Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Prozessvollmacht
Leitsatz (NV)
- Aus einer Vollmacht muss hervorgehen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde.
- Der erforderliche Bezug zum Klageverfahren kann durch den ergänzenden handschriftlichen Zusatz oder ein an das FG gerichtetes Begleitschreiben hergestellt werden.
- Ein Widerruf der Vollmacht muss dem Gericht angezeigt werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 155; ZPO § 87 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat (neben ihrem Ehemann) durch ihren Prozessbevollmächtigten (P) beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer 1991 erhoben. P legte eine auf ihn lautende undatierte, von der Klägerin und ihrem Ehemann unterschriebene Vollmacht vor. Nach dem formularmäßig verfassten Text wird P u.a. bevollmächtigt, die Unterzeichner in ihren Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe einzulegen, sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. Die Vollmacht war einem Schriftsatz des P an das FG, in dem die Kläger, der Beklagte und der Streitgegenstand einschließlich des Streitjahres bezeichnet waren, als Anlage beigeheftet. Nachdem der Ehemann der Klägerin dem FG mitgeteilt hatte, dass er P keine Vollmacht für das vorliegende Verfahren erteilt habe, trennte das FG das ihn betreffende Verfahren ab. Es forderte die Klägerin auf, dem FG mitzuteilen, ob sie P im vorliegenden Rechtsstreit bevollmächtigt habe. Ihr Schweigen werde als fehlende Zustimmung gewertet. Die Klägerin hat sich nicht geäußert. Darauf wies das FG die Klage durch Gerichtsbescheid des Einzelrichters als unzulässig ab, da keine wirksame Prozessvollmacht vorgelegt worden sei. Die dem Gericht vorliegende Vollmacht sei nicht geeignet, die Vertretungsmacht des P zweifelsfrei zu belegen. Sie weise keinen hinreichenden Bezug zu dem konkreten Rechtsstreit auf. Dieser Bezug könne zwar durch den Vertreter selbst hergestellt werden, indem er die unvollständige Vollmachtsurkunde einem Schriftsatz beihefte, der die notwendigen Angaben enthalte. Dies gelte indessen nicht, wenn bereits grundsätzlich berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung bestünden. Dem Gericht sei bekannt, dass zahlreiche Kläger erklärt hätten, P habe entsprechende Formularvollmachten missbraucht; dazu komme die entsprechende Erklärung des Ehemannes der Klägerin. Da sich die Klägerin auf die Anfrage des Gerichts nicht geäußert habe, gebe es keine weiteren Erkenntnismöglichkeiten. Angesichts des Hinweises des FG könne das Schweigen der Klägerin auch nicht als stillschweigende Zustimmung zur Prozessführung des P gewertet werden. Die Kosten des Verfahrens habe P zu tragen, da er Veranlassung zu der erfolglosen Prozessführung gegeben habe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 76 Abs. 2 und 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Dem FG habe eine Prozessvollmacht vorgelegen, die den Grundsätzen der Rechtsprechung genüge. Sie ermächtige P sowohl zur Durchführung des Klageverfahrens als auch zur Einlegung von Rechtsmitteln. Die Vollmacht sei P auch für das Klageverfahren erteilt worden und lasse erkennen, "wer wozu" bevollmächtigt worden sei. Der konkrete Bezug zum vorliegenden Verfahren ergebe sich aus dem beigefügten Schriftsatz. Dazu sei P durch die Klägerin auch intern ermächtigt gewesen. Für das FG habe kein Anlass bestanden, an der Bevollmächtigung zu zweifeln. Durch ihre Nichtreaktion habe die Klägerin entgegen der Wertung des FG das Verhalten von P ausdrücklich bestätigt. Sie habe die Klage nicht zurückgenommen. Im Übrigen hätte das FG nicht durch einen Einzelrichter entscheiden dürfen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Nach dem Inhalt der im Klageverfahren vorgelegten Vollmacht ist P zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen das erstinstanzliche Urteil ermächtigt. Seine Befugnisse erstrecken sich umfassend auf die Vertretung der Klägerin vor allen Gerichten einschließlich der Revisionsinstanz.
