Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewinnabführungsvertrag ohne Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des § 7a KStG 1968; Verlustübernahme nach Veräußerung der Beteiligung an der Organgesellschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Ist zwischen einem Organträger und einer Organgesellschaft ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen, ohne daß die übrigen Voraussetzungen des § 7a KStG 1968 erfüllt sind, so sind die vom Organträger übernommenen Verluste für diesen betrieblich veranlaßte Aufwendungen, die in der Regel als nachträgliche Anschaffungskosten für die Beteiligung an der Organgesellschaft auf dem sog. Beteiligungskonto zu aktivieren sind.
2. Ist im Zeitpunkt der Verlustübernahme die Beteiligung an der Organgesellschaft bereits veräußert, so führt die Verlustübernahme zu Aufwendungen, die in einem wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang zu der veräußerten Beteiligung stehen und den schon vorher erzielten Veräußerungsgewinn nachträglich mindern.
Orientierungssatz
Wegen der Verweisung in § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG 1968 u.a. auf die Gewinnermittlungsvorschriften des EStG findet § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG 1971 auch auf Einlagen eines Gesellschafters in das Vermögen seiner Kapitalgesellschaft Anwendung (vgl. BFH-Beschluß vom 26.10.1987 GrS 2/86).
Normenkette
KStG 1968 § 7a; EStG 1971 § 4 Abs. 1 S. 3; EStG § 5 Abs. 1; KStG 1968 § 6 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine inländische AG, die bis zum 15.November 1972 an der O-AG zu 100 v.H. beteiligt war. Zwischen der Klägerin und der O-AG bestand ein steuerlich anerkanntes Organschaftsverhältnis mit Gewinnabführungsvertrag. Das Organschaftsverhältnis wurde am 15.November 1972 aufgelöst. Damals veräußerte die Klägerin ihre gesamte Beteiligung mit Wirkung zum 15.November 1972 an die M-GmbH gegen Zahlung von 1 187 500 DM. Die M-GmbH verpflichtete sich durch schriftliche Vereinbarung vom 10.September 1973, die Klägerin von etwaigen Ansprüchen freizustellen, die aus der Abwicklung des Gewinnabführungsvertrages für das Geschäftsjahr 1972 entstanden sein könnten. Die O-AG sollte gemäß § 328 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) berechtigt sein, die Ansprüche aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag unmittelbar gegenüber der M-GmbH geltend zu machen.
Der Anspruch der O-AG gegen die Klägerin auf Übernahme des Verlustes 1972 belief sich auf 760 000 DM. Diesen Anspruch machte die O-AG unmittelbar gegenüber der M-GmbH geltend. Die Klägerin berücksichtigte in ihren Bilanzen 1972 und 1973 weder die Verlustübernahmeverbindlichkeit noch die Freistellungsforderung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erhöhte das Einkommen der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 1972 um 760 000 DM. Dadurch wurde das zu versteuernde Einkommen 1972 positiv. Gleichzeitig wurde der von der Klägerin begehrte Verlustvortrag aus 1972 nach 1973 ausgeschlossen. Die entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1972 und 1973 datieren vom 21.Mai 1981.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 6, 7a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968 i.V.m. §§ 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Sie beantragt, das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 27.Mai 1987 VI 328/86 aufzuheben und nach dem Klageantrag zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung der Körperschaftsteuerbescheide 1972 und 1973 entsprechend dem Klageantrag (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Verpflichtet sich eine AG mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) unter den übrigen Voraussetzungen des § 7a KStG 1968 durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs.1 des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein anderes inländisches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen. Der erkennende Senat hat diese Form der Einkommenszurechnung in ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 29.Oktober 1974 I R 240/72, BFHE 114, 70, BStBl II 1975, 126; vom 26.Januar 1977 I R 101/75, BFHE 121, 425, BStBl II 1977, 441) als eine ausschließlich steuerrechtliche beurteilt, die nicht an den handelsrechtlich abzuführenden Gewinn bzw. an den zu übernehmenden Verlust laut Jahresabschluß der Organgesellschaft anknüpft. Um eine doppelte Erfassung des abzuführenden Gewinns bzw. des zu übernehmenden Verlustes zu vermeiden, ist bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers der von der Organgesellschaft abgeführte oder abzuführende Gewinn außer Ansatz zu lassen. Der zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages der Organgesellschaft geleistete oder zu leistende Betrag darf weder als Betriebsausgabe abgesetzt noch auf dem Beteiligungskonto aktiviert werden. § 7a KStG 1968 enthält insoweit eine besondere steuerrechtliche und den Maßgeblichkeitsgrundsatz durchbrechende Regelung (vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 14 KStG Rdnr.72; Schmidt/ Steppert, Die Organschaft, 3.Aufl., S.102, 103).
