Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Steht die dem Steuerpflichtigen erteilte Ausfertigung eines zusammengefaßten Bescheids über die Feststellung des Einheitswertes und die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags mit der Aktenverfügung in der Weise in Widerspruch, daß in der Ausfertigung der Bescheid als vorläufig bezeichnet wurde, die Aktenverfügung aber einen Vorläufigkeitsvermerk nicht enthält, so kann es unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben sowie des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen in die ihm gegenüber abgegebene Erklärung angebracht sein, daß das Finanzamt sich nicht auf die alleinige Maßgeblichkeit der Aktenverfügung berufen kann.

 

Normenkette

AO § 100 Abs. 1, §§ 225, 211 Abs. 1, § 218 Abs. 1; StAnpG § 11 Ziff. 4

 

Tatbestand

Am Hauptfeststellungszeitpunkt 1935 war Eigentümer des Grundstücks, für das Erstattung von Grundsteuer streitig ist, ein jüdischer Steuerpflichtiger. Dieser veräußerte im Jahre 1939 das Grundstück an den Rechtsvorgänger des Bf., dem es auf den 1. Januar 1940 zugerechnet wurde. Durch Kaufvertrag vom 30. Januar 1947 erwarb der Bf. das Grundstück. Die übernahme der Nutzungen und Lasten erfolgte zu demselben Tage. Durch Bescheid vom 10. März 1949 wurde das Grundstück dem Bf. zum 1. Januar 1948 zugerechnet und gleichzeitig wegen Totalschadens des Gebäudes eine Wertfortschreibung des Einheitswertes durchgeführt. Dementsprechend wurde auch der Grundsteuermeßbetrag auf den 1. Januar 1948 fortgeschrieben.

Durch Beschluß der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts vom 11. Januar 1954 wurde der Rechtsvorgänger des Bf. verurteilt, das Grundstück an die Jewish Trust Corporation for Germany Limited, London, (JRSO/ JTC) zurückzuerstatten. Die JRSO/JTC wurde am 3. Mai 1957 im Grundbuch in Abteilung I eingetragen. An demselben Tage wurde auf Grund des mit der JRSO/JTC geschlossenen Vertrages das Land als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen - aufgelassen am 9. April 1957 -.

Durch Scheiben vom 1. November 1954 beantragte der Bf., die von ihm auf das Grundstück geleisteten Abgaben zu erstatten. Er habe erst durch das Rückerstattungsverfahren erfahren, daß er niemals Eigentümer des Grundstücks geworden sei. Auf Grund des Kaufvertrages sei lediglich eine Vormerkung auf Eigentumsübertragung im Grundbuch eingetragen worden. Der Grund hierfür sei gewesen, daß ein übergang des Eigentums auf ihn infolge der Rückerstattungsgesetzgebung und des entsprechenden Sperrvermerks im Grundbuch überhaupt nicht mehr erfolgen konnte.

Das Finanzamt lehnte durch Bescheid vom 4. August 1955 eine Erstattung der seit 1947 von dem Bf. gezahlten Grundsteuer ab. Das Grundstück sei dem Bf. auf Grund des Kaufvertrages vom 30. Januar 1947 zum 1. Januar 1948 zugerechnet worden. Diese Zurechnungsfortschreibung sei unanfechtbar geworden. Im übrigen sei für die steuerliche Zurechnung nicht das bürgerlich-rechtliche Eigentum, sondern das wirtschaftliche Eigentum (ß 11 Ziff. 4 StAnpG) maßgebend. Die Grundstücksabgaben seien demnach vom Bf. zu Recht gefordert worden.

Mit dem Einspruch machte der Bf. geltend, er habe das Grundstück unter der Bedingung der dafür erforderlichen behördlichen Genehmigung erworben. Diese Genehmigung sei nicht erteilt worden. Deshalb sei nicht § 11 Ziff. 4 StAnpG, sondern § 4 StAnpG anzuwenden. Eigenbesitzer des Grundstücks sei auf Grund des im Grundbuch eingetragenen Sperrvermerks die JRSO/JTC gewesen. Bereits am 4. März 1947 habe er sich an den Veräußerer gewandt, als er von dritter Seite erfahren hatte, daß dieser das Grundstück von einem jüdischen Eigentümer erworben habe. Von diesem Zeitpunkt an habe er das Grundstück in Anerkennung des noch bestehenden fremden Eigentums lediglich verwaltet.

Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Durch Schreiben vom 20. Februar 1957 habe das Finanzamt den Bf. um Mitteilung gebeten, ob sein Begehren als Anregung auf Vornahme einer Zurechnungsfortschreibung von Amts wegen oder auch als Antrag auf Erlaß nach § 131 AO angesehen werden soll. Trotz wiederholter Erinnerungen habe der Bf. darauf nicht geantwortet. Der Antrag sei seiner Natur nach als Antrag auf Erstattung gemäß § 150 ff. AO anzusehen. Abgesehen davon, daß eine Bindung an die unanfechtbar gewordene Zurechnungsfortschreibung bestehe, sei eine Grundsteuer nicht zu Unrecht beigetrieben (ß 152 Abs. 1 AO). Im übrigen sei ein etwaiger Steuererstattungsanspruch nah § 152 Abs. 3 AO erloschen, soweit er Erstattung von Zahlungen verlange, die der Bf. bis Ende 1952 entrichtet habe. Ein Anspruch auf Erstattung der für die Jahre 1947 bis 1950 gezahlten Grundsteuer stehe dem Bf. nicht zu. Für die Rechnungsjahre 1951 bis 1954 sei die Grundsteuer erlassen worden.

Die Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Nach § 152 AO, der im Streitfalle in Betracht komme, könne der Bf. Erstattung nicht verlangen. Er hätte die gegen die Zurechnung des Grundstücks gerichteten Einwendungen im Rechtsmittelverfahren gegen den Wertfortschreibungs- und Zurechnungsbescheid auf den 1. Januar 1948 geltend machen müssen bzw. eine Zurechnungsfortschreibung im Wege der Berichtigung nach § 225 AO verlangen können und müssen. Dies habe der Bf. nicht getan. Er habe die auf ihn erfolgte Zurechnung widerspruchslos hingenommen, obwohl er nach seinem eigenen Vorbringen schon am 26. März 1947 durch den Voreigentümer erfahren hatte, daß er mit einem Rückerstattungsverfahren und dessen Folgen rechnen mußte. Im Erstattungsverfahren könne er solche Einwendungen nicht mehr erheben. über den Antrag auf Erstattung der Grunderwerbsteuer könne das Gericht nicht befinden, weil es insoweit an einer rechtsmittelfähigen Vorentscheidung des Finanzamts fehle.

Die Rb. wird auf unrichtige Anwendung bzw. Nichtanwendung bestehenden Rechts und Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten gestützt. Der Einheitswert- und Grundsteuermeßbescheid vom 10. März 1949 sei nach der zu den Akten gegebenen Fotokopie dieses Bescheids seinem vollen Inhalt nach ein vorläufiger. Dieser dürfe nicht stillschweigend so behandelt werden, als sei er ein endgültiger. Es liege auch nicht im Ermessen des Finanzamts, ob es den Bescheid berichtigen wolle oder nicht. Der Erstattungsantrag sei zumindest als Anregung zur Berichtigung des für vorläufig erklärten Bescheids anzusehen (Urteil des Bundesfinanzhofs III 266/51 S vom 31. Oktober 1952, BStBl 1952 III S. 313, Slg. Bd. 56 S. 816). Werde ein im ganzen vorläufiger Steuerbescheid nicht angefochten und werden die Abgaben alsdann nach § 225 AO endgültig festgesetzt, so umfasse nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs II z 23/50 U vom 5. Dezember 1950 (BStBl 1951 III S. 18, Slg. Bd. 55 S. 44) die Anfechtung des endgültigen Bescheids auch den vorläufigen Steuerbescheid. Bei der endgültigen Veranlagung stehe der Sachverhalt doch in der Weise fest, daß eine Zurechnungsfortschreibung auf den Bf. keinesfalls mehr gegeben sei.

Soweit die zu erstattende Grundsteuer auf nur 342 DM beziffert werde, verstoße dies nach der überreichten Fotokopie einer Quittung des Vollziehungsbeamten vom 12. Oktober 1951 gegen den Inhalt der Akten. Aus dieser Quittung ergebe sich, daß die Grundsteuer für das I. und II. Quartal 1951 vollstreckt worden sei.

Hinsichtlich des Antrages auf Erstattung der Grunderwerbsteuer sei die Vorschrift des § 284 AO übersehen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und des Bescheids vom 4. (12.) August 1955 über die Ablehnung einer Erstattung von Grundsteuer.

