Leitsatz (amtlich)
Ein dem Zustellungsvertreter einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) zugestellter Bescheid über die einheitliche Gewinnfeststellung ist auch einem ausgeschiedenen Gesellschafter gegenüber wirksam, wenn der für die einheitliche Gewinnfeststellung zuständigen Stelle des Finanzamts beim Erlaß des Bescheides das Ausscheiden nicht bekannt war. Auf die Kenntnis der für die Einkommensteuer-Veranlagung des Gesellschafters zuständigen Stelle (desselben oder eines anderen Finanzamts) kommt es nicht an.
Normenkette
AO § 219 Abs. 1; AO 1977 § 183
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis 1971 an einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) beteiligt. Seine Gewinnanteile aus dieser Beteiligung wurden schon in den Vorjahren einheitlich festgestellt. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1971 ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zunächst von den erklärten Einkünften aus selbständiger Arbeit aus.
Nachdem am 18. Juli 1973 ein einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid über den Gewinn 1971 der Gesellschaft dem Zustellungsvertreter zugestellt worden war, berichtigte das FA aufgrund einer Mitteilung über die einheitliche Gewinnfeststellung 1971 den Einkommensteuerbescheid 1971 nach § 218 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung (AO). Den Einspruch vom 24. Dezember 1973 verwarf das FA als unzulässig. Die Entscheidung - so meint das FA - folge, soweit der Einspruch sich gegen den Einkommensteuerbescheid wende, aus § 232 Abs. 2 AO, soweit er gegen den einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid der Gesellschaft gerichtet sei, daraus, daß dieser Bescheid bereits am 18. Juli 1973 zur Post gegeben und daher, da Nachsichtgründe nicht genannt seien, am 21. August 1973 bestandskräftig geworden sei.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verwies die Sache an das FA zurück, damit dem Kläger der einheitliche Gewinnfeststellungsbescheid bekanntgegeben werde und dann seine materiellen Einwendungen geprüft werden könnten. Das FG meinte, die Zustellung des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides 1971 an den Zustellungsvertreter der Gesellschaft (§ 219 Abs. 1 Satz 2 AO) habe mit Wirkung für und gegen den Kläger nicht mehr bewirkt werden können, weil der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung aus der Gesellschaft ausgeschieden gewesen sei. Hiervon habe dieser das FA auch in Kenntnis gesetzt; denn er habe schon mit Schreiben vom 14. Februar 1972 dem FA mitgeteilt, daß er seit dem 1. April 1971 sein Studium wieder aufgenommen habe und seither keine Einkünfte mehr erziele. Dieser Hinweis habe von der Veranlagungsstelle des FA dahin verstanden werden müssen, daß der Kläger aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Die für die einheitliche Gewinnfeststellung zuständige, von der Veranlagungsstelle getrennte Stelle desselben FA habe sich die Kenntnis der Veranlagungsstelle zurechnen lassen müssen.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision, mit der das FA Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage beantragt, ist begründet.
Der Senat kann dem FG nicht darin folgen, daß die Zustellung des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides an den Zustellungsvertreter der Gesellschaft gegenüber dem Kläger keine Wirkung habe und daher für diesen die Einspruchsfrist noch nicht in Lauf gesetzt worden sei.
a) Die Tatsache, daß der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung des streitigen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides aus der Gesellschaft bereits ausgeschieden war, schließt es nicht aus, daß der Bescheid gleichwohl ihm gegenüber als zuzustellender schriftlicher Bescheid (§ 218 Abs. 1 i. V. m. §§ 210, 210 b Abs. 1, 211 Abs. 1 und 3 AO) wirksam geworden ist. Das folgt aus § 219 Abs. 1 Satz 2 AO und dem Umstand, daß das Ausscheiden des Klägers dem FA im Zeitpunkt der Zustellung nicht bekannt gewesen ist. Denn solange das Ausscheiden dem FA nicht bekannt ist (oder z. B. wegen einer - hier nicht in Betracht kommenden - Eintragung im Handelsregister nicht als bekannt gelten muß), gilt die dem Zustellungsvertreter erteilte Ermächtigung weiter (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. November 1959 I 2/59 U, BFHE 70, 261, BStBl III 1960, 96; vgl. auch die Regelung in § 183 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Von diesen Grundsätzen ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Sie meint jedoch, die Tatsache des Ausscheidens sei dem FA bekannt gewesen. Das trifft aber, wie das FA zu Recht einwendet, nicht zu.
