Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Versagung der Einwilligung zur Sprungberufung durch den Vorsteher des Finanzamts nach § 261 AO ist eine prozessuale Willenserklärung, gegen die weder die Rechtsmittel der AO Platz greifen noch gerichtliche Nachprüfung nach Art. 19 Abs. 4 GG gegeben ist.
Normenkette
AO § 261; FGO § 45; GG Art. 19 Abs. 4
Tatbestand
Die X GmbH legte am 5. April 1956 gegen die folgenden Bescheide des Hauptfinanzamts für Körperschaften Rechtsmittel ein, die sie als Sprungberufungen bezeichnete:
Der Vorsteher des Finanzamts versagte durch Bescheid vom 20. April 1956 die Einwilligung zu den Sprungberufungen (ß 261 der Reichsabgabenordnung - AO -) mit der Begründung, daß der Sachverhalt noch nicht so weit geklärt sei, daß das Berufungsgericht in der Hauptsache nur über Rechtsfragen zu entscheiden hätte. In einem weiteren Schreiben vom 26. April 1956 wies der Vorsteher darauf hin, daß die Steuerpflichtige durch die Versagung der Einwilligung nicht in ihren Rechten beeinträchtigt sei.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde führte die Beschwerdeführerin (Bfin.) aus, die Entscheidung über die Zulassung der Sprungberufung sei eine Ermessensentscheidung im Sinne des § 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG); sie sei nicht nach Willkür, sondern nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu treffen und könne durch Beschwerde, gegebenenfalls Klage angegriffen werden. Die Rechte der Steuerpflichtigen seien insofern berührt, als sie Interesse an der Abkürzung des Rechtsmittelverfahrens und an einer Kosteneinsparung habe. Im übrigen seien nicht Tatbestände ungeklärt geblieben, sondern nur noch Rechtsfragen zu entscheiden. Die Beschwerde wurde durch das Landesfinanzamt Berlin als unzulässig verworfen.
Die hiergegen beim Verwaltungsgericht eingelegte Klage wurde durch das angefochtene Urteil ebenfalls als unzulässig verworfen, weil der Bfin. weder gegen die Entscheidung des Landesfinanzamts als Dienstaufsichtsbehörde des Vorstehers des Finanzamts noch hinsichtlich der Versagung der Einwilligung zur Sprungberufung ein Rechtsmittel zugestanden hätte. Die Einwilligungserklärung sei eine innerdienstliche Maßnahme, die der gerichtlichen Nachprüfung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) entzogen sei. Die Steuerpflichtige sei in ihren Rechten nicht beeinträchtigt, da sie durch Versagung der Sprungberufung eine zusätzliche Nachprüfung des Streitfalles im Einspruchsverfahren zurückerhalte. Im übrigen sei nach Aktenlage der Tatbestand noch nicht genügend geklärt.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts, insbesondere rechtsirrige Auslegung des § 261 AO ein. Der Vorsteher des Finanzamts habe bei der Entscheidung über die Zulassung der Sprungberufung nicht freie Hand, sondern habe nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit eine Ermessensentscheidung (ß 2 StAnpG) zu treffen, die mit den Rechtsmitteln der AO und des Art. 19 Abs. 4 GG anfechtbar sei. Weiter wird gerügt, daß sich das Verwaltungsgericht der Auffassung des Vorstehers des Finanzamts, der Sachverhalt sei noch nicht ausreichend geklärt, ohne genügende Nachprüfung angeschlossen habe. Die Rb. verlangt Aufhebung der Vorentscheidung, Zulassung der Sprungberufung gegen sämtliche Berichtigungs- und Feststellungsbescheide 1949 bis 1952 und Kostenentscheidung zu Lasten des Fiskus.
Entscheidungsgründe
Der Rb. war der Erfolg zu versagen.
Nach § 261 Satz 1 AO kann der Steuerpflichtige gegen Bescheide, gegen die nach § 259 Abs. 1 der Einspruch gegeben ist, statt des Einspruchs Berufung einlegen, wenn der Vorsteher des Finanzamts seine Einwilligung hierzu bis zum Ablauf eines Monats (von der Einlegung des Rechtsmittels ab gerechnet) erklärt.
