Entscheidungsstichwort (Thema)
(Einzelhändler im Beitrittsgebiet generell vom 1.Juli 1990 an gewerbesteuerpflichtig - Akkumulationsrücklage nach § 3 Abs. 2 StÄndG DDR mindert Gewinn und damit Gewerbeertrag - Rechtsnatur und Regelungsgehalt der Jahreserklärung für natürliche Personen für 1990 im Beitrittsgebiet - Weitergeltung von DDR-Recht nach 1.7.1990 verfassungsgemäß, DDR-Recht insoweit revisibel)
Leitsatz (amtlich)
1. Von Einzelhändlern im Beitrittsgebiet ist ab 1. Juli 1990 Gewerbesteuer nach Maßgabe des GewStG DDR zu erheben.
2. Eine in der Bilanz gebildete steuerfreie Rücklage für Zwecke der Akkumulation gemäß § 3 Abs.2 StÄndG DDR mindert den Gewinn und damit den Gewerbeertrag (§ 7 GewStG DDR).
3. Bei der nach Maßgabe der Selbstberechnungsverordnung der DDR vom 27. Juni 1990 erstellten Jahreserklärung für natürliche Personen für 1990 im Beitrittsgebiet handelt es sich um eine Steueranmeldung, die gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Ihrem Regelungsgehalt nach richtet sich diese Steuerfestsetzung auf die Festsetzung der Steuerrate. Zugleich beinhaltet sie die selbständige Festsetzung der jeweiligen Einzelsteuern, die rechnerisch in der Steuerrate zusammengefaßt werden.
Orientierungssatz
1. Die bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR bis zum 31.12.1990 ist als solche verfassungskonform (vgl. BVerfG-Beschluß vom 19.12.1991 2 BvR 1591/90). Das insoweit maßgebliche Steuerrecht der DDR ist als partielles (partikulares) Bundesrecht revisibel i.S. des § 118 Abs.1 FGO (Anschluß an BFH-Urteile vom 19.5.1993 II R 29/92 und II R 71/92 sowie vom 9.6.1993 II R 69/92).
2. Rücklagen sind zwar grundsätzlich Teil des Eigenkapitals; bei ihrer Bildung aus dem Gewinn handelt es sich um eine Maßnahme der Gewinnverwendung und nicht der Gewinnermittlung (vgl. BFH-Rechtsprechung). Dürfen aber einkommensteuerrechtlich realisierte Gewinne in eine Rücklage eingestellt werden, die nach einem bestimmten Zeitraum gewinnerhöhend aufzulösen oder mit den Anschaffungskosten oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter zu verrechnen ist, so wirkt sich die Rücklagenbildung gewinnmindernd aus. Es handelt sich dann um sog. steuerfreie Rücklagen, die handelsrechtlich als Sonderposten mit Rücklagenteil auszuweisen sind.
Normenkette
AO 1977 § 118 S. 1, § 150 Abs. 1 S. 2, § 155 Abs. 3, §§ 167, 168 S. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2; AO DDR § 215; SelbstBerVO 4 § 1; EinigVtr Art. 8 Anlage I Kap IV B II Nr. 14 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 2, § 118 Abs. 1; EStG 1990 § 58 Abs. 2 S. 2; EStG DDR § 2 Abs. 2; EStG DDR § 2 Abs. 3; EStG DDR § 2 Abs. 4; EStG DDR § 4 Abs. 1; EStG DDR § 15; GewStG DDR § 2 Abs. 1; GewStG DDR § 7 Abs. 1; GewStG DDR § 22 Abs. 1; StRVÄndG § 1 Abs. 1 Nrn. 1-3, § 3 Abs. 2; StRVÄndGDBest §§ 2, 8 Abs. 1 S. 2; StAnpG § 20 Abs. 3; KoHStV § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 S. 2; GrdTUaUBV §§ 28, 29 Abs. 1; HGB § 247 Abs. 3; WWSUVtr Art. 31 Abs. 1
Verfahrensgang
FG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 17.02.1993; Aktenzeichen 2 K 72/92) |
Tatbestand
A. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin betreibt im Beitrittsgebiet einen Großhandel mit Automobilzubehör. Der Kläger ist in diesem Betrieb als Arbeitnehmer angestellt. In der Jahreserklärung der Kläger für Steuern der Kommissionshändler für den Besteuerungszeitraum 1990 kürzten sie bei der Ermittlung des Gewerbeertrages den im 2. Halbjahr 1990 erwirtschafteten Gewinn um die in der Bilanz zum 31. Dezember 1990 nach § 3 Abs.2 des Gesetzes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik --DDR-- zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 6. März 1990 (Gesetzblatt --GBl-- I 1990, 136) --StÄndG DDR-- zum Zwecke der Akkumulation gebildete Rücklage, soweit sie anteilig auf das 2. Halbjahr 1990 entfiel. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht. Er rechnete dem Gewinn die anteilige Akkumulationsrücklage hinzu und setzte die zusammengefaßte Steuerrate 1990 hiernach abweichend von der Steuererklärung durch Bescheid vom ... fest.
