Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein unter dem Zwang besonderer Umstände geschlossener langfristiger Miet- oder Pachtvertrag über ein unbebautes als Bauland bewertetes Grundstück ist bei der Ermittlung des gemeinen Wertes zu berücksichtigen, wenn seine Auswirkungen der Verwertung des Grundstücks als Baugelände hinderlich sind und dessen Veräußerungswert beeinträchtigen. Es handelt sich insoweit nicht um außergewöhnliche oder persönliche Verhältnisse im Sinne des § 10 Abs. II letzter Satz BewG.

 

Normenkette

BewG § 10/2, § 9/2

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) und Anschlußbeschwerdeführer begehrt als Eigentümer der zu je einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßten Flurstücke 981/82, 983/75, 986/71 zur Größe von 4.153 qm und 984/71, 987/71 zur Größe von 2.339 qm aus der Flur 12 in B die Fortschreibung der letztmalig zum 1. Januar 1939 hierfür festgestellten Einheitswerte. Er strebt eine Herabsetzung der Einheitswerte dieser als Bauland nach einem qm-Preis von 10 RM bewerteten Grundstücke an, die zum 1. Januar 1939 auf 41.600 bzw. 23.400 RM festgestellt worden sind.

Der von ihm am 28. Dezember 1950 eingereichte Fortschreibungsantrag zielte zunächst auf eine Fortschreibung zum 1. Januar 1948 hin, wurde aber später dahingehend abgewandelt, daß, falls dem Fortschreibungsantrag zum 1. Januar 1948 aus formellen Rücksichten nicht entsprochen werden kann, die Fortschreibung zum 21. Juni 1948 entsprechen dem Gesetz vom 10. März 1949 durchgeführt werden solle.

Das Finanzamt wies den Fortschreibungsantrag sowohl zum 1. Januar 1948 als auch zum 21. Juni 1948 aus formellen und sachlichen Gründen zurück.

Das Finanzgericht gewährte zunächst in einem Zwischenentscheid hinsichtlich des für den 21. Juni 1948 gestellten Fortschreibungsantrags Nachsicht wegen Versäumung der Antragsfrist und stellte anschließend nach Einholung eines Gutachtens der Katasterverwaltung B die beiden in Betracht kommenden Einheitswerte zum 21. Juni 1948 auf 25.000 DM bzw. 14.000 DM neu fest, wobei es einem qm-Preis von 6 DM zugrunde legte.

Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung damit, daß der im Jahre 1942 von den damaligen Eigentümern mit der Kriegsmarine nicht aus freien Stücken, sondern auf Grund einer gewissen Zwangslage abgeschlossene Pachtvertrag zu einer ungewöhnlich langen Pachtdauer geführt habe, mit der keiner der Vertragspartner habe rechnen können. Es handele sich daher um einen ungünstig laufenden Vertrag, der als wertmindernder Umstand zu berücksichtigen sei. Denn nachdem bei Abschluß der Feindseligkeiten zunächst die amerikanische Besatzungsmacht die von der Wehrmacht auf dem Pachtgelände errichteten Baracken für ihre Zwecke verwendet hatte, seien die Baracken anschließend von der Städtischen Wohnungsgesellschaft B mit einer Anzahl von wohnungssuchenden Familien belegt worden, deren Entfernung an den mieterschutzgesetzlichen Bestimmungen scheitern könne. Infolge dieser, durch den Abschluß des seinerzeitigen Pachtvertrags bedingten Umstände sei das Gelände schwer verkäuflich geworden und der Wert der Grundstücke dadurch in dem aus der Entscheidung ersichtlichen Umfang gemindert.

Die vom Vorsteher des Finanzamts eingelegte Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt eine Verkennung des gesetzlich festgelegten Begriffes "gemeiner Wert" und damit eine Verletzung des § 10 des Bewertungsgesetzes (BewG). Sie vertritt die Auffassung, bei den Umständen, die nach den Ausführungen der Vorentscheidung die Wertminderung der fraglichen Grundstücke zur Folge gehabt hätten, handele es sich um außergewöhnliche Verhältnisse, die gemäß § 10 Abs. 2 letzter Satz BewG nicht zu berücksichtigen seien. Eine änderung des gemeinen Wertes liege daher nicht vor.

