Leitsatz (amtlich)
Ein Rundfunksprecher, der einer Rundfunkanstalt auf Dauer zur Verfügung steht, kann auch dann nicht als Unternehmer beurteilt werden, wenn er von der Rundfunkanstalt für jeden Einzelfall seiner Mitwirkung als "freier Mitarbeiter" verpflichtet wird.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) durch Bescheid vom 13. Januar 1969 für den Veranlagungszeitraum 1967 ausschließlich wegen seiner Tätigkeit als sogenannter "freier Mitarbeiter" bei der Rundfunkanstalt A und bei der Rundfunkanstalt B mit ... DM zur Umsatzsteuer herangezogen. Der Kläger ist der Auffassung, er schulde keine Steuer, weil er kein Unternehmer sei. Er hat deshalb nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage geltend gemacht, durch den Steuerbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein, und beantragt, diesen Bescheid aufzuheben.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Bei dieser Entscheidung ist es von folgenden Verhältnissen ausgegangen: Der Kläger übte seine Berufstätigkeit als Rundfunksprecher seit mehr als einem Jahrzehnt überwiegend und im Veranlagungszeitraum 1967 fast ausschließlich bei der Rundfunkanstalt A aus. Er wurde dort als Sprecher festgelegter Texte und Rollen und fast ausschließlich im Hörfunk verwendet. Für unmittelbare Übertragungen (Live-Sendungen) wurde er nur selten eingesetzt; er mußte vielmehr in der Regel auf Band sprechen, so daß der Text vor der Sendung noch berichtigt und sonst geändert werden konnte. Die Tätigkeiten waren so beschaffen, daß sie auch von anderen Sprechern des Rundfunks hätten ausgeübt werden können. Der Kläger hatte nicht nach einem Dienstplan zu arbeiten, sondern wurde von der Sendeanstalt von Fall zu Fall nach schriftlicher Anfrage und erklärter Bereitschaft - im Jahre 1967 von der Rundfunkanstalt A für ca. 1 500 Stunden - herangezogen. Dabei hatte sich der Kläger zu den von der Anstalt festgesetzten Zeiten zur Aufnahme einzufinden. Die Rechtsbeziehungen mit jeder der beiden Rundfunkanstalten waren geregelt durch die von den Rundfunkanstalten im wesentlichen inhaltsgleich verfaßten und vorgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB), die dem Senat vorliegen, den Beteiligten bekannt sind und vom FG im Urteil in Bezug genommen wurden. In § 5 Abs. 5 AVB heißt es: "Es besteht Einverständnis, daß der Vertragspartner bei seiner Vertragserfüllung als freier Mitarbeiter und nicht als Arbeitnehmer der Anstalt tätig wird."
Insbesondere mit Rücksicht auf diese Vertragsbestimmung ist das FG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 14. September 1967 V 4/65, BFHE 90, 201, 203, BStBl II 1968, 244; V 108/63, BFHE 90, 193, BStBl II 1968, 193, und V 128/64, BFHE 90, 198, BStBl II 1968, 195) zu der Überzeugung gelangt, daß die streitige Tätigkeit, obwohl der Kläger "die Einzelverrichtung wie ein Arbeitnehmer vornimmt", selbständig i. S. des § 2 UStG 1951 ausgeübt wurde. Im übrigen hat das FG seine Entscheidung auch mit der Auffassung begründet, daß der Kläger gemäß §§ 6, 8, 9 AVB das Risiko für seine Tätigkeit selbst zu tragen gehabt habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom FG mit Beschluß vom 23. August 1973 zugelassene Revision eingelegt. Er rügt Verletzung formellen und materiellen Rechts und führt dazu aus: ... Im übrigen sei das angefochtene Urteil auch deshalb fehlerhaft, weil es den Unternehmerbegriff unrichtig angewendet habe.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach seinem Klageantrag zu erkennen. Außerdem hat der Kläger angeregt, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Verfahren für notwendig zu erklären.
Das FA hat die Zurückweisung der Revision gefordert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. ...