2. Ist eine der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 7a KStG 1968 nicht erfüllt, so ist auch die Rechtsfolge der Vorschrift nicht anzuwenden. Soweit dennoch der Gewinn einer Organgesellschaft abgeführt oder deren Verlust übernommen wird, beurteilt sich die steuerliche Behandlung der Gewinnabführung einerseits und der Verlustübernahme andererseits nach den allgemeinen Vorschriften, ohne daß § 7a KStG 1968 darauf weiteren Einfluß nähme. Die in einem solchen Fall vom Organträger übernommenen Verluste sind für diesen betrieblich veranlaßte Aufwendungen, die in der Regel als nachträgliche Anschaffungskosten für die Beteiligung an der Organgesellschaft auf dem sog. Beteiligungskonto zu aktivieren sind. Sie können Gegenstand einer Teilwertabschreibung gemäß § 6 Abs.1 Nr.2 Satz 2 EStG sein. Sind die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung nicht erfüllt, so mindern die erhöhten Anschaffungskosten den Gewinn im Falle einer Veräußerung der Beteiligung an der Organgesellschaft. Die hier vertretene Auffassung steht nicht im Widerspruch zu den Ausführungen in BFHE 121, 425, BStBl II 1977, 441. Die dort verwendete Formulierung, die Verlustübernahme sei nicht aktivierungspflichtig, bezieht sich nur auf die unter II.1 behandelten Verlustübernahmen, auf die § 7a KStG 1968 anzuwenden ist (vgl. Schmidt/Steppert, a.a.O., S.164).
Soweit die Klägerin eine andere Auffassung aus dem Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs.1 EStG einerseits und der im Handelsrecht überwiegend vertretenen Rechtsauffassung andererseits (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, § 153 AktG a.F., Anm.93; Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1985/86 Bd.1 S.585; Goerdeler/Müller, Die Wirtschaftsprüfung --WPg-- 1980, 313 ff., 317; Gassner in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rdnr.112) abzuleiten versucht, ist zu beachten, daß der Maßgeblichkeitsgrundsatz durch § 5 Abs.4 EStG i.d.F. vom 1.Dezember 1971 --EStG 1971-- (BGBl I 1971, 1881, BStBl I 1971, 585) durchbrochen wird. Danach finden u.a. die steuerrechtlichen Vorschriften über die Einlage vorrangige Anwendung. Nach § 4 Abs.1 Satz 3 EStG 1971 sind aber unter einer Einlage alle Wirtschaftsgüter (Bareinzahlungen und sonstige Wirtschaftsgüter) zu verstehen, die der Steuerpflichtige dem Betrieb im Laufe des Wirtschaftsjahres zugeführt hat. Wegen der Verweisung in § 6 Abs.1 Satz 1 KStG 1968 u.a. auf die Gewinnermittlungsvorschriften des EStG findet § 4 Abs.1 Satz 3 EStG 1971 auch auf Einlagen eines Gesellschafters in das Vermögen seiner Kapitalgesellschaft Anwendung (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26.Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C.I.3.a). Da die Verlustübernahme eine Bareinzahlung i.S. des § 4 Abs.1 Satz 3 EStG 1971 ist, führt sie steuerlich gesehen zu einer Einlage, die ihrerseits nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung an der Organgesellschaft auslöst.
3. Für den Streitfall hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt, daß die Klägerin im Wirtschaftsjahr 1972 nur bis zum 15.November 1972 an der O-AG beteiligt war. Da das Wirtschaftsjahr der O-AG vom 1.Januar bis 31.Dezember 1972 lief, folgt aus der Feststellung des FG, daß die Klägerin nicht vom Beginn des Wirtschaftsjahres der O-AG und während der gesamten Dauer desselben an der O-AG beteiligt war. Damit sind die Voraussetzungen des § 7a Abs.1 Nr.1 KStG 1968 mit der Folge nicht erfüllt, daß die Vorschrift insgesamt nicht anzuwenden ist. Die Verlustübernahmeverpflichtung beurteilt sich deshalb nach den allgemeinen Vorschriften. Dabei ist allerdings die weitere tatsächliche und den erkennenden Senat bindende Feststellung des FG zu beachten (§ 118 Abs.2 FGO), daß die Klägerin ihre Beteiligung an der O-AG bereits zum 15.November 1972 auf die M-GmbH übertrug. Die Klägerin hielt demnach am 31.Dezember 1972 nicht mehr die Beteiligung an der O-AG. Entsprechend fehlte es an einem Wirtschaftsgut, dessen Anschaffungskosten noch am 31.Dezember 1972 nachträglich hätten erhöht werden können. Die aufgrund der Verpflichtung zur Verlustübernahme am 31.Dezember 1972 entstandene Verbindlichkeit ist deshalb eine Aufwendung, die in einem wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang zu der veräußerten Beteiligung an der O-AG steht und den schon am 15.November 1972 erzielten Veräußerungsgewinn nachträglich mindert. Aus dem ursprünglichen Veräußerungsgewinn (Veräußerungspreis: 1 187 500 DM; Buchwert: 1 Mio DM) wurde ein Veräußerungsverlust, der mit dem übrigen Gewinn der Klägerin auszugleichen war. Insoweit kann es keinen Unterschied machen, ob die Klägerin ihre Beteiligung an der O-AG vor oder nach der Verlustübernahme veräußerte.