Der dagegen gerichtete Einspruch der Kläger hatte lediglich insoweit Erfolg, als das FA für die auf die Akkumulationsrücklage entfallende Gewerbesteuer eine Rückstellung bildete. Der Bescheid vom ... wurde dementsprechend gemäß § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert.
Der im Anschluß daran erhobenen Klage, mit der die Kläger ihr bisheriges Begehren weiterverfolgten, gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 459 teilweise wiedergegebenen Gründen statt. Es vertrat die Auffassung:
1. Die Klage richte sich lediglich gegen die Festsetzung der Gewerbesteuer und damit gegen einen eigenständigen Steuerbescheid, der allein die Klägerin als Unternehmerin, nicht aber den Kläger als ihren angestellten Arbeitnehmer betreffe. Soweit sich dieser Bescheid gegen ihn richte, sei er deshalb aufzuheben.
2. Durch die Akkumulationsrücklage nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR werde der von der Klägerin erwirtschaftete Gewinn gemindert. Es handele sich hierbei um eine Gewinnermittlungsvorschrift, die sich auf den Gewerbeertrag auswirke.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 3 Abs.2 StÄndG DDR.
Es beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
B. Die Revision des FA ist unbegründet. Das Urteil der Vorinstanz ist jedoch mit der Maßgabe aufzuheben, daß die Gewerbesteuer 1990 und die Einkommensteuer des Inhabers 1990 gegen den Kläger in gleicher Höhe wie gegen die Klägerin und hiernach die Steuerrate 1990 gegen beide Kläger festzusetzen ist.
I. Anwendbarkeit und Revisibilität des im Beitrittsgebiet im 2.Halbjahr 1990 fortgeltenden Rechts der DDR
1. Art.8 des Vertrages vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungs vertrag) i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr.14 Abs.1 bestimmt, daß das Recht der Besitz- und Verkehr steuern der ehemaligen DDR und damit auch das Gewerbesteuer gesetz der DDR (GewStG DDR) vom 18. September 1970 (GBl-Sonderdruck Nr.672) auf den Veranlagungszeitraum 1990 weiter anzuwenden ist. Nach Satz 1 der genannten Vorschrift im Einigungsvertrag trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) u.a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zur insoweit gleichgelagerten Rechtslage bei der Grunderwerbsteuer Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630, und II R 71/92, BFHE 171, 361, BStBl II 1993, 633; vom 9. Juni 1993 II R 69/92, BFHE 171, 365, BStBl II 1993, 682; s. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19. Dezember 1991 2 BvR 1591/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Einkommensteuergesetz 1990 Allg., Rechtsspruch 130; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Oktober 1992 VIII ZR 91/91 (KG), Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 259). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug.
