Leitsatz (amtlich)
1. Auch das Klageverfahren, welches einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 Abs. 2 FGO zum Gegenstand hat, ist ein summarisches Verfahren. Daher sind in ihm nur präsente Beweismittel zugelassen.
2. Der BFH kann in dem sich an das Klageverfahren (1.) anschließenden Revisionsverfahren - anders als in Beschlußverfahren wegen Aussetzung der Vollziehung - Beweise nicht selbst würdigen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Maschinenfabrik. Aufgrund des Ergebnisses einer Betriebsprüfung, die sich auf die Jahre 1964 bis 1967 (Streitjahre) bezog, nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) eine teilweise Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbetrags-Veranlagungen vor. Das FA setzte u. a. die Entnahmewerte von Betriebsgrundstücksteilen für die Jahre 1964 und 1967 abweichend von der Sachbehandlung des Klägers an. Außerdem wurden für alle Streitjahre nichtverbuchte Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 70 272 DM angenommen. Die gebuchten Privatentnahmen waren nach Ansicht des FA ungewöhnlich niedrig. Das FA erhöhte deshalb die Entnahmen um insgesamt 48 440 DM. Außerdem setzte es einen Unsicherheitszuschlag von 24 000 DM zu den nicht aufgeklärten Geldzuflüssen und den Privatentnahmeschätzungen hinzu. Der sich hiernach ergebende Gesamtbetrag von rd. 143 000 DM wurde auf die Streitjahre verteilt. Außerdem berichtigte das FA die Gewinnermittlung und die Einkommensberechnung in anderen, im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Punkten.
Der Einspruch gegen die berichtigten und zum Teil für endgültig erklärten Einkommensteuer-, Umsatzsteuerund Gewerbesteuermeßbescheide 1964 bis 1967 blieb ohne Erfolg. Das FA änderte die angefochtenen Bescheide im Einspruchsverfahren zum Nachteil des Klägers.
Gegen die Einspruchsentscheidung wurde Klage erhoben. Über die Klage hat das FG noch nicht entschieden.
Nachdem das FA vorübergehend die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide verfügt, diese dann aber wieder aufgehoben hatte, beantragte der Kläger weitere Aussetzung der Vollziehung. Das lehnte das FA ab. Auf die Beschwerde des Klägers hat die OFD mit Beschwerdeentscheidungen vom 24. Oktober 1973 (betr. Einkommensteuer und Umsatzsteuer) und vom 9. November 1973 (betr. die Gewerbesteuermeßbescheide) die Vollziehung gegen Sicherheitsleistung wegen inzwischen nicht mehr streitiger Punkte teilweise ausgesetzt.
Mit der Klage wurde beantragt, die Beschwerdeentscheidungen aufzuheben und die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich aller Mehrbeträge zu verfügen, die aufgrund der Betriebsprüfung festgesetzt wurden. Der Kläger trug insbesondere vor, daß das FA zu Unrecht einen Zufluß unverbuchter Betriebseinnahmen angenommen habe. Er bot für die Richtigkeit seiner Behauptungen Zeugenbeweis an. Außerdem stellte er Tatsachen dafür unter Beweis, daß es sich bei den Grundstücksteilen, die das FA als entnommen ansah, um notwendiges Privatvermögen gehandelt habe.
Das FG hat der Klage nur zu einem Teil stattgegeben.
In seiner Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung der angefochtenen Bescheide bis zum endgültigen Abschluß des Rechtsmittelverfahrens in der Hauptsache auszusetzen. Hilfsweise wird beantragt, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der Kläger rügt mangelnde Sachaufklärung und Fehler bei der Beweiswürdigung (§ 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 FGO). Er macht hinsichtlieh der ihm angelasteten, als unverbucht angesehenen Geldzugänge geltend, daß er bereits im finanzgerichtlichen Verfahren umfangreiches Material vorgelegt habe, aus welchem sich ergebe, daß die Zahlungen der Frau K. zum größten Teil in unbarer Form geleistet worden seien, so daß die Annahme des FG unbegründet sei, die Herkunft der Mittel hätte verschleiert werden sollen. Außerdem hätte das FG etwaige Widersprüche in den Erklärungen der Geldgeber durch Vernehmung der Geldgeber ausräumen müssen. Auch der Ansatz von Grundstücksentnahmegewinnen beruhe auf mangelnder Sachaufklärung. Das FG hätte durch eigene Erhebungen feststellen müssen, ob die betreffenden Grundstücksteile zu irgendeinem Zeitpunkt hätten betrieblich genutzt werden können. Beweise für den rein privaten Charakter dieser Grundstücksteile seien angetreten worden und hätten durch Rückfragen bei der Stadt beschafft werden können. Da es sich um notwendiges Privatvermögen gehandelt habe, seien die Bilanzen unrichtig gewesen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Der Senat geht davon aus, daß das FG auch im Urteilsverfahren nach dem Stand im Zeitpunkt seiner Entscheidung und nicht der Beschwerdeentscheidung der OFD zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung vorliegen. Denn es handelt sich nicht um die Prüfung einer Ermessensentscheidung der Verwaltung nach § 102 FGO, sondern um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs ("ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit". "unbillige Härte"; vgl. Beschluß des BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199, Abschn. 4). In diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich das Urteilsverfahren nicht vom Beschlußverfahren. In beiden Verfahren geht es um die Einordnung des vorliegenden Sachverhalts unter steuerliche Rechtsnormen, und zwar so weit, bis das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts entweder bejaht oder ausgeschlossen werden kann (BFH-Beschluß GrS 4/67). Der Große Senat ging in seiner Entscheidung von der weitgehenden Übereinstimmung der beiden auf dasselbe Ziel gerichteten Verfahren aus.
