Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitliche Entscheidung bei mehrfacher Einlegung der Revision; notwendige Beiladung des Gesellschafters bei Streit über Sonderbetriebsvermögen; Umfang der Urteilsaufhebung bei Verstoß gegen Grundordnung des Verfahrens
Leitsatz (NV)
- Legt ein Beteiligter gegen dasselbe Urteil mehrfach Revision ein, ist darüber einheitlich zu entscheiden. Ist die eine Revision zulässig, kommt es auf die Zulässigkeit der anderen Revision(en) nicht mehr an.
- Die Frage, ob der Gesellschafter in seinem Sonderbetriebsvermögen einen Gewinn oder Verlust erlitten hat, geht ihn persönlich an, so dass er bei Klageerhebung durch die Gesellschaft notwendig zum Verfahren beizuladen ist.
- Wegen des Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens ist die Vorentscheidung bei einem einheitlichen Streitgegenstand insgesamt aufzuheben; die Aufhebung kann nicht auf den die Klage abweisenden Teil des Urteils beschränkt werden.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3, § 48 Abs. 1 Nrn. 5, 2, § 116 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG. Als Kommanditisten waren die R & T N-GmbH & Co. KG (im Folgenden: N-KG) und die Gebrüder S-GmbH (im Folgenden: S-GmbH) beteiligt. An der Kommanditistin S-GmbH waren die Eheleute AM zu 75 v.H. und RM zu 25 v.H. beteiligt. Die N-KG kündigte das Gesellschaftsverhältnis zum 31. Dezember 1980.
Zwischen der N-KG und der Klägerin bestand Streit über die Rückzahlung einer Darlehensforderung der N-KG gegenüber der Klägerin. Nachdem die N-KG beim Landgericht im Jahre 1981 ein ihrer Klage auf Rückzahlung des Darlehens stattgebendes Urteil über 1 578 331,01 DM nebst Zinsen erstritten hatte, schlossen die Parteien im Berufungsverfahren im Jahre 1983 einen Vergleich. Die N-KG erklärte, dass sie gegen Zahlung von 500 000 DM durch RM wegen aller ihrer gegen die Klägerin erhobenen Forderungen befriedigt sei. Mit Kaufvertrag vom 10. Januar 1983 erwarb RM von der N-KG deren Darlehensforderung gegen die Klägerin gegen Zahlung von 500 000 DM.
Mit Kaufvertrag vom 12. Januar 1983 erwarb RM für einen Kaufpreis von 689 662 DM eine Darlehensforderung, die der S-GmbH gegen die Klägerin zustand und die einen Nennwert von 2 703 499 DM hatte.
Die Klägerin ging in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr 1983 davon aus, dass die Darlehensforderungsverkäufe gewinnneutral gewesen seien, und erklärte einen Verlust aus Gewerbebetrieb von ./. 658 851 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) sah im Anschluss an eine Außenprüfung in beiden Forderungsverkäufen einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 der Abgabenordnung ―AO 1977―). Er nahm an, der jeweilige Forderungskauf durch RM habe jeweils zu einem Erlöschen der Darlehensverbindlichkeiten bei der Klägerin und zu einem Entnahmegewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Nennwert der Forderung und dem gezahlten Kaufpreis geführt. Er stellte einen Gewinn von 2 814 311 DM fest.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung eines Verlustes von 2 672 688 DM. Sie war der Ansicht, bei der S-GmbH habe die Differenz zwischen dem Nominalwert der Darlehensforderung und dem Kaufpreis zu einem Verlust von 2 013 837 DM geführt, da es sich bei dem Gesellschafterdarlehen steuerlich um Eigenkapital gehandelt und die S-GmbH damit einen Teil ihres steuerlichen Kapitalkontos bei der Klägerin veräußert habe. Um diesen Betrag sei der bisher erklärte Verlust von 658 851 DM zu erhöhen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß der ursprünglichen Erklärung der Klägerin auf ./. 658 851 DM feststellte. Es erkannte beide Darlehensforderungskaufverträge steuerlich unter Hinweis auf § 41 AO 1977 nicht an. Aus der steuerlichen Unerheblichkeit der zu beurteilenden Forderungskaufverträge folge, dass sie entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht zu Verlusten geführt haben könnten.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil zunächst eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützte Revision eingelegt. Nachdem der Senat die Revision auf die ―zusätzlich eingelegte― Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung zugelassen hatte, hat die Klägerin erneut Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts (§ 41 AO 1977) sowie formellen Rechts und beanstandet u.a., dass die gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendige Beiladung der S-GmbH unterblieben sei.