Der Bg. hat Anschlußbeschwerde erhoben. Er bemängelt, daß das Finanzgericht dem Gutachten der Katasterverwaltung nicht in vollem Umfange gefolgt sei, und erstrebt eine weitere Herabsetzung der Einheitswerte nach Maßgabe des im Gutachten vorgeschlagenen qm-Preises im Betrage von 4 DM.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist ebenso wie die Anschlußbeschwerde unbegründet.

Mit Recht sind die Vorinstanzen übereinstimmend davon ausgegangen, daß die fraglichen Grundstücke trotz ihrer Bebauung mit Baracken als unbebaute Grundstücke zu bewerten sind. Denn selbst wenn diese Baracken ihrerseits als Gebäude auf fremden Grund und Boden anzusehen wären und selbständige, wirtschaftliche Einheiten darstellen würden, könnte das an dem Charakter der dem Bg. gehörigen Grundflächen nichts ändern, die nach wie vor als unbebaute Grundstücke zu behandeln sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 109/52 U vom 8. Mai 1953, Bundessteuerblatt 1953 III S. 195 ff).

Als Wertmaßstab für die Bewertung dieser Grundstücke kommt daher gemäß §§ 10, 53 BewG nur der gemeine Wert in Betracht. Daß dieser Wert bei der letzten vorangegangenen Wertfeststellung auf den 1. Januar 1939 fehlerhaft ermittelt worden sei, kann nach Lage des Falles nicht angenommen werden, da nicht allein die damaligen Grundstückseigentümer ohne Einschränkung der Wertfeststellung zugestimmt haben, außerdem aber auch feststeht, daß in den Jahren nach 1933 Grundstücke der gleichen Baulage zum qm-Preis von 20 RM und darüber veräußert worden sind. Eine seitdem eingetretene Wertminderung, die zu einer Fortschreibung der Einheitswerte Veranlassung geben würde, kann daher nur auf einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen, die für die seinerzeitige Wertermittlung bestimmend waren. Das Finanzgericht erblickt in dem 1942 erfolgten, aber nicht freiwilligen Abschluß des Pachtvertrags mit der Kriegsmarine und in der Entwicklung, die das Pachtverhältnis in der Zwischenzeit genommen hat, objektive Umstände, die zu einer änderung der tatsächlichen Verhältnisse und zu einer Wertminderung der fraglichen Grundstücke geführt haben. Das Finanzamt ist demgegenüber der Meinung, es handele sich insoweit um ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse, die die Höhe des Einheitswerts nicht berühren dürften, und rügt deshalb Verletzung des § 10 BewG. Der erkennende Senat vermag die vom Vorsteher des Finanzamts vorgetragenen Bedenken gegen die Entscheidung der Vorinstanz nicht zu teilen. Soweit sich die Rb. auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 348/37 vom 23. Juni 1938, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1938 S. 716, beruft, muß gesagt werden, daß der damals entschiedene Fall mit dem gegenwärtigen Streitfall nicht vergleichbar ist. Es handelte sich damals um ein Grundstück, auf dem sich eine öffentliche Schule mit der Wohnung des Lehrers befand. Die Lehrerwohnung nebst Garten war als Mietwohngrundstück mit dem Vielfachen der Jahresrohmiete bewertet worden. Der Reichsfinanzhof hat in seiner damaligen Entscheidung die vom Eigentümer angegriffene Bewertung mit der Begründung aufrechterhalten, daß die auf Landesgesetz beruhende Verpflichtung des Eigentümers zur unentgeltlichen überlassung der Lehrerwohnung als in seinen persönlichen Verhältnissen begründet anzusehen und deshalb außer acht zu lassen sei. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß in dem damaligen Falle die umstrittene Lehrerwohnung an sich den vollen, im Gebrauch der Sache bestehenden Nutzen gewährte, und daß dem Eigentümer nur deshalb die Früchte seines Besitzes entgingen, weil er persönlich mit einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur unentgeltlichen überlassung der Wohnung belastet war. Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch gerade darin, daß durch den Abschluß des Pachtvertrags mit seinen Folgeerscheinungen das fragliche Baugelände seinem naturgegebenen Zweck nicht zugeführt werden kann und daß dadurch sein Wert beeinträchtigt wird. Dem Beschwerdeführer ist allerdings zuzugeben, daß dies ein Ausnahmefall ist. Denn in der Regel wird die Dauer eines Miet- oder Pachtvertrags den Grundstückswert nicht beeinflussen. In Ausnahmefällen, z. B. wenn ein besonders günstiger oder ungünstiger Miet- oder Pachtvertrag vorliegt, kann indessen auch das Gegenteil zutreffen. Dies hat der Reichsfinanzhof schon in einer Entscheidung II A 429/26 vom 8. Oktober 1926 - veröffentlicht Steuer und Wirtschaft 1926 Nr. 577 - anerkannt und für die Ermittlung des gemeinen Werts einen Abschlag vom normalen Wert des damals umstrittenen Gebäudegrundstücks zugelassen, weil nach seiner Ansicht durch den Abschluß eines sehr langfristigen Mietvertrags die Verwertungsmöglichkeiten für den Eigentümer derart eingeschränkt waren, daß die Mehrzahl der Kauflustigen daran Anstoß nehmen würde. ähnlich liegt der Fall auch hier. Das Finanzgericht hat festgestellt, durch den langfristigen und ungünstig verlaufenden Pachtvertrag mit der Kriegsmarine und die nachfolgende Besiedlung des Pachtgeländes mit wohnungssuchenden Familien, die infolge der Mieterschutzbestimmungen nur schwer aus ihren Barackenwohnungen zu entfernen seien, würden evtl. Kaufliebhaber sich nur schwer finden lassen. Jedenfalls werde der Kaufpreis dadurch beeinträchtigt. Es hat diese Ausführungen bekräftigt durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten, auf die eine gegenwärtig beabsichtigte Veräußerung des Geländes tatsächlich stößt, und man kann nicht leugnen, daß, wenn schon gegenwärtig derartige Schwierigkeiten bei der Veräußerung entstehen, diese in Anbetracht der Wohnungsmarktlage im Jahre 1948 noch erheblich größer gewesen wären. Denn ein Erwerber des Geländes hätte zur damaligen Zeit keinesfalls damit rechnen können, das Baugelände in absehbarer Zeit von lästigen Mietern freizukommen und der Bebauung zuzuführen. Daß solche Schwierigkeiten den im normalen Geschäftsverkehr zu erzielenden Grundstückspreis beeinträchtigen müssen, liegt auf der Hand, und das Finanzgericht hat daher mit Recht in den geschilderten Umständen eine den gemeinen Wert beeinflussende änderung der tatsächlichen Verhältnisse erkannt. Im übrigen ist der wertmindernde Charakter solcher ähnlichen Umstände, die einer sofortigen Bebauung baureifer Grundstücke im Wege stehen, u. a. ausdrücklich in dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 3234 - 3 III vom 19. April 1938 - veröffentlicht RStBl. 1938 S. 419 - anerkannt. In diesem Erlaß ist ein Abschlag vom Wert baureifer und als Baugelände bewerteter Grundstücke zugelassen, wenn sie als Kleingartenland verpachtet sind und daher aus diesem Grunde gewissen auch der Bebauung hinderlichen Beschränkungen unterliegen, und der Reichsfinanzhof hat dieses Verfahren in seiner Entscheidung III 147/39 vom 7. Dezember 1939 - veröffentlicht RStBl. 1940 S. 9 - ausdrücklich gebilligt. Die Rb., die im vorliegenden Falle die Auswirkungen derartiger Umstände auf den gemeinen Wert in Abrede zu stellen versucht, ist daher unbegründet.

Das gleiche gilt für die Anschlußbeschwerde. Denn die Frage, in welchem Umfang sich der Wert der Grundstücke infolge der geschilderten Umstände gemindert hat, ist nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu entscheiden und damit der Nachprüfung des Senats entzogen. Im übrigen hat das Finanzgericht den Grund, der zu einer Abweichung von dem im Gutachten vorgeschlagenen qm-Preis Veranlassung gegeben hat, in seiner Entscheidung angeführt und darauf hingewiesen, daß das Gutachten zu sehr auf die gegenwärtige Ertragslage der Grundstücke abgestellt sei. Ein Rechtsverstoß der Vorinstanz ist deshalb in seiner Abweichung von dem im Gutachten vorgeschlagenen Wert nicht zu erblicken.

Rb. und Anschlußbeschwerde waren daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung ergeht gem. §§ 307 und 309 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407743

BStBl III 1953, 279

BFHE 1954, 733

BFHE 57, 733

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge