Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff der "Reinvestition" im Sinne des DBA-USA.
Normenkette
DBA USA Art. 6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in den USA, erhielt von ihrer Tochtergesellschaft, einer GmbH mit Sitz im Inland, eine Gewinnausschüttung aus dem Jahr 1966 in Höhe von 1 744 004 DM. Davon wurde zunächst eine Kapitalertragsteuer von 25 v. H. einbehalten und abgeführt. In Höhe von 10 v. H. wurde dann die Kapitalertragsteuer der Klägerin zurückerstattet.
Am 3. Januar 1966 hatte die Klägerin mit ihrer Tochtergesellschaft einen "Linzenzvertrag" geschlossen. Als Gegenleistung der Tochtergesellschaft für die Lizenzen war eine umsatzabhängige Vergütung vereinbart. Der "Lizenzvertrag" war im Zuge der Umstellung des Betriebs der Tochtergesellschaft vom Import von Fertigerzeugnissen auf den Import von teilfertigen Erzeugnissen und deren Zusammenbau in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen worden.
Das FA betrachtete den Abschluß des "Lizenzvertrags" als eine Reinvestition im Sinne des Art. VI Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und einiger anderer Steuern vom 22. Juli 1954 i. d. F. des Protokolls vom 17. Mai 1965 - DBA-USA - (BGBl II 1966, 746, BStBl I 1966, 865) mit einem Wert von 1 200 000 DM und forderte die erstattete Kapitalertragsteuer in Höhe von 120 000 DM zurück.
Die Sprungklage gegen diesen Bescheid blieb ohne Erfolg.
Das FG hat ausgeführt, die Gewährung der Lizenzen stelle einen Vermögenswert dar. Sie verleihe dem Lizenznehmer eine quasi-dingliche Rechtsstellung. Der Wert der Lizenzen werde von der Tochtergesellschaft der Klägerin durch Herstellung der entsprechenden Erzeugnisse verwirklicht. Die Anlageform der Lizenzen ergebe sich daraus, daß die Klägerin in doppelter Hinsicht aus dem Vertrag Nutzen ziehe: Sie erhalte die umsatzabhängige Vergütung und außerdem den um diese Vergütung geminderten Gewinn der Tochtergesellschaft.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der unrichtige Anwendung des DBA-USA gerügt wird. Im einzelnen führt die Klägerin aus:
Das FG sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, wenn es der Tochtergesellschaft der Klägerin auf Grund des "Lizenzvertrags" eine quasi-dingliche Rechtsstellung zugesprochen habe. In Wahrheit handle es sich im Streitfall um keinen Patent-Lizenzvertrag, sondern um einen Know-How-Lizenzvertrag. Nicht Patente, sondern die Technologie, das "vertrauliche unpatentierte Wissen und Erfindungen etc." seien der Tochtergesellschaft überlassen worden.
Das FG habe außerdem der Klägerin dadurch das rechtliche Gehör verweigert, daß es wesentliche Gesichtspunkte der Klägerin sowie die herrschende Meinung im Schrifttum übergangen habe. Die Vertragspartner des DBA-USA hätten nicht im Traum daran gedacht, daß der Abschluß eines Lizenzvertrags ein Fall von Reinvestition sei. Darauf habe die Klägerin bereits in der Klagebegründung hingewiesen. Das FG hätte darauf eingehen und diese Frage aufklären müssen. Für den Fall, daß der BFH Zweifel über die Vorstellung der vertragschließenden Staaten habe, werde eine offizielle Anfrage bei den zuständigen Stellen der beiden Staaten beantragt. Dazu sei auch das Revisionsgericht befugt, da es sich um eine Maßnahme der Rechtsauslegung handle. Sollte der Senat die Anfrage für eine Maßnahme der Sachaufklärung halten, werde der Antrag gestellt, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Zum Begriff der Reinvestition führt die Klägerin aus, dieser umfasse nach herrschender Meinung nicht Lizenzverträge, wenn - wie im Streitfall - Leistung und Gegenleistung ausgeglichen seien. Im Fall eines Lizenzvertrags werde beim Lizenznehmer kein Wirtschaftsgut "investiert". das - wie für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorgeschrieben - von der deutschen Tochtergesellschaft zu aktivieren sei. Hier greife vielmehr das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG ein.
