Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Berichtigung von Bescheiden über Lastenausgleichsabgaben nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO ist zulässig.
§ 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO ist nicht verfassungswidrig.
Die Aufsichtsbehörde kann gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO auch Fehler aufdecken, die ihr vom Finanzamt mitgeteilt werden. Die Aufdeckung eines vom Finanzamt mitgeteilten Fehlers ist nicht deshalb ermessensmißbräuchlich, weil keine systematische Prüfung sämtlicher Bescheide erfolgte.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Das Finanzamt setzte durch Bescheid vom 22. Dezember 1956 die auf einem der Bgin. gehörigen Grundstück ruhenden Hypothekengewinnabgabe (HGA)-Schulden gemäß § 104 LAG mit Wirkung vom 1. Juli 1948 auf 0 DM herab. Auf Anweisung der Oberfinanzdirektion hob es diesen Bescheid gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO durch Bescheid vom 19. Oktober 1960 mit folgender Begründung wieder auf: "Der Bescheid vom 22. Dezember 1956 ist fehlerhaft, denn eine Herabsetzung der Abgabeschulden gemäß § 2 der 18. AbgabenDV-LA ist nur möglich, wenn die öffentlichen Mittel auf Grund einer ausgeglichenen Wirtschaftlichkeitsberechnung zinsverbilligt gewährt wurden, d. h. mit einem Zinssatz unter 4 % und 1/2 % Tilgung. In ihrem Falle betragen die Verzinsung 4 1/2 % (einschl. 1/2 % Verwaltungskosten) und die Tilgung 3 %. Außerdem weist die Wirtschaftlichkeitsberechnung einen überschuß von DM 551,- aus. Es wird Ihnen jedoch anheimgestellt, einen erneuten Herabsetzungsantrag gemäß § 3 der 18. AbgabenDV-LA (mit Wirtschaftlichkeitsberechnung) einzureichen."
Die Bgin. wandte dagegen ein, die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO, auf welche der Aufhebungsbescheid gestützt werde, sei auf die HGA unanwendbar. Außerdem verstoße dieser Aufhebungsbescheid in ihrem Fall gegen Treu und Glauben. Sie habe im Vertrauen auf den Herabsetzungsbescheid das öffentliche Wohnungsbaudarlehen mit einem privaten Kapitalmarktdarlehen umschlossen. Die nachträgliche Aufhebung des Herabsetzungsbescheides stelle deshalb einen unzumutbaren rückwirkenden Eingriff in bereits getroffene wirtschaftliche Dispositionen dar. Außerdem sei der ursprüngliche Bescheid nicht fehlerhaft gewesen. Es könne angenommen werden, daß bei Erlaß des Bescheides auch das Finanzamt der Auffassung gewesen sei, öffentliche Baudarlehen mit einem Zinssatz von 4,5 v. H. für das Jahr erfüllten die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Ziff. 1 der Achtzehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 28. Juni 1954 (18. AbgabenDV-LA). Bei diesem Sachverhalt läge kein Fehler im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO vor. Schließlich aber ergebe eine Wirtschaftlichkeitsberechnung keinen überschuß der Erträge des Grundstücks über die Kapital- und Bewirtschaftungskosten, so daß eine Herabsetzung der Abgabeschulden auf 0 DM gerechtfertigt sei.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht hob die Einspruchsentscheidung und den Berichtigungsbescheid vom 19. Oktober 1960 auf. Es führte aus, die Kammer sei zwar bisher der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gefolgt, wonach eine Berichtigung von Bescheiden über Lastenausgleichsabgaben nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO zulässig sei. Sie halte aber an diesem Standpunkt nicht mehr fest. Nach § 203 Abs. 1 LAG seien auf Lastenausgleichsabgaben vorbehaltlich der Absätze 2 bis 5 die Vorschriften der AO und ihrer Nebengesetze anzuwenden. Da § 203 LAG in den Absätzen 2 bis 5 eine Reihe von Abweichungen oder Anpassungen an die allgemeine Regelung der AO enthalte, könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden, daß der Gesetzgeber des LAG die sich aus § 222 AO ergebenden Folgen nicht bedacht habe. Unter diesen Umständen sei für eine Rechtsfindung im Wege der Lückenausfüllung kein Raum, und es müsse bei der Wortauslegung bleiben. Die Kammer habe auch erwogen, ob § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO die Rechtssicherheit nicht so sehr beeinträchtige, daß sie gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße und ungültig sei. Bedenken in dieser Hinsicht ergäben sich vor allem aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 23/51 vom 1. Juli 1953 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGG - Bd. 2 S. 380 ff.). Auch das Steuerermittlungsverfahren sei ein förmliches, gerichtsähnliches Verfahren. Außerdem seien die Steuerbescheide deklaratorische Verwaltungsakte, durch die über einen abgeschlossenen Sachverhalt befunden