Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuervergünstigung bei Be- und Verarbeitung von Fleisch in Berlin (West)
Leitsatz (NV)
1. Geräuchertes Fleisch ist nicht als Frischfleisch im Sinn des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG anzusehen.
2. Die Lieferung von frischem Schweinefleisch ist nur dann begünstigt, wenn das Fleisch durch vollständiges Entbeinen von Schweinehälften gewonnen worden ist. Ein geringerer Teil genügt selbst dann nicht, wenn nur dieser geringere Teil nach Berlin (West) angeliefert worden ist.
3. Die Lieferung von frischem genießbarem Schlachtabfall ist selbst dann nicht begünstigt, wenn dieser beim vollständigen Entbeinen von Schweinehälften angefallen ist.
Normenkette
BerlinFG § 4 Abs. 1 Nr. 12; FGO § 68
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1 (Kläger zu 1) und die durch Aufnahme der beiden Söhne des Klägers zu 1 im Jahre 1973 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 2 (Klägerin zu 2) stellten in Berlin Räucherwaren her, insbesondere Räucherschinken und geräucherten Speck. Hierfür erwarben die Kläger von westdeutschen und Berliner Fleischgroßhändlern Schweinehinterschinken und Schweinebäuche einschließlich Lappen (Rippen), die entweder im Unternehmen der Kläger oder in deren Auftrag von den Lieferanten vollständig entbeint wurden. Für die Lieferung der aus den entbeinten Teilen hergestellten Räucherwaren in den übrigen Geltungsbereich des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) beanspruchten die Kläger Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 1 BerlinFG.
Bei dem Entbeinen der Schinken und Bäuche fällt weiteres Fleisch und genießbarer Schlachtabfall an, z. B. Kutterfleisch und Bauchabputz. Diese Nebenprodukte lieferten die Kläger ohne weitere Bearbeitung ebenfalls in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG. Auch hierfür machten die Kläger Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 1 BerlinFG geltend. In beiden Fällen versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Anschluß an eine Betriebsprüfung die erstrebten Steuervergünstigungen. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Die für die Streitjahre 1971 bis 1974 erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) haben die Kläger den Nachweis, daß die Schweinehälften, die die Berliner Lieferanten der Kläger bezogen hatten, vollständig entbeint worden seien, nur teilweise erbracht. Soweit die Kläger den erforderlichen Nachweis nicht geführt hätten, seien die beantragten Umsatzsteuerkürzungen zu versagen. Entgegen der Auffassung des FA hätten die Kläger jedoch auch insoweit einen Anspruch auf Umsatzsteuerkürzungen, als sie Schweinebäuche aus Westdeutschland bezogen und in Berlin vollständig entbeint hätten. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b BerlinFG setze die Umsatzsteuervergünstigung des § 1 BerlinFG zwar das Entbeinen von Schweinehälften in Berlin (West) voraus. Eine solche allein am Wortlaut ausgerichtete Auslegung werde jedoch der Zielsetzung dieser Vorschrift nicht gerecht. Die Einschränkung der Präferenzierung von Fleischlieferungen solle zwar dazu dienen, unerwünschte und mißbräuchliche Praktiken der Fleischwirtschaft, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet hätten, wirksam zu unterbinden. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht die Absicht und auch keine Veranlassung gehabt, diejenigen Lieferungen in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG von der Präferenzierung auszuschließen, die aus dem Bezug und der handwerksmäßigen Zerlegung einzelner Fleischteile stammten. Würden diese Voraussetzungen vorliegen, so sei, wie das Beispiel der Kläger zeige, ein Mißbrauch der Förderungsbestimmungen ausgeschlossen. § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b BerlinFG sei daher in der Weise auszulegen, daß das vollständige Entbeinen von Schweinehälften nur dann für die Präferenzierung erforderlich sei, wenn tatsächlich Schweinehälften nach Berlin (West) geliefert worden seien.
Mit der Revision, die lediglich die Streitjahre 1972 bis 1974 betrifft, rügt das FA Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b BerlinFG. Seiner Ansicht nach haben die Kläger keinen Anspruch auf Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 1 BerlinFG hinsichtlich ihrer Lieferungen, die aus der Bearbeitung der aus dem übrigen Geltungsbereich des BerlinFG bezogenen Schweinebäuche herrühren. Während des Revisionsverfahrens hob das FA wegen fehlender Unternehmereigenschaft der GbR die gegen die Klägerin zu 2 ergangenen Umsatzsteuerbescheide ersatzlos auf. Gleichzeitig vertrat es die Ansicht, die zunächst der GbR zugerechneten Umsätze seien dem Kläger zu 1 zuzuordnen. Dementsprechend erließ es gegen den Kläger zu 1 für das Streitjahr 1973 einen auf § 174 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid und für das Streitjahr 1974 erstmals einen Umsatzsteuerbescheid.