I. - Wesentlich für die Entscheidung ist, ob der Einwand des Bf., der Zurechnungs- und Wertfortschreibungsbescheid sowie der Fortschreibungsbescheid über den Grundsteuermeßbetrag vom 10. März 1949 seien in vollem Umfang vorläufig, zutreffend ist. Die Aktenverfügung über die Zurechnung des Grundstücks auf den Bf., über die Wertfortschreibung und Fortschreibungsveranlagung auf den 1. Januar 1948 enthält keinen Vermerk über die Vorläufigkeit dieses Bescheids. Der Bf. legte jedoch der Vorinstanz eine Fotokopie des an ihn gerichteten zusammenfassenden Bescheids vom 10. März 1949 vor, der einen uneingeschränkten Vorläufigkeitsvermerk enthält. Hiernach stehen Akteninhalt, d. h. die in den Steuerakten getroffene Entscheidung der zuständigen Beamten und die dem Bf. erteilte Ausfertigung, d. h. der vorläufige Einheitswertbescheid und Fortschreibungsveranlagungsbescheid, in Widerspruch zueinander. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 105/63 U vom 13. Dezember 1963 (BStBl 1964 III S. 167, Slg. Bd. 78 S. 434) muß in solchen Fällen grundsätzlich der Akteninhalt maßgebend sein, in dem das, was die Behörde gewollt und entschieden hat, niedergelegt ist. Die unrichtige Mitteilung der Entscheidung an den Betroffenen durch eine fehlerhafte Ausfertigung könne nicht etwa allgemein zur Folge haben, daß die Behörde an die unrichtige Mitteilung gebunden wäre. Die angeführte Entscheidung brachte aber andererseits auch zum Ausdruck, daß ausnahmsweise nach Treu und Glauben eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein mag. Der Sachverhalt im angeführten Urteil lag so, daß dort das Finanzamt von einer Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 46 EStG absah und in den Akten durch den Vermerk "nv" verfügte, daß die Bf. nicht zu veranlagen seien. Es erteilte anschließend den folgenden "Freistellungsbescheid": "Sie sind von der Einkommensteuer 1960 freigestellt worden." Im Streitfall geht es aber darum, ob der dem Bf. erteilte Bescheid, der als vorläufig bezeichnet ist, entsprechend der Aktenverfügung auch dem Bf. gegenüber als endgültig angesehen werden kann. Die beiden Sachverhalte weichen somit in ihrer Auswirkung wesentlich voneinander ab. In dem entschiedenen Fall haben die Bf., wie die Entscheidung ausführt, aus der unrichtigen Mitteilung keinen Nachteil gehabt, sondern erstrebten nur, aus der unrichtigen Bezeichnung des Bescheids einen ungerechtfertigten Vorteil für sich herauszuschlagen. Für den Streitfall kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Berichtigung eines in vollem Umfange vorläufigen Bescheids nach § 225 AO eine darauf gerichtete Willenserklärung des Finanzamts und die ordnungsmäßige Bekanntgabe dieses Willens voraussetzt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 156/35 vom 27. Mai 1936, RStBl 1936 S. 793; Urteil des Bundesfinanzhofs IV 168/61 S vom 23. Januar 1964, BStBl 1964 III S. 436, Slg. Bd. 79 S. 559) und der Berichtigungsbescheid nach § 225 AO ohne Rücksicht auf § 234 AO anfechtbar ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs I A 216/25 vom 9. Februar 1926, RStBl 1926 S. 313, Slg. Bd. 18 S. 269; Urteil des Bundesfinanzhofs II z 23/50 U vom 5. Dezember 1950, a. a. O.). Läßt der Steuerpflichtige den in vollem Umfange vorläufigen Bescheid unanfechtbar werden, so begibt er sich damit nicht späterer Einwendungen gegen den endgültigen Bescheid (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, § 100 Anm. 10 letzter Absatz). In tatsächlicher Hinsicht kommt für den Streitfall hinzu, daß auch die zu den Grundsteuerakten des Finanzamts gegebene Ausfertigung des Bescheids den Vermerk "Vorläufiger ... " enthält. Schließlich ist bedeutsam, daß der Bf. mit gutem Grunde annehmen konnte, das Finanzamt habe den Bescheid zu Recht als vorläufig bezeichnet. Der Bf. erfuhr einige Wochen nach Abschluß des Kaufvertrages von dritter Seite, daß sein Rechtsvorgänger das Grundstück von einem jüdischen Steuerpflichtigen erworben habe. Deshalb wandte er sich sogleich an den Rechtsvorgänger. Dieser teilte dem Bf. durch Schreiben vom 26. März 1947 mit, der frühere Eigentümer sei im Jahre 1939 an ihn wegen des Verkaufes des Grundstücks herangetreten, da er wegen der drohenden Kriegsgefahr zur Sicherung seiner Familie Deutschland verlassen wolle. Dieser sei holländischer Staatsangehöriger und seiner Erinnerung nach jüdisch gewesen. Gleichzeitig teilte der Rechtsvorgänger dem Bf. mit, er habe vom Grundbuchamt die Mitteilung über die Eintragung der Vorbemerkung zugunsten des Bf. erhalten. Nach all dem ist der Senat der Auffassung, daß es im Streitfalle unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen in die ihm gegenüber abgegebene Erklärung angebracht ist, daß das Finanzamt sich nicht auf die alleinige Maßgeblichkeit der Aktenverfügung berufen kann.

