemeinen schwierigen Abgrenzung solcher Reisen von ebenfalls der Gesundheit und der Erhaltung der Arbeitskraft dienenden Erholungsreisen strenge Anforderungen gestellt. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausdrücklich gebilligt (Beschluß vom 10. Juli 1970 1 BvR 434/70, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 281).
Die Beurteilung, ob die Aufwendungen einer der Behandlung einer Krankheit dienenden Reise außergewöhnlich und zwangsläufig sind, hängt von dem Gesamtcharakter der Reise ab. Zum Nachweis der Notwendigkeit einer sog. Kurreise wird von der Rechtsprechung grundsätzlich die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten amtsärztlichen Zeugnisses für erforderlich gehalten (BFHE 65, 298, BStBl III 1957, 347), aus dem sich die Notwendigkeit und Dauer der Reise sowie das Reiseziel ergeben. Insbesondere bei Vorliegen eines bereits vor Antritt der Reise ausgestellten amtsärztlichen oder vertrauensärztlichen Zeugnisses kann im allgemeinen ohne weitere Nachprüfungen davon ausgegangen werden, daß die Kur aus medizinischen Gründen erforderlich und der Charakter einer üblichen Erholungsreise ausgeschlossen ist. Sollte das zuständige Gesundheitsamt aus rechtlichen Gründen (z. B. mangels Zuständigkeit) die Ausstellung eines derartigen Attestes ablehnen, so bleibt es dem Betroffenen unbenommen, seine Kurbedürftigkeit vor Antritt der Kur im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 485 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) feststellen zu lassen. Einer solchen Feststellung bedarf es auch in anderen Verfahren. So wird z. B. im Krankenversicherungs- und Beihilferecht für die Erstattung oder Bezuschussung von Aufwendungen sog. Kurreisen regelmäßig die Vorlage eines vor Beginn der Kur erstatteten amtsärztlichen oder vertrauensärztlichen Gutachtens vorausgesetzt (vgl. z. B. Nr. 7 der Beihilfevorschriften i. d. F. vom 1. Februar 1979, Gemeinsames Ministerialblatt 1979 S. 67). Eine Ausnahme von dieser Art des Nachweises hat der Senat nur in Einzelfällen zugelassen, wenn sich die Notwendigkeit der Reise z. B. durch die Vorlage anderer amtlicher Unterlagen - bei Versicherungspflichtigen z. B. aus der Bescheinigung der Versicherungsanstalt - oder aufgrund anderer Bescheinigungen offensichtlich ergab.
Bei der Abgrenzung steuerlich berücksichtigungsfähiger Aufwendungen für Kurreisen von den Aufwendungen für übliche Erholungsreisen hat der BFH ferner für wesentlich angesehen, daß der Steuerpflichtige am Kurort ärztlich überwacht wird. So hat der Senat in dem Urteil in BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534 in Fortsetzung seiner Rechtsprechung ausgeführt, eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise führe - von Sonderfällen schwerer Erkrankung abgesehen - nur dann zu einer zwangsläufigen außergewöhnlichen Belastung, wenn sich der Steuerpflichtige am Zielort unter ärztlicher Kontrolle stehenden Kurmaßnahmen unterziehe. Insoweit hat die Rechtsprechung allerdings schon bisher anerkannt, daß die Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienenden Reise auch ohne ärztliche Überwachung am Zielort unter besonderen Umständen als außergewöhnlich und zwangsläufig i. S. von § 33 EStG anzuerkennen sein können (BFH-Urteil vom 29. Juli 1960 VI 249/58, HFR 1962, 76). Solche Sonderfälle dürften aber äußerst selten sein. Deren Annahme wird insbesondere dann auszuscheiden haben, wenn es sich um eine Reise handelt, wie sie von Reisebüros allgemein für Erholungssuchende veranstaltet wird (BFHE 105, 127, 129, BStBl II 1972, 534).
2. Nach diesen Grundsätzen sind die dem Kläger entstandenen Aufwendungen für die Reise nach Ibiza entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht gemäß § 33 EStG berücksichtigungsfähig. Das erst zwei Jahre nach der Reise erstellte amtsärztliche Gutachten ist kein ausreichender Nachweis für die Notwendigkeit der Kur. Besondere Umstände, die im Streitfall ausnahmsweise den Verzicht auf die Vorlage eines vor der Kur erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Zeugnisses rechtfertigen könnten, sind weder vom FG festgestellt noch aus den Umständen ersichtlich. Es kommt hinzu, daß sich der Kläger auf Ibiza unter ärztlicher Kontrolle stehenden Kuranwendungen nicht unterzogen hat. Schließlich sprechen im Streitfall der äußere Ablauf der Reise, deren Veranstaltung als Pauschalreise durch ein Reisebüro, der nur zweiwöchige Aufenthalt am Kurort sowie die Mitnahme der gesamten Familie gegen eine Anerkennung der geltend gemachten Reisekosten als außergewöhnliche Belastung. Der Senat kann dem FG auch nicht darin zustimmen, daß die Reise nach Ibiza deshalb keine Erholungsreise im üblichen Sinn sei, weil der Kläger im Streitjahr noch weitere Reisen unternommen habe. Der BFH hat bereits in BFHE 105, 127, 130, BStBl II 1972, 534 dem Umstand, daß ein Steuerpflichtiger neben der sog. Kurreise in demselben Jahr noch mehrere Erholungsreisen unternommen hat, keine entscheidende Bedeutung beigemessen.
Fundstellen
Haufe-Index 73464 |
BStBl II 1980, 295 |
BFHE 1980, 54 |