Entscheidungsstichwort (Thema)
Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Bindung des Finanzamts an Auskünfte oder Zusagen.
Zur Frage der Verwirkung eines Steueranspruchs. UStG §§ 1 Ziff. 1, 4 Ziff. 17; StAnpG §§ 1, 3; AO §§
Normenkette
AO §§ 143, 223; StAnpG §§ 1, 3
Tatbestand
Der Ehemann der Steuerpflichtigen ist am 29. Januar 1956 verstorben. Er war Hochschullehrer und hatte am 24. März 1947 mit der X.-Werke GmbH einen Lizenzvertrag geschlossen. Danach war die GmbH berechtigt, ein von ihm erfundenes Präparat herzustellen und verpflichtet, ihm bei einem Umsatz bis zu 100.000 DM eine Lizenzgebühr von 10 % und von allen darüber liegenden Umsätzen eine solche von 5 % des Nettogroßhandelspreises zu zahlen. Der Vertrag war auf 15 Jahre abgeschlossen und auch für die beiderseitigen Rechtsnachfolger verbindlich. Der Steuerpflichtigen waren nach dem Tode ihres Mannes in den streitigen Veranlagungszeiträumen 1956 bis 1958 Lizenzgebühren zugeflossen. Am 29. Dezember 1956 hatte sie bei ihrem zuständigen Finanzamt vorgesprochen und angefragt, ob die ihr zufließenden Einnahmen aus der freien Erfindertätigkeit ihres verstorbenen Ehemannes umsatzsteuerpflichtig seien. Sie hatte bei dieser Gelegenheit dem Finanzamt eine Abschrift des Lizenzvertrages vorgelegt. Die Frage wurde vom Finanzamt geprüft. Der Vorsteher des Finanzamts teilte der Steuerpflichtigen mit Schreiben vom 17. Januar 1957 mit, daß die ihr nach dem Tode ihres Mannes zufließenden Einkünfte aus dessen freier Erfindertätigkeit sonstige Einkünfte seien und lediglich der Einkommensteuer unterlägen.
Das Finanzamt erließ jedoch am 20. Februar 1961 Umsatzsteuerbescheide, mit denen es die erwähnten Einnahmen nachträglich der Umsatzsteuer unterwarf.
Der Einspruch der Steuerpflichtigen war erfolglos. Das Finanzamt war nunmehr der Auffassung, der Ehemann der Steuerpflichtigen habe dadurch, daß er die Ausnutzung einer Erfindung durch einen anderen gegen Entgelt geduldet habe, eine sonstige Leistung bewirkt, die umsatzsteuerpflichtig sei. Als Gesamtrechtsnachfolgerin sei die Steuerpflichtige nicht anders zu behandeln als ihr Ehemann. § 4 Ziff. 17 UStG treffe nicht zu, da es sich nicht um Einnahmen aus der Tätigkeit als Privatgelehrter handle. Eine Bindung an die erteilte Auskunft lehnte das Finanzamt ab.
Im Berufungsverfahren hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Die Vorinstanz kam nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu einer Bindung des Finanzamts an die von ihm erteilte rechtsirrige Auskunft und hielt überdies den Steueranspruch des Finanzamts für verwirkt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts kann keinen Erfolg haben. Zutreffend sind die Vorinstanzen, wie auch nicht streitig ist, davon ausgegangen, daß der Ehemann der Steuerpflichtigen steuerpflichtige Leistungen bewirkt hat, auf die § 4 Ziff. 17 UStG nicht anzuwenden ist, und daß die Ehefrau als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nicht anders zu behandeln ist als dieser selbst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 312/57 U vom 23. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 378, Slg. Bd. 69 S. 313). Die Entscheidung hängt deshalb davon ab, ob dem erwähnten Schreiben des Finanzamts eine Bedeutung zukommt, die es hindert, den kraft Gesetzes (ß 3 StAnpG in Verbindung mit § 1 Ziff. 1 UStG) entstandenen Steueranspruch geltend zu machen.
