Leitsatz (amtlich)

Der Senat kann wegen des eindeutigen und klaren Wortlauts des § 7 Abs. 3 UStG von der in dem Urteil des Bundesfinanzhofs V 153/52 U vom 22. Juli 1953 (BStBl 1953 III S. 275, Slg. Bd. 57 S. 724) vertretenen Auffassung nicht abweichen, daß ein Unternehmer, der Einzelhandel betreibt und unter Fortführung des Einzelhandelsgeschäftes zum Großhandel übergeht, für das Übergangsjahr den ermäßigten Steuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG nur dann in Anspruch nehmen kann, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr seine Lieferungen im Einzelhandel nicht mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen haben.

 

Normenkette

UStG § 7 Abs. 3, § 2 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Bf. erwarb im Oktober 1956 eine Tabakwarengroßhandlung, in der er bis Ende 1956 Großhandelslieferungen für insgesamt 63 721 DM durchführte. Er ist der Auffassung, daß ihm für diese Umsätze der ermäßigte Großhandels-Steuersatz gemäß § 7 Abs. 3 UStG zu gewähren sei. Das Finanzamt verweigerte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes, weil im vorangegangenen Kalenderjahr die Einzelhandelslieferungen mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen hätten. Dabei ging das Finanzamt davon aus, daß der Bf. seit mehreren Jahren einen Gemischtwareneinzelhandel betreibe und sein Gesamtumsatz für 1955 ausschließlich aus den Umsätzen dieses Einzelhandelsgeschäftes bestanden habe.

Der Bf. wendet sich gegen die Annahme des Finanzamts und behauptet, das Gemischtwarengeschäft gehöre ihm und seiner Ehefrau gemeinsam. Es werde bereits seit mehr als 15 Jahren von einer zwischen ihnen bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben. Das Bestehen dieser Gesellschaft sei daraus zu erkennen, daß sowohl das Grundstück, auf dem das Ladengeschäft betrieben werde, als auch das Inventar von ihm und seiner Ehefrau gemeinsam erworben seien. Ferner werde der gesamte unbare Zahlungsverkehr des Gemischtwarengeschäftes über ein Konto abgewickelt, das unter dem Namen der Eheleute geführt werde, während das Konto des Tabakwarengroßhandels unter seinem Namen laufe. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß die gemeinschaftliche Führung dieses Geschäftes allgemein bekannt sei.

Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht lehnte ebenso wie das Finanzamt die Gewährung der Großhandelsvergünstigung ab, weil der Vorjahresumsatz zu mehr als 75 v. H. aus Einzelhandelslieferungen bestanden habe. Das Finanzgericht sah als erwiesen an, daß der Bf. Alleininhaber des Gemischtwarengeschäftes sei. Diese Auffassung stützte es insbesondere darauf, daß die Rechnungen der Lieferanten und der in dem Gemischtwarengeschäft benutzte Firmenstempel allein auf den Namen des Bf. lauteten. Ferner sei nur dem Bf. die Genehmigung für den Verkauf von Gemischtwaren erteilt und schließlich habe er in den Umsatzsteuererklärungen für 1951 bis 1955 sich selbst als Inhaber des Gemischtwarengeschäftes bezeichnet.