2. Gemäß § 1 Nr. 1 UStG 1951 sind die im Inland gegen Entgelt erbrachten Lieferungen und sonstigen Leistungen nur dann steuerbar, wenn sie ein Unternehmer ausgeführt hat. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG 1951, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Eine solche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, soweit eine natürliche Person einem Unternehmen derart eingegliedert ist, daß sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet ist. Diese negative Abgrenzung der Selbständigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Umsatzsteuersenats des BFH sinngleich mit der Begriffsbestimmung des Dienstverhältnisses in § 1 Abs. 2 LStDV (vgl. die Urteile vom 27. Februar 1975 V R 139/70, BFHE 114, 556, BStBl II 1975, 400, und vom 27. Juli 1972 V R 136/71, BFHE 106, 389, 391, BStBl II 1972, 810). Nach dieser Vorschrift liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Beschäftigte dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.
Der Anwendungsbereich dieser gesetzlichen Definitionen erstreckt sich auf die Ausübung gewerblicher oder beruflicher Tätigkeiten im Rahmen eines unmittelbar auf Dienstleistungen oder eine Dienstbereitschaft gerichteten Dauerschuldverhältnisses. Solche Rechtsbeziehungen haben stets eine Weisungsunterworfenheit des Leistenden gegenüber dem Berechtigten zum Inhalt, die je nach der Art und dem Ausmaß der Dienstverpflichtung und des vom Dienstberechtigten durch die Inanspruchnahme der Dienste beabsichtigten Erfolgs sich auf alle Einzelheiten der geschuldeten Tätigkeit erstrecken oder sich in einer bloßen Gebundenheit an die Gesamtplanung des Berechtigten erschöpfen kann. Das "Direktionsrecht" des Berechtigten schließt - in welchem Maße es auch immer eingeräumt sein oder sich aus der Art der Dienstverpflichtung ergeben mag - nach den erwähnten gesetzlichen Begriffsbestimmungen für sich allein die Beurteilung eines - auch auf Dauer angelegten - Dienstverhältnisses als selbständige Berufs- oder Gewerbetätigkeit nicht aus.
Kennzeichnend für die Unselbständigkeit des Dienstverpflichteten ist vielmehr die Verbindung der Weisungsunterworfenheit mit der "Eingliederung" des Dienstverpflichteten in das Unternehmen des Dienstberechtigten. Für die Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs in dem jeweils zur Entscheidung stehenden Einzelfall ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH das Gesamtbild maßgebend, das aus der Berücksichtigung der zwischen dem Dienstverpflichteten und dem Dienstberechtigten bestehenden tatsächlichen Verhältnisse (dem aus den äußeren Merkmalen der Tätigkeit des Dienstverpflichteten zu gewinnenden überwiegenden Erscheinungsbild) gewonnen wird (vgl. dazu Urteil V R 139/70 mit Nachweisen).
Die Entscheidung, ob dieses Gesamtbild den Dienstverpflichteten als selbständig oder unselbständig kennzeichnet, ist nach den durchschnittlichen sozialen, wirtschaftlichen und technischen Anschauungen zu treffen, die dem unbestimmten Rechtsbegriff den dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Inhalt geben und mit denen er auszufüllen ist (Entscheidung des BVerwG vom 9. November 1955 V C 228/54, BVerwGE 2, 313). Dabei ist nicht nur die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs, sondern auch die Gewinnung des Gesamtbilds aus den tatsächlichen Feststellungen des FG über das erwähnte Innenverhältnis Rechtsanwendung und deshalb im Revisionsverfahren in vollem Umfang nachprüfbar. Soweit in einzelnen älteren BFH-Entscheidungen (vgl. z. B. das Urteil vom 26. März 1969 V 241/65, StRK, Umsatzsteuergesetz 1951, § 2 Abs. 1, Rechtsspruch 256) die Auftassung vertreten wurde, bei der Gesamtwürdigung des Innenverhältnisses unter dem Gesichtspunkt der Selbständigkeit handele es sich um eine tatsächliche Feststellung, hält der Senat an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest.