werde. Ein Unterschied zu dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall bestehe aber insofern, als die Aufsichtsbehörde keine Möglichkeit habe, den Bescheid ebenso wie der Steuerpflichtige anzufechten. Eine abschließende Entscheidung dieser Frage brauche die Kammer aber nicht zu treffen. Es sei auch zu beachten, daß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO stillschweigend voraussetze, daß die Aufsichtsbehörden die von den Finanzämtern erlassenen Bescheide systematisch prüften. In der Praxis der Gegenwart geschehe dies aber nicht. Auch im Streitfall habe das Finanzamt den Fehler entdeckt und die Oberfinanzdirektion darauf hingewiesen. § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO überlasse es dem Ermessen der Aufsichtsbehörde, ob sie einen Fehler aufdecken wolle oder nicht. Es könne dahingestellt bleiben, ob in den Fällen überhaupt eine Fehleraufdeckung vorliege, in denen die Aufsichtsbehörde dem Finanzamt nur bestätige, daß ein Fehler vorliege. Jedenfalls sei es ein Ermessensfehlgebrauch, wenn die Oberfinanzdirektion sich darauf beschränke, solche Fehler aufzudecken, die ihr vom Finanzamt mitgeteilt worden seien. Durch ein solches Verfahren, das die Fehleraufdeckung von einer zufälligen Entdeckung des Fehlers durch das Finanzamt abhängig mache, werde die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht gefördert, sondern eher gestört. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei aber ein Ermessensfehlgebrauch.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Hat bei Steuern, bei denen die Verjährungsfrist mehr als ein Jahr beträgt, das Finanzamt nach Prüfung des Sachverhalts einen besonderen, im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid erteilt, so kann eine änderung des Bescheides u. a. nur stattfinden, wenn bei einer Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde Fehler aufgedeckt werden, deren Berichtigung eine höhere Veranlagung rechtfertigt und die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt nicht für die Steuern vom Einkommen, vom Ertrag, vom Umsatz und vom Vermögen ausschließlich der Erbschaftsteuer (ß 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO).
I. - Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Lastenausgleichsabgaben bejaht. Diese seien zwar Steuern vom Vermögen. Die Beschränkung des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO beziehe sich aber nur auf die laufenden Steuern vom Vermögen, nicht aber auch auf einmalige Abgaben, zu denen auch die Lastenausgleichsabgaben zählten (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs III 273/57 S vom 7. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 157, Slg. Bd. 66 S. 407; III 165/57 U vom 18. April 1958, BStBl 1958 III S. 250, Slg. Bd. 66 S. 654; III 281/58 U vom 29. April 1960 BStBl 1960 III S. 298, Slg. Bd. 71 S. 134, und III 142/60 S vom 2. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 250, Slg. Bd. 74 S. 677). Er hat diese Rechtsprechung vor allem darauf gestützt, daß die Beschränkung der Fehlerberichtigung in § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 2 AO nicht nur für die Steuern vom Vermögen, sondern auch für eine Reihe anderer - ausschließlich laufender - Steuern bestimmt, daß aber andererseits die - einmalige - Erbschaftsteuer von der Beschränkung ausdrücklich ausgenommen ist. Der Senat hat seine Auslegung des Begriffs "Steuern vom Vermögen" nach dessen Stellen innerhalb der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO durch deren Entstehungsgeschichte bestätigt gefunden. Er ist der Auffassung, daß es sich bei dieser Auslegung nicht um eine solche gegen den klaren Wortsinn des Gesetzes handelt. Beim Begriff "Steuern vom Vermögen" handelt es sich nicht um einen durch seinen Wortlaut so eindeutig und klar umrissenen Begriff, daß eine mit Hilfe anderer Auslegungsmethoden gefundene ausdehnende oder -. wie bei den Lastenausgleichsabgaben vorgenommen - einschränkende Auslegung nicht möglich und geboten sein könnte. Die vom Finanzgericht in den Vordergrund seiner Erörterungen gestellte Frage, ob eine Lückenausfüllung zur Anwendbarkeit des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO auf die Lastenausgleichsabgaben führen kann, kann daher dahingestellt bleiben. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Entstehungsgeschichte des LAG für die Annahme des Finanzgerichts, der Gesetzgeber habe in § 203 LAG bewußt einen Hinweis auf § 222 AO unterlassen, um eine Berichtigung von Bescheiden über die Lastenausgleichsabgaben, insbesondere nach Abs. 1 Ziff. 3 und 4 dieser Vorschrift auszuschließen, keine Anhaltspunkte ergibt.