Mit der Rb. rügt der Bf. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er wendet sich insbesondere gegen die Feststellung des Finanzgerichts, daß er als Alleininhaber des Gemischtwarengeschäftes zu behandeln sei. Das Finanzgericht habe dem Umstand, daß ihm allein die Genehmigung zum Verkaufe der Gemischtwaren erteilt sei, zu Unrecht entscheidende Bedeutung beigemessen. Hätte das Finanzgericht vielmehr berücksichtigt, daß es im Zeitpunkt der Beantragung der Gewerbegenehmigung hinsichtlich der steuerlichen Auswirkung bedeutungslos gewesen sei, ob die Behörden ihn oder die zwischen ihm und seiner Ehefrau bestehende Gesellschaft als Inhaber des Geschäftes angesehen hätten, dann hätte es eine andere Entscheidung getroffen. Damals sei er davon ausgegangen, daß Eheleute in jedem Falle bei der Veranlagung zur Umsatzsteuer als Gemeinschaft behandelt würden. Daher habe er es unterlassen, die Behörden besonders auf das Bestehen der Gesellschaft hinzuweisen. Da im übrigen die von ihm dargelegten Einzelmerkmale eindeutig für das Vorhandensein einer Gesellschaft sprechen würden, dürften heute aus seinem damaligen Verhalten keine für ihn ungünstigen Folgen hergeleitet werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Dem Bf. kann nur dann für die im Jahre 1956 durchgeführten Großhandelslieferungen der ermäßigte Steuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG gewährt werden, wenn sein Vorbringen, daß er das Gemischtwareneinzelhandelsgeschäft nicht betreibe und auch nicht betrieben habe, zutrifft. Würden nämlich die Darlegungen des Bf. richtig sein, dann wäre die Frage nicht zu prüfen, ob der Bf. im Vorjahr der Voraussetzung der 75-v.H.-Grenze genügt hat. Die Vorjahrsumsätze haben nur dann entscheidende Bedeutung, wenn der Unternehmer auch Gegenstände außerhalb des Großhandels umsetzt. Mit Recht hat daher das Finanzgericht die Frage, wer Unternehmer des Gemischtwareneinzelhandelsgeschäftes ist, eingehend geprüft. Diese Frage liegt auf tatsächlichem Gebiet. Das Finanzgericht hat festgestellt, daß Vereinbarungen zwischen dem Bf. und seiner Ehefrau über die Gründung einer Gesellschaft, die das gemeinschaftliche Betreiben des Gemischtwarengeschäftes zum Gegenstand hat, nicht getroffen sind. Diese Feststellung ist nicht zu beanstanden. Das Finanzgericht stützt sie zunächst darauf, daß ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen ist. Aber auch für den Abschluß eines mündlich vereinbarten Gesellschaftsverhältnisses, das beachtlich sein könnte, sind weder aus den Darlegungen des Bf. noch aus den übrigen Aktenunterlagen irgendwelche Hinweise hinsichtlich des Zeitpunktes des Vertragsabschlusses noch über den Inhalt der Vereinbarungen gegeben. Bestehen somit bereits aus diesen Gründen erhebliche Bedenken, ob die Eheleute jemals ernstlich ein Gesellschaftsverhältnis vereinbart haben, so wird die Annahme des Finanzgerichts, daß derartige Vereinbarungen nicht bestehen, durch das Verhalten des Bf. seit der Übernahme des Geschäftes bestätigt. Berücksichtigt man, daß die Gewerbegenehmigung nur dem Bf. erteilt ist, daß ferner der Bf. nicht eine Rechnung der Lieferanten vorlegen konnten, die in der Anschrift irgendeinen für das Bestehen eines Gesellschaftsverhältnisses sprechenden Hinweis enthält, und daß schließlich der Bf. sich selbst noch in der im Mai 1956 abgegebenen Umsatzsteuererklärung für 1955 als Inhaber des Gemischtwarengeschäftes bezeichnet hat, dann konnte das Finanzgericht zu seiner Feststellung über das Nichtbestehen eines Gesellschaftsverhältnisses gelangen. Im vorliegenden Falle kommt darüber hinaus noch hinzu, daß der in dem Gemischtwarengeschäft benutzte Stempel nur den Namen des Bf. und keinen Hinweis auf das Vorhandensein einer Gesellschaft enthält. Dieser Umstand rechtfertigt die Annahme des Finanzgerichts, daß die Geschäfte des Gemischtwarengeschäfts sowohl mit den Lieferanten als auch mit den Kunden nur im Namen des Bf. abgeschlossen sind. Nach dem Gesamtbilde des Falles ist nach allem die vom Finanzgericht getroffene Feststellung nicht zu beanstanden; denn es konnte nicht festgestellt werden, daß sich die Gemeinschaft der Eheleute als solche am wirtschaftlichen Verkehr beteiligt hat. An dieser Beurteilung kann auch das Vorbringen des Bf. über den gemeinschaftlichen Erwerb des Grundstückes, auf dem das Ladengeschäft betrieben wird, und des Ladeninventars nichts ändern. Es kommt nicht selten vor, daß dem Gewerbe des Ehemanns Gegenstände zur Verfügung gestellt werden, die den Eheleuten gemeinsam gehören. Ebenso kann auch nicht aus der Tatsache, daß das Bankkonto, über das die Überweisungen des Gemischtwarengeschäftes durchgeführt werden, auf den Namen der Eheleute lautet, zwingend hergeleitet werden, daß der Bf. nicht Alleininhaber des Gemischtwarengeschäftes ist. Somit ist die vom Finanzgericht getroffene Feststellung gemäß § 288 Ziff. 1, § 296 Abs. 1 AO für den Senat bindend. Das Finanzgericht konnte auf Grund der ihm zustehenden freien Beweiswürdigung ohne Rechtsirrtum und ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten zu dem gewonnenen Ergebnis kommen.