Der Kläger zu 1 hat beantragt, die beiden Bescheide gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Das FA beantragt,
1. in Abänderung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer des Klägers wie folgt festzusetzen: . . .
2. die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als sie die Klägerin zu 2 betrifft, und die Klage der Klägerin zu 2 abzuweisen.
Der Kläger zu 1 beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
A) Klage der Klägerin zu 2
Das die Klägerin zu 2 betreffende Revisionsverfahren wird vom Verfahren X R 12/80 abgetrennt und als selbständiges Verfahren weitergeführt.
B) Klage des Klägers zu 1
Hinsichtlich der Streitjahre 1972 und 1973 führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung. Soweit die Revision das Streitjahr 1974 betrifft, wird sie als unzulässig verworfen.
I. Streitjahre 1972 und 1973
1. Durch den Antrag des Klägers zu 1 vom 4. September 1981 wurde der berichtigte Umsatzsteuerbescheid 1973 vom 11. Mai 1981 gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens.
2. Entgegen der Ansicht des FG fällt die Lieferung von geräuchertem Fleisch nicht unter die Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG. Dementsprechend ist es unerheblich, ob dieses Fleisch durch vollständiges Entbeinen von Schweinehälften gewonnen worden ist.
a) Der Kläger weist zu Recht darauf hin, daß die Lieferung von Fleisch nicht durchweg von der Vergünstigung ausgenommen ist, sondern nur insoweit, als sie Fleisch umfaßt, das ,,frisch, gekühlt oder gefroren" ist. Der Wortlaut dieser Einschränkung entspricht der für Schweinefleisch maßgeblichen Zolltarifnummer 02.01. Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat diesen Wortlaut dahin ausgelegt, daß darunter nur frisches Fleisch in natürlichem Zustand fällt, auch wenn es gekühlt oder gefroren ist (Urteil vom 26. Oktober 1976 VII R 79/73, BFHE 121, 223, 228). Der erkennende Senat folgt dieser Auslegung für den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG (vgl. ferner § 3 Abs. 1 Nr. 5 des Fleischbeschaugesetzes in der Neufassung vom 28. September 1981, BGBl I 1981, 1045, wonach unter ,,frischem Fleisch" Fleisch zu verstehen ist, das über das Gewinnen, Kennzeichnen, Wiegen, Zerlegen, Entbeinen, Umhüllen, Verpacken, Lagern, Kühlen, Gefrieren oder Befördern hinaus nicht behandelt worden ist). Geräuchertes Fleisch befindet sich nicht mehr in seinem natürlichen Zustand und kann daher nicht mehr als Frischfleisch i.S. des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG angesehen werden.
b) Der Kläger zu 1 hat nur dann einen Kürzungsanspruch gemäß § 1 BerlinFG, wenn durch die Behandlung des Fleischs in Berlin (West) nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden ist und die Behandlung nicht nur geringfügig war (vgl. § 6 BerlinFG).
Die erste Voraussetzung ist erfüllt. Durch das Räuchern ist ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden. Eine solche Bearbeitung dient nicht nur der Erhaltung des Fleischs im Zustand des Erwerbs, sondern neben der Geschmacksveränderung auch der besseren Haltbarkeit (vgl. Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 9. Aufl., Rdnrn. 4768 f. zu § 7 Abs. 3). Die vom FG bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen ermöglichen es dem Senat jedoch nicht, abschließend darüber zu befinden, ob das Räuchern im Streitfall eine mehr als nur geringfügige Behandlung des Fleisches darstellt. Insoweit bedarf es noch weiterer Feststellungen durch das FG. Für die Beurteilung im zweiten Rechtsgang verweist der Senat auf sein Urteil vom 24. März 1987 X R 38/81 (BFHE 150, 173), in dem er zum Begriff der nur ,,geringfügigen" Behandlung eines Gegenstandes Stellung genommen hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 31. Januar 1985 V R 43/76, BFH/NV 1985, 21: Zerlegung von Schweinehälften).