Die Klägerin beantragt, das finanzgerichtliche Urteil in seinem klageabweisenden Teil aufzuheben und den angefochtenen Feststellungsbescheid für 1983 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf ./. 2 672 688 DM herabgesetzt werden, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung in vollem Umfang aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig. Werden gegen ein Urteil mehrere Revisionen eingelegt, so handelt es sich um das nämliche Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Rz. 16, m.w.N.). Im Streitfall ist die am 21. Oktober 1999 eingelegte Revision der Klägerin zulässig, da der Senat die Revision durch Beschluss vom 16. August 1999, der den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22. September 1999 zugestellt wurde, zugelassen hatte (vgl. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ―BFHEntlG―). Steht bei mehrfacher Einlegung der Revision fest, dass die Revisionsinstanz durch eine der Revisionen ordnungsgemäß eröffnet ist, kommt es auf die Zulässigkeit der anderen nicht mehr an (vgl. BFH-Beschluss vom 23. März 1995 X R 36/95, BFH/NV 1995, 997).
2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, weil es die S-GmbH nicht gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen hat.
a) Gegenstand der Klage gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1983 war u.a. die Frage, welche steuerlichen Auswirkungen es hatte, dass die S-GmbH, die Kommanditistin der Klägerin, im Streitjahr ihre Darlehensforderung gegen die Klägerin im Nominalwert von 2 703 499 DM zu dem Kaufpreis von 689 662 DM verkauft hat. Während das FA in der Einspruchsentscheidung angenommen hatte, dieser Vorgang rechtfertige "die Fiktion einer verdeckten Entnahme einer Kommanditistin in Höhe des Differenzbetrags zwischen Kaufsumme und Nennwert des Darlehens", war die Klägerin der Ansicht, die S-GmbH habe dadurch einen Verlust in ihrem Sonderbetriebsvermögen erlitten. Die Frage, ob ein Gesellschafter in seinem Sonderbetriebsvermögen einen Gewinn oder Verlust erlitten hat, geht diesen i.S. des § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F., § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO n.F. persönlich an, so dass er zum Verfahren beigeladen werden muss (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; vom 27. September 1994 VIII R 61/93, BFH/NV 1995, 678, m.w.N.). Die S-GmbH war deshalb gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig zum Verfahren beizuladen. Darüber besteht zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren auch Einigkeit.
b) Hat das FG eine nach § 60 Abs. 3 FGO notwendige Beiladung unterlassen, so liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, der nach der Rechtsprechung des BFH auch ohne Rüge und ohne Rücksicht auf die Revisionsanträge von Amts wegen berücksichtigt werden muss und zur Zurückverweisung ohne Sachprüfung führt; die Vorschriften des § 96 Abs. 1 Satz 2 und § 118 Abs. 3 FGO kommen nicht zum Tragen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. Januar 1966 III 96/62, BFHE 85, 327, BStBl III 1966, 327; vom 14. Juni 1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318, 319; vom 13. August 1996 II R 13/93, BFH/NV 1997, 187). Da die notwendige Beiladung zu den Grundvoraussetzungen des Verfahrens gehört, kann auf sie weder verzichtet werden noch kann sie in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (§ 123 FGO; BFH-Urteile vom 10. Februar 1966 IV 258/63, BFHE 85, 464, BStBl III 1966, 423; in BFH/NV 1997, 187).
Entgegen dem Revisionsbegehren der Klägerin ist die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das FG nicht auf den Teil des Urteils zu beschränken, durch den die Klage abgewiesen worden ist. Vielmehr folgt daraus, dass der Verstoß die Grundordnung des Verfahrens betrifft und die notwendige Beiladung nicht vom Ausgang des finanzgerichtlichen Verfahrens abhängig gemacht werden kann, dass das finanzgerichtliche Urteil insgesamt, also auch in seinem der Klage stattgebenden und die S-GmbH begünstigenden Teil verfahrensfehlerhaft und deshalb auch insoweit aufzuheben ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 85, 327, BStBl III 1966, 327, 330; vom 24. Juni 1971 IV R 219/68, BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714; vgl. auch Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 126 FGO Anm. 2).
Fundstellen
Haufe-Index 426236 |
BFH/NV 2000, 1214 |