Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung für Einfuhrumsatzsteuer trotz fehlendem Vorsteuerabzug

 

Leitsatz (NV)

Die Inanspruchnahme eines Hauptverpflichteten des gemeinschaftlichen Versandverfahrens trotz des Umstandes, daß die vom Empfänger der Ware geschuldete und nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer nicht zum Vorsteuerabzug zugelassen worden ist, verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

 

Normenkette

ZG § 41 Abs. 2; UStG § 21 Abs. 2; AO 1977 §§ 191, 219; EWGV 222/77 Art. 11 Buchst. a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Spedition. Sie beantragte am 29. August, 28. Oktober, 26. November, 9., 10. und 12. Dezember 1980 sowie am 19. Januar 1981 bei dem Zollamt Z die Abfertigung von Holz aus den USA zum gemeinschaftlichen Versandverfahren. In den Versandanmeldungen T 1 war jeweils die Firma G als Warenempfänger angegeben. Die Ware wurde antragsgemäß zum gemeinschaftlichen Versandverfahren mit der Bestimmung abgefertigt, daß die Klägerin verpflichtet war, die Ware binnen 15 Tagen der Bestimmungszollstelle - dem für X (Ortssitz der Firma G) zuständigen Zollamt A - zu gestellen bzw. gestellen zu lassen.

Die Ware wurde nicht bestimmungsgemäß gestellt. Die Versandanmeldungen blieben unerledigt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) nahm die Firma G durch Steuerbescheide für die Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch. Die Firma G leistete lediglich Teilzahlungen. Weitere Vollstreckungsversuche des HZA blieben ohne Erfolg. Für die Firma G wurde am 17. Januar 1983 die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt; das zuständige Amtsgericht lehnte die Eröffnung mit Beschluß vom 28. März 1983 ab. Der Inhaber der Firma G gab am 18. Januar 1983 eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse ab. Die von der Firma G nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer wurde beim zuständigen Finanzamt (FA) lt. dessen Auskunft nicht zum Abzug als Vorsteuer zugelassen.

Mit Haftungsbescheiden . . . nahm das HZA die Klägerin als Hauptverpflichtete des Versandverfahrens für die von der Firma G nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt . . . DM in Anspruch. Den Einspruch der Klägerin wies das HZA zurück.

Die Klage der Klägerin mit dem Antrag, die Haftungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, wies das Finanzgericht (FG) mit folgender Begründung ab (auszugsweise veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 369).

Die Klägerin sei Hauptverpflichtete i. S. des Art. 11 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates über das gemeinschaftliche Versandverfahren vom 13. Dezember 1976 - Versand-VO - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 38/1 vom 9. Februar 1977, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - Z 3201).

Nach Art. 13 Versand-VO habe der Hauptverpflichtete die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist der Bestimmungszollstelle zu gestellen. Unstreitig seien die Waren dem Zollamt A nicht gestellt worden. Nach § 41 Abs. 2 des Zollgesetzes (ZG) sei der Hauptverpflichtete Zollbeteiligter und hafte für den Zoll, wenn die Ware nicht ordnungsgemäß gestellt werde. Diese Vorschriften gälten nach § 21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß.

Die Klägerin könne nach § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Der in § 219 Satz 1 AO 1977 zum Ausdruck kommende Subsidiaritätsgedanke werde durch § 219 Satz 2 AO 1977 für die Fälle des § 41 Abs. 2 ZG ausgeschlossen. Die Haftungsbescheide seien nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Bescheide keine Ermessenserwägungen enthielten. Bei der Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten im Versandverfahren bedürfe es solcher Ermessenserwägungen jedoch grundsätzlich nicht. Denn der Hauptverpflichtete sei in erster Linie für eine während des gemeinschaftlichen Versandverfahrens entstandene Zollschuld heranzuziehen; nur ausnahmsweise dürfe davon aufgrund von Ermessenserwägungen abgesehen werden. Das folge aus dem Wesen des gemeinschaftlichen Versandverfahrens und den besonderen rechtlichen Beziehungen, die durch die Eröffnung dieses Verfahrens zwischen dem Hauptverpflichteten und der Zollbehörde begründet würden.

Als ein besonderer Umstand, der es rechtfertigen könnte, von der Inanspruchnahme der Klägerin abzusehen, sei es nicht zu werten, daß die Einfuhrumsatzsteuer bei der Firma G nicht als Vorsteuer abgesetzt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich das FG anschließe, sei es für die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Verwaltung im Rahmen der Ermessenserwägungen Umstände ausschließe, die im Bereich des Umsatzsteuerschuldners lägen (Senatsurteil vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die angefochtenen Haftungsbescheide i. d. F. der Einspruchsentscheidung die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe der Vorentscheidung. Diese entsprechen der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 29. Januar 1985 VII R 115/82, BFHE 143, 187, und vom 5. März 1985 VII R 13/82, BFH/NV 1986, 73).

