Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß von Säumniszuschlägen bei Vollstreckungsaufschub
Leitsatz (NV)
Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist i. d. R. dann nicht sachlich unbillig, wenn das FA bei der Gewährung von Vollstreckungsaufschub den Steuerpflichtigen darauf hingewiesen hatte, daß Säumniszuschläge auch weiterhin berechnet würden.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 240 Abs. 1, § 258
Verfahrensgang
Tatbestand
Am 14. März 1978 reichte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1977 ein und beantragte, ihr einen Teilbetrag in Höhe von 38 000 DM in fünf Monatsraten zu stunden. Diesen Antrag lehnte das FA mit Verfügung vom 29. März 1978 ab. Auf den Antrag der Klägerin vom 5. April 1978 bewilligte es mit Verfügung vom 7. April 1978 Vollstreckungsaufschub bis zum 20. April 1978. Im Anschluß an eine Besprechung an Amtsstelle gewährte das FA unter dem 9. Mai 1978 Vollstreckungsaufschub, indem es Teilzahlungen bis einschließlich 1. September 1978 gestattete. Der Bescheid enthält die bis zum 1. September 1978 berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 1 572 DM sowie den zusätzlichen Vermerk ,,Für die Zeit der Teilzahlungen werden weitere Säumniszuschläge auf die jeweiligen Steuerrückstände erhoben". Die Umsatzsteuer und die streitbefangenen Säumniszuschläge in Höhe von 1 639 DM wurden bis zum 29. September 1978 gezahlt.
Mit Schreiben vom 1. August 1978 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. April 1975 VII R 54/72 (BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727) Erlaß der Säumniszuschläge mit der Begründung, es sei ihr ,,aufgrund der Zahlungseingänge und des bereits ausgeschöpften Kreditrahmens" nicht möglich gewesen, die Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 1977 fristgerecht zu entrichten. Das FA lehnte den Erlaßantrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe sich zwar in einem Liquiditätsengpaß befunden, sei jedoch nicht überschuldet und zahlungsunfähig gewesen. Bereits bei der Gewährung des Vollstreckungsaufschubs sei sie darauf hingewiesen worden, daß ungeachtet der Maßnahme nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) Säumniszuschläge entstünden. Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde führte die Klägerin ergänzend aus, bei Aufstellung der Bilanz per 31. Dezember 1977 im Oktober 1978 habe sich gezeigt, daß die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt in Höhe eines Nennbetrags von 53 458 DM überschuldet gewesen sei. Zur Abwendung des Konkurses habe die Gesellschafterversammlung am 3. November 1978 beschlossen, das Stammkapital um 60 000 DM auf 100 000 DM zu erhöhen.
Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 3 veröffentlichten Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Klage abgewiesen.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Klägerin:
Das FG habe zu Unrecht unterstellt, sie sei zahlungsfähig gewesen. Durch Anforderung ,,einer Stellungnahme der Bank" hätte festgestellt werden können, ,,daß eine Entrichtung der Steuerschuld ohne Genehmigung von Teilzahlungen wegen entsprechender Zahlungsunfähigkeit nicht möglich" gewesen sei. Entgegen den Feststellungen im angefochtenen Urteil sei der Zahlungsaufschub gewährt worden, um die Zahlungsunfähigkeit aufzuheben. Die Umsatzsteuerschuld 12/1977 habe bis Ende 1978 getilgt werden können, weil auch die übrigen Gläubiger Zahlungsaufschub gewährt hätten. Mit einer Festsetzung von Säumniszuschlägen habe sie sich nicht einverstanden erklärt. Sie habe lediglich der Behauptung des FA, Säumniszuschläge seien zu erheben, nicht widersprochen. Auch irre das FG, wenn es ohne Prüfung behaupte, die Liquiditätsschwierigkeiten seien Ende September 1978 beseitigt gewesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Verfügung vom 23. August 1978 und die Beschwerdeentscheidung vom 25. Juli 1979 aufzuheben und das FA zu verpflichten, Säumniszuschläge in Höhe von 1 639 DM zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die vom FG bestätigte Ablehnung des Erlasses ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Finanzbehörden haben einen Ermessensfehlgebrauch rechtsfehlerfrei verneint.
