Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer, Sozialversicherungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Einheitswertfeststellung des der freien Berufstätigkeit dienenden Vermögens eines Arztes (Betriebsvermögen) sind auch solche Forderungen an eine kassenärztliche Vereinigung auszuweisen, die aus der Behandlung von Kassenpatienten des IV. Jahresquartals herrühren, gleichgültig, ob die jeweilige Einzelbehandlung am 31. Dezember abgeschlossen war oder nicht.

 

Normenkette

BewG § 54 Abs. 1, § 95/1, § 55/1, § 96/1; RVO § 368

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Anspruch des Bg. gegen die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) seinem Betriebsvermögen (seinem der freien Berufstätigkeit dienenden Vermögen) als Forderung hinzuzurechnen ist.

Der Bg. ist praktischer Arzt mit Kassenpraxis und insoweit Mitglied der KVN, Körperschaft des öffentlichen Rechts. Seiner Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1957 fügte er einen schriftlichen Vermerk bei, er sehe die im Jahre 1957 erhaltene Restzahlung der KVN für das IV. Vierteljahr 1956 nicht als Vermögensbestandteil zum 1. Januar 1957 an. Das Finanzamt rechnete jedoch diesen Betrag als betriebliche Forderung zum Umlaufvermögen und stellte auf den 1. Januar 1957 einen entsprechenden Einheitswert fest. Der Bg. begehrte, diesen Betrag für den Stichtag 1. Januar 1957 außer acht zu lassen. Er führte aus, die ärzte reichten die Krankenscheine nach Abschluß eines Vierteljahres bis zum 5. des folgenden Monats an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ein. Da die Unterlagen dann erst geprüft würden, sei zum Bilanzstichtag keine ansetzbare Forderung vorhanden. Auch wenn man die Einreichung der Behandlungsscheine zum 5. Januar 1967 an die KV der Erteilung einer Liquidation gleichsetze, wäre die konkrete Forderung erst nach dem Stichtag begründet worden.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung hob das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung auf und änderte den Einheitswertbescheid vom 6. September 1958 dahin ab, daß der Einheitswert des Betriebsvermögens nach dem Stand vom 1. Januar 1957 ohne den obigen Betrag festgestellt wurde.

Nach den Urteilsgründen des Finanzgerichts habe am Stichtag keine bewertungsfähige Forderung gegen die KVN bestanden. Gegen die Kassenpatienten habe der Arzt im Gegensatz gegenüber den Privatpatienten keine Ansprüche aus Dienstvertrag. Nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO), denen die KVN unterworfen sei, entrichteten die Krankenkassen und ihre Verbände für die gesamte kassenärztliche Versorgung (Hinweis auf §§ 368 ff. RVO) mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die KV. Nach § 368 f RVO sei diese verpflichtet, die Gesamtvergütung nach einem Verteilungsmaßstab unter die Kassenärzte zu verteilen. Bei der Verteilung seien Art und Umfang der Leistung des Kassenarztes, nicht nur die Zahl der Behandlungsfälle (Kassenscheine) maßgebend. Die Höhe der Gesamtvergütung bestimme sich nach der jeweiligen Zahl der Versicherten und nach dem durchschnittlichen Jahresbedarf eines Versicherten an kassenärztlichen Leistungen (Kopfpauschale).

Die KVN sei allein berechtigt, den Honoraranspruch geltend zu machen. Die Vertragspartner der KVN seien mit Zahlung an diese befreit. Der Arzt könne seinen Honoraranspruch nur gegen die KV geltend machen. Der von dieser beschlossene Verteilungsmaßstab und die Prüfungsordnung seien für die Kassenärzte verbindlich. Infolgedessen richteten sich die Ansprüche des Bg. ausschließlich gegen die KVN. Wenn auch der Bg. bereits mit Entgegennahme des Krankenscheins und Behandlungsbeginn in mitgliedschaftsrechtlichen Beziehungen zur KVN gestanden habe, die durch Abschlagszahlungen auf die spätere Vergütung bestätigt worden seien, so sei doch das Entstehen der Forderung von der Einreichung der Kassenscheine mit Leistungsaufstellung zur Abrechnung, von der Prüfung der Leistung des Bg. und der übrigen Kassenärzte, von der Ermittlung der Gesamtvergütung und von der Anerkennung des auf den Bg. entfallenden Betrages abhängig gewesen. Erst nach Anerkennung und Festsetzung der Honorarhöhe habe die Forderung geltend gemacht werden können. Da bis zum Stichtag der Bg. nur die Kassenscheine entgegengenommen und mit seinen ärztlichen Leistungen begonnen habe, die wesentlichen Umstände für die Entstehung der Honorierungsforderung in Höhe des später ausgezahlten Betrages sich aber erst danach vollzogen hätten, sei am 1. Januar 1957 gemäß §§ 8, 4 BewG eine bewertungsfähige Forderung nicht vorhanden gewesen. Auch nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise seien Entstehung und Höhe der Forderung von Voraussetzungen abhängig gewesen, auf die der Bg. keinen ausschlaggebenden Einfluß gehabt habe, sondern die allein von der KVN bestimmt worden seien. Die Prüfung der KVN komme gewissermaßen einer Leistungsabnahme gleich.

