Umsatzsteuerliche Organschaft – wirtschaftliche Eingliederung
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
Sachverhalt: FA verneint wirtschaftliche Eingliederung
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin, einer GmbH, deren Alleingesellschafter und alleiniger Geschäftsführer G war, war die Vermietung und Verwaltung von Wohn- und Gewerbeimmobilien. Zur Geschäftstätigkeit der Klägerin gehörte u. a. die Verwaltung von Mieteinheiten, die sich auf 12 mit Wohnhäusern bebauten Grundstücken befanden, die im Eigentum des G standen. Zudem mietete die Klägerin Büroräume von einer GbR, an der G zu 95 % beteiligt war.
Die Klägerin war Teil der „V Gruppe“, der mehrere Kapitalgesellschaften sowie eine Kommanditgesellschaft (KG) angehörten und die bis Ende 2011 Dienstleistungen im Immobilienbereich anbot. Hierzu gehörten neben der Sanierung und dem Neubau von Wohn- und Geschäftshäusern die Finanzierungsberatung von Anlegern und Eigentümern, die Vermittlung, Vermarktung, Vermietung und Verwaltung von Objekten sowie die Projektentwicklung, wobei jede Gesellschaft ihren eigenen Geschäftsbereich hatte. Die KG trat als Spitze der Unternehmensgruppe auf.
Im Jahr 2014 beantragte die Klägerin die Herabsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0 EUR. Sie berief sich darauf, eine Organgesellschaft des G als Organträger gewesen zu sein. Die finanzielle und organisatorische Eingliederung ergebe sich aus der Eigenschaft des G als ihr geschäftsführender Alleingesellschafter. Ihre wirtschaftliche Eingliederung beruhe darauf, dass die GbR ihr Büroräume vermiete.
Einspruch und die nachfolgende erhobene Klage blieben ohne Erfolg.
Entscheidung: BFH hebt Urteil der Vorinstanz auf
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung an das FG. Das FG hat rechtsfehlerhaft das Bestehen einer Organschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG verneint. Es hat insbesondere nicht beachtet, dass die Klägerin aufgrund von Verflechtungen mit anderen Gesellschaften der V Gruppe, die selbst Organgesellschaften des G sein könnten, in das Unternehmen des G wirtschaftlich eingegliedert sein kann.
Voraussetzungen für wirtschaftliche Eingliederung
Die wirtschaftliche Eingliederung setzt bei einer Organschaft nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sind.
Bei einer deutlichen Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung ist es dabei unschädlich, wenn die wirtschaftliche Eingliederung weniger deutlich zu Tage tritt. Es genügt dann, dass zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung vorhanden ist. Die Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft müssen lediglich aufeinander abgestimmt sein und sich dabei fördern und ergänzen. Hierfür reicht das Bestehen von mehr als nur unerheblichen Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft aus, ohne dass die Organgesellschaft wirtschaftlich vom Organträger abhängig zu sein braucht.
Die wirtschaftliche Eingliederung kann nicht nur aufgrund unmittelbarer Beziehungen zum Organträger bestehen, sondern auch auf der Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen verschiedener Organgesellschaften beruhen.
FG hat wirtschaftliche Eingliederung rechtsfehlerhaft verneint
Im Streitfall hat das FG eine wirtschaftliche Eingliederung im Hinblick auf die Erbringung von Hausverwaltungsdiensten durch die Klägerin an G zwar insoweit zutreffend verneint, als Hausverwaltungsdienste – wie Buchführungs- und Personalverwaltungsleistungen oder ein Winterdienst – grundsätzlich standardisierte Dienstleistungen sind, für die es zahlreiche, mit relativ geringem Aufwand austauschbare Anbieter gibt.
Die wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen des G kann sich aber im Streitfall aus der Bedeutung der Hausverwaltungsdienste für die Klägerin als Leistungserbringerin ergeben. Ob dies der Fall ist, lässt sich dem FG-Urteil nicht entnehmen.
Das FG hat zudem offengelassen, ob eine wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Klägerin und anderen Unternehmen der V Gruppe bestand. Dass die Klägerin nicht zum Gewinnausgleich gegenüber den anderen Unternehmen der V Gruppe verpflichtet war, schließt nicht aus, dass sich die wirtschaftliche Verflechtung aus anderen Gründen ergibt, zumal es das FG für möglich hielt, dass die Geschäftstätigkeit der Klägerin von den anderen Unternehmen der V Gruppe gefördert wurde.
Soweit das FG gegen die wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen des G anführt, dass die Klägerin mit G keine Provisionsvereinbarung getroffen habe, lässt es dabei außer Betracht, dass die Verflechtung auch zwischen Schwestergesellschaften bestehen kann. Insoweit hat es das FG zu Unrecht dahinstehen lassen, ob aus dem Fehlen einer eigenen Kundenakquise auf eine Förderung der Unternehmenstätigkeit der Klägerin durch die anderen Unternehmen der V Gruppe geschlossen werden könnte und ob eine wirtschaftliche Eingliederung dieser anderen Unternehmen in das Unternehmen des G vorlag.
Nach Zurückverweisung hat FG Folgendes zu beachten
Im Hinblick auf eine mögliche mittelbare wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen des G ist festzustellen, welche Beziehungen in den Streitjahren zwischen der Klägerin und den anderen Gesellschaften der V Gruppe bestanden und, falls daraus eine wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Klägerin und einer anderen Gesellschaft der V Gruppe folgen sollte, ob die mit der Klägerin wirtschaftlich verflochtene Gesellschaft eine Organgesellschaft von G war. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Leistungserbringung der Klägerin an Dritte – Wohnungs- oder Grundstückseigentümer – für sich genommen keine Verflechtung zwischen der Klägerin und den Gesellschaften der V Gruppe begründen kann. Des Weiteren ist es für die mittelbare wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin nicht ausreichend, dass G gegen Zahlung von Provisionen Leistungen an die übrigen Gesellschaften der V Gruppe erbrachte, da dies lediglich eine Organschaft zwischen G und diesen Gesellschaften begründen könnte.
BFH Urteil vom 11.05.2023 - V R 28/20 (veröffentlicht am 14.09.2023)
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