1. Nach § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen rechnen auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der Säumniszuschläge (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3 AO 1977).
Die Entscheidung über ein Erlaßbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. - Das FG hat bei seiner Entscheidung zutreffend den durch § 102 FGO gesetzten Prüfungsrahmen zugrunde gelegt.
2. Nach § 240 Abs. 1 AO 1977 sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Die Säumnis endet mit der Entrichtung der geschuldeten Steuer oder dadurch, daß die Fälligkeit der Steuer aufgehoben wird. Durch die Säumniszuschläge soll der Steuerpflichtige zur rechtzeitigen Zahlung der Steuer angehalten werden. Die Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und entstehen kraft Gesetzes bei unterbliebener Zahlung, ohne daß es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262).
Der der Klägerin gewährte Vollstreckungsaufschub hat das Entstehen der Säumniszuschläge nicht gehindert. Denn es handelt sich hierbei um eine ausschließlich auf das Vollstreckungsverfahren beschränkte Maßnahme, welche die Steuerforderung und ihre Fälligkeit unberührt läßt (BFH-Urteile vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, 515, BStBl II 1985, 489; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 258 AO 1977 Anm. 14).
3. a) Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. Urteile des BFH in BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727; vom 14. September 1978 V R 35/72, BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58). Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer steuerrechtlichen Vorschrift bewußt in Kauf genommen hat, keinen Erlaß aus Billigkeitsgründen (BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127).
b) Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (z. B. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 240 AO 1977 Tz. 22) widerspricht es nicht schlechthin den Wertungen des Gesetzes, die während der Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 258 AO 1977) entstandenen Säumniszuschläge einzuziehen. Denn die in § 258 AO 1977 genannten Maßnahmen setzen nicht voraus, daß dem Vollstreckungsschuldner die rechtzeitige Zahlung der rückständigen Steuern unmöglich wäre. Vollstreckungsschutz ist bereits bei einer vorübergehenden Notlage zu gewähren, die nicht die Einziehung der Forderung, sondern lediglich die Art und Weise sowie den Umfang oder den Zeitpunkt ihrer Vollstreckung als unbillig erscheinen läßt. Die Vollstreckung kann auch deshalb eingestellt werden, weil sie dem FA im Hinblick auf den möglichen Wegfall der Vollstreckungsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO 1977 und der daraus folgenden Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 257 Abs. 1 AO 1977) ungeachtet des § 257 Abs. 2 AO 1977 als unbillig erscheint. Billigkeitserwägungen können in einem solchen Fall lediglich die zeitweilige Schonung vor zwangsweiser Durchsetzung bestrittener Geldansprüche geboten erscheinen lassen, ohne daß dies die sonstigen Folgen nicht rechtzeitiger Zahlung berühren muß.
4. Es ist mithin in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit vorliegen. Die Ablehnung eines Erlasses wegen persönlicher Unbilligkeit hat das FG rechtsfehlerfrei als dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend bestätigt. Die Erwägung, daß die Klägerin durch die Einziehung der Säumniszuschläge nicht in eine ihre Existenz bedrohende wirtschaftliche Notlage geraten ist, trägt die angefochtene Entscheidung. Auf die Frage, ob durch die Erhöhung des Stammkapitals die Überschuldung beseitigt worden ist, kommt es hiernach nicht mehr an.