Der Vorsteher des Finanzamts legte wegen unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts Rb. ein und führte dazu aus: Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts bezweckten die Vorgänge bei der KV nach Vorlage der Kassenscheine lediglich, den Honoraranspruch des Arztes geltend zu machen und der Höhe nach zu bestimmen, nicht aber, ihn zur Entstehung kommen zu lassen; dafür spreche insbesondere § 368 f Abs. 1 RVO. Inhalt der am 1. Januar 1957 bereits entstandenen Forderung sei eine dem bindend festgesetzten Verteilungsschlüssel entsprechende Zuweisung aus der von der Krankenkasse gezahlten Gesamtvergütung, auch wenn sich der Wert der Forderung noch nicht genau habe ermitteln lassen. Der Zeitpunkt der Zahlung sei nicht ausschlaggebend. Dies sei besonders deutlich in Fällen, in denen die Behandlung des Patienten vor dem 31. Dezember abgeschlossen gewesen sei. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 93/58 U vom 24. März 1960 (BStBl 1960 III S. 268, Slg. Bd. 71 S. 53) müsse ein selbständiger Arzt, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittele, in der Jahresschlußbilanz auch die ausstehenden Forderungen ausweisen. Dies gelte auch für solche Forderungen, die aus der Behandlung von Kassenpatienten des IV. Jahresquartals herrührten, wobei die Höhe der Außenstände gegebenenfalls zu schätzen sei.

Diese Grundsätze seien beim bewertungsrechtlichen Ansatz der Forderung als Betriebsvermögen anzuwenden. Für die beiderseitigen Abschlagszahlungen (Krankenkassen an KV, KV an Kassenärzte) wäre andernfalls kein Rechtsgrund vorhanden, sie wären sonst Schulden des Arztes am Stichtag. Diese Folgerung ziehe jedoch auch der Bg. nicht.

Von einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung auf einen unbestimmten Zeitpunkt könne also beim Honoraranspruch keine Rede sein. Der dem Grunde nach bestehende Forderungsanspruch gehöre zum Betriebsvermögen. über die Höhe des Wertansatzes bestehe kein Streit.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 55 Abs. 1 in Verbindung mit § 54 Abs. 1 BewG gehören alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die der Ausübung eines freien Berufes als Hauptzweck dient, soweit die Wirtschaftsgüter dem Inhaber gehören, zum Betriebsvermögen. Honorarforderungen eines Arztes, die am Bewertungsstichtag bereits entstanden sind, rechnen als solche zu dessen Betriebsvermögen. Wie der erkennende Senat im Urteil III 208/61 U vom 13. März 1964 (BStBl 1964 III S. 297, Slg. Bd. 79 S. 179) im Anschluß an das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 226/58 S vom 28. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 291, Slg. Bd. 71 S. 111) ausgeführt hat, ist für das Entstehen eines Honoraranspruchs steuerlich allein der Zeitpunkt entscheidend, in dem der freiberuflich Tätige die von ihm zu erbringende Leistung vollendet hat. Weder der Rechnungstellung noch der Abnahme durch den Auftraggeber kommt für das Entstehen des Honoraranspruches eine Bedeutung zu. Mit dieser Auffassung sind die Ausführungen des Finanzgerichts, Prüfung und Anerkenntnis der KVN kämen einer Leistungsabnahme gleich und seien daher für die spätere Entstehung der Forderung von entscheidender Bedeutung, hinfällig. Damit entfällt auch die Ausführung des Bg. als rechtlich bedeutungslos, die Einreichung der Kassenscheine entspreche der Rechnungserteilung und sei daher für die Forderungsentstehung maßgeblich.

