Leitsatz (amtlich)
Will eine Gemeinde an der Zerlegung eines Gewerbesteuermeßbetrages mit der Begründung teilhaben, auf ihrem Gebiet und dem ihrer Nachbargemeinden bestehe eine mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG, so ist die Beiladung der Nachbargemeinden nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin, einer Gemeinde (Klägerin) an den mit den angefochtenen Bescheiden zerlegten Gewerbesteuermeßbeträgen der Firma X KG, einer Baufirma (KG), ein Anteil von dem Gewerbesteuermeßbetragsanteil zusteht, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) der Stadt Y, der Beigeladenen, zugewiesen hat.
Die KG errichtete in der Zeit von Ende Oktober 1963 bis Juni 1967 eine Wasserversorgungsanlage für die Klägerin und die Gemeinden A, B, C, D, E und F (A-Talgruppe) sowie die Gemeinden G, H und I (Verbandsgemeinden), mit denen die Klägerin zusammen einen Gemeindeverband bildet. Die Arbeiten für dieses Projekt (Bau von Fernleitungen frei über Land, Errichtung von Ortsnetzanlagen, Einbau von Anschlüssen in Gebäuden) wurden mit Unterbrechungen durchgeführt, die sich aus technischen Gegebenheiten, Witterungsbedingungen und Zweckmäßigkeitsgründen ergaben, wie z. B. für den Leitungsbau durch Ackerland nur vor der Feldbestellung, für Bauabschnitte in Verbindung mit anstehendem Straßenbau usw. Im Gebiet des Gemeindeverbandes wurde in folgenden Zeiträumen gearbeitet:
im Gebiet
der Klägerin vom 19. Juli bis 27. September 1965
21. April bis 28. April 1966
3. August bis 17. August 1967 zusammen 94 Tage
in G vom 7. Oktober bis 8. Oktober 1965 zusammen 2 Tage
in H vom 8. Oktober bis 10. Oktober 1965 zusammen 3 Tage
in J vom 25. September bis 7. Oktober 1965 zusammen 13 Tage
insgesamt: 112 Tage
Entgegen dem Antrag der Klägerin, sie an der Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags der KG zu beteiligen, setzte das FA in den angefochtenen Zerlegungsbescheiden 1965 bis 1967 den Zerlegungsanteil der Klägerin auf 0 fest.
Mit der Sprungklage beantragte die Klägerin, nach Aufhebung der angefochtenen Zerlegungsbescheide das FA anzuweisen, unter Berücksichtigung des Bestehens einer Betriebstätte der KG im Gebiet der Klägerin die Zerlegung für 1965 bis 1967 erneut vorzunehmen. Die Klägerin führte zur Begründung an, die KG habe im Gebiet der genannten Gemeinden eine Betriebstätte unterhalten. Eine Bauausführung im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG sei auch dann anzunehmen, wenn sie sich über mehrere Gemeinden erstrecke, also eine "mehrgemeindliche" Betriebstätte gegeben sei. Die entgegengesetzte Auffassung des FA führe zu einem unsinnigen Ergebnis.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG hielt die Sprungklage als Anfechtungsklage für zulässig, da das Klagebegehren offensichtlich darauf abziele, den vorliegenden Bescheid dahin zu ändern, daß auch der Klägerin ein Zerlegungsanteil zugewiesen werden solle. Diese Änderung könne das FG im Rahmen des § 100 Abs. 2 FGO selbst vornehmen. Der Fall liege nicht anders, als wenn das FA der Klägerin bereits einen Zerlegungsanteil zugewiesen hätte, sie aber einen höheren Zerlegungsanteil beanspruchte. - Beizuladen zum Verfahren gemäß § 60 Abs. 3 FGO sei nur die Stadt Y gewesen, weil bei Erfolg der Klage nur dieser ein niedrigerer Zerlegungsanteil zuzuweisen gewesen wäre, also in bezug auf die im Zerlegungsbescheid erfaßten Gemeinden nur der Klägerin und der Beigeladenen gegenüber eine einheitliche Entscheidung in Frage stehe. - Auch die KG bleibe vom Ausgang des Rechtsstreits unberührt, weil der Gewerbesteuerhebesatz in den beiden Gemeinden in den Streitjahren gleich hoch gewesen sei. - Die Voraussetzung für eine Beteiligung der Klägerin an der Gewerbesteuer der KG sei nicht gegeben, weil die KG im Gebiet der Klägerin und des Gemeindeverbandes keine Betriebstätte unterhalten habe. Zur Begründung einer Betriebstätte sei nach § 16 StAnpG eine bestimmte (voraussichtliche) Dauer von mehr als sechs Monaten in einer Gemeinde notwendig. Das Vorliegen einer mehrgemeindlichen Betriebstätte, also einer in sich geschlossenen, über die Grenzen einer Gemeinde hinausreichenden wirtschaftlichen Einheit, erfordere, daß in jeder der in Frage kommenden Gemeinden isoliert betrachtet eine Bauausführung von der im Gesetz bestimmten Dauer bestehe. Die Bauausführungen im Gemeindebezirk der Klägerin umfaßten jedoch keine Zeitspanne von mehr als sechs Monaten.
Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, das FG-Urteil und die Zerlegungsbescheide 1965 bis 1967 aufzuheben und ihr im Zerlegungsverfahren einen angemessenen Zerlegungs- bzw. Unterzerlegungsanteil zuzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, es werde Verletzung von Bundesrecht gerügt. Das FG habe § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG zum Nachteil der Klägerin unzutreffend ausgelegt und angewendet. Der Auffassung des FG, es müßten Bauausführungen "in einer Gemeinde" im Sinne von "in einer einzelnen Gemeinde" vorgelegen haben, werde Sinn und Zweck des § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG nicht gerecht. Der Zweck sei nicht, die durch Bauausführungen entstehenden Lasten auszugleichen, sondern die aufkommende Gewerbesteuer möglichst gerecht zu verteilen. Denn die Gemeindelasten seien lediglich ein Hilfsmittel für den Zerlegungsmaßstab und auch dies nur bei der Zerlegung bei einer mehrgemeindlichen Betriebstätte. Erstrecke sich eine Bauausführung nach einer einheitlichen Gesamtplanung über mehrere Gemeinden, so habe die Bauausführung in dem mehrgemeindlichen Gebiet als Bauausführung in jeder dieser Gemeinden zu gelten. Die Klägerin erstrebe, neben den sechs anderen Gemeinden mit diesen zusammen für die mehrgemeindliche Betriebstätte einen Zerlegungsanteil zu erhalten. - Verfahrensrechtlich werde eingewendet, daß die Beiladung der betroffenen sechs anderen Gemeinden, die nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig gewesen wäre, unterblieben sei.
Das FA hält die Beiladung der übrigen sechs Gemeinden der A-Talgruppe nicht für erforderlich. Abgesehen davon, daß die übrigen Gemeinden der A-Talgruppe, wie auch die übrigen Verbandsgemeinden gegen die bisherige Zerlegung keine Einwendungen erhoben hätten, habe das FG überzeugend dargelegt, daß lediglich die Stadt Y derart beteiligt sei, daß die Entscheidung nur ihr gegenüber "nur" einheitlich im Sinne des § 60 Abs. 3 FGO ergehen könne. - Das FG habe auch zutreffend das Vorliegen einer mehrgemeindlichen Betriebstätte verneint. Eine mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG liege nur dann vor, wenn die Voraussetzungen einer Bauausführung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG gleichzeitig in mehreren Gemeinden erfüllt seien.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revison führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Mit Recht hat das FG die als Sprungklage erhobene Klage als zulässige Anfechtungsklage und nicht als Verpflichtungsklage behandelt. Anders als in den Fällen des sogenannten negativen Gewinnfeststellungsbescheides, bei dem das FA die Vornahme einer einheitlichen Gewinnfeststellung abgelehnt hat und die hiergegen gerichtete Klage in der Regel eine Verpflichtungsklage darstellt (Urteil des BFH vom 12. März 1970 IV 7/65, BFHE 99, 172, BStBl II 1970, 625), richtet sich das Begehren der Klägerin nicht darauf, daß das FA erstmalig einen Zerlegungsbescheid erlasse, sondern darauf, daß einem bereits erlassenen Zerlegungsbescheid ein anderer Zerlegungsmaßstab zugrunde gelegt werde, und zwar unter Einbeziehung der Klägerin und der anderen von der Bauausführung der KG betroffenen Gemeinden. Das FG führt mit Recht an, daß dieser Fall im Ergebnis nicht anders liegt, als wenn das FA der Klägerin bereits einen Zerlegungsanteil zugewiesen hätte, die Klägerin aber einen höheren Zerlegungsanteil beanspruchte. Dabei ist nicht entscheidend, daß der Zerlegungsanteil der Klägerin in den angefochtenen Zerlegungsbescheiden auf 0 festgesetzt worden ist. Welche Gemeinden mit welchen Zerlegungsanteilen an der Zerlegung beteiligt und welche Gemeinden nicht beteiligt werden, ist ohnedies durch die angefochtenen Zerlegungsbescheide festgestellt. Der Rechtsstreit geht danach nicht um den mit einer Verpflichtungsklage zu erstreitenden Erlaß eines Zerlegungsbescheides überhaupt; Gegenstand des mit der Anfechtungsklage, auch in Form einer zulässigen Sprungklage, eingeleiteten Rechtsstreits ist vielmehr die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zerlegungsbescheide im Hinblick auf die Zahl der an der Zerlegung teilhabenden Gemeinden und die Höhe der ihnen zugewiesenen Zerlegungsanteile.