aa) Das FG hat nicht etwa in einer das Revisionsgericht bindenden Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) die Tatsache des Bekanntseins festgestellt, sondern es hat aus dem Schreiben des Klägers vom 14. Februar 1972 an das FA geschlossen, dieses Schreiben habe vom FA dahin verstanden werden müssen, daß der Kläger aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Diese Folgerung ist keine Tatsachenfeststellung und sie ist von der Revision zu Recht als unrichtig gerügt worden. Der im Zusammenhang mit einem Stundungsantrag im Schreiben vom 14. Februar 1972 gebrachte Hinweis des Klägers, er habe seit April 1971 sein Studium wiederaufgenommen und seit diesem Zeitpunkt keine Einkünfte mehr erzielt, bedeutet weder wörtlich noch dem Sinne nach eine Bekanntgabe des Ausscheidens aus der Gesellschaft.
bb) Darüber hinaus kann - hier schon wegen der Unbestimmtheit der Äußerung des Klägers, im übrigen aber auch ganz allgemein - nicht davon ausgegangen werden, daß die für die einheitliche Gewinnfeststellung der Gesellschaft zuständige Stelle sich die Kenntnis dessen zurechnen lassen muß, was ein Gesellschafter der für seine Einkommensteuer-Veranlagung zuständigen Stelle mitgeteilt hat. Es muß verlangt werden, daß der ausgeschiedene Gesellschafter, der abweichend von der bisher nach § 219 Abs. 1 Satz 2 AO getroffenen Zustellungsregelung Bekanntgabe des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides an sich selbst begehrt, sein Ausscheiden der für die Durchführung der einheitlichen Gewinnfeststellung zuständigen Stelle (also dem "Betriebs-Finanzamt" der Gesellschaft) mitteilt, wenn er mit der Bekanntgabe des Ausscheidens zum Ausdruck bringen will, daß die von ihm immerhin mitgeschaffene Rechtslage des § 219 Abs. 1 Satz 2 AO beendet sein soll. Läßt man schon die Mitteilung des Ausscheidens allein als (inzidenten) Widerruf der Zustellungsvollmacht gelten, so muß, wenn eine Bekanntgabe im Handelsregister nicht vorliegt, immerhin verlangt werden, daß die Mitteilung derjenigen Stelle gegenüber erfolgt, der gegenüber der Zustellungsvertreter benannt wurde. Solange das nicht geschehen ist und die für die einheitliche Gewinnfeststellung zuständige Stelle nicht auf andere Weise eine entsprechende positive Kenntnis erlangt hat, ist das Ausscheiden "der Finanzbehörde" nicht bekannt im Sinne des Urteils I 2/59 U (und des § 183 Abs. 2 AO 1977).
b) Hiernach war der angefochtene Bescheid über die einheitliche Gewinnfeststellung 1971 der GdbR auch dem Kläger gegenüber mit der Zustellung an den Zustellungsvertreter wirksam geworden mit der Folge, daß die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt und bei Einlegung des Einspruchs bereits verstrichen war; deshalb könnte dem Kläger allenfalls, was er auch sowohl gegenüber dem FA als auch gegenüber dem FG geltend gemacht hat, durch Gewährung von Nachsicht (§ 86 AO) geholfen werden. Den Kläger trifft jedoch ein die Nachsichtgewährung ausschließendes Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist. Denn obwohl er - wie er angibt - keinen Kontakt mehr mit seinen früheren Mitgesellschaftern hatte und obwohl er gleichwohl damit rechnen mußte, daß der einheitliche Gewinnfeststellungsbescheid - wie bisher - nur dem Zustellungsvertreter werde zugestellt werden, hat er es unterlassen, der für den Erlaß des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides zuständigen Stelle sein Ausscheiden aus der Gesellschaft in eindeutiger Form bekanntzugeben (vgl. hierzu auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1.-6. Aufl., § 219 AO Anm. 3 g).
Fundstellen
BStBl II 1979, 503 |
BFHE 1979, 126 |