Die Klägerin beantragt in der Sache, das Urteil des FG und den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundesamt für Finanzen), auf das die Zuständigkeit des FA nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG noch während des finanzgerichtlichen Verfahrens übergegangen ist, beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Unbegründet ist die vorrangig zu prüfende Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO). Das Gericht ist nicht verpflichtet, im Urteil auf alle rechtlichen Gesichtspunkte und auf das Schrifttum einzugehen.
2. Die Steuer der Bundesrepublik von Dividenden, die eine amerikanische Körperschaft von einer deutschen Gesellschaft bezieht, darf grundsätzlich 15 v. H. des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen (Art. VI Abs. 2 DBA-USA). Solange jedoch der deutsche Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Gewinne mindestens 20 Punkte niedriger ist als der Körperschaftsteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne, beträgt der Steuersatz für den Teil der Dividenden, der als reinvestiert gilt, 25 v. H., wenn der amerikanischen Körperschaft mindestens 10 v. H. der stimmberechtigten Anteile der deutschen Gesellschaft gehören (Art. VI Abs. 3 DBA-USA). Als reinvestiert gilt ein Betrag, wenn die amerikanische Muttergesellschaft der deutschen Tochtergesellschaft "unmittelbar oder mittelbar Geld oder andere Vermögenswerte als Darlehen oder zur Erhöhung des Gesellschaftskapitals oder in einer anderen Anlageform" zuführt (Art. VI Abs. 5 DBA-USA).
3. Danach ist nicht jede Überlassung von Geld oder anderen Vermögenswerten an die deutsche Tochtergesellschaft eine Reinvestition, sondern nur die Überlassung von Geld oder anderen Vermögenswerten in einer "Anlageform". z. B. als Darlehen oder zur Erhöhung des Gesellschaftskapitals. Da es einen allgemeingültigen Rechtsbegriff der Investition nicht gibt, ist aus den beiden Beispielen "Darlehen" und "Erhöhung des Gesellschaftskapitals" und aus dem wirtschaftlichen Begriff der Investition abzuleiten, was unter einer "anderen Anlageform" zu verstehen ist.
a) Das gemeinsame Merkmal der Anlageformen "Darlehen" und "Erhöhung des Gesellschaftskapitals" ist, daß Geld oder andere Vermögenswerte in das Eigentum der deutschen Tochtergesellschaft übergehen und die amerikanische Muttergesellschaft entweder (im Fall des Darlehens) einen schuldrechtlichen Anspruch auf Zurückerstattung des Empfangenen in Sachen von gleicher Art, Güte und Menge (§ 607 BGB) oder (im Fall der Erhöhung des Gesellschaftskapitals) einen gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf einen Teil des Vermögens im Fall der Auflösung der Gesellschaft (§ 271 AktG, § 72 GmbHG) erwirbt.
Das stimmt überein mit dem wirtschaftlichen Begriff der Investition, der die Umwandlung von Geld (oder anderen Vermögenswerten) in Anlagevermögen zum Inhalt hat. Das Anlagevermögen besteht aus den Sachanlagen, den immateriellen Anlagewerten und den Finanzanlagen (§ 151 Abs. 1 Aktivseite II AktG). Die Sachanlagen und die immateriellen Anlagewerte unterscheiden sich von den Finanzanlagen dadurch, daß sie unmittelbar im Dienst des eigenen Unternehmens stehen, während das in den Finanzanlagen angelegte Geld unmittelbar in fremden Unternehmen arbeitet (amtliche Begründung zum Aktiengesetz, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, zu § 151). Da Art. VI Abs. 5 DBA-USA die Zuführung von Geld oder anderen Vermögenswerten in "Anlageform" an ein anderes Unternehmen voraussetzt, kommt hier nur der Fall in Betracht, daß die amerikanische Muttergesellschaft auf diese Weise für ihr eigenes Unternehmen "Finanzanlagen" schafft oder verstärkt. Finanzanlagen sind: Beteiligungen, andere Wertpapiere des Anlagevermögens, langfristige Ausleihungen (§ 151 Abs. 1 Aktivseite II B AktG).