2. Das danach im Streitfall maßgebliche Steuerrecht der DDR ist revisibles Recht i.S. des § 118 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), das vom erkennenden Senat überprüft werden kann. Es handelt sich um partielles (partikulares) Bundesrecht. Die (befristete) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR beruht auf einer Anordnung des Gesetzgebers des Bundes. Die entsprechenden Regelungen der DDR sind ihm daher zuzurechnen. Sie sind revisionsrechtlich nicht --wie vor dem Beitritt-- analog ausländischem Recht zu behandeln, sondern wie partielles Bundesrecht. Als solches sind die Regelungen auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) inhalt lich zu überprüfen. Der erkennende Senat schließt sich auch insoweit den zum Grunderwerbsteuerrecht ergangenen Urteilen des BFH in BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630, in BFHE 171, 361, BStBl II 1993, 633 und in BFHE 171, 365, BStBl II 1993, 682 an und verweist hierauf.
II. Gewerbesteuerpflicht von Einzelhandelsbetrieben im Beitrittsgebiet im 2.Halbjahr 1990
1. Ein Einzelhandelsbetrieb, wie er im Streitfall unterhalten wird, unterlag im Beitrittsgebiet im 2. Halbjahr 1990 der Gewerbesteuer nach Maßgabe des GewStG DDR. Zwar unterfielen Einzelhändler als sog. Kommissionshändler nach § 2 Abs.1 der Verordnung der DDR über die Besteuerung der Kommissionshändler (KoHStVO DDR) vom 24. Dezember 1959 (GBl 1960, 19) der Steuer des Kommissionshandels. Gewerbesteuer nach dem --ansonsten unverändert fortgeltenden-- Gewerbesteuergesetz der DDR war für die Kommissionshandelstätigkeit nicht zu erheben (§ 3 Abs.1 Satz 2 KoHStVO DDR). Die Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler ist jedoch mit Wirkung vom 1. Juli 1990 durch das Gesetz der DDR zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland --Steueranpassungsgesetz (StAnpG DDR)-- vom 22. Juni 1990 (GBl-Sonderdruck Nr.1427) außer Kraft gesetzt worden (vgl. § 20 Abs.3 22.Spiegelstrich StAnpG DDR). Damit traten das Gewerbesteuergesetz der DDR und mit ihm die Gewerbesteuerpflicht der Einzelhändler wieder uneingeschränkt an dessen Stelle (zur bloßen Suspension des ansonsten fortgeltenden und nicht endgültig aufgehobenen Gesetzes s. allgemein Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9.Aufl., § 27 I; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd.I, Allgemeiner Teil, S.150 f.).
2. Das FA hat die Gewerbesteuer im Streitfall vom 1. Juli 1990 an erhoben. Dies ist rechtmäßig. Allerdings ist in § 22 Abs.1 GewStG DDR bestimmt, daß die Steuer, wenn ein Gewerbebetrieb im Laufe des Erhebungszeitraumes neu gegründet wird oder wenn ein bereits bestehender Gewerbebetrieb infolge Wegfalls des Befreiungsgrundes in die Steuerpflicht eintritt, erst vom Beginn des Monats ab zu erheben ist, der auf den Eintritt in die Steuerpflicht folgt. Da bereits bestehende Kommissionshandelsbetriebe in der ehemaligen DDR nach der durch § 20 Abs.3 22.Spiegelstrich StAnpG DDR erfolgten Aufhebung der Verordnung der DDR über die Besteuerung der Kommissionshändler vom 1. Juli 1990 in die Gewerbesteuerpflicht eintraten, könnte sich hieraus ergeben, daß die Gewerbesteuer vom Beginn des folgenden Monats, also vom 1. August 1990 an, zu erheben ist (so für Handwerker FG Leipzig, Urteil vom 15. Juli 1993 2 K 12/93, EFG 1993, 808; M. Schulz, DDR spezial 7/1992 vom 14. Februar 1992, 2, 5; anders demgegenüber die Finanzverwaltung mit der Erwägung, daß der Beginn der Steuerpflicht hier mit dem Beginn des Monats Juli 1990 zusammenfalle und Gewerbesteuer für volle Monate zu entrichten sei, vgl. Oberfinanzdirektion --OFD-- Magdeburg, Verfügung vom 13. April 1993 G 1351-10-St 233, Steuererlasse in Karteiform --StEK--, Gewerbesteuergesetz, Vor § 1 Nr.14, dort unter 2. b). Der Senat versteht § 20 Abs.3 StAnpG DDR jedoch als konstitutive Vorschrift, durch die die DDR ihren in dem Vertrag über die Schaffung der Währungsunion mit der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen (vgl. Art.31 Abs.1 des Vertrages über die Währungsunion i.V.m. I. Nr.4 der Anlage IV) entsprach und bislang in der DDR geltende steuerliche Vorschriften änderte oder ergänzte. Dies sollte mit Wirkung vom 1. Juli 1990 an geschehen, ohne daß Besteuerungslücken entstanden. § 20 Abs.3 StAnpG DDR stellt sich somit im Verhältnis zu § 22 Abs.1 GewStG DDR als Sondervorschrift dar, die den sich nach allgemeinem Gewerbesteuerrecht ergebenden Erhebungsbeginn vorverlegt. Besondere Nachteile ergaben sich für die betroffenen Steuerpflichtigen hierdurch nicht, da die bisherige Besteuerung nach der Verordnung der DDR über die Besteuerung der Kommissionshändler durch diejenige nach dem Gewerbesteuergesetz der DDR lediglich abgelöst wurde.