Geht man nunmehr davon aus, daß der Bf. Alleininhaber des Gemischtwarengeschäftes ist, dann hat er die in diesem Geschäft bewirkten Einzelhandelsumsätze durchgeführt. Daher haben die Vorinstanzen die Anwendung des ermäßigten Großhandels-Steuersatzes für 1956 zu Recht versagt. Wenn demgegenüber der Bf. die Auffassung vertritt, ihm sei dennoch der ermäßigte Steuersatz für die Großhandelslieferungen zu gewähren, weil er diese Lieferungen in dem Tabakwarengeschäft, das als "ein Unternehmen im ganzen" erworben sei, verwirklicht habe, so kann dem Bf. nicht zugestimmt werden. Der Bf. übersieht, daß das Tabakwarengeschäft für ihn nur einen Betrieb im Rahmen seines Unternehmens darstellt. Er ist nicht erst durch den Erwerb des Tabakwarengeschäftes Unternehmer geworden, sondern hat lediglich sein seit Jahren bestehendes Unternehmen um einen Betrieb erweitert. Für die Anwendung des ermäßigten Großhandels-Steuersatzes kommt es entsprechend dem das Umsatzsteuerrecht beherrschenden Grundsatz von der Einheitlichkeit des Unternehmens auf die durch den Unternehmer insgesamt in seinem Unternehmen und nicht auf die in einem gesondert geführten Betriebe bewirkten Umsätze an (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 26/44 vom 19. April 1944, RStBl 1944 S. 510).

Wegen des klaren und eindeutigen Wortlauts des § 7 Abs. 3 Satz 2 UStG konnte der Senat nicht zu einer von der Vorentscheidung abweichenden Beurteilung des vorliegenden Falles kommen. Demgegenüber muß jedoch zugegeben werden, daß wirtschaftlich gesehen dieses Ergebnis nicht befriedigt. Die in nicht ganz drei Monaten bewirkten Großhandelsumsätze, die der Bf. nach dem Erwerb des gesondert geführten Tabakwarengeschäftes im Oktober 1956 ausführte, sind höher als die während des vollen Jahres 1956 bewirkten Einzelhandelsumsätze. Es ist nicht recht verständlich, daß in einem so gelagerten Falle das Gesetz die Anwendung der Begünstigungsvorschrift des § 7 Abs. 3 UStG wegen der Art und Höhe der im Vorjahr durchgeführten Umsätze versagt. Dabei gewährt die Verwaltung einem Steuerpflichtigen auch dann für Großhandelslieferungen den ermäßigten Steuersatz, wenn er erst während des Jahres den Groß- und Einzelhandel aufgenommen hat (Neugründung) und anzunehmen ist, daß er der Voraussetzung der 75-v.H.-Grenze genügt. Zum gleichen Ergebnis gelangt die Verwaltung in den Fällen, in denen der Unternehmer im Laufe eines Jahres den auch bereits im Vorjahr betriebenen Einzelhandel aufgibt und nunmehr zum reinen Großhandel übergeht (vgl. Einführungserlaß des Reichsministers der Finanzen zu den Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz 1938 vom 20. Januar 1939 -- S 4015 -- 1 III Abschnitt B 16 Abs. 3 -- RStBl 1939 S. 129, 1 3 4). Schließlich ist hierbei noch zu berücksichtigen, daß ein Unternehmer, der bisher nur Einzelhandel betrieb und dann seine gewerbliche Tätigkeit auch auf Großhandel ausdehnt, regelmäßig gerade im ersten Jahre erhebliche Schwierigkeiten überwinden muß, um gegenüber der seit Jahren bei der Kundschaft eingeführten Großhandelskonkurrenz bestehen zu können. Es kann danach die durch den Wortlaut des Gesetzes bedingte Entscheidung nicht befriedigen. Über die Frage, ob das Ergebnis billig ist, ist aber in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410386

BStBl III 1962, 211

BFHE 1962, 570

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