2. Die Revision ist auch begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Nachweis der Bevollmächtigung.
a) Lässt sich ein Beteiligter vor einem Gericht der Finanzgerichtsbarkeit durch einen Bevollmächtigten vertreten, ist dessen Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Aus ihr muss hervorgehen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Aus der Unterschrift und der Namensangabe ergibt sich, dass die Vollmacht (neben ihrem Ehemann) von der Klägerin stammt. P ist als derjenige ausgewiesen, der bevollmächtigt ist.
Zwar bezieht sich die vorgelegte Vollmacht nicht ausdrücklich auf das konkrete gerichtliche Verfahren betreffend Einkommensteuer 1991. Der Bezug zum Klageverfahren wurde aber durch das an das FG gerichtete Begleitschreiben, dem die Vollmacht als Anlage beigeheftet war, hergestellt. Ein Prozessbevollmächtigter ist befugt, für eine ihm überlassene Blankovollmacht oder ein zunächst unvollständig ausgefülltes Vollmachtsformular ―entsprechend seiner internen Ermächtigung― den erforderlichen Bezug zum konkreten Rechtsstreit dadurch herzustellen, dass er die notwendigen Angaben (Streitgegenstand, Beteiligte etc.) selbst in das Formular einträgt oder dieses ―wie vorliegend― zwar unvollständig belässt, aber einem dem FG übersandten Schriftsatz beiheftet, der den Rechtsstreit genau bezeichnet (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 29. Juli 1997 IX R 20/96, BFHE 183, 369, BStBl II 1997, 823; vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445; vom 19. Mai 1999 VI R 218/98, nicht veröffentlicht ―NV―; Senatsbeschluss vom 4. Juni 1999 XI R 85/98, BFH/NV 1999, 1244). Wegen des so hergestellten Bezugs zum Klageverfahren steht der Wirksamkeit der Vollmacht auch nicht entgegen, dass sie nicht mit einem Datum versehen ist (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521; Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1244).
b) Soweit das FG die Nichtanerkennung der Vollmachtsurkunde mit seiner Kenntnis vom Verlauf anderer Verfahren und damit begründet hat, dass der Ehemann der Klägerin P für das Klageverfahren nicht als bevollmächtigt angesehen hat, können derartige Erfahrungen zwar grundsätzlich geeignet sein, die Legitimation des P auch im vorliegenden Verfahren in Zweifel zu ziehen; insbesondere können sie das Gericht zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen berechtigen (BFH-Urteil in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445), wie dies vorliegend geschehen ist. Sie ergeben jedoch keinen hinreichenden Anlass, an der Ermächtigung des P zur Prozessführung im Streitfall zu zweifeln. Bei der Frage der Wirksamkeit einer Vollmacht und ihres Umfangs kommt es nicht auf einen dem Prozessbevollmächtigten oder dem Gericht gegenüber nicht zum Ausdruck gekommenen inneren Willen des Ausstellers an, sondern entscheidend ist der in der Urkunde verkörperte objektive Erklärungswert (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 521). Wäre die Klägerin mit der Prozessführung des P nicht einverstanden gewesen, wäre sie veranlasst gewesen, den Vollmachtsvertrag zu kündigen und die erteilte Vollmacht zu widerrufen (§ 87 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 155 FGO). Aus dem Schweigen der Klägerin auf die Anfrage des FG kann nicht auf einen derartigen Widerruf geschlossen werden (BFH-Urteil vom 19. Mai 1999 VI R 218/98, NV). Der Widerruf der Vollmacht muss dem Gericht angezeigt werden (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 521). Dies ist nicht geschehen.
c) Der Senat ist als Revisionsgericht nicht durch § 118 Abs. 2 FGO gehindert, das Vorliegen einer Prozessvollmacht zu überprüfen. Denn der ordnungsgemäße Nachweis der Bevollmächtigung gehört zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit der auf sachliche Entscheidung gerichteten Klage abhängt (BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, 733; in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445).
3. Da das FG zu Unrecht die Ordnungsmäßigkeit der Vollmacht und damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen verneint hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren kann nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und der Verstoß offen zutage tritt. Dies ist hier nicht der Fall.
Fundstellen