Zum Kernbereich des unbestimmten Rechtsbegriffs der Eingliederung gehört es, daß einerseits der Dienstverpflichtete in des Berechtigten "Dienst tritt" (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 48 Abschn. I, S. 175 der 5. Aufl.), d. h. sich unter Inkaufnahme einer sozialen und meist auch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit einer auf Dauer angelegten, den Obliegenheiten des Unternehmens dienenden Verwendung als Arbeitskraft zur Verfügung stellt und andererseits der Dienstberechtigte unmittelbar das Risiko der Tätigkeit des Dienstverpflichteten zu tragen hat.
Die Feststellungen des FG rechtfertigen nach den vorstehenden Grundsätzen die Entscheidung, daß der Kläger seine Tätigkeit als Rundfunksprecher jedenfalls bei der Rundfunkanstalt A nicht selbständig ausgeübt hat. Die AVB, nach denen sich der Kläger gegenüber der Anstalt zu seiner Tätigkeit verpflichtet hat, sind zwar darauf angelegt, die Entstehung eines Dauerarbeitsverhältnisses und damit die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Rundfunkanstalt zu vermeiden. Sie gehen davon aus, daß der Dienstverpflichtete "als freier Mitarbeiter und nicht als Arbeitnehmer" tätig wird und daß die gegenseitigen Rechtsbeziehungen mit der Erbringung der jeweils vereinbarten einzelnen Leistung des Rundfunksprechers beendet sind. Dementsprechend wurde auch die Verwendung des Klägers in jedem Einzelfall gesondert schriftlich vereinbart sowie gesondert vergütet, wobei der Kläger berechtigt war, die Heranziehung durch die Rundfunkanstalt abzulehnen.
Diesen rechtlichen Regelungen kommt aber für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger selbständig oder unselbständig tätig war, keine bestimmende Bedeutung zu. Wie schon betont, ist für diese Entscheidung in erster Linie das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, unter denen die Tätigkeit ausgeübt wird. Aus dieser Sicht gewinnt vor allem der Umstand Bedeutung, daß der Kläger seit mehr als einem Jahrzehnt überwiegend für die Anstalt A gearbeitet hat, für die er im hier in Frage stehenden Veranlagungszeitraum 1967 "fast ausschließlich" tätig war. Daraus ist ersichtlich, daß der Kläger im begründeten Vertrauen auf die Gewährung fortdauernder Arbeitsgelegenheit und einer seinen Lebensbedürfnissen genügenden Vergütung jedenfalls in weitgehendem Umfang die eigene Initiative zu einer selbstbestimmten gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit unterlassen hat. Er hat dabei auch insoweit auf ein eigenständiges Handeln verzichtet, als die Gestaltung des Verhältnisses mit diesem Arbeitgeber in Frage gestanden ist. Insbesondere hinsichtlich seines Honorars war er genormten Bedingungen unterworfen. Auf die Häufigkeit, die Dauer und die Art seines Einsatzes wurde von der Rundfunkanstalt A in einer den Kläger praktisch verpflichtenden Weise verfügt. Von dem nach den AVB eingeräumten Recht zur Ablehnung konnte der Kläger keinen beliebigen Gebrauch machen, da er andernfalls sein Einkommen geschmälert hätte und Gefahr gelaufen wäre, nicht mehr planmäßig verwendet zu werden. Er war deshalb gezwungen, sich so zu verhalten, daß er im Rahmen des durchschnittlichen Bedarfs jederzeit für die Anstalt verfügbar war. Schon nach diesen Umständen entsteht das Bild eines den Obliegenheiten der Anstalt dienenden faktischen Dauerarbeitsverhältnisses, auf dessen Forbestand die soziale und wirtschaftliche Existenz des Klägers nahezu ausschließlich gegründet war.
Diese Auffassung verdichtet sich mit der Berücksichtigung der Tatsache, daß der Kläger allein die von der Rundfunkanstalt festgelegten Texte und Rollen fast nur im Hörfunk und diese in der Regel nicht in Live-Sendungen, sondern auf Band zu sprechen hatte, so daß sie vor ihrer Verwertung berichtigt oder sonst geändert werden konnten. Der Kläger unterstand somit auch in der Ausführung der von ihm zu erbringenden Leistungen der Führung von Beauftragten des Dienstberechtigten, und zwar mehr als ein zur Mitwirkung bei einem einzelnen Film oder zu einer Fernsehproduktion herangezogener Schauspieler, der trotz der Lenkung seines Auftretens durch den Regisseur weitreichende Möglichkeiten eigenständiger Entfaltung seiner besonderen Begabung hat, aber maßgeblich gerade wegen seiner Bindung an die Anweisungen des Regisseurs nach ständiger Rechtsprechung des BFH als in den Betrieb des Produzenten eingegliedert und deshalb als nichtselbständig beurteilt wird (Urteil vom 20. Januar 1972 IV R 1/69, BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH).