I. - Die Voraussetzungen, unter denen Rechtsprechung und Schrifttum in solchen Fällen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Bindung des Finanzamts eintreten lassen, liegen auch nach Auffassung des Finanzamts teilweise zweifelsfrei vor. So ist das Schreiben von der zuständigen Stelle, dem Vorsteher des Finanzamts, unterzeichnet worden. Es ist auch davon auszugehen, daß die erbetene Auskunft die künftige Behandlung der streitigen Einnahmen regeln sollte und einen Vorbehalt, der auf eine unverbindliche Meinungsäußerung deuten könnte, nicht enthält. Es handelt sich demnach um eine verbindliche Auskunft, die nach den Umständen des Falles einer Zusage gleichzuachten ist. Schließlich hat die Steuerpflichtige den vom Finanzamt zu beurteilenden Sachverhalt erschöpfend dargestellt; denn sie konnte nicht mehr tun, als den Lizenzvertrag, der die Grundlage der ihr zugeflossenen Einnahmen bildete, dem Finanzamt vorzulegen. Das Finanzamt hat späterhin auch keine weiteren Ermittlungen anzustellen brauchen, um die Rechtsirrigkeit seiner Auffassung zu erkennen. Die Steuerpflichtige, bei der es sich um eine in Steuersachen unerfahrene Witwe handelt, hatte auch keinen Anlaß, der ihr schriftlich gegebenen Zusage zu mißtrauen.
Das Finanzamt bezweifelt jedoch, daß eine weiterhin von der Rechtsprechung geforderte Voraussetzung im Streitfall gegeben sei: Das in eine Auskunft oder in eine Zusage gesetzte Vertrauen sei nur dann schutzwürdig, wenn ein Steuerpflichtiger bei einem noch nicht verwirklichten Sachverhalt im Vertrauen auf die ihm eröffnete Rechtsauffassung geschäftliche Dispositionen getroffen habe, denen der Boden in unzumutbarer Weise entzogen würde, wenn sich das Finanzamt späterhin nicht an die erteilte Auskunft halte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 62/59 S vom 25. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 69, Slg. Bd. 72 S. 185).
In der Tat ist durch die Einengung, die insbesondere nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 26/59 U vom 29. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 96, Slg. Bd. 70 S. 262) in der Richtung eingetreten ist, daß Zusagen, die nach Verwirklichung des Steuertatbestands erteilt worden sind, keine Bindung nach Treu und Glauben nach sich ziehen, der Streitfall zweifelhaft. Das zuletzt erwähnte Urteil beruht auf dem Gedanken, daß eine Bindung eine konkrete Vertrauenssituation voraussetzt, die nur eintritt, wenn der Steuerpflichtige auf die Auskunft oder Zusage vertraut und im Vertrauen hierauf geschäftliche Maßnahmen getroffen hat. Die Steuerpflichtige hat unwidersprochen vorgetragen, sie habe im Vertrauen auf die ihr zugesagte Steuerfreiheit der Bezüge erhebliche Ausbesserungen ihres Mietwohngrundstücks vorgenommen und deshalb jetzt kein Geld mehr für unerwartete Steuernachzahlungen. Es handelt sich insoweit nicht, wie das Finanzamt meint, um eine private Verwendung von Geldbeträgen, sondern um geschäftliche Maßnahmen, da die Steuerpflichtige als Eigentümerin eines Mietwohngrundstücks gleichfalls Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuerrechts ist. Fraglich kann aber insbesondere sein, ob es sich nicht um Dispositionen handelt, die nicht Gegenstand der Auskunft waren, so daß das Erfordernis der Ursächlichkeit zwischen Zusage und den getroffenen Maßnahmen in Zweifel gezogen werden könnte (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 634, Slg. Bd. 80 S. 446). Die Auffassung des Bundesfinanzhofs ist nicht unwidersprochen geblieben (vgl. Kampmann, Die Erteilung von Rechtsauskünften durch die Finanzämter, Stuttgart 1963, insbesondere S. 101 ff., anderseits Czylwik, Deutsche Steuer-Rundschau, 1960, S. 99 ff., 102). Nach Meinung des Senats ist, wie gerade der Streitfall zeigt, die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben so vielgestaltig, daß es bedenklich erscheinen mag, verallgemeinernd Erfordernisse mit dem Anspruch auf unbedingte Gültigkeit aufzustellen, die mitunter dem Einzelfall nicht gerecht werden können.
II. - Der Senat braucht jedoch die Frage der Bindung des Finanzamts an seine unrichtige Auskunft nicht abschließend zu entscheiden, da das Finanzamt die Geltendmachung der im Streitfall erhobenen Ansprüche, wie auch die Vorinstanz angenommen hat, verwirkt hat. Der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Steuerrecht anzuwenden ist, ist gleichfalls ein Ausfluß der Grundsätze von Treu und Glauben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 221/56 U vom 11. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 352, Slg. Bd. 67 S. 208 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung). Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch nicht die gleichen wie bei dem unter I erörterten Anwendungsfall dieser Grundsätze. Besondere Dispositionen, die in ursächlichem Zusammenhang mit dem Verhalten des Finanzamts stehen müssen, sind nicht erforderlich (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Auflage, § 2 Anmerkung 44 a). Es genügt vielmehr, wenn sich ein Steuerpflichtiger infolge des Verhaltens des Finanzamts darauf einrichten durfte, daß er mit einer Steuernachforderung nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 137/60 U vom 7. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 496, Slg. Bd. 75 S. 628). Der Senat folgt der in Rechtsprechung und Schrifttum durchaus herrschenden Meinung, daß ein Steueranspruch allein durch Fristablauf nicht verwirkt werden kann. Ein bloßer Zeitablauf kann lediglich zur Verjährung des Anspruchs führen, bis zu deren Eintritt Steueransprüche grundsätzlich geltend gemacht werden können (ß 223 AO). Es ist demnach, um eine Verwirkung annehmen zu können, ein positives Verhalten, z. B. eine falsche Auskunft erforderlich, auf die sich der Steuerpflichtige verlassen hat und nach den Umständen des Einzelfalles auch verlassen durfte (vgl. z. B. schon Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts IV C 11/30 vom 26. Juni 1930, Sammlung der Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Bd. 87 S. 136 ff., 141). Dabei wird das Verhalten sowohl des Berechtigten (Steuergläubigers) als auch des Verpflichteten (Steuerpflichtigen) objektiv unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von Treu und Glauben geprüft werden müssen (vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 25 S. 47 ff., 51). Die Grundsätze von Treu und Glauben, die Bestandteil des geltenden Rechts sind, gebieten hier, ohne daß deshalb der Steueranspruch erlöschen würde, das Vertrauen, das die Staatsbürger eindeutigen und vorbehaltslosen Erklärungen der Behörde entgegenbringen können, nicht durch ein widersprüchliches Verhalten der gleichen Behörde für den gleichen konkreten Sachverhalt zu untergraben. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. So betrifft insbesondere das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 336/59 U vom 27. April 1961 (BStBl 1961 III S. 281, Slg. Bd. 73 S. 34), auf das sich das Finanzamt für seine gegenteilige Meinung beruft, einen anderen Sachverhalt. In diesem Streitfall ging es um die Nachholung von Gewerbesteuer, die auch nach Auffassung des erkennenden Senats grundsätzlich bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig sein muß (ß 223 AO), es sei denn, das Finanzamt hat für diese Steuerart in dem hierfür vorgesehenen selbständigen Verfahren eindeutig zu erkennen gegeben, daß der Steuerpflichtige mit einer nachträglichen Festsetzung eines Gewerbesteuermeßbetrages nicht mehr zu rechnen hat. Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich nur um einen einzigen konkreten umsatzsteuerlichen Tatbestand, für den das Finanzamt - im Ergebnis nicht anders als durch einen Freistellungsbescheid, jedoch auch auf künftige Veranlagungszeiträume gerichtet - seine rechtliche Beurteilung vorbehaltlos bekanntgegeben hat. Das Finanzamt kann deshalb erst für die Veranlagungszeiträume ab 1961, in welchem Jahr es seine Rechtsauffassung erkennbar geändert hat, die rechtlich zutreffende Beurteilung geltend machen. Das Finanzamt hat im Streitfalle über vier Jahre mit der Geltendmachung des an sich bestehenden Steueranspruchs gewartet. Fristen, innerhalb deren das Finanzamt bei Vermeidung der Verwirkung einen Steueranspruch geltend machen muß, lassen sich allgemein nicht aufstellen. Nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalles muß hier gegenüber dem positiven Verhalten des Finanzamts, auf Grund dessen die Steuerpflichtige mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen brauchte, eine Verwirkung angenommen werden. Der in der Rechtsbeschwerdebegründung auch gegenüber der Verwirkung erhobene Einwand, das Finanzamt sei zur Nachforderung gesetzlich verpflichtet, es habe keinen Ermessensspielraum und könne nicht aus Billigkeitserwägungen davon absehen, trifft nicht zu. Die Verpflichtung der Verwaltung zum Gesetzesvollzug findet ihre Grenze in ihrer Pflicht zur Beachtung allgemeiner Rechtsgrundsätze, zu denen auch der Grundsatz von Treu und Glauben gehört (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 127 unter III, 3, S. 130, Slg. Bd. 70 S. 341).
Nach alledem war die Rb. des Vorstehers des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1965, 657 |
BFHE 1966, 441 |
BFHE 83, 441 |
StRK, UStG:1/1 R 374 |