III. Akkumulationsrücklage
Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß die Akkumulationsrücklage sich auf den Gewinn (§ 4 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes der DDR --EStG DDR--) vom 18. September 1970 (GBl-Sonderdruck Nr.670) und damit auch auf den Gewerbeertrag (§ 7 Abs.1 GewStG DDR) auswirkt.
1. Nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR können Steuerpflichtige, die Einkommen bzw. Gewinn aus den in § 1 Abs.1 Nr.1 bis 3 StÄndG DDR genannten Betrieben bzw. Tätigkeiten erzielen, für Zwecke der Akkumulation eine steuerfreie Rücklage in Höhe von 20 v.H. des jährlichen Einkommens bzw. Gewinns, höchstens von 50 000 M (DDR) bilden. Die Rücklage und ihre Verwendung sind im Rechnungswesen gesondert auszuweisen (§ 8 Abs.1 Satz 1 der Durchführungsbestimmung der DDR zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 16. März 1990 --DB StÄndG DDR--, GBl I 1990, 195). Nicht für die Akkumulation verbrauchte Rücklagen sind nach Ablauf von fünf Jahren gewinnerhöhend aufzulösen (§ 8 Abs.1 Satz 2 DB StÄndG DDR). Dementsprechend bestimmt § 58 Abs.2 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der hier maßgeblichen Fassung des Einigungsvertrages, daß Rücklagen, soweit sie nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR zum 31. Dezember 1990 zulässigerweise gebildet worden sind, spätestens im Veranlagungszeitraum 1995 --bei Anschaffung oder Herstellung begünstigter Wirtschaftsgüter vor diesem Zeitpunkt nach Abzug der in die Rücklage eingestellten Beträge von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten-- "gewinn- oder sonst einkünfteerhöhend" aufzulösen sind.
