Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wenn zu prüfen ist, ob bei einer Verwaltungsentscheidung, z. B. Entscheidung über den Erlaß des Aufbringungsbetrags für die Investitionshilfe, die Grenzen des Ermessens von der Verwaltungsbehörde beachtet worden sind, kann das Finanzgericht die Verwaltungsentscheidung nur aufheben, wenn es feststellt, daß eine Ermessensüberschreitung vorliegt. Falls das Finanzgericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, muß es die hierzu notwendigen Ermittlungen selbst anstellen; eine Zurückverweisung des Rechtsstreits nur zum Zwecke der weiteren Aufklärung ist nicht zulässig.
Normenkette
AO §§ 237, 230, 304/4; GG Art. 19/4, Art. 3 Abs. 1; FGO § 102
Tatbestand
Streitig ist der Erlaß des Aufbringungsbetrags für die Investitionshilfe. Der Beschwerdegegner (Bg.) betreibt auf einem zum früheren Truppenübungsplatz A. gehörenden Gelände eine Bäckerei mit Gemischtwarenhandlung. Das Finanzamt hat ihn zu einem endgültigen Aufbringungsbetrag für die Investitionshilfe von 2.600 DM herangezogen. Sein Antrag auf Erlaß der Investitionshilfe wurde abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat die Oberfinanzdirektion zurückgewiesen. Auf die Berufung des Bg. wurde die Beschwerdeentscheidung vom Finanzgericht aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Oberfinanzdirektion zurückverwiesen.
Das Finanzgericht führte aus: Ob die Investitionshilfe erlassen werden könne, sei gemäß § 21 Abs. 3 des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft (IHG) von der Finanzverwaltung im Rahmen des pflichtmäßigen Ermessens zu entscheiden. Die Finanzgerichte hätten lediglich zu prüfen, ob bei den Entscheidungen über Erlaßanträge die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden seien. Eine überschreitung der Ermessensgrenze sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur gegeben, wenn die Entscheidung nach der allgemeinen Auffassung unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Hand und des Abgabepflichtigen mit den Grundsätzen der Billigkeit unvereinbar sei. Bei der günstigen Ertragslage und der Aufwärtsentwicklung des Betriebs des Bg. erscheine die von der Oberfinanzdirektion ausgesprochene Ablehnung des Erlaßantrags zwar als vertretbar. Der Bg. habe aber außerdem noch vorgetragen, daß der Betrieb wegen der Lage auf dem Truppenübungsplatz räumungsgefährdet sei, und daß er im Falle einer Räumung seinen Betrieb innerhalb von 90 Tagen ohne ausreichende Entschädigung aufgeben müsse. Die das Gelände verwaltende Abteilung der Oberfinanzdirektion habe zwar erklärt, es bestehe bei dem Pachtobjekt weder zur Zeit noch in Zukunft eine Räumungsgefahr. Diese Erklärung bedeute aber nur, daß die deutsche Dienststelle bemüht sei, dem Bg. seinen Betrieb zu erhalten. Die Erfahrung habe jedoch gezeigt, daß Eingriffe der Besatzungsmächte in deutsches Eigentum trotzdem möglich seien. Es sei hier nicht unwahrscheinlich, daß im Rahmen der weiteren militärischen Entwicklung in größerem Umfange auf den Truppenübungsplatz zurückgegriffen werde. Falls dies eintrete, werde die Existenz des Bg. ernstlich gefährdet. Unter diesen Umständen könne möglicherweise von einem besonderen Ausnahmefall im Sinne des § 21 IHG gesprochen werden. Ob eine wirtschaftliche Unsicherheit des Bg. in einem solchen Grade gegeben sei, daß ein besonderer Ausnahmefall dieser Art vorliege, lasse sich durch eine genaue überprüfung der Entwicklung, insbesondere der örtlichen Verhältnisse auf dem Truppenübungsplatz feststellen. Da dies bisher nicht ausreichend geprüft worden sei, werde die Sache unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung an die Oberfinanzdirektion zurückverwiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde macht die Oberfinanzdirektion geltend, der Erlaß des Aufbringungsbetrags zur Investitionshilfe könne in der Regel überhaupt nur in Erwägung gezogen werden, wenn durch die Erfüllung der Investitionshilfeverpflichtung die Aufrechterhaltung eines Betriebs in Frage gestellt werde. Das sei aber bei dem Bg. nicht der Fall. Eine Gefährdung trete möglicherweise erst ein, wenn im Rahmen der weiteren militärischen Entwicklung das Gelände des Truppenübungsplatzes geräumt werden müsse. Die Möglichkeit einer Gefährdung der Existenzgrundlage rechtfertige jedoch noch nicht den Erlaß der Investitionshilfe.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, liegt die Entscheidung, ob der Aufbringungsbetrag zur Investitionshilfe gemäß § 21 IHG erlassen werden kann, im Ermessen des Finanzamts oder - wenn der Aufbringungsschuldner gegen den ablehnenden Bescheid des Finanzamts Beschwerde einlegt - der Oberfinanzdirektion. Die Finanzgerichte können nur prüfen, ob die Behörden der Finanzverwaltung im einzelnen Fall in den Grenzen ihres pflichtmäßigen Ermessens entschieden oder diese Grenze überschritten haben (Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, Bundessteuerblatt 1951 III S. 107). Die Finanzgerichte können also eine im Verwaltungsweg ergangene Ermessensentscheidung nur aufheben, wenn sie feststellen, daß die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung die durch die Gesetze gezogenen Grenzen des Ermessens nicht eingehalten hat. Die Möglichkeit einer unrichtigen Anwendung des Ermessens reicht hierzu noch nicht aus. Wenn das Finanzgericht den Sachverhalt noch nicht für ausreichend geklärt hält, um über die richtige Anwendung des Ermessens durch die Verwaltungsbehörde entscheiden zu können, muß es von sich aus die nach seiner Auffassung noch notwendigen Ermittlungen anstellen und damit die Grundlagen für die Entscheidung schaffen, ob sich die Verwaltungsbehörde in den vom Gesetz aufgestellten Grenzen gehalten hat. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zwecks weiterer Sachaufklärung vor Entscheidung zur Frage der Ermessensüberschreitung ist grundsätzlich unzulässig (vgl. auch § 284 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung). Es ist dem Finanzgericht im vorliegenden Fall beizupflichten, daß es für die Frage des Erlasses des Aufbringungsbetrags für die Investitionshilfe wesentlich ist, ob der Betrieb des Bg. durch die Möglichkeit einer Räumung gefährdet war. Eine Aufhebung der Beschwerdeentscheidung wäre jedoch nur angängig gewesen, wenn das Finanzgericht auf Grund des vom Finanzamt und der Oberfinanzdirektion festgestellten Sachverhalts oder nach den von ihm selbst vorgenommenen Ermittlungen zu der Feststellung gekommen wäre, daß die Oberfinanzdirektion bei ihrer Entscheidung die ihrem Ermessen gesetzten Grenzen infolge unrichtiger Würdigung der Räumungsgefahr nicht beachtet hat. Da das Finanzgericht dies nicht festgestellt hat, sondern nur annimmt, daß durch weitere Ermittlungen eine bessere Klärung möglich sei, ob der Betrieb des Bg. gefährdet ist, muß die Vorentscheidung wegen Verkennung der Verfahrensgrundsätze aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 408447 |
BStBl III 1956, 168 |
BFHE 1956, 455 |
BFHE 62, 455 |
StRK, AO:237 R 7 |