3. Die Lieferung von Frischfleisch i.S. des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG ist gemäß Buchst. b dieser Vorschrift nur dann begünstigt, wenn das Fleisch - bezogen auf den Streitfall - durch vollständiges Entbeinen von Schweinehälften gewonnen worden ist. Dies gilt entgegen der Ansicht des FG nicht nur dann, wenn tatsächlich ganze Schweinehälften nach Berlin (West) angeliefert worden sind. Das FG weist zwar zu Recht darauf hin, daß die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b BerlinFG dazu dienen soll, unerwünschte und mißbräuchliche Praktiken im Bereich der Berliner Fleischwirtschaft zu unterbinden (vgl. BTDrucks VI/614, S. 17; Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Kommentar, Rn. 3a zu § 4). Bei der Auslegung der Vorschrift ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Lieferung von Fleisch grundsätzlich als nicht begünstigt ansieht. Wenn er von diesem Grundsatz Ausnahmen zuläßt, so ist die entsprechende Regelung grundsätzlich nicht über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden; es ist allein Sache des Gesetzgebers, den Umfang der von ihm als notwendig, aber auch als ausreichend erachteten Ausnahmen zu bestimmen. Etwas anderes ergäbe sich allenfalls dann, wenn hinreichend verläßlich festgestellt werden könnte, daß es in der Zielvorstellung des Gesetzgebers gelegen hat, den Ausnahmekatalog über den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b BerlinFG hinaus zu erweitern (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 1986 V R 20/79, BFHE 148, 194, BStBl II 1987, 162, m.w.N.). Hierfür ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte. Die Auslegung im Rahmen des möglichen Wortsinnes führt insbesondere nicht zu einem sinnwidrigen oder wirtschaftlich nicht vertretbaren Ergebnis. Eine planwidrige, ergänzungsbedürftige Unvollständigkeit liegt nicht vor, wie bereits die abgestufte Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG zeigt.
Für die Auslegung des Senats spricht auch der Umstand, daß der Gesetzgeber zu einem späteren Zeitpunkt den Umfang der von ihm als notwendig erachteten Bearbeitungsvorgänge - lediglich - in der Weise eingeschränkt hat, daß Schinken, der beim Entbeinen von Schweinehälften anfällt, nicht mehr vollständig entbeint zu werden braucht (vgl. Drittes Gesetz zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1982, BGBl I 1982, 1828, BStBl I 1982, 936, Art. 1 Nr. 3 Buchst. a, bb; vgl. auch BTDrucks 9/2086, S. 14). Dies läßt erkennen, daß der Gesetzgeber weiterhin das Entbeinen von Schweinehälften als den für die Inanspruchnahme der Umsatzsteuervergünstigung notwendigen Mindestumfang der Bearbeitung angesehen hat. Ob ein Weniger an Bearbeitungsvorgängen ausgereicht hätte, um unerwünschten und mißbräuchlichen Praktiken entgegenzuwirken, unterliegt nicht der Beurteilung des Senats (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1981 III R 99/78, BFHE 133, 432, 436, BStBl II 1981, 640).
4. Die Lieferung von frischem genießbarem Schlachtabfall ist selbst dann von der Vergünstigung ausgeschlossen, wenn dieser beim vollständigen Entbeinen von Schweinehälften angefallen ist. Buchst. b des § 4 Abs. 1 Nr. 12 BerlinFG enthält im Gegensatz zu der im Streitfall nicht einschlägigen Regelung des Buchst. a der Vorschrift keine Ausnahme für genießbaren Schlachtabfall.
5. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher in bezug auf die Streitjahre 1972 und 1973 aufzuheben. Die Sache ist insoweit nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die Tatsachen festzustellen haben, die es ermöglichen, abschließend darüber zu befinden, in welchem Umfang begünstigte Lieferungen vorgelegen haben.
II. Streitjahr 1974
Insoweit ist die Revision unzulässig, da der Umsatzsteuerbescheid 1974 nicht gemäß § 68 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist.
Wird der angefochtene Verwaltungsakt durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 123 Satz 2 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der ersetzende Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn der Kläger dies beantragt. Erforderlich ist jedoch, daß hinsichtlich des ursprünglichen und des neuen Verwaltungsakts Identität der Beteiligten besteht (BFH-Beschluß vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219; Urteil vom 9. September 1986 VIII R 198/84, BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28). An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Der aufgehobene Steuerbescheid war gegen die GbR ergangen, während Adressat des Bescheids vom 29. Mai 1981 der Kläger zu 1 ist.
Der Einspruch des Klägers zu 1 vom 12. Juni 1981 gegen den Umsatzsteuerbescheid 1974 vom 29. Mai 1981 bleibt von der Entscheidung des Senats unberührt.
Fundstellen
Haufe-Index 415228 |
BFH/NV 1988, 128 |