§ 3 Abs.2 StÄndG DDR ist dahin auszulegen, daß die Rücklage nicht erst bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen ist, sondern bereits den Gewinn mindert. Sie wirkt sich damit auf den Gewerbeertrag --bis zum 31. Dezember 1990 sonach auf den Gewerbeertrag i.S. des § 7 GewStG DDR-- aus. Dafür spricht schon, daß § 3 StÄndG DDR mit "Steuervergünstigungen" überschrieben ist und in seinem Abs.1 eine Regelung über die Gewährung von Sonderabschreibungen enthält. Vor allem aber ergibt sich dies aus dem Begriff der Rücklage, der allgemein im bilanziellen Sinne und nicht im Sinne eines Abzugspostens bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte verwendet wird. Rücklagen sind zwar grundsätzlich Teil des Eigenkapitals; bei ihrer Bildung aus dem Gewinn handelt es sich um eine Maßnahme der Gewinnverwendung und nicht der Gewinnermittlung (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1966 I R 18/66, BFHE 87, 428, BStBl III 1967, 187; vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261, BStBl II 1976, 622; vom 17. Januar 1980 IV R 156/77, BFHE 130, 258, BStBl II 1980, 434; G. Heuer in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 20.Aufl., § 5 EStG Rdnr.570). Erlaubt das Einkommensteuerrecht aber, realisierte Gewinne in eine Rücklage einzustellen, die nach einem gewissen Zeitraum "gewinnerhöhend" aufzulösen oder mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigter Wirtschaftsgüter zu verrechnen ist, so wirkt sich ihre Bildung dennoch auf den Gewinn mindernd aus. Es handelt sich dann um sog. steuerfreie Rücklagen, die handelsrechtlich als Sonderposten mit Rücklagenteil auszuweisen sind (vgl. § 247 Abs.3 des Handelsgesetzbuches --HGB--, § 156 Abs.5 des Aktiengesetzes --AktG--; s. auch z.B. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 12.Aufl., § 5 Anm.52; Mathiak in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnr.A 56; G. Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.). So verhält es sich auch bei der Rücklage nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR. Daß eine solche Rücklage nicht nur von Gewerbetreibenden i.S. des § 15 EStG DDR i.V.m. § 1 Abs.1 Nr.1 StÄndG DDR gebildet werden darf, sondern auch von Steuerpflichtigen mit Einkünften nach § 1 Abs.1 Nr.2 und 3 StÄndG DDR, steht dem nicht entgegen. In diesen Fällen wird die Höhe der Rücklage nach dem erzielten Einkommen bestimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Rücklage bei den Gewinneinkünften außerbilanziell zu berücksichtigen wäre. Sie ist vielmehr im Rahmen der Gewinnermittlung abzuziehen. Dafür spricht, daß der Gesetzgeber in § 3 Abs.2 StÄndG DDR ausdrücklich zwischen Einkommen und Gewinn unterscheidet und diesen vom Einkommen abhebt, obwohl er die Begriffe der Einkünfte und des Gewinns einerseits bzw. des Einkommens andererseits im Grundsatz nicht anders verwendet (vgl. § 2 Abs.2, 3 und 4 EStG DDR; § 2 DB StÄndG DDR), als dies im bundesdeutschen Einkommensteuergesetz geschieht (vgl. § 2 Abs.2 und 4 EStG). Bestätigt wird die Auslegung des § 3 Abs.2 StÄndG DDR als Gewinnermittlungsvorschrift durch die Durchführungsbestimmung in § 8 Abs.1 DB StÄndG DDR, wonach die Rücklage und ihre Verwendung im Rechnungswesen gesondert auszuweisen und nicht verbrauchte Rücklagen gewinnerhöhend aufzulösen sind. § 58 Abs.2 Sätze 2 und 3 EStG in der Fassung des Einigungsvertrages unterscheidet darüber hinaus zwischen gewinn- und sonst einkünfteerhöhender Auflösung der Rücklage. Die vorgenommene Auslegung entspricht auch der mit der Schaffung der Akkumulationsrücklage verbundenen Absicht, durch eine "Sofortabschreibung" Anreize für kurzfristige Investitionen bei der zu erwartenden relativ hohen Einkommen- und Gewerbesteuerbelastung in den neuen Bundesländern nach dem Beitritt zu schaffen (vgl. M. Schulz, DDR spezial 7/92 vom 14. Februar 1992, 2, 3, unter Hinweis auf Bansner/Zerahn, Preisbildung, Gewinnermittlung, Steuern, Berlin 1990, 12). Diesem Anliegen widerspräche es, wenn die Rücklage sich erst im Jahr der Anschaffung oder Herstellung eines begünstigten Wirtschaftsgutes auf den Gewerbeertrag auswirken würde (vgl. dazu Tz.14 des BMF-Schreibens vom 12. März 1992 IV B 2 - S 2138 - 5/92, BStBl I 1992, 192, mit Beispielsrechnung bei Pinkos, DDR spezial 11/92 vom 13. März 1992, 2, 4). Schließlich stellt das Verständnis als Gewinnermittlungsvorschrift sicher, daß Kapitalgesellschaften, die ausschließlich gewerbliche Gewinne erzielen, durch Einbeziehung der Akkumulationsrücklage im Hinblick auf die gewerbesteuerliche Belastung gegenüber Personengesellschaften und natürlichen Personen nicht bevorzugt werden.