Es ist davon auszugehen, daß grundsätzlich ein Arzt seine Leistung mit der Heilbehandlung erfüllt und damit seinen Honoraranspruch erworben hat. Zu diesem Zeitpunkt ist der Honoraranspruch als betriebliche (berufliche) Forderung entstanden und infolgedessen auf den nächsten Stichtag bei der Einheitswertfeststellung des der Arztpraxis dienenden Vermögens anzusetzen. Die Bewertung ist unabhängig davon, ob der Gewinn aus freier Berufstätigkeit nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 EStG ermittelt wird.

Aus den Bestimmungen der RVO (§§ 368 f ff.) über die Gesamtvergütung der Krankenkassen an die KV für die gesamte kassenärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung sowie aus der auf die RVO abgestimmten Satzung der KVN und deren Honorarverteilungsmaßstab läßt sich nicht herleiten, den Anspruch auf die Honorarverteilung an die KVN bewertungsrechtlich anders als einen sonstigen ärztlichen Honoraranspruch zu behandeln. Die Geltendmachung des Honoraranspruchs gegenüber der KVN für ärztliche Leistungen an Kassenpatienten und die Verrechnung über diese ändert nichts daran, daß es sich um die Bezahlung ärztlicher Leistungen handelt, wie sich schon aus der Gliederung der ärztlichen Leistungen bei den Pauschalkassen zwecks Durchführung der Honorarverteilung (Hinweis auf den Honorarverteilungsmaßstab Niedersachsen ab 1. Januar 1953, Sonderdruck aus dem "Niedersächsischen ärzteblatt" Nr. 6 vom 1. Juni 1953) ergibt. Der Anspruch des Kassenarztes, hier des Bg., an die KVN ist mit dem Ablauf jedes Kalendervierteljahres entstanden. Denn für jedes Kalendervierteljahr ist innerhalb einer kurzen Frist vom Arzt für den einzelnen Patienten eine Rechnungskarte mit Krankenschein oder Bestätigung der Krankenkasse einzureichen, worauf die KV entsprechend dem Honorarverteilungsmaßstab die Restzahlung nach Berücksichtigung der Abschlagszahlung vorzunehmen hat. Soweit die Heilbehandlung des einzelnen Patienten am 31. Dezember abgeschlossen ist, hat der Arzt unzweifelhaft seine Leistung vollendet, und der bewertungsrechtliche Ansatz der Forderung zum nachstehenden 1. Januar ist dem Grunde nach vorzunehmen. Aber auch bei einer weiterlaufenden ärztlichen Behandlung des Patienten über den 31. Dezember hinaus ist der Honoraranspruch bzw. die Forderung an die KV bewertungsrechtlich zum nachfolgenden 1. Januar zu berücksichtigen. Es handelt sich, sofern man der KV gegenüber mit der vorgeschriebenen abschnittsweisen (vierteljährlichen) Abrechnung überhaupt von einer Teilleistung sprechen kann, alsdann zumindest um Honoraransprüche für Teilleistungen, auf deren Vergütung ein Anspruch nach einer Gebührenordnung oder auf Grund von Sonderabmachungen zwischen den Beteiligten besteht, so daß sie in jedem Falle am Stichtage - 1. Januar 1957 - zu bewerten waren (Hinweis auf das oben genannte Urteil des Bundesfinanzhofs III 208/61 U vom 13. März 1964).

Der Auffassung des Finanzgerichts kann daher nicht zugestimmt werden, der Bg. habe am Bewertungsstichtag noch keine Forderung gegen die KVN gehabt.

Honorarforderungen sind als Kapitalforderungen nach § 14 Abs. 1 BewG mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Der Ansatz von Geldforderungen mit dem Nennwert findet nach der Rechtsprechung im allgemeinen auch beim Betriebsvermögen Anwendung.

Die Beteiligten haben gegen den Ansatz der Forderung, wie er später tatsächlich im Jahre 1957 von der KVN ausgezahlt wurde, hinsichtlich seiner Höhe im einzelnen keine Einwendungen erhoben. Der Streit ging nur um den Ansatz dem Grunde nach. Es verbleibt daher bei dem angesetzten Betrage.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411663

BStBl III 1965, 438

BFHE 1965, 527

BFHE 82, 527

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