Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Anwendung des GrEStG 1983

 

Leitsatz (NV)

Dem Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983, das neue Grunderwerbsteuergesetz anzuwenden, steht die Bestandskraft eines auf das alte Grunderwerbsteuerrecht gestützten Grunderwerbsteuerbescheids nicht entgegen. Dieser ist - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - nach § 175 Abs. 1 AO 1977 zu ändern.

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 23 Abs. 1 S. 2; AO 1977 §§ 47, 175 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. Dezember 1982 einen 128/20000 Miteigentumsanteil an einem Grundstück. Der Kaufpreis betrug 16000 DM. Mit förmlicher Verpflichtungserklärung vom 31. Mai 1983 beantragte der Kläger Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach dem damals geltenden Schleswig-Holsteinischen Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes (GrESBWG); er erklärte dazu, er beabsichtige, auf dem Grundstück innerhalb von zehn Jahren nach Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung ein steuerbegünstigtes Gebäude zu errichten. Das beklagte Finanzamt (FA) stellte entsprechend diesem Antrag den Grunderwerb durch Verfügung vom 22. Juni 1983 gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrESBWG von der Grunderwerbsteuer frei und erteilte am gleichen Tage die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Das auf dem erworbenen Grundstück errichtete Gebäude war im Juli 1984 bezugsfertig. Es war zunächst auch von der Kreisbaubehörde gemäß § 82 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II.WoBauG) als grundsteuerbegünstigt anerkannt worden. Die Anerkennung wurde später mit Wirkung vom 11. September 1986 widerrufen, weil beantragt worden war, die Nutzung in eine gewerbliche zu ändern.

Durch Bescheid vom 19. Dezember 1990 setzte das FA gegen den Kläger im Wege der Nacherhebung gemäß § 7, 1 GrESBWG Grunderwerbsteuer fest mit der Begründung, das Objekt sei vor Ablauf von fünf Jahren seit dem Erwerb gewerblich genutzt worden. Die festgesetzte Steuer einschließlich des Zuschlags nach § 7 Abs. 4 GrESBWG beläuft sich auf 1344 DM. Dieser Bescheid wurde unanfechtbr.

Am 21. Februar 1991 beantragte der Kläger beim FA, nach § 23 Abs. 1 Satz 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 auf den Erwerbsvorgang das GrEStG 1983 anzuwenden. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 7. März 1991 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage begehrt der Kläger, das FA unter Aufhebung des Bescheids vom 7. März 1991 und der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 1991 zu verpflichten, die Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG 1983 neu festzusetzen. Hilfsweise macht er geltend, das FA habe ihm vor Erlaß des Grunderwerbsteuernacherhebungsbescheids kein rechtliches Gehör gewährt. Dadurch habe er die Rechtsbehelfsfrist versäumt, weshalb ihm insoweit nach § 126 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Die Nachversteuerung sei nämlich ohne vorherige Einreichung einer Erklärung durchgeführt worden, so daß sie ihn überrascht habe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage in Haupt- und Hilfsantrag abgewiesen. Aus dem Fehlen einer zeitlichen Begrenzung in § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 könne nicht geschlossen werden, der Antrag könne unabhängig von der Bestandskraft des Grunderwerbsteuerbescheids bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellt werden. Die Antragstellung bilde auch kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, weil durch ihn der einmal verwirklichte Steuertatbestand inhaltlich materiell nicht verändert werde. Im übrigen habe sich der Kläger mit der Abgabe der Verpflichtungserklärung vom 31. Mai 1983 bei Ausübung seines Wahlrechts für die Anwendung des alten und damit logisch zugleich gegen die Anwendung des neuen Rechts entschieden. Dem Hilfsantrag sei deshalb nicht zu entsprechen, weil vor Erlaß des Nacherhebungsbescheids keine Anhörung des Klägers geboten gewesen sei. Denn dieser habe in der Verpflichtungserklärung ausdrücklich festgestellt, ihm sei bekannt, daß die Grunderwerbsteuer nacherhoben werde, wenn der steuerbegünstigte Zweck nicht herbeigeführt oder wieder aufgegeben werde. Damit aber sei die Nachversteuerung nicht erklärungslos erfolgt.

Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 1991 und des Ablehnungsbescheids vom 7. März 1991 sowie zum Ausspruch der Verpflichtung des FA, unter Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 19. Dezember 1990 die Grunderwerbsteuer entsprechend den Vorschriften des GrEStG 1983 festzusetzen.

1. Unzutreffend ist das FG davon ausgegangen, die Bestandskraft des Grunderwerbsteuernacherhebungsbescheids vom 19. Dezember 1990 stehe dem Antrag des Klägers aus § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 und dem daraus folgenden Begehren, diesen Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, entgegen.

a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ob ein Ereignis im Sinne dieser Vorschrift zurückwirkt, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden Steuergesetz (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juni 1988 IV R 84/86, BFHE 154, 85, BStBl II 1989, 41).