Das FG hat auch mit Recht davon abgesehen, die übrigen an der Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags teilhabenden, aber von der hier streitigen Bauausführung nicht betroffenen Gemeinden zu dem Verfahren hinzuzuziehen. Zwar sind nach § 384 AO am Zerlegungsverfahren Beteiligte diejenigen Gemeinden, denen ein Anteil an dem zu zerlegenden Steuermeßbetrag zugeteilt worden ist. Das sind aber nur diejenigen beteiligten, deren Belange durch das Klagebegehren berührt werden (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juni 1971 IV R 219/68, BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714, und vom 10. Juli 1974 I R 54/72, BFHE 113, 123, BStBl II 1975, 42). Wie das FG festgestellt hat, wäre im Fall eines Erfolges der Klage ausschließlich der Stadt Y, die das FG beteiligt hat, ein niedrigerer Zerlegungsanteil zuzuweisen.
Das FG ist aber zu Unrecht davon ausgegangen, daß weitere Gemeinden nicht beizuladen gewesen seien. Auch die Gemeinden, auf deren Gebiet sich die von der Klägerin behauptete mehrgemeindliche Betriebstätte erstreckt, also sowohl die sechs anderen Gemeinden der A-Talgruppe als auch die drei übrigen Verbandsgemeinden sind nach § 60 Abs. 3 FGO zu beteiligen, da die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.
Die von der Klägerin erstrebte Entscheidung, daß der Bau der Wasserversorgungsanlage im A-Tal durch die KG eine mehr als sechs Monate dauernde Bauausführung der KG im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 3 StAnpG und damit eine mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG sei, würde dazu führen, daß sowohl die Gemeinden der A-Talgruppe wie die Gemeinden des Gemeindeverbandes Ort einer mehrgemeindlichen Betriebstätte der KG wären. Dies wiederum hätte zur Folge, daß ein Zerlegungsbescheid für die Gewerbesteuer der KG auch den Gemeinden der mehrgemeindlichen Betriebstätte einen Zerlegungsanteil zuweisen müßte und dieser Zerlegungsanteil nach § 30 GewStG auf die Gemeinden zu zerlegen wäre, auf die sich die Betriebstätte erstreckt, und zwar "nach der Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebstätte erwachsenen Gemeindelasten". Die Zerlegung auf die Gemeinden der mehrgemeindlichen Betriebstätte ist also nach einem anderen Zerlegungsmaßtab durchzuführen als der einheitliche Steuermeßbetrag nach § 28 und § 29 GewStG auf die einzelnen Gemeinden zu zerlegen ist, wenn mehrere Betriebstätten in mehreren Gemeinden unterhalten werden. Die Entscheidung aber, ob eine mehrgemeindliche Betriebstätte vorliegt und wie der auf sie entfallende Zerlegungsanteil des Steuermeßbetrags der KG auf die betroffenen zehn Gemeinden zu zerlegen ist, kann diesen gegenüber nur einheitlich ergehen.
Daß nicht nur die anderen Gemeinden der A-Talgruppe, sondern auch die übrigen Gemeinden des Gemeindeverbandes zu dem Verfahren beigezogen werden müssen, ergibt sich aus deren Gewerbesteuerhoheit. Denn nicht der Gemeindeverband, sondern die einzelnen Gemeinden sind berechtigt, eine Gewerbesteuer zu erheben (Lenski-Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 4. Aufl. 1974, § 1 GewStG Anm. 1 S. 5).
Da das FG die genannten neun Gemeinden nicht beteiligt hatte, ist das FG-Urteil aufzuheben. Die Sache ist an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Beiziehung der Gemeinden zurückzuverweisen.
Das FG hat mit Recht ausgeführt, daß die KG vom Ausgang des Rechtsstreits unberührt bleibe, weil die Gewerbesteuerhebesätze in den betroffenen Gemeinden in den Streitjahren gleich hoch gewesen seien. Bei unterschiedlichen Hebesätzen der nunmehr beizuziehenden Gemeinden wird auch über die Frage der Beteiligung der KG erneut zu befinden sein.
Fundstellen
Haufe-Index 71539 |
BStBl II 1975, 828 |
BFHE 1976, 382 |