Unabhängig vom Element der Einflußnahme einer Sendeanstalt auf den Ablauf der Tätigkeit eines Rundfunksprechers rechtfertigt sich die Auffassung, daß dieser als integriertes Glied des Vertragsunternehmens handelt, auch aus dem Gesichtspunkt, daß dem Rundfunksprecher eine Mittlerfunktion zwischen der Sendeanstalt und ihrem Publikum zukommt. Der Rundfunksprecher ist das "Sprachrohr", durch das die Sendeanstalt die von ihr bestimmten und ihrer Verantwortung unterliegenden Texte als ihre Sendeleistung dem Publikum darbietet. Seine Tätigkeit ist unselbständiger Bestandteil eines komplexen Vorgangs, dessen Zustandekommen das von der Sendeanstalt organisierte Zusammenwirken vieler Kräfte sowie die Inanspruchnahme der aufwendigen technischen Einrichtungen einer Sendeanstalt erfordert und sich insgesamt als Leistung der Sendeanstalt darstellt.
Die Mitwirkung an Sendungen ist für den Rundfunksprecher ohne jedes wirtschaftliche oder persönliche Risiko. Die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Veranstaltungen sowie weitgehend auch die öffentliche Verantwortung für deren Erfolg oder Mißerfolg treffen die Sendeanstalt, nicht aber Mitwirkende wie Rundfunksprecher, deren Aufgabenerfüllung nicht an die Person gebunden ist.
Ein Rundfunksprecher, der einer Rundfunkanstalt auf Dauer zur Verfügung steht, kann deshalb auch dann nicht als Unternehmer beurteilt werden, wenn er von der Rundfunkanstalt für jeden Einzelfall seiner Mitwirkung durch besonderen Vertrag verpflichtet wird. An der bisherigen abweichenden Rechtsprechung, die zuletzt noch in dem nichtveröffentlichten Urteil vom 12. Februar 1976 V R 4/72 ihren Niederschlag gefunden hat, hält der Senat nicht mehr fest.
Der Kläger hat deshalb seine Tätigkeit als Rundfunksprecher für die Anstalt A im Veranlagungszeitraum 1967 nicht selbständig ausgeübt. Seine in diesem Veranlagungszeitraum erbrachten Leistungen sind jedenfalls insoweit nicht umsatzsteuerbar.
Ob dies auch für die weiteren Leistungen gilt, die der Kläger für die Rundfunkanstalt B erbracht hat, kann nach den im angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen nicht entschieden werden. Es fehlen vor allem tatsächliche Beurteilungsgrundlagen für die Frage, ob der Kläger auch mit dieser Sendeanstalt in einem seine soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit begründenden faktischen Dauerarbeitsverhältnis gestanden ist und somit auch in diese Anstalt eingegliedert war. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es aber auf diese Frage nicht an. Da nämlich der Kläger, der im Veranlagungszeitraum 1967 aus allen seinen Tätigkeiten ... einen Gesamtumsatz von ... DM erzielt hat, nach den Feststellungen des FG "fast ausschließlich" für die Anstalt A tätig war, kann der erkennende Senat davon ausgehen, daß die Umsätze, die der Kläger aus einer etwaigen selbständigen Berufstätigkeit erzielt haben könnte, den Wert von 12 000 DM nicht erreicht haben. Die Umsätze aus der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers wären deshalb, da sie im Rahmen des dem Kläger jedenfalls nach § 7 a Abs. 1 UStG 1951 zustehenden Freibetrags liegen, steuerfrei.
Nach diesen Erwägungen war das klageabweisende Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Fundstellen
BStBl II 1977, 50 |
BFHE 1977, 301 |
NJW 1977, 1080 |