Ein Erlaßgrund wegen sachlicher Unbilligkeit besteht nach der Rechtsprechung des BFH insbesondere dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und die Ausübung eines Druckes zur Zahlung damit ihren Sinn verliert (Urteil in BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Die Voraussetzungen dieser Erlaßsituation sind im BFH-Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80 (BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415) im einzelnen dargestellt. Im Streitfall bestand nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), kein derartiger Erlaßgrund. Das FG hat unter zutreffender Auslegung des konkursrechtlichen Begriffs der Zahlungsunfähigkeit verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß die Klägerin nicht zahlungsunfähig war. Zahlungsunfähigkeit ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden im wesentlichen zu berichtigen. Sie liegt vor, wenn feststeht, daß der Schuldner in den nächsten drei bis sechs Monaten seine wesentlichen und fälligen Verbindlichkeiten nicht wird begleichen können. Dagegen ist nur eine Zahlungsstockung anzunehmen, wenn zu erwarten ist, daß der Schuldner seine Verbindlichkeiten innerhalb eines Zeitraums, der nach Auffassung des Verkehrslebens den Mangel an bereiten Mitteln als einen nur vorübergehenden erscheinen läßt, erfüllen wird (Urteil in BFHE 140, 421, 423, BStBl II 1984, 415, m. w. N.). Dies hat das FG nicht verkannt. Aus dem Umstand, daß die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb aufrechterhalten, die laufenden Steuern und die Raten auf die rückständige Umsatzsteuer 12/1977 geleistet hat, hat das FG die mögliche und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstandene Schlußfolgerung gezogen, daß durch den Vollstreckungsaufschub nur ein Liquiditätsengpaß überbrückt werden sollte. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargestellt, zu welchem Beweisthema das FG von Amts wegen die Auskunft einer Bank hätte einholen müssen. Die behauptete Tatsache, daß der Kreditrahmen ausgeschöpft gewesen sei, besagt noch nichts über eine andauernde Zahlungsunfähigkeit. Eine solche läge allenfalls dann vor, wenn zusätzlich auch keine Bareinlagen der Anteilseigner und/oder kein Zufluß von Geldmitteln aus Gesellschafterdarlehen hätten erwartet werden können. Für die letzteren Annahmen sind Anhaltspunkte weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
5. a) Nach den Grundsätzen des Urteils in BFHE 143, 512, 516 f., BStBl II 1985, 489, denen sich der erkennende Senat anschließt, ist zu berücksichtigen, daß in der Praxis der Finanzbehörden bisweilen statt rechtlich an sich möglicher Billigkeitsmaßnahmen wie Erlaß oder Stundung Maßnahmen nach § 258 AO 1977 eingesetzt werden. Folglich bedarf es einer gesonderten Prüfung der bei Steuerfälligkeit und Gewährung des Vollstreckungsaufschubs bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Hinblick auf eine mögliche Erlaß- oder Stundungssituation (Urteil in BFHE 143, 512, 515 f., BStBl II 1985, 489). Anhaltspunkte dafür, daß eine Erlaßsituation vorgelegen haben könnte, sind nicht ersichtlich. Ob bei Gewährung des Vollstreckungsaufschubs eine Stundungssituation vorlag, mußte vom FG im Hinblick auf die Tatbestandswirkung der bestandskräftigen Ablehnung des Stundungsantrags nicht geprüft werden.
b) Auch in anderer Hinsicht erweist sich die angefochtene Entscheidung als im Ergebnis richtig. Soweit die Billigkeitserwägungen, die zu einem Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO 1977) geführt haben, ihren Grund nicht im Vollstreckungsverfahren selbst haben, können diese Erwägungen auch für die Frage, ob Säumniszuschläge als Druckmittel geeignet sind, Bedeutung erlangen. Da Säumniszuschläge und Vollstreckungsverfahren in gleicher Weise der Durchsetzung von rückständigen Steuern dienen, wäre es unbillig, die Zahlung durch Säumniszuschläge zu erzwingen, wenn die Beitreibung wegen Fehlens der Mittel des Steuerpflichtigen ausgesetzt worden ist. In einem solchen Fall kann nicht erwartet werden, daß der Steuerpflichtige durch die Säumniszuschläge zu höheren Zahlungen angehalten werden kann. Anzeichen für eine derartige Situation ist der Umstand, daß sich die vereinbarten Raten ,,nach der äußersten Grenze der Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen" richten (Urteil in BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489). Daß eine solche Situation vorgelegen hätte, ist indes von der Klägerin weder behauptet worden noch anderweitig ersichtlich. Gegen eine solche Annahme sprechen vielmehr die Umstände, daß die Klägerin auf das Weiterlaufen der Säumniszuschläge hingewiesen worden ist (Urteil in BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489), und daß die Gesellschaft wenig später in der Lage war, ihr Kapital zu erhöhen. Unter solchen Umständen ist es sachgerecht und damit ermessensfehlerfrei, als Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steueransprüche an Stelle von Vollstreckungsmaßnahmen die durch die Ablehnung der Stundung anfallenden Säumniszuschläge einzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 415145 |
BFH/NV 1988, 411 |