II. - Die Vorinstanz ist auf die Frage, ob der Bescheid vom 10. März 1949 dem Bf. gegenüber als vorläufig anzusehen ist, überhaupt nicht eingegangen. Sie hat ebenso wie das Finanzamt den Antrag auf Erstattung im wesentlichen mit der Begründung versagt, der Bescheid sei unanfechtbar geworden. Wie unter I dargelegt, kann hierauf die Ablehnung des Antrages auf Erstattung von Grundsteuer nicht gestützt werden. Der Bf. beantragte, die von ihm geleisteten Abgaben für das Grundstück zu erstatten, und zwar mit der Begründung, er sei wegen des eingeleiteten Rückerstattungsverfahrens nicht Eigentümer des Grundstückes geworden. Auch im Einspruchsschreiben wies der Bf. darauf hin, er sei nicht Eigenbesitzer des Grundstückes im Sinne von § 11 Ziff. 4 StAnpG geworden; in seinem Falle sei vielmehr § 4 StAnpG anzuwenden. Hieraus ergibt sich, daß der Bf. eine Erstattung begehrt, weil nach seiner Auffassung das Grundstück ihm nicht zuzurechnen sei. Ist aber der Bescheid vom 10. März 1949 dem Bf. gegenüber nur als vorläufig anzusehen (vgl. unter I), so muß zunächst endgültig über die Frage der Zurechnung entschieden werden, damit dem Bf., soweit es dann noch erforderlich ist, die Möglichkeit gegeben wird, das, was er gegen den ihm gegenüber als vorläufig bezeichneten Bescheid nicht vorbringen zu müssen glaubte, nunmehr vorbringen kann. Die Frage einer Erstattung steht erst dann zur Erörterung, wenn über die Zurechnung endgültig entschieden ist.

III. - Der Vorentscheidung ist darin beizustimmen, daß die Vorinstanz über den Antrag auf Erstattung von Grunderwerbsteuer nicht entscheiden konnte, weil es insoweit an einer rechtsmittelfähigen Entscheidung des Finanzamts fehlt. Die Voraussetzungen zu einer Entscheidung gemäß § 284 AO lagen nicht vor. Nach der Aktenverfügung vom 20. Dezember 1954 teilte das Finanzamt dem Bevollmächtigten des Bf. mit, daß nach dem Schreiben vom 7. September 1955 auch Erstattung der Grunderwerbsteuer begehrt werde. Der Bf. wurde gebeten, aus Gründen der Zuständigkeit einen entsprechenden Antrag an das dafür zuständige Finanzamt - Grunderwerbsteuerstelle - zu richten. Auf die Bitte des Bevollmächtigten in seinem Schreiben vom 30. August 1956 hat das Finanzamt Durchschrift dieses Schreibens an diese Stelle gesandt. Eine Ablehnung des Antrages auf Erstattung von Grunderwerbsteuer sowie eine Einspruchsentscheidung herüber befindet sich nicht in den vorliegenden Akten. Da die Vorinstanz hiernach zu Recht nicht über eine Erstattung von Grunderwerbsteuer entschieden hat, fehlt es auch für den erkennenden Senat an einer Vorentscheidung, über die er im Rechtsbeschwerdeverfahren befinden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411505

BStBl III 1965, 235

BFHE 1965, 656

BFHE 81, 656

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