II. - Das Finanzgericht hat - ohne zu einer abschließenden Entscheidung zu kommen - weiter erwogen, ob nicht die Berichtigungsmöglichkeit des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße und deshalb ungültig sei. Der Senat teilt diese Bedenken des Finanzgerichts nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seiner Entscheidung 1 BvL 23/51 vom 1. Juli 1953 a. a. O., auf die sich das Finanzgericht beruft, betont, daß das zu den Leitideen des Grundgesetzes (GG) gehörende Rechtsstaatsprinzip die Gewährleistung der Rechtssicherheit als wesentlichen Bestandteil enthalte und daß die Rechtssicherheit nicht nur einen geregelten Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens, sondern auch einen gesicherten rechtsbeständigen Abschluß verlange. Rechtsfriede und Rechtssicherheit seien von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, daß um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden müsse. Mit der Gewährleistung der Rechtssicherheit sei es unverträglich, daß Akte der Staatsgewalt, die wie die Haftentschädigungsbeschlüsse in Nordrhein-Westfalen auf Grund eines gültigen Gesetzes in einem gerichtsähnlichen Verfahren zustande gekommen seien, an dem der Staat und der einzelne als Parteien beteiligt gewesen wären, und die dem einzelnen auf Grund eines abgeschlossenen Tatbestandes vorbehaltslos eine bestimmte Rechtsposition verliehen hätten, nur wegen eines Wandels der Rechtsauffassung wieder beseitigt würden.
Der erkennende Senat bejaht diese Rechtsgrundsätze. Er ist jedoch der Auffassung, daß sie auf die im Besteuerungsverfahren ergehenden Bescheide nicht ohne Einschränkung angewandt werden können. Das Besteuerungsverfahren ist kein gerichtliches Verfahren und unterscheide sich von einem gerichtlichen Verfahren in mancher Hinsicht wesentlich. So sind vor allem der Staat und der einzelne in diesem Verfahren nicht als Parteien beteiligt; vielmehr entscheidet der Staat (die Finanzbehörde) über die steuerlichen Verhältnisse des einzelnen. Auch ist das Besteuerungsverfahren nicht so gestaltet, daß auf Grund einer umfassenden und erschöpfenden Ermittlung eines bestimmten Sachverhalts eine abschließende Entscheidung getroffen werden soll. Zwar hat das Finanzamt - auch zugunsten des Steuerpflichtigen - die steuerpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind (ß 204 Abs. 1 AO). Diese Ermittlungspflicht ist aber in der Regel durch die Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen (§§ 166 ff. AO) ergänzt und beschränkt sich auf die überprüfung der Steuererklärung des Pflichtigen (ß 205 Abs. 1 Satz 1 AO). Nur soweit nötig, muß das Finanzamt veranlassen, daß Lücken ergänzt und Zweifel beseitigt werden, und nur wenn das Finanzamt Bedenken gegen die Richtigkeit der Erklärung trägt, muß es weitere Ermittlungen vornehmen (ß 205 Abs. 2 AO). Das Besteuerungsverfahren kann deshalb auch schon von der Sachverhaltsermittlung her nicht mit einem gerichtlichen Verfahren - beispielsweise dem Strafverfahren - verglichen werden.
Dazu treten folgende Erwägungen: Der Grundsatz der Rechtssicherheit, der im Einzelfall die Rechtsbeständigkeit ergangener Entscheidungen gebieten kann, ist nicht der einzige Grundsatz, der für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO heranzuziehen ist. Diesem Grundsatz steht das Gebot der Gerechtigkeit gegenüber, das für den Einzelfall die richtige Entscheidung erfordert. Diesem Gebot der Gerechtigkeit kommt im Besteuerungsverfahren besondere Bedeutung zu. Dieses Verfahren ist ein Massenverfahren. Jahr für Jahr müssen die Vorschriften der Steuergesetze auf eine Vielzahl von Besteuerungsfällen angewandt werden. Es muß dabei oberstes Gebot der Steuerverwaltung sein, die Steuerfestsetzungen gerecht, d. h. gleichmäßig nach den Vorschriften der Gesetze vorzunehmen. Dieses Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, das ebenfalls Verfassungsrang hat (vgl. Art. 3 GG), kann mit dem Grundsatz der Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen in Widerstreit treten. Ist dies der Fall, so ist es Sache des Gesetzgebers, das Gewicht, das ihnen in dem zu regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden Prinzipien der Vorzug gegeben werden soll (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 28/62 vom 14. März 1963, BVerfGE Bd. 15 S. 313 (319)).
