Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellung i.S. v. § 6 Abs. 1 BHG (BerlinFG)
Leitsatz (NV)
Zum Begriff der Herstellung eines Gegenstandes in Berlin (West) gemäß § 6 Abs. 1 BHG (BerlinFG).
Normenkette
BHG 1968 § 1 Abs. 1, § 6 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger betrieb in Berlin (West) den Fleischgroßhandel. Er lieferte im Jahre 1969 Fleisch an verschiedene westdeutsche Abnehmer und machte deshalb einen Kürzungsanspruch nach § 1 Abs. 1 BHG in Höhe von . . . DM geltend.
Das gelieferte Fleisch war in seinem Betrieb durch Zerlegung von Schweinehälften in größere Teile wie Schinken, Schultern, Bäuche, Kotelettstränge usw. (sog. Grobzerlegung) oder durch vollständige Entbeinung gewonnen worden. Das Finanzamt erkannte den Kürzungsanspruch nur in Höhe von . . . DM als berechtigt an und hat durch Bescheid vom 18. Oktober 1971 für 1969 eine negative Umsatzsteuerschuld von . . . DM festgesetzt. Es vertrat die Auffassung, nur bei den Verkäufen von entbeintem Fleisch seien in Berlin (West) hergestellte Gegenstände geliefert worden. Bei den übrigen Lieferungen scheide ein Kürzungsanspruch aus, weil die Schweinehälften bei der Zerlegung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BHG nur ,,geringfügig" behandelt worden seien. Nach den Angaben von drei westdeutschen Abnehmern stehe fest, daß der Kläger zum Teil nur grob zerlegtes Fleisch geliefert habe. Bei den anderen Lieferungen fehle es an einem buchmäßigen Nachweis über die Voraussetzungen der Kürzung (§ 1 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BHG); denn Vermerke über die Entbeinung seien nur auf den Rechnungsdurchschriften angebracht gewesen, und es bestünden nach den Angaben der westdeutschen Abnehmer berechtigte Zweifel, ob und in welchem Umfang entbeintes Fleisch geliefert worden sei. Diese Zweifel gingen zu Lasten des Klägers.
Das Finanzgericht hat die Klage bis auf einen Teilbetrag von . . .DM abgewiesen. Nach seiner Auffassung sind nur die Lieferungen vollständig entbeinter Tierkörperteile begünstigt. Die Grobzerlegung für eine Schweinehälfte dauere nur wenige Minuten; die Bearbeitungskosten lägen im Verhältnis zum Verkaufspreis im allgemeinen unter 3 v. H.; außerdem bringe diese Bearbeitung keinen wesentlichen Fortschritt in der Produktion mit sich. Wie zur Überzeugung des Finanzgerichts feststehe, habe der Kläger mit Ausnahme von zwei Lieferungen in den Fällen der drei westdeutschen Abnehmer nur grob zerlegtes Fleisch geliefert. In den anderen vom Finanzamt beanstandeten Fällen müsse aufgrund der Beweisaufnahme davon ausgegangen werden, daß Vermerke über die Entbeinung nicht auf den Originalrechnungen, sondern erst später nur auf den Rechnungsdurchschriften und auch nicht von der für diese Vermerke auf den Originalrechnungen zuständigen Zeugin Frau X oder ihrer Vertreterin, sondern von nicht bekannten Personen angebracht worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei eine zuverlässige Feststellung, ob die Ware entbeint worden sei, nicht mehr möglich gewesen. Daher fehle es insoweit jedenfalls an dem erforderlichen ordnungsgemäßen Buchnachweis.
Die Revision des Klägers rügt Verletzung des § 6 Abs. 1 Satz 1 BHG. Der Kürzungsanspruch bestehe, weil auch die nicht entbeinten Fleischteile aus einer mehr als geringfügigen Bearbeitung entstanden seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Der Kürzungsanspruch des Berliner Unternehmers gemäß § 1 Abs. 1 BHG 1968 setzt u.a. voraus, daß der gelieferte Gegenstand in Berlin (West) hergestellt worden ist. Eine solche Herstellung liegt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BHG 1968 vor, wenn durch eine Bearbeitung oder Verarbeitung in Berlin (West) nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden ist, es sei denn, der Gegenstand wäre in Berlin (West) nur geringfügig behandelt worden.