2. Die geltend gemachten Einwände des BMF sind nicht begründet.
a) Aus § 29 Abs.1 der Verordnung der DDR über die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR vom 25. Januar 1990 --Joint-Venture-Verordnung DDR-- (GBl I 1990, 16) lassen sich für die Auslegung des § 3 Abs.2 StÄndG DDR schon deshalb keine Erkenntnisse gewinnen, weil diese Ver ordnung sich ausdrücklich nur auf Unternehmen mit Gewinneinkünften bezieht (vgl. § 28 Abs.1 der VO). Einer differenzierten Festlegung der Bemessungsgrundlagen und --damit einhergehend-- eines differenzierten Sprachgebrauchs, wie in § 3 Abs.2 StÄndG DDR, bedurfte es also nicht.
b) Es erweist sich auch nicht als erforderlich, den einheitlichen Rücklagenbetrag in mehrere Einzelrücklagen aufzuspalten, weil er sich --bei Beziehern von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1 bis 3 StÄndG DDR-- nach Maßgabe dieser Einkünfte errechnet. Es handelt sich ungeachtet der einzelnen Bemessungsgrundlagen um nur eine Rücklage. Soweit diese sich aus einer gewinnabhängigen Komponente zusammensetzt, wirkt sie sich auf den Gewinn aus.
c) Ist der Gewinn nach § 215 der Abgabenordnung der DDR --AO DDR-- i.d.F. vom 18. September 1970 (GBl-Sonderdruck Nr.681) bzw. § 180 Abs.1 Nr.2 der Abgabenordnung der DDR vom 22. Juni 1990 --AO DDR 1990-- (GBl-Sonderdruck Nr.1428), § 180 Abs.1 Nr.2 AO 1977 gesondert festzustellen, ergibt sich nichts anderes. Die im Rahmen der gesonderten Feststellung zu berücksichtigende gewinnabhängige Rücklage kann sich auf der Ebene des jeweiligen Beteiligten verändern, falls dieser weitere von § 3 Abs.2 StÄndG DDR begünstigte Einkünfte erzielt. Die dadurch anzustellenden Berechnungsschritte beeinflussen aber erneut nur die Höhe der Rücklage, lassen deren steuerliche Wirkungsweise aber unberührt (im Ergebnis ebenso FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 21. September 1993 1 K 173/92 G, EFG 1994, 164).
3. Die Vorinstanz ist im Ergebnis von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat sie zutreffend angewandt. Die Berechnung der Akkumulationsrücklage, des Gewerbeertrages und der Steuerrate ist nicht zu beanstanden und wird vom FA auch nicht angegriffen.
IV. Das Urteil der Vorinstanz ist jedoch aufzuheben, soweit es die gegen den Kläger gerichteten Bescheide über die Festsetzung der Gewerbesteuer und über die Einkommensteuer des Inhabers für 1990 aufgehoben hat.
1. Dies ist zu Unrecht geschehen, weil der Klageantrag des Klägers lediglich auf die Herabsetzung der Steuerfestsetzung, nicht aber die Aufhebung des Steuerbescheides gerichtet war. Das FG ist insoweit über das klägerische Begehren hinausgegangen und hat § 96 Abs.1 Satz 2 FGO nicht beachtet. Der darin liegende Verfahrensfehler ist vom FA nicht gerügt worden. Er ist aber --im Rahmen des Revisionsbegehrens-- von Gerichts wegen zu beachten, weil der Mangel die Grundordnung des Verfahrens berührt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 1988 X R 27/87, BFH/NV 1989, 233; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 118 Rdnr.50, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung des BGH und des Bundesarbeitsgerichts -- BAG--).