4. Allerdings hat das FG in tatsächlicher Hinsicht weiter festgestellt, daß die Klägerin spätestens am 10.September 1973 einen Rechtsanspruch auf Freistellung von ihrer Verlustübernahmeverpflichtung erwarb. Als Folge dieser Vereinbarung erhöhte sich (nachträglich) der Veräußerungspreis um 760 000 DM. Diese Erhöhung des Veräußerungspreises ist erfolgswirksam zu erfassen. Durch sie wird aus dem oben festgestellten Beteiligungsveräußerungsverlust wieder ein Veräußerungsgewinn. Saldiert betrachtet gleichen sich die Verlustübernahmeverpflichtung und die Freistellungsforderung erfolgsmäßig aus. Dabei kann dahinstehen, ob die Verlustübernahmeverpflichtung noch in 1972 und die Freistellungsforderung erst in 1973 entstanden. Ggf. wäre für 1972 ein höherer Verlust und für 1973 ein höherer Gewinn anzusetzen. Im Wege des Verlustvortrags würde der höhere Verlust 1972 den höheren Gewinn 1973 voll ausgleichen.
5. Der Einwand des FA, die Auffassung des erkennenden Senats führe zu einer systemwidrigen Besserbehandlung der verunglückten Organschaft, greift nicht durch. Es geht nicht darum, die Verlustübernahme im Falle der verunglückten Organschaft generell als Betriebsausgabe zu qualifizieren. Vielmehr sind die Verlustübernahmeverbindlichkeit und die Freistellungsforderung bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung der Beteiligung zu berücksichtigen, wobei ggf. auch nachträgliche Aufwendungen und Einnahmen in Betracht zu ziehen sind. Jedenfalls fehlt es für eine Hinzurechnung des übernommenen Verlustes außerhalb der Steuerbilanz an jeder Rechtsgrundlage. Soweit das FA seine Auffassung auf die Ausführungen bei Herrmann/Heuer/Raupach (a.a.O.) stützt, übersieht es, daß diese Ausführungen nur solche Verlustübernahmen betreffen, die sich unter Anwendung des § 7a KStG 1968 vollziehen. Von Gassner (in Lademann, a.a.O., § 14 Rdnr.112) wird die im Streitfall zu entscheidende Problematik nicht erörtert. Seine Ausführungen betreffen andere Fälle einer verunglückten Organschaft.
6. Sind die Verlustübernahmeverpflichtung und die Freistellungsforderung letztlich erfolgsmäßig zu saldieren, so hätte das FA den Gewinn 1972 der Klägerin nicht um 760 000 DM erhöhen dürfen. Für das Streitjahr 1972 ergibt sich richtigerweise ein Verlust zumindest in Höhe von 606 899 DM, der nach 1973 vorzutragen ist. Damit beläuft sich das zu versteuernde Einkommen 1973 auf 30 960 DM. Da der Vorentscheidung eine andere Beurteilung zugrunde liegt, kann sie keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Körperschaftsteuer 1972 war auf 0 DM und die Körperschaftsteuer 1973 auf 15 789 DM (51 v.H. von 30 960 DM) herabzusetzen. Es ist die Aufgabe des FA, als Folge dieser Entscheidung auch die Festsetzung der Ergänzungsabgabe zu ändern (§ 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 63511 |
BFH/NV 1990, 70 |
BStBl II 1990, 797 |
BFHE 160, 554 |
BFHE 1991, 554 |
BB 1990, 1735 |
BB 1990, 1735-1736 (LT1-2) |
DB 1990, 2502-2503 (LT) |
DStR 1990, 599 (KT) |
HFR 1990, 644 (LT) |
StE 1990, 315 (K) |