Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ein Erlaß setzt Erlaßwürdigkeit des begünstigten Steuerpflichtigen voraus; Erlaßwürdigkeit ist nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt oder die mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeiführt.
Normenkette
AO § 131
Tatbestand
Streitig ist der Erlaß von 26.996,45 DM Einkommensteuer 1951 und 2.759 DM Notopfer Berlin 1951, insgesamt von 29.755,45 DM.
Der Beschwerdegegner (Bg.) ist Vertriebener. Auf Grund einer Fahndungsprüfung im April 1952 wurde die Buchführung des Bg. als nicht ordnungsmäßig verworfen, und der Gewinn 1951 auf 140.618 DM geschätzt. Der Bg. erkannte das Ergebnis an und verzichtete auf Rechtsmittel. Mit Schreiben vom 13. September 1952 beantragte er sodann, aus Billigkeitsgründen für 1951 noch eine Rückstellung von 27.900 DM zuzulassen sowie den Ansatz eines an seine Tochter gegebenen 7c-Darlehens von 40.000 DM mit dem Gegenwartswert anzuerkennen, da das Darlehen zinslos auf 20 Jahre gegeben worden sei. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab.
Auf die Beschwerde vom 27. November 1952 führte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durch, in deren Verlauf es eine Rückstellung von 21.000 DM sowie die Abzugsfähigkeit eines Teilbetrages von 14.000 DM des Darlehens von insgesamt 40.000 DM anerkannte und den Gewinn demgemäß festsetzte. Die Veranlagung wurde entsprechend durchgeführt. Die Beschwerde vom 27. November 1952 nahm der Bg. am 28. Juli 1953 zurück, "nachdem die streitige Angelegenheit durch die Betriebsprüfung ihre Erledigung gefunden hat".
Mit Schreiben vom 8. August 1953 legte der Bg. gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1950 bis 1952 vorsorglich Einspruch ein, den er jedoch am 26. Oktober 1953 zurücknahm.
Der Bg. beantragte sodann am 16. Juli 1954 erneut einen Erlaß der oben genannten Rückstände, den das Finanzamt jedoch ablehnte.
Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion mit Entscheidung vom 11. Januar 1955 als unbegründet zurück, da Einwendungen gegen die Höhe der Steuer nicht mehr zulässig seien, und der Bg. die Steuer aus dem der Tochter gegebenen Wohnungsbaudarlehen zahlen könne. Es komme daher nur die Gewährung von Ratenzahlungen in Betracht.
Auf die Berufung hob das Finanzgericht die Entscheidung der Oberfinanzdirektion auf und verwies die Sache zur anderweitigen Entscheidung an diese zurück. Es führte zur Begründung aus, die Beschwerdeentscheidung sei mit Rechtsmängeln behaftet.
Wenn auch grundsätzlich eine sachliche Nachprüfung rechtskräftiger Bescheide nicht möglich sei, so gelte das nicht, wenn eine offenbar fehlerhafte Abgabenerhebung vorliege. Ferner habe die Beschwerdeentscheidung offenbar nicht berücksichtigt, daß der Bg. wirtschaftlich erhebliche Rückschläge erlitten habe, von denen er sich nach Ansicht des Prüfers kaum erholen dürfte. Aus diesen Gründen müsse die Sache erneut geprüft werden.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht die Oberfinanzdirektion geltend, die Entscheidung des Finanzgerichts verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten und gegen materielles Recht. Schließlich seien auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bg. genügend berücksichtigt worden. Diese hätten sich inzwischen gegenüber den Jahren 1952 und 1953 erheblich gebessert. Für 1954 sei ein Gewinn von 23.669 DM erklärt worden, und für das Jahr 1954 sei mit einem solchen von 90.000 DM zu rechnen. Wenn das Finanzgericht weitere Feststellungen über die wirtschaftliche Lage des Bg. für notwendig erachtete, so hätte es diese selbst anstellen müssen. Eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten überprüfung sei unzulässig.
Der Bg. beantragt Zurückweisung der Rb. Er hält die Entscheidung des Finanzgerichts in vollem Umfang für zutreffend und meint, die Entwicklung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nach 1949 gebe bei zutreffender Beurteilung nicht das in der Rb. dargestellte Bild, da hohe Zahlungen aus dem Gewinn geleistet werden müßten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Die Oberfinanzdirektion hatte nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Erlaß vorliegen. Entscheidend sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung, also die Verhältnisse vom 11. Januar 1955.
Nach § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) können Steuern erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Dabei kann die Unbilligkeit in der Sache selbst oder in der Person des Steuerpflichtigen liegen.
Zu Unrecht hat zunächst das Finanzgericht angenommen, die angegriffene Entscheidung der Oberfinanzdirektion sei mit Rechtsmängeln behaftet.
Aber auch eine Unbilligkeit in der Sache selbst oder hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Bg. muß verneint werden. Der Erlaß einer Steuerschuld stellt einen Verzicht auf eine rechtskräftig festgestellte Steuerforderung dar, also die Begünstigung eines einzelnen Steuerpflichtigen zu Lasten der Allgemeinheit. Ein solcher Verzicht setzt Erlaßwürdigkeit des begünstigten Steuerpflichtigen voraus, d. h. ein Verhalten, das nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt, und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht. In diesem Sinne kann aber der Bf. nicht als erlaßwürdig bezeichnet werden. Der Bg. hat nach dem Steuerfahndungsbericht für das Jahr 1951 nur einen Umsatz von 300.000 DM angegeben, während ein solcher von über 500.000 DM ermittelt und vom Bg. anerkannt wurde. Daneben wurden in erheblichem Umfange Lohnsteuerverkürzungen festgestellt. Der Bg. ist deshalb auch wegen Umsatz- und Lohnsteuerhinterziehung rechtskräftig mit 10.000 DM Geldstrafe bestraft worden. Hinzu kommt, daß der Bg. im Jahre 1951 an seine Tochter Gelder in Höhe von 50.000 DM und 40.000 DM, insgesamt 90.000 DM, gegeben hat, wobei es gleichgültig ist, ob der Betrag in Höhe von 40.000 DM ein Darlehen oder einen Zuschuß darstellt. Der Bg. hat diese Beträge hingegeben, obwohl er bei seinem Bildungsgrad damit rechnen mußte, daß er eines Tages erhebliche Steuernachzahlungen würde leisten müssen. Er hat damit praktisch seine Unfähigkeit, den gesamten Steuerbetrag zu entrichten, durch sein eigenes Verhalten herbeigeführt. Angesichts dieses Gesamtverhaltens des Bg. ist es aber nicht vertretbar, zu Lasten der Allgemeinheit einen erheblichen Teil der Steuer zu erlassen. Die Ablehnung des Erlasses durch die Oberfinanzdirektion stellt also auch, soweit die persönlichen Verhältnisse des Bg. in Betracht kommen, keine unbillige Härte und damit keine Ermessensverletzung dar, wobei es auf die spätere günstige Entwicklung der Verhältnisse des Bg. in den Jahren 1954 und 1955, die zum mindestens eine ratenweise Tilgung der Rückstände nicht als unbillig erscheinen lassen, nicht mehr ankommt. Die Berufung war daher unter Aufhebung der Vorentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408923 |
BStBl III 1958, 153 |
BFHE 1958, 398 |
BFHE 66, 398 |