Ein vor dem 1. Januar 1983 verwirklichter Erwerbsvorgang (vgl. zu diesem Begriff Senatsurteil vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234 m.w.N.) führte dazu, daß - vorbehaltlich etwaiger Steuerbefreiungen - von Gesetzes wegen Grunderwerbsteuer nach dem landesrechtlichen GrEStG entstand (vgl. §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 28 GrEStG 1983). Das gesamte Steuerschuldverhältnis war nach dem damaligen landes- und bundesrechtlichen Grunderwerbsteuerrecht zu beurteilen. Eine nach Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 sich nachträglich ergebende Anwendung des GrEStG 1983 auf denselben Erwerbsvorgang bewirkte mithin eine völlige Umgestaltung des bereits bestehenden Steuerschuldverhältnisses (vgl. Hofmann, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., § 23 Rdnr. 3). Materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anwendung des GrEStG 1983 auf einen derartigen Erwerbsvorgang war nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 zum einen, daß er in der Zeit vom 22. Dezember bis zum Ablauf des 31. Dezember 1982 verwirklicht wurde, und zum anderen, daß der Steuerpflichtige die Anwendung des GrEStG 1983 beantragte. Die geschilderte Umgestaltung des Steuerrechtsverhältnisss war daher (auch) von dem Antrag abhängig. Hinzu kommt, daß dieser Antrag nicht nur im Besteuerungsverfahren für die durch den ursprünglichen Erwerbsvorgang entstandene Grunderwerbsteuer gestellt werden konnte, sondern auch im Besteuerungsverfahren für eine durch Verwirklichung eines Nacherhebungstatbestands (z.B. Aufgabe eines begünstigten Zwecks) ggf. viele Jahre später entstandene (Nacherhebungs-)Grunderwerbsteuer. Diese Besonderheiten führen dazu, daß der Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 nicht nur Verfahrenshandlung oder rein formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung eines steuerlich relevanten Sachverhalts ist (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957), sondern selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands, der die Umgestaltung des Steuerrechtsverhältnisses zur Folge hat.

Diese steuerliche Auswirkung ist notwendigerweise rückwirkend, d.h. sie hat Wirkung für die Vergangenheit i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Dies ergibt sich bereits daraus, daß - wie dargelegt - die Antragstellung auch noch in einem Nacherhebungverfahren erfolgen kann. Wird daher ein Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 nach Erlaß eines bestandskräftigen Grunderwerbsteuerbescheids, der sich auf das alte Grunderwerbsteuerrecht stützt, nachträglich gestellt, so ist dieser Bescheid - wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen - nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 aufzuheben oder zu ändern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957).

b) Diese Folge (Aufhebung oder Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids) tritt jedoch nur ein, wenn der Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 zulässig und wirksam gestellt worden ist. Entgegen der Auffassung des FA ist auch ein Antrag nicht verspätet, der nach Eintritt der formellen Bestandskraft eines auf das alte Recht gestützten Grunderwerbsteuerbescheids gestellt wird. Eine derartige zeitliche Beschränkung des Antragsrechts ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen. Sie läßt sich auch nicht durch Auslegung dem Gesetz entnehmen. Selbst wenn ein allgemeiner (Auslegungs-)Grundsatz bestünde, daß im Steuerrecht die Ausübung (vom Wortlaut des Gesetzes her) nicht fristgebundener Anträge und Wahlrechte nur bis zur Bestandskraft eines Steuerbescheids möglich ist (vgl. BFH in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, 959), könnte dies für den hier in Frage stehenden Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 nicht angenommen werden. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Der Gesetzgeber wollte erreichen, daß die Steuerpflichtigen in diesem nur aus wenigen Tagen bestehenden Übergangszeitraum nach dem jeweils günstigeren Recht besteuert werden. Eine Beschränkung des Antragsrechts auf die Zeit bis zur Bestandskraft eines Steuerbescheids, verbunden mit der Schwierigkeit, auf welchen Steuerbescheid (für den ursprünglichen Erwerbsvorgang oder für einen Nacherhebungstatbestand) dabei abzustellen wäre, hätte angesichts der Unübersichtlichkeit von altem Landes- und Bundesrecht einerseits und neuem Bundesrecht andererseits in vielen Fällen dem Steuerpflichtigen die Berufung auf die für ihn günstigere gesetzliche Regelung verwehrt. Da dies der eigentlichen Intention des Gesetzgebers widerspricht, ist nicht anzunehmen, daß er diese Beschränkung (unausgesprochen) gewollt hat.

Eine (zeitliche) Beschränkung des Antragsrechts nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 ergibt sich jedoch daraus, daß dieser Antrag zu einer Umgestaltung des Steuerschuldverhältnisses führt. Dies setzt naturgemäß voraus, daß ein Steuerschuldverhältnis (noch) besteht, was nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr der Fall ist (§ 47 AO 1977). Der Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 ist daher nur bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung möglich. Dabei ist allerdings ggf. auf die durch Verwirklichung eines Nacherhebungstatbestands entstandene Steuer abzustellen. Nach Erlöschen des Steueranspruchs - ggf. auch des Nacherhebungsanspruchs - besteht kein Steuerschuldverhältnis mehr, das durch einen Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 umgestaltet werden könnte. Ein gleichwohl gestellter Antrag hat keine steuerliche Wirkung mehr, ein Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 liegt mithin nicht vor. Dies hat zur Folge, daß auch die Wirkung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht eintritt.

2. Die Sache ist spruchreif. Im Zeitpunkt der Antragstellung war die Festsetzungsfrist für den auf § 7 Abs. 1 GrESBWG i.V.m. dem damals geltenden GrEStG des Landes Schleswig-Holstein gestützten Steueranspruch noch nicht abgelaufen (§ 16 GrEStG Schleswig-Holstein bzw. § 170 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 153 Abs. 2 AO 1977). Die Unanfechtbarkeit des Nacherhebungsbescheids stand der Antragstellung nicht entgegen (s. 1a). Aus dem Antrag folgt der Rechtsanspruch des Klägers, den Grunderwerbsteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 unter Anwendung des GrEStG 1983 zu ändern, weil der Erwerbsvorgang in dem Übergangszeitraum nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 verwirklicht wurde. Dementsprechend war das FA unter Aufhebung seiner Verwaltungsakte zur Änderung zu verpflichten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419753

BFH/NV 1994, 826

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