Zum Begriff der nur ,,geringfügigen" Behandlung eines Gegenstandes hat der Bundesfinanzhof im Urteil vom 10. Oktober 1974 V R 160/73 (BFHE 114, 146, BStBl II 1975, 130) Stellung genommen. Es kommt nach dieser Entscheidung nicht maßgebend darauf an, in welchem Verhältnis der Aufwand der Bearbeitungskosten zum Verkaufspreis steht, sondern darauf, ob und in welchem Umfang die Behandlung eines Gegenstandes nach allgemeinem wirtschaftlichen und technischen Verständnis nennenswert ist und infolgedessen für die Belebung der Berliner Wirtschaft (Schaffung von Arbeitsplätzen, Auslösung von Investitionen usw.) Bedeutung hat. Der Bundesfinanzhof hat diese Rechtsprechung in den Urteilen vom 10. Februar 1977 V R 24/76 (BFHE 121, 567, BStBl II 1977, 519) und vom 14. Juli 1983 V R 128/80 (BFHE 139, 214, BStBl II 1983, 704) fortgeführt.
Die fachgerechte Zerlegung von Schweinehälften in Schinken, Schultern, Bäuche, Kotelettstränge usw. erfordert, wie das Finanzgericht in dem von ihm zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Urteil vom 20. März 1975 I R 271/72 (EFG 1975, 559) selbst ausgeführt hat, den Einsatz voll ausgebildeter Fleischer sowie erhebliche Investitionen. Schon dadurch erfüllt ein Betrieb, der in dieser Weise tätig wird, die wesentlichen Voraussetzungen einer nicht nur geringfügigen Bearbeitung von Gegenständen, auch wenn die Zerlegung durch fachlich geschulte Kräfte in einem hochgradig automatisierten Arbeitsablauf im Durchschnitt (wie das Finanzgericht ausführt) nur zwei bis drei Minuten dauert.
Ergeben sich aus der Präferenzierung von Herstellungsvorgängen, die im Sinne von § 6 Abs. 1 BHG bzw. BerlinFG nicht nur geringfügig sind, in bestimmten Wirtschaftsbereichen Berlins unerwünschte Entwicklungen für die dortige und die westdeutsche Wirtschaft, können die auftretenden Probleme nicht dadurch gelöst werden, indem die Vorschrift über die Herstellung in Berlin (West) jeweils in Anpassung an diese Verhältnisse ausgelegt wird. Solchen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Deshalb hat der Gesetzgeber die vielfältigen Probleme der umsatzsteuerlichen Begünstigung der Lieferungen von Fleisch an westdeutsche Abnehmer durch spätere zusätzliche Regelungen im Gesetz zu lösen versucht (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 12, § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 4 Abs. 3 Nr. 4 und § 6 Abs. 2 Satz 2 BerlinFG). Hierbei zeigt die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a) BerlinFG, daß der Gesetzgeber die Grobzerlegung als nicht nur geringfügige Behandlung angesehen hat; anderenfalls wäre diese Regelung nicht verständlich.
Dem Kläger stehen demzufolge die für das Jahr 1969 begehrten Kürzungsansprüche auch für die Lieferungen nichtentbeinten Fleisches an westdeutsche Abnehmer zu. Er hat mit der Grobzerlegung der Schweinehälften Gegenstände anderer Marktgängigkeit geschaffen und hierbei eine nicht nur geringfügige Behandlung vorgenommen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BHG 1968). Unwidersprochen vom Finanzamt hat er vorgetragen, er beschäftige in seinem Betrieb durchschnittlich 12 ausgebildete Fleischer und zwei gelernte Buchhalterinnen und er habe knapp 1 Mio DM für Kühlanlagen, Maschinen, Fahrzeuge usw. investiert. Anhaltspunkte für eine mißbräuchliche Gestaltung zur Erlangung der umsatzsteuerlichen Vergünstigungen liegen nach den Feststellungen des Finanzgerichts nicht vor, zumal der Kläger, den Wünschen seiner Abnehmer entsprechend, im Jahre 1969 in großem Umfang in seinem Betrieb auch entbeintes Fleisch geliefert hat.
Den Buchnachweis für die Grobzerlegung, die bereits für die Steuervergünstigung ausreichend ist, hat der Kläger, wie auch das Finanzamt zugesteht, erbracht.
Das Finanzgericht hat für 1969 eine negative Umsatzsteuer in Höhe von . . . DM festgesetzt. Dieser Betrag war entsprechend dem Antrag der Revision um noch zu gewährende Umsatzsteuerkürzungen in Höhe von . . . DM auf . . . DM zu erhöhen.
Fundstellen