Leitsatz (amtlich)
Die freiwillige Ablösung von laufenden Kosten für die Unterbringung eines pflegebedürftigen Kindes in einer Anstalt ist keine außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG.
Normenkette
EStG 1974 § 33
Verfahrensgang
Tatbestand
Die 1959 geborene Tochter der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist zu 100 % körperbehindert und dauernd pflegebedürftig. Sie befindet sich seit dem Jahr 1966 zur Pflege in einer Anstalt. Der Kläger (Ehemann) zahlte aufgrund eines mit der Anstalt geschlossenen Vertrages vom 11. Juli 1974 anstelle des bisherigen monatlichen Pflegesatzes von rd. 2 000 DM einen einmaligen Abfindungsbetrag von 275 000 DM. Dafür verpflichtete sich die Anstalt, die Kläger und deren Rechtsnachfolger von allen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Kinde freizustellen und es lebenslänglich in der Anstalt zu pflegen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte es bei der Einkommensteuerveranlagung 1974 ab, die einmalige Zahlung von 275 000 DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das FA minderte jedoch das zu versteuernde Einkommen der Kläger um einen Kinderfreibetrag von 1 200 DM und um einen Pauschbetrag für das körperbehinderte Kind nach § 65 Abs. 1 Sätze 1 und 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1974 von 4 800 DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, die Kläger könnten zwar statt des Körperbehinderten-Pauschbetrages von 4 800 DM die tatsächlich für das Kind angefallenen Krankheitskosten nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend machen, wenn sie in dieser Höhe zwangsläufig erwachsen seien und nicht dem Vermögensbereich angehörten. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Den Klägern seien zwar zwangsläufig laufende Ausgaben für die Heimunterbringung ihrer Tochter entstanden. Zwangsläufig sei jedoch nicht die Zahlung der einmaligen Ablösesumme von 275 000 DM, gewesen. Denn die Kläger seien weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen zur Leistung dieses Betrages gezwungen worden. Es handele sich vielmehr um eine auf freiem Entschluß beruhende wirtschaftliche Maßnahme der Kläger.
Die Abfindung sei zudem eine Aufwendung im Vermögensbereich, auf die § 33 EStG keine Anwendung finde. Die Kläger hätten sich durch den Vertrag vom 1 Juli 1974 wirtschaflich dadurch entlastet, daß die Anstalt sich verpflichtet habe, sie von allen Unterhaltsleistungen gegenüber ihrer Tochter freizustellen und das Kind lebenslänglich zu pflegen. Die Kläger hätten mithin keinen - verlorenen - Zuschuß gezahlt, sondern ihre Tochter gewissermaßen in die Anstalt eingekauft.
Als außergewöhnliche Belastung sei daher nur die Zahlung des monatlichen Pflegesatzes bis Juli 1974 und bzgl. der zweiten Hälfte des Jahres 1974 der diesen Monatssätzen entsprechende Teil der Einmalzahlung anzusehen. Diese Aufwendungen überstiegen aber nicht die Grenze der zumutbaren Eigenbelastung. Das FA habe daher den Klägern zu Recht nur den Körperbehinderten-Pauschsatz von 4 800 DM gewährt.
Die Kläger legten gegen diese Entscheidung Revision ein. Sie rügen sinngemäß unrichtige Anwendung des § 33 EStG. Sie bringen u. a. vor:
Die Ablösung der laufenden Verpflichtungen gegenüber der Anstalt sei zwar eine eigene, auf freiem Entschluß beruhende wirtschaftliche Maßnahme. Dies stehe dem Sinn und Zweck des § 33 EStG aber nicht entgegen. Die Abfindung sei keine Aufwendung im Vermögensbereich; denn im Gegensatz zu den vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen Fällen sei hier durch die Zahlung der Abfindung kein bestehender Schwebezustand beendet worden.
Da sie, die Kläger, Steuervergünstigungen nach § 33 und nach § 335 EStG nicht nebeneinander in Anspruch nehmen könnten, sei der Ablösebetrag von 275 000 DM um die künftigen Körperbehinderten-Freibeträge nach § 33 a EStG zu mindern. Dieser Kürzungsbetrag betrage 43 200 DM bei Zugrundelegung des Freibetrages für das Kalenderjahr 1974 (d. h. 4 800 DM x 9 entsprechend dem Vervielfältiger nach § 13 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG - für Leistungen von unbestimmter Dauer).
Die Kläger beantragen, den Differenzbetrag von 231 800 DM nach § 33 EStG zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 33a Abs. 6 EStG 1974 i. V. m. § 65 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStDV 1974 können Körperbehinderte, die infolge ihrer Behinderung ständig so hilflos sind, daß sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege leben können, auf Antrag einen Pauschbetrag von 4 800 DM erhalten, wenn sie nicht höhere Aufwendungen nachweisen oder glaubhaft machen. Die Eltern können auf Antrag auch gemäß § 65 Abs. 5 EStDV 1974 den Pauschbetrag des Kindes auf sich übertragen, wenn ihnen für das Kind ein Kinderfreibetrag zusteht und das Kind den Pauschbetrag selbst nicht in Anspruch genommen hat. Die Eltern können aber die tatsächlichen Kosten der Unterbringung des Kindes in einer Heil- und Pflegeanstalt nach § 33 Abs. 1 EStG nicht neben diesem Pauschbetrag geltend machen
(BFH-Urteil vom 10. Mai 1968 VI R 291/67, BFHE 92, 553, BStBl II 1968, 647). Solche Aufwendungen können allerdings an Stelle des Pauschbetrages berücksichtigt werden, wenn dies nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung für den Steuerpflichtigen günstiger ist (BFH-Entscheidung in BFHE 92, 553, BStBl II 1968, 647).