Diese Abwägung hat der Gesetzgeber der AO vorgenommen. Er hat dort, wo sich der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung mit den Interessen des Steuerpflichtigen deckt, nämlich bei der Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen, in jedem Fall die Berichtigung von Fehlern nach Aufdeckung durch die Aufsichtsbehörde zugelassen (ß 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO). Bei der Fehlerberichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen, wo sich das Interesse des Steuerpflichtigen an der Aufrechterhaltung des rechtskräftigen Bescheides und das Interesse der Allgemeinheit an einer geichmäßigen Besteuerung widerstreiten, hat er dem Grundsatz der Rechtsbeständigkeit bei den laufenden, periodisch veranlagten Steuern und dem Grundsatz der Richtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei den einmaligen Steuern den Vorrang gegeben. Diese Abwägung kann nicht als willkürlich betrachtet werden. Bei den laufenden Steuern handelt es sich in der Regel nur um einen Jahresbetrag. Ein Fehler, der sich auf mehrere Jahre auswirken könnte, kann in dem nächsten oder einem späteren Jahr richtiggestellt werden. Die einmaligen Steuern sind dagegen in der Regel höher und wirken sich für lange Zeit aus. Die Auswirkung eines Fehlers auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist deshalb bei ihnen im allgemeinen schwerwiegend.
Dies wird besonders bei den Lastenausgleichsabgaben deutlich. Diese erfassen einen wesentlichen Teil des Vermögens der Abgabepflichtigen und haben eine "Laufzeit" von fast drei Jahrzehnten. Hinzu kommt, daß diese Abgaben auf Grund eines umfangreichen Gesetzes erhoben werden mußten, das in vielen Abschnitten völlig neues Besteuerungsrecht darstellte. Die Gefahr einer ungleichmäßigen Besteuerung war hier insofern besonders groß, als eine Rechtsprechung weitgehend nicht vorlag und sich auch eine einheitliche Verwaltungsübung erst bilden mußte. Dies gilt um so mehr, als die Veranlagung dieser Abgaben innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit in einem Massenverfahren, das nahezu alle steuerpflichtigen Personen ergriff, durchgeführt werden mußte.
Bei der Beurteilung der gesetzgeberischen Erwägungen ist auch zu berücksichtigen, daß die Berichtigung von Fehlern, auch dort wo sie zuungunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO zulässig ist, im Interesse der Steuerpflichtigen eine zeitliche Grenze in dem Ablauf der Verjährungsfrist findet. Die Verjährungsfrist beträgt bei den hier in Frage kommenden Steuern grundsätzlich fünf Jahre. Ist dieser verhältnismäßig kurze Zeitraum verstrichen, so können die verjährten Zins- und Tilgungsleistungen (vgl. § 203 Abs. 3 LAG) auch im Wege einer Berichtigung des Abgabebescheids nicht mehr nachgefordert werden.
Der Senat hält aus diesen Gründen § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO nicht für verfassungswidrig.
III. - Gegenüber der durch § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO geschaffenen Rechtslage kann sich die Bgin. auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. Soweit nach dieser Vorschrift eine Berichtigung rechtskräftiger Veranlagungen zulässig ist, kann der Steuerpflichtige nicht auf die Endgültigkeit seiner Veranlagung vertrauen. Ein Finanzamt, das entsprechend dem in § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO enthaltenen gesetzlichen Gebot eine Steuerfestsetzung berichtigt, verstößt deshalb nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, und zwar auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die vermeintliche Endgültigkeit der Veranlagung wirtschaftliche Dispositionen vorgenommen hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 29/64 U vom 13. August 1964, BStBl 1964 III S. 586).