2. Im Rahmen seines Änderungsbegehrens hat der Kläger mit seiner Klage ebenso Erfolg wie die Klägerin.
a) Die Veranlagung der Steuern im Beitrittsgebiet für das Kalenderjahr 1990 erfolgte nach Maßgabe der Verordnung der DDR über die Berechnung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung sowie über die Entrichtung von Abschlagszahlungen --Selbstberechnungsverordnung DDR-- vom 27. Juni 1990 (GBl I 1990, 616, BStBl I 1990, 808). Die einschlägigen Regelungen in den Einzelsteuergesetzen (z.B. §§ 35 bis 42 EStG DDR; §§ 23 bis 26 GewStG DDR; §§ 16 bis 19 des Vermögensteuergesetzes der DDR --VStG DDR--) wurden hierdurch ersetzt (vgl. § 5 Abs.2 der zuvor geltenden Selbstberechnungsverordnung der DDR vom 19. Januar 1961, GBl 1961, 35). Die Verordnung vom 27. Juni 1990 ist für Besitz- und Verkehrsteuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden sind, weiterhin anzuwenden (Art.8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn.II Nr.14 des Einigungsvertrages). Danach werden die in § 1 der Selbstberechnungsverordnung DDR genannten Steuern von den Steuerpflichtigen selbst berechnet, die Ergebnisse sodann zu einer Steuerrate zusammengefaßt und dem FA gegenüber erklärt. Bei der Steuererklärung handelt es sich um eine Steueranmeldung (vgl. § 150 Abs.1 Satz 2 AO 1977), die gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (vgl. auch Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 4.Aufl., § 167 Rdnr.2/1). Ihrem Regelungsgehalt nach richtet sich diese Steuerfestsetzung auf die Festsetzung der Steuerrate. Zugleich beinhaltet sie die Festsetzung der jeweiligen Einzelsteuern, die rechnerisch in der Steuerrate zusammengefaßt werden. Auch insoweit handelt es sich um selbständige Verwaltungsakte (§ 118 Satz 1 AO 1977) und nicht um bloß unselbständige Besteuerungsmerkmale. Die Regelungswirkung dieser Verwaltungsakte ist allerdings auf die jeweiligen Berechnungspositionen zur Ermittlung der Steuerrate begrenzt. Weitergehende eigenständige Bedeutung i.S. des § 155 AO 1977 kommt den Festsetzungen der Steuern im System der Selbstberechnung nach der Selbstberechnungsverordnung der DDR nicht zu.
b) Hiervon ausgehend handelt es sich bei der Festsetzung der Steuerrate um einen Steuerbescheid, der --im Streitfall-- auch den Kläger betrifft. Dieser und die Klägerin schulden die Steuer als Gesamtschuldner. Es können ihnen gegenüber deshalb zusammengefaßte Steuerbescheide ergehen (§ 155 Abs.3 AO 1977). Daß möglicherweise nur einer der Ehegatten Gewerbetreibender ist, steht dem nicht entgegen. Die Steuern sind lediglich verfahrensrechtlich als Berechnungspositionen verselbständigt, nicht aber materiell-rechtlich als Einzelsteuerfestsetzungen.
c) Folglich gelten die Ausführungen unter III. auch für den Kläger. Die in der Bilanz des Einzelhandelsbetriebs gebildete Akkumulationsrücklage nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR wirkt sich auf den Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit zugleich auf den Gewerbeertrag, die Gewerbesteuer und die zusammengefaßte Steuerrate für 1990 aus.
3. Die Sache ist spruchreif. Der maßgebliche Gewinn und der Gewerbeertrag und hiernach die Gewerbesteuer 1990 und die Einkommensteuer des Inhabers für 1990 sind für den Kläger ebenso zu berechnen und festzusetzen wie für die Klägerin. Unter Einbeziehung dieser Festsetzungen ist sodann die Steuerrate 1990 gegen beide Kläger festzusetzen. Die Berechnung der Steuerrate wird dem FA übertragen (§ 100 Abs.2 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 65312 |
BFH/NV 1994, 62 |
BStBl II 1994, 813 |
BFHE 174, 241 |
BFHE 1995, 241 |
BB 1994, 1391 |
BB 1994, 1391-1392 (LT) |
DB 1994, 1452 (L) |
DStR 1994, 1111-1113 (KT) |
DStZ 1994, 509-511 (LT) |
HFR 1994, 611-613 (LT) |
StE 1994, 416 (K) |