Die in Art. VI Abs. 5 DBA-USA genannten Beispiele "Darlehen" und "Erhöhung des Gesellschaftskapitals" erfüllen diese Voraussetzungen. Das spricht für die Richtigkeit der vom Senat gegebenen Erläuterung der Begriffe "Anlageform" und "Investition".
b) Keine Reinvestition ist es daher, wenn die amerikanische Muttergesellschaft der deutschen Tochtergesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem angemessenen Preis verkauft. Keine Reinvestition liegt auch darin, daß die amerikanische Muttergesellschaft der deutschen Tochtergesellschaft Wirtschaftsgüter gegen ein angemessenes Entgelt zur Nutzung überläßt. Wer Gebäude oder Maschinen vermietet oder verpachtet, investiert nicht. Auch das Einräumen einer ausschließlichen oder einfachen Lizenz an einem Patent (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1965 I 174/60 S, BFHE 81, 641, BStBl III 1965, 230) gegen eine angemessene Vergütung ist keine Reinvestition. Erst recht kann keine Reinvestition darin erblickt werden, daß die amerikanische Muttergesellschaft der deutschen Tochtergesellschaft ihr kaufmännisches oder technisches know-how (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1970 I R 44/67, BFHE 101, 70, BStBl II 1971, 235) gegen eine angemessene Vergütung überläßt. In all diesen Fällen werden nicht Geld oder andere Vermögenswerte der deutschen Tochtergesellschaft in "Anlageform" zugeführt, das heißt in einer Form, die bei der amerikanischen Muttergesellschaft zur Entstehung oder Verstärkung von Finanzanlagen führt.
c) Dagegen trägt der Senat keine Bedenken, der Erhöhung des Gesellschaftskapitals durch gesellschaftsrechtliche Bareinlagen oder Sacheinlagen die Verstärkung des Gesellschaftskapitals durch verdeckte Einlagen gleichzusetzen. Die verdeckten Einlagen führen zwar nicht zur Entstehung neuer Anteile, wohl aber zur Erhöhung des Wertes der bestehenden Anteile.
Eine verdeckte Einlage liegt regelmäßig vor, wenn die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft Geld oder andere Vermögenswerte ohne angemessene Gegenleistung überläßt und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat (BFH-Urteil vom 19. Februar 1970 I R 24/67, BFHE 98, 254, BStBl II 1970, 442). Abweichend von den körperschaftsteuerrechtlichen Voraussetzungen einer verdeckten Einlage kommen für den Begriff der Reinvestition materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter in Betracht. Die Tatsache, daß immaterielle Wirtschaftsgüter nur bei entgeltlichem Erwerb aktiviert werden dürfen (§ 153 Abs. 3, 5 AktG, § 5 Abs. 1, 2 EStG) und daher gegen ihre Eignung als verdeckte Einlagen Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1975 I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553), stellt den wirtschaftlichen Tatbestand der Erhöhung des Werts der Beteiligung und damit den Tatbestand der Reinvestition nicht in Frage. Auch die Überlassung von Nutzungen ohne angemessenes Entgelt kann eine Reinvestition sein, obwohl sie körperschaftsteuerrechtlich keine verdeckte Einlage ist (BFH-Urteil vom 3. Februar 1971 I R 51/66, BFHE 101, 501, BStBl II 1971, 408). Der BFH hat in dem angeführten Urteil eine verdeckte Einlage durch Vermietung unter Preis verneint und zur Begründung ausgeführt, als Einlagen seien nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Gesellschaft vermehrten, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens. Diese Überlegungen stellen - wie auch die Bedenken gegen die Eignung immaterieller Anlagewerte als verdeckte Einlagen - auf bilanzrechtliche Grundsätze ab. Sie ändern aber nichts an der wirtschaftlichen Tatsache, daß ein Gesellschafter auch durch die Überlassung von Nutzungen ohne angemessene Vergütung den Wert seiner Beteiligung erhöhen kann, sei es auch nur dadurch, daß die Kapitalgesellschaft höhere Gewinne erzielt und diese in Rücklage stellen oder ausschütten kann.
4. Ob nach diesen Grundsätzen im Streitfall eine Reinvestition vorliegt, kann der Senat nicht abschließend prüfen, weil ausreichende Feststellungen des FG über den Inhalt des Lizenzvertrags zwischen der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaft und über die Angemessenheit der Umsatzvergütung, die die Tochtergesellschaft für die "Lizenzen" zu zahlen hat, fehlen. Die Sache geht daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Bei dieser Sachlage braucht der Senat auf die übrigen Verfahrensrügen der Klägerin nicht einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 71764 |
BStBl II 1976, 241 |
BFHE 1976, 450 |