Die Einwendungen der Klägerin halten einer näheren Prüfung nicht stand.

1. Die Behauptung der Klägerin, das HZA habe keine Ermessensentscheidung getroffen, steht im Widerspruch zu den Feststellungen des FG. Der Vorentscheidung ist mittelbar zu entnehmen, daß das FG von der tatsächlichen Ausübung des Ermessens durch das HZA ausgegangen ist. An diese Feststellung ist der Senat gebunden, da die Klägerin im Bezug auf sie keine Revisionsrügen erhoben hat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Überdies widerlegt die Begründung der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 1983 die Behauptung der Klägerin. Danach hat das HZA in Kenntnis der Tatsache gehandelt, daß es nach § 41 Abs. 2 ZG i. V. m. § 191 Abs. 1 AO 1977 einen Haftungsanspruch geltend machen ,,kann" (vgl. S. 3 Abs. 4 der Einspruchsentscheidung).

2. Nach Auffassung der Klägerin ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft. Sie sieht diesen Fehler darin, daß das HZA sie trotz Kenntnis von der Nichtgestellung der Waren bereits Mitte April 1981 erst mit Bescheiden vom 26. April 1983 in Anspruch genommen habe. Es sei auch vom HZA zu vertreten, daß es die Firma G als Schuldner erst im Mai 1981 herangezogen habe, daß das HZA ,,durch nicht haltbares Zögern" mit Vollstreckungsversuchen gegen die Firma G abgewartet habe, bis diese in Konkurs gefallen sei, und daß ihr, der Klägerin, dadurch die Möglichkeit genommen worden sei, ihre Rückgriffsansprüche gegen die Firma G zu realisieren.

Diese Einwendungen können schon deswegen nicht zum Erfolg führen, weil sie auf tatsächlichen Behauptungen beruhen, die in der Vorentscheidung keine Stütze finden, und die Klägerin keine Verfahrensrügen hinsichtlich der insoweit mangelnden Feststellungen des FG vorgetragen hat (vgl. § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2 FGO). Es bedarf daher keines Eingehens auf die andere Tatsachenschilderung des HZA und dessen Hinweis, es habe bereits im Mai 1982 die Klägerin darauf hingewiesen, daß der Schuldner noch nicht gezahlt habe und sie mit einer Inanspruchnahme rechnen müsse.

Diese Ausführungen gelten entsprechend für den Einwand der Klägerin, das HZA habe ermessensfehlerhaft gehandelt, indem es nicht vor ihrer Inanspruchnahme die Gesellschafter der Firma G in Anspruch genommen habe. Auch insoweit liegt neues tatsächliches Vorbringen vor, das in der Revisionsinstanz nicht gehört werden kann. Es kommt also nicht auf den Hinweis des HZA an, weitere Gesamtschuldner seien nicht vorhanden und der Steuerschuldner habe im maßgebenden Zeitpunkt als Firma G, Inhaber G, firmiert.

Auch dem Einwand der Klägerin, das von ihr behauptete zögerliche Verhalten des HZA verbiete diesem nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Inanspruchnahme der Klägerin, steht entgegen, daß diese Behauptung neues tatsächliches Vorbringen ist, das in den Feststellungen der Vorentscheidung keine Stütze findet.

3. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende trotz des Umstandes, daß die von der Firma G geschuldete und nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer nicht zum Vorsteuerabzug zugelassen worden ist, verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Der Senat verweist insoweit auf das bereits vom FG zitierte Urteil in BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688. Die Klägerin beruft sich demgegenüber auf die Dienstanweisung des BMF zur Einfuhrumsatzsteuer, die Erleichterungen praktischer Art für die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer bei zum Vorsteuerabzug berechtigten Schuldnern vorsieht. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso diese Dienstanweisung dazu führen könnte, daß die Inanspruchnahme der Klägerin im vorliegenden Fall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Das gleiche gilt, soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf § 21 Abs. 3 UStG beruft. Der dort vorgesehene gesetzliche Verzicht auf die Sicherheitsleistung beim Aufschub der Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer für Vorsteuerabzugsberechtigte präjudiziert nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Hauptverpflichtete des gemeinschaftlichen Versandverfahrens nach § 41 Abs. 2 Satz 3 ZG in Anspruch genommen werden darf.

Der Antrag der Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO) ist unzulässig; für diese Entscheidung ist das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 139 Anm. 32, mit Nachweisen).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416173

BFH/NV 1989, 568

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