IV. - Auch soweit das Finanzgericht in der Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde einen Ermessensfehlgebrauch sieht, vermögen seine Gründe nicht zu überzeugen. Es beruft sich für seine Auffassung zunächst auf folgende äußerung von Enno Becker, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., S. 648: "Nach dem Finanzrecht des Reichs werden alle Ausgaben des Reichs doppelt geprüft. Dem entspräche, daß auch alle Einnahmen doppelt geprüft werden und bei der Aufdeckung von Fehlern durch die zweite Stelle Nachforderungen, abgesehen von dem Falle der Verjährung, schlechthin zugelassen werden müßten. Die Ausgleichung dieser Forderungen mit den Belangen der Pflichten hat dazu geführt, diese Nachforderungen bei den Steuern vom Vermögen und vom Einkommen auszuschließen. Es ist nicht richtig, wenn das Finanzgericht aus dieser äußerung herzuleiten versucht, § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO könne nach dem Willen des Gesetzgebers der AO nur auf diejenigen Fehleraufdeckungen Anwendung finden, die bei einer systematischen Prüfung erfolgten. Daß Enno Becker seine äußerung nicht in dem vom Finanzgericht verstandenen Sinne aufgefaßt haben wollte, ergibt sich schon aus S. 658 des erwähnten Kommentars, wo er eine Berichtigung auch dann für zulässig hält, wenn der Fehler von der Aufsichtsbehörde auf Anregung des Finanzamts aufgedeckt wurde. Auch ist es nicht so, daß zur Zeit des Erlasses der AO alle Steuerfestsetzungen von der Aufsichtsbehörde systematisch überprüft wurden. Dies mag zwar für die in § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO (früher § 212 Abs. 3 AO) genannten Erbschaftsteuern zugetroffen haben, nicht aber für die übrigen Steuern, für die nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO (früher § 213 AO) ebenfalls eine Berichtigung nach Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde - wenn auch nur zugunsten des Steuerpflichtigen - zulässig ist. Ganz abgesehen davon hat im Streitfall auf Grund von Anweisungen der Oberfinanzdirektion und des Bundesrechnungshofs das Finanzamt sämtliche Herabsetzungsverfahren gemäß § 2 der 18. AbgabenDV-LA überprüft und gegebenenfalls der Aufsichtsbehörde zur Fehleraufdeckung vorgelegt.
Dem Finanzgericht kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als es annimmt, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung werde nicht gefördert, sondern eher gestört, wenn die Berichtigung von Fehlern erfolge, die nicht auf Grund einer systematischen überprüfung durch die Aufsichtsbehörde, sondern von Fall zu Fall - unter Umständen nach Mitteilung des Fehlers durch das Finanzamt - aufgedeckt worden seien. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, daß die durchgeführten Steuerfestsetzungen im allgemeinen richtig sind und die fehlerhaften Veranlagungen sich auf einzelne Ausnahmefälle beschränken. Wenn in diesen Fällen - sei es auch auf Grund eines Zufalls - der Fehler entdeckt und nach Aufdeckung durch die Aufsichtsbehörde berichtigt wird, wird die Gleichmäßigkeit der richtigen Besteuerung herbeigeführt und nicht etwa die Gleichmäßigkeit der Besteuerung dadurch gestört, daß in einzelnen anderen Fällen mangels einer systematischen überprüfung durch die Aufsichtsbehörde Fehler unaufgedeckt bleiben.
Der Berichtigung steht auch nicht entgegen, daß die Aufsichtsbehörde den Fehler auf Anregung des Finanzamts aufgedeckt hat. Der Begriff "aufdecken" in § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO ist nicht gleich dem Begriff "entdecken" und schließt nicht aus, daß das Finanzamt nach Entdeckung des Fehlers die Aufsichtsbehörde um dessen Aufdeckung bittet. Der Gesetzgeber wollte in § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO die Berichtigungsmöglichkeit nicht von einer Entdeckung des Fehlers durch die Aufsichtsbehörde abhängig machen, sondern von ihrer Entscheidung, ob ein Fehler vorliegt. Eine andere Auslegung ergäbe keinen vernünftigen Sinn. Sie würde zur Folge haben, daß die Berichtigung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO wie auch zu seinen Gunsten nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO von dem mehr oder weniger zufälligen Ereignis der Entdeckung abhinge. Für einen solchen Willen des Gesetzgebers ist kein Grund einzusehen. Der erkennende Senat hat deshalb in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß die Aufdeckung eines Fehlers auch auf Veranlassung des Finanzamts erfolgen kann (vgl. die Urteile III 95/59 U vom 22. Juli 1960, BStBl 1960 III S. 524, Slg. Bd. 71 S. 741, und III 376/61 vom 16. März 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 107).
V. - Das Urteil des Finanzgerichts ist aus diesen Gründen aufzuheben. Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, damit dieses nunmehr überprüft, ob der ursprüngliche Herabsetzungsbescheid fehlerhaft war und seine Aufhebung deshalb gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO erfolgen konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 411394 |
BStBl III 1965, 104 |
BFHE 1965, 291 |
BFHE 81, 291 |