Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld, Weiterleitung, zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen Eheleuten
Leitsatz (NV)
- Verletzt ein ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht, kann er sich gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen.
- Im sog. Weiterleitungsverfahren ist es nicht Aufgabe der Familienkasse, Unterhaltsvereinbarungen bzw. ‐zahlungen zwischen verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen und zivilrechtlich zu überprüfen.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2; EStG § 31 S. 3, § 64 Abs. 1, 2 S. 1, § 70 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog Kindergeld für seine 1992 geborene Tochter S. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) aufgrund eines von der Kindesmutter gestellten Antrags auf Kindergeld erfahren hatte, dass S seit Oktober 1995 nicht mehr im Haushalt des Klägers, sondern in dem der Kindesmutter wohnte, hob er die Festsetzung von Kindergeld zugunsten des Klägers ab Januar 1997 auf. Ferner wies er den Kläger darauf hin, er habe für die vorhergehende Zeit möglicherweise zu Unrecht Kindergeld erhalten, und bat um Stellungnahme, ob der Kläger das Kindergeld ggf. an die Kindesmutter weitergeleitet habe. Da der Kläger darauf nicht reagierte, hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers für die Monate Januar 1996 bis Dezember 1996 auf und forderte das für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld von insgesamt 2 400 DM zurück. Mit seinem hiergegen erhobenen Einspruch machte der Kläger geltend, es sei zwar zutreffend, dass S seit Oktober 1995 im Haushalt der Kindesmutter lebe, er habe das Kindergeld aber zusammen mit den Unterhaltszahlungen an die Kindesmutter entrichtet. Fast gleichzeitig bestätigte die Kindesmutter (mit nicht datiertem Schreiben, beim Beklagten eingegangen am 18. Februar 1997), der Kläger habe für den Zeitraum Oktober 1995 bis einschließlich Dezember 1996 das Kindergeld zusammen mit dem Unterhalt an sie gezahlt. Ihr eigener Kindergeldantrag für S gelte nicht rückwirkend, sondern erst ab 1. Januar 1997.
Den Einspruch des Klägers wies der Beklagte als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, S lebe seit Oktober 1995 nicht mehr im Haushalt des Klägers, sondern in dem der Kindesmutter; damit sei eine wesentliche Änderung in den für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnissen eingetreten. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an habe die Kindergeldfestsetzung aufgehoben werden müssen (§ 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―). Das für den Zeitraum Januar bis Dezember 1996 insoweit ohne rechtlichen Grund gezahlte Kindergeld müsse der Kläger gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erstatten.
Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, aufgrund einer Unterhaltsvereinbarung mit der Kindesmutter habe er zumindest das hälftige Kindergeld an diese weitergeleitet. Im Übrigen legte er im Verlaufe des finanzgerichtlichen Verfahrens ein Schreiben der Kindesmutter vom 10. Februar 2002 vor, in dem diese unwiderruflich bestätigte, das Kindergeld sei an sie weitergeleitet worden und sie sehe ihren Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1996 als erfüllt an. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) hat der Beklagte auf die Rückzahlung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis März 1996 verzichtet, da für die Kindesmutter Kindergeld erst ab April 1996 festgesetzt worden war.
Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 995 veröffentlichten Gründen statt. Es entschied, der Kläger habe das Kindergeld an die Kindesmutter weitergeleitet, diese habe die Weiterleitung bestätigt und gebeten, ihrem Kindergeldantrag erst ab 1. Januar 1997 zu entsprechen. Es sei daher ein Fall der so genannten Weiterleitung gegeben, sodass der Kläger das Kindergeld nicht zurückzahlen müsse. Dass es für die Monate April bis Dezember 1996 zu einer doppelten Auszahlung von Kindergeld gekommen sei, habe seine Ursache nicht in einem Fehlverhalten des Klägers, denn dieser habe es nicht zu vertreten, dass das Kindergeld ab April 1996 an die Kindesmutter ausgezahlt worden sei, obwohl diese erklärt habe, ihr Kindergeldantrag solle erst ab Januar 1997 gelten.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die fehlerhafte Anwendung der §§ 64, 70 Abs. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO 1977. Zum einen könne die Kindesmutter ihren Antrag auf Kindergeld für S nicht mit der Folge auf die Zeit ab Januar 1997 beschränken, dass bis Dezember 1996 der Kläger als vorrangig Berechtigter anzusehen sei. Zum anderen seien die Voraussetzungen einer Weiterleitung nach der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 64.4 Abs. 4 (BStBl I 2000, 636, 639, 692) nicht erfüllt, da der ursprünglich übereinstimmende Vortrag des Klägers und der Kindesmutter, er habe das Kindergeld zur Hälfte an diese weitergegeben, für eine Weiterleitung nicht ausreiche. Denn es bedürfe der übereinstimmenden Erklärung beider Elternteile über die vollständige Weiterleitung des Kindergeldes, weil andernfalls die Familienkasse noch Nachforderungen an Kindergeld ausgesetzt sei und Doppelzahlungen für denselben Zeitraum nicht zu vermeiden wären. Dass der Kläger und die Kindesmutter im Februar 1997 übereinstimmend formlos erklärt hätten, das Kindergeld sei zusammen mit dem vom Kläger geleisteten Unterhalt gezahlt worden, sei insoweit nicht beachtlich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Verfahrensrechtlich ist die Vorentscheidung im Hinblick auf die unterbliebene Beilandung der Kindesmutter allerdings nicht zu beanstanden, da ein Fall der notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) in so genannten Weiterleitungsfällen nicht gegeben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2002 VIII B 171/01, BFHE 198, 300, BStBl II 2002, 578).
1. Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, dass eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet (Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 64 EStG Rdnr. 12). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld nach dem so genannten Obhutsprinzip demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem Berechtigten im Haushalt lebt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liegt darin nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).
Im Streitfall haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnisse dadurch geändert, dass die Tochter des Klägers bereits ab Oktober 1995 bei ihrer Mutter lebte und in deren Haushalt aufgenommen war. Ab diesem Zeitpunkt stand das Kindergeld daher nicht mehr dem Kläger, sondern der Kindesmutter zu. Die bisherige Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Klägers war demgemäß vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Einen Entscheidungsspielraum besitzt die Verwaltung insoweit nicht (Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 70 Rdnr. C 13; BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Dagegen wendet sich der Kläger im Revisionsverfahren letztlich auch nicht.
2. Entgegen der Auffassung des FG ist der Kläger aufgrund der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab April 1996 jedoch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, das an ihn seit diesem Zeitpunkt gezahlte Kindergeld von insgesamt 1 800 DM zu erstatten. Hierin liegt ein materiell-rechtlicher Mangel der Vorentscheidung, der zu deren Aufhebung und zur Abweisung der Klage führt.
Ist eine Steuervergütung (vgl. § 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: der Beklagte), nach § 37 Abs. 2 AO 1977 gegenüber dem Leistungsempfänger (hier: der Kläger) einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid des Beklagten vom 11. Februar 1997 ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger weggefallen. Dieser ist daher verpflichtet, dem Beklagten den zurückgeforderten Betrag von 2 400 DM zu erstatten.
Ob sich der Kläger gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG bzw. gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten unter Umständen auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen kann, lässt der Senat dahingestellt. Denn das kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger als ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht verletzt hat (vgl. Felix in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 70 Rdnr. C 17). Gemäß § 68 Abs. 1 EStG hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Der Haushaltswechsel des Kindes ist eine erhebliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne (vgl. auch Nr. 17 des Kindergeld-Merkblattes 1996, BStBl I 1996, 1073, 1100), die der Kläger jedoch nicht angezeigt hat.
3. Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht darauf berufen, er habe das Kindergeld an die Beigeladene als vorrangig Berechtigte weitergeleitet.
Der Beklagte hat einen Verzicht auf die Rückforderung des Kindergeldes deshalb abgelehnt, weil die Kindesmutter zunächst nicht bestätigt hat, dass der Kläger das erhaltene Kindergeld in vollem Umfang an sie weitergeleitet habe. Diese Entscheidung ist nicht zu beanstanden (BFH-Urteil vom 12. September 2001 VI R 25/01, juris). Sie beruht darauf, dass die Weiterleitung die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen ausschließt, sondern lediglich aus Vereinfachungsgründen von dem Beklagten als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606).
Der Beklagte war nicht verpflichtet, den Sachverhalt hinsichtlich der behaupteten Weiterleitung weiter aufzuklären. Er konnte die Berücksichtigung der Weiterleitung auf einen unstreitigen Sachverhalt beschränken und einen solchen Fall nur dann annehmen, wenn beide Elternteile erklären, dass das Kindergeld vollständig an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet wurde (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 606; Verfügung des Bundesamt für Finanzen ―BfF― vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff.; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f., zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten, neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG; Neufassung der DA-FamEStG vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366, 369, 423).
Daran vermögen weder die im Februar 1997 beim Beklagten eingegangene Erklärung der Kindesmutter noch die vom Kläger erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung im Mai 1997 vorgelegte Unterhaltsvereinbarung mit der Kindesmutter bzw. deren im finanzgerichtlichen Verfahren eingereichte Bestätigung über die Weiterleitung des Kindergeldes etwas zu ändern. Denn zum einen kann es ―wie der Senat bereits mit dem Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00 (BFH/NV 2002, 1425) dargelegt hat― im so genannten Weiterleitungsverfahren nicht Aufgabe der Familienkasse sein, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 12. Januar 2000 VI B 206/99, BFH/NV 2000, 835; vgl. auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 1. Juli 1998 II 672/97 Ki, EFG 1998, 1525). Bei Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 39/99, juris).
Zum anderen hat der Kläger im Streitfall trotz Aufforderung des Beklagten zur Frage der Weiterleitung zunächst nicht Stellung genommen und die erforderliche schriftliche Bestätigung der Kindesmutter als vorrangig Berechtigter über die vollständige Weiterleitung des Kindergeldes und darüber, dass sie ihren eigenen Kindergeldanspruch als erfüllt ansieht, nicht beigebracht. Vielmehr ist es aufgrund des von der Kindesmutter gestellten Antrags auf Kindergeld für S für den Zeitraum April bis Dezember 1996 zu einer Doppelzahlung gekommen. Dabei hat die Kindesmutter die an sie zu leistende Nachzahlung im Mai 1997, d.h. nach Abgabe ihrer im Februar 1997 beim Beklagten eingegangenen Erklärung über die Kindergeldzahlungen des Klägers, sogar angemahnt.
Es war daher seitens des Beklagten nicht sachwidrig, weder die im Februar 1997 eingegangene Erklärung der Kindesmutter noch deren erst im finanzgerichtlichen Verfahren im Jahr 2002 auf dem amtlichen Vordruck vorgelegte Bestätigung über die Weiterleitung zu berücksichtigen. Ob die Situation anders zu beurteilen gewesen wäre, wenn die Kindesmutter die Doppelzahlung durch Rückzahlung des an sie ausgezahlten Kindergeldes von 1 800 DM an die Familienkasse rückgängig gemacht hätte, lässt der Senat dahingestellt, da der Kläger insoweit nichts vorgetragen hat.
4. Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 90 Abs. 2, 121 FGO).
Fundstellen