Nach den zutreffenden Ausführungen des FG hat das FA den Klägern zu Recht nur den Pauschbetrag von 4 800 DM für ihr wegen Krankheit hilfloses und pflegebedürftiges Kind gewährt. Der Kläger hat im Streitfall zwar höhere Aufwendungen gehabt, weil er an die Anstalt eine Abfindung von 275 000 DM geleistet hat. Der Senat tritt dem FG jedoch ebenfalls darin bei, daß diese Abfindung keine zwangsläufige Belastung war und daher nur die laufenden Pflegekosten, die bis Juli 1974 entstanden sind bzw. für den Rest des Jahres 1974 ohne die Zahlung der Abfindung angefallen wären, nach § 33 Abs. 1 EStG als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden könnten. Ein solcher Betrag übersteigt aber - unstreitig nicht die Grenze der zumutbaren Eigenbelastung der Kläger nach § 64 EStDV 1974.
Außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG 1974 dürfen das Einkommen nur mindern, wenn sie zwangsläufig erwachsen sind. Das ist nach § 33 Abs. 2 EStG 1974 der Fall, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. Urteil vom 18. Juli 1958 VI 16/57 U, BFHE 67, 294, BStBl III 1958, 388) müssen solche Ausgaben sowohl dem Grunde wie der Höhe nach zwangsläufig entstanden sein.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß den Klägern die Kosten für die Unterbringung ihres Kindes in der Anstalt dem Grunde nach zwangsläufig erwachsen sind. Denn das Kind konnte dort nach dem Zeugnis des behandelnden Arztes besser als zu Hause gepflegt und einer entsprechenden Therapie zugeführt werden. Für die Kläger waren daher Aufwendungen in Höhe der monatlichen Pflegesätze unabweislich.
Die Ablösung laufender, nach § 33 EStG zu berücksichtigender Leistungen ist nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Entscheidungen in BFHE 67, 294, BStBl III 1958, 388 und vom 2. Dezember 1960 VI 148/59 U, BFHE 72, 200, BStBl III 1961, 76) eine außergewöhnliche Belastung, wenn die Zahlung der Ablösungssumme ebenfalls zwangsläufig ist. Diese Voraussetzungen hat das FG unter Würdigung aller Umstände im Streitfall ohne Rechtsverstoß verneint. Der Senat ist an diese Sachverhaltswürdigung nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden, da die Kläger hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht haben.
Das FG konnte aufgrund der Auskunft des Vorstehers der Anstalt davon ausgehen, daß dieser den weiteren Aufenthalt sowie die Pflege und Betreuung des Kindes nicht von der Zahlung der vom Kläger erbrachten Ablösungssumme abhängig gemacht hatte. Es konnte deshalb die Ablösung ohne Rechtsverstoß als eine auf freiem Entschluß beruhende wirtschaftliche Maßnahme des Klägers würdigen, zu der er weder durch seine derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse noch durch sonstige persönliche Umstände genötigt war.
Die Entscheidung des Senats entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 33 EStG. Die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Kosten der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG soll nur dann und insoweit nach § 33 Abs. 2 EStG ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn die Aufwendungen für den Steuerpflichtigen eine unabweisliche finanzielle Belastung darstellen.
Freiwillig geleistete Abfindungen von laufenden Ausgaben i. S. des § 33 Abs. 1 EStG sind i. d. R. nicht unabweislich. Würde man sie als außergewöhnliche Belastung anerkennen, so würde man hierdurch Manipulationsmöglichkeiten eröffnen, die mit dem Wesen dieser Vorschrift nicht vereinbar sind. Wie der Streitfall zeigt, könnten freiwillige Abfindungen gerade für solche Steuerpflichtigen interessant sein, bei denen laufende Zahlungen (wie hier) steuerlich sich nicht auswirken, weil sie wegen der Höhe des Einkommens unter der Grenze der zumutbaren Eigenbelastung bleiben. Diese Personen könnten sich zudem für die Ablösung das Jahr aussuchen, in dem ihr Einkommen am höchsten und die Steuerersparnis wegen des progressiven Steuersatzes mithin am größten wäre. Das würde dem Sinn und Zweck des § 33 Abs. 1 EStG nicht entsprechen.
Da die Revision schon aus diesen Gründen keinen Erfolg hat, läßt der Senat die Frage dahingestellt sein, ob die streitbefangene Abfindung ggf. auch deshalb nicht nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig ist, weil es sich um eine Zuwendung im Vermögensbereich handeln könnte.
Fundstellen
Haufe-Index 413490 |
BStBl II 1981, 130 |
BFHE 1981, 55 |