Aus dieser grundsätzlichen Kennzeichnung des Urteilsverfahrens, welches eine Aussetzung der Vollziehung zum Gegenstand hat, folgt, daß auch die Mittel der Tatsachenerforschung in beiden Verfahren nicht wesentlich unterschieden sind. In beiden Verfahren soll eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage stattfinden. Dies schließt es aus, das Urteilsverfahren strengeren Beweisregeln zu unterstellen als das Beschlußverfahren in Sachen der Aussetzung der Vollziehung. Daher können auch im Urteilsverfahren nur präsente Beweismittel i. S. von § 294 ZPO i. V. m. § 155 FGO zugelassen werden, wie dies für das Beschlußverfahren in ständiger Rechtsprechung ausgeführt worden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Juli 1968 II B 17/68, BFHE 92, 440, BStBl II 1968, 589; vom 21. Juni 1972 II B 44/71, BFHE 112, 74). Andererseits müssen präsente Beweismittel ausgeschöpft werden.
2. Aus den vorstehenden Grundsätzen ergibt sich, daß die Beweiswürdigung der Vorinstanz insoweit auf einem Verfahrensfehler beruhte, als es sich um die nach Ansicht des FA ungeklärten Geldzuflüsse über Frau K handelt. In der Gesamtwürdigung dieses Komplexes durch das FG spielte die Erwägung eine wichtige Rolle, daß die Geldzuflüsse seitens der Frau K in bar erfolgt seien. Zwar hatte das FG in diesem summarischen Verfahren keinen Zeugenbeweis zu erheben. Der Kläger hat indes im finanzgerichtlichen Verfahren umfangreiches Material vorgelegt, aus welchem sich, worauf der Kläger in der Revision zutreffend hinweist, zumindest bei summarischer Überprüfung ergibt, daß die genannten Geldleistungen zum größten Teil in unbarer Form des Scheck- und Überweisungsverkehrs vorgenommen wurden. Der Gesichtspunkt der beabsichtigten Verschleierung der Herkunft der Mittel kann deshalb mit den Erwägungen, die das FG angestellt hat, nicht aufrechterhalten werden. Bei den vom Kläger dem FG vorgelegten Urkunden in Form von Fotokopien handelte es sich um präsente Beweismittel i. S. der zu 1. angeführten Rechtsprechung. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Auswertung dieses Materials zu einer überwiegenden Erfolgsaussicht des Klägers führen würde, weil diese für das Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht gefordert werden kann (vgl. BFH-Beschluß II B 17/68). Es genügt, daß sich aus den angetretenen Beweisen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ergeben. Der erkennende Senat kann im Urteilsverfahren - anders als im Beschlußverfahren in Beschwerdesachen wegen Aussetzung der Vollziehung, sofern nicht das Hauptverfahren in der Revisionsinstanz schwebt (vgl. BFH-Beschluß vom 21. November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114) - nicht seine Würdigung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen des FG setzen (§ 96 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 2 FGO). Er ist deshalb nicht in der Lage, zu beurteilen, ob sich nunmehr ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bejahen lassen, da er keine tatsächlichen Feststellungen zu treffen hat. Er muß daher die Vorentscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Würdigung dieses Punktes an das FG zurückverweisen, welches abschließend - auch unter Berücksichtigung der folgenden Ausführungen zu 3. - darüber zu befinden haben wird, in welchem Umfang das FA verpflichtet ist, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen.
Aus verfahrensrechtlichen Gründen ist die Vorentscheidung indes auch insoweit aufzuheben, als das FG die Aussetzung der Vollziehung angeordnet hat. Denn das FG hätte nur aussprechen dürfen, daß das FA verpflichtet sei, in dem vom FG bestimmten Umfang die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen. Es hätte in diesem Verfahren die Aussetzung der Vollziehung nicht selbst verfügen dürfen. Da in der Sache selbst insoweit keine rechtlichen Bedenken gegen die Ansicht des FG bestehen, entscheidet der erkennende Senat dahin, daß das FA zunächst verpflichtet ist, die Vollziehung der Bescheide in dem vom FG in der Vorentscheidung bestimmten Umfange auszusetzen.
3. Wegen der übrigen Streitpunkte läßt die Vorentscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht keinen Rechtsfehler erkennen. Dabei beschränkt der erkennende Senat die Prüfung auf die Streitpunkte, die der Kläger im vorliegenden Revisionsverfahren zur Entscheidung gestellt hat. Denn, da der Kläger nur Verfahrensrügen erhoben hat, ist nur über diese zu entscheiden (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO; vgl. BFH-Urteil vom 10. März 1976 I R 100/74, BFHE 118, 530, BStBl II 1976, 498).
Der bezüglich der Grundstücksentnahmegewinne behauptete Verfahrensverstoß des FG liegt nicht vor. Der Kläger macht hierzu geltend, daß das FG Beweise hätte erheben, insbesondere Rückfragen an die Stadt A richten müssen. Solche Beweisaufnahmen verbieten sich, wie zu 1. ausgeführt, im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung.
Fundstellen
Haufe-Index 71963 |
BStBl II 1976, 682 |
BFHE 1977, 373 |