Der Streit geht darum, ob der Bfin. gegen die Versagung der Einwilligung zur Sprungberufung die Beschwerde an das Landesfinanzamt und gegen die Entscheidung des Landesfinanzamts der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG zusteht. Dies ist zu verneinen.
Die Beschwerde (ß 303 AO) ist nach § 237 AO gegeben gegen Verfügungen, und zwar gegen andere als die in den §§ 228 - 236 bezeichneten Verfügungen von Finanzbehörden, sowie gegen gewisse Steuerbescheide. Der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, daß jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Beide Bestimmungen können im Falle der Versagung der Einwilligung zur Sprungberufung nicht zum Zuge kommen.
Das Einspruchsverfahren ist durch das Gesetz vorgesehen (ß 229 AO). Beide Beteiligten - der Steuerpflichtige und der Vorsteher des Finanzamts - haben ein Recht auf Nachprüfung des Steuerbescheids im Einspruchsverfahren. Andererseits hat keiner der Beteiligten einen Anspruch darauf, daß von dem Einspruchsverfahren abgesehen wird. Deshalb kann die Versagung der Einwilligung zur Sprungberufung durch den Vorsteher des Finanzamts von dem Steuerpflichtigen nicht wegen längerer Dauer des Rechtsmittelverfahrens oder erhöhter Kosten angegriffen werden und deshalb ist auch für eine überprüfung der Versagung unter den Gesichtspunkten des § 2 StAnpG kein Raum.
Die Bfin. hat zur Begründung ihrer entgegengesetzten Auffassung auf ein noch nicht rechtskräftiges Urteil eines Finanzgerichts hingewiesen, durch das die Streitsache an die Vorinstanz zurückverwiesen wurde, weil der Steuerfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht ausreichend geklärt sei, so daß dem Antrag auf Sprungberufung die Begründung fehle und die Einwilligungserklärung des Vorstehers des Finanzamts einen Ermessensmißbrauch darstelle. Die Frage, inwieweit die Einwilligungserklärung durch das Finanzgericht nachgeprüft werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden; es kann zweifelhaft sein, ob die Rechtslage bei der Erteilung der Einwilligung die gleiche ist wie bei der Versagung. Wie bereits ausgeführt, hat die Finanzverwaltung ein nicht entziehbares Recht, den Steuerbescheid im Einspruchsverfahren nochmals zu überprüfen. Beachtlich erscheint auch, daß die Versagung der Sprungberufung eine prozessuale Erklärung im Berufungsverfahren darstellt.
Im übrigen ist für ein besonderes Rechtsmittelverfahren wegen der Erklärung des Vorstehers des Finanzamts auch nach der Bestimmung in § 261 Satz 2 AO kein Raum. Sie besagt, daß, wenn der Vorsteher des Finanzamts seine Einwilligung nicht rechtzeitig erteilt, das Rechtsmittel als Einspruch zu behandeln ist. Diese Vorschrift hat den Zweck, eine sichere Grundlage für den weiteren Gang des Rechtsmittelverfahrens zu schaffen (Urteil des Reichsfinanzhofs IV A 122/33 vom 14. Juni 1933, Reichssteuerblatt 1933 S. 616), so daß bei Ablauf der Frist des § 261 Satz 1 AO Klarheit darüber bestehen muß, wer über das Rechtsmittel entscheiden wird. Der Ausgang eines besonderen Rechtsmittelverfahrens über die Erklärung des Vorstehers des Finanzamt könnte also nach Ablauf der genannten Frist nicht mehr berücksichtigt werden. Auch diese Regelung spricht für die oben dargestellten Grundsätze.
Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erklärung des Vorstehers des Finanzamts nach § 261 AO nicht mit den Rechtsmitteln der AO angreifbar und auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 GG durch die Steuergerichte nachprüfbar, die Berufung daher unzulässig ist. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Erläuterungsbüchern und dem Schrifttum (Riewald, Reichsabgabenordnung, Anm. 1 vor § 91, Anm. 2 zu § 237; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, Anm. 1 zu § 91, Anm. 1 und 2 zu § 237; Berger, Der Steuerprozeß, § 261 Anm. 1 und 4, § 303 Anm. 2; Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, § 261 Anm. 4 und 5; Stehling, "Die Sprungberufung" in Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A 1956 S. 89).
Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409135 |
BStBl III 1958, 453 |
BFHE 1959, 472 |
BFHE 67, 472 |