Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung (§ 69 AO 1977); grobe Fahrlässigkeit
Leitsatz (NV)
1. Ein Vertrauen in eine generelle Verrechnungsabrede und allgemeine Verrechnungspraxis des Finanzamts beseitigt nicht ohne weiteres das grob fahrlässige Verhalten des Geschäftsführers.
2. Zum Zustimmungserfordernis des § 168 AO für Steuervergütungen aufgrund von Steueranmeldungen.
3. Ein Mitverschulden des Finanzamts kann bei der Beurteilung der Ermessensausübung nur ausnahmsweise berücksichtigt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 168; GmbHG § 35
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH. Die Geschäfte der Gesellschaft wurden mit einem weiteren Geschäftsführer gemeinsam geführt. Über das Vermögen der GmbH wurde am 31. Dezember 1979 der Konkurs eröffnet.
Für die Monate April bis September 1979 sind von der GmbH Lohnsteueranmeldungen abgegeben worden, während für die Monate Oktober bis Dezember 1979 die Lohnsteuer vom FA geschätzt wurde. Da weder die angemeldete noch die geschätzte Lohnsteuer an das FA entrichtet wurden, nahm dieses den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch. Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finangericht die Haftungssumme um 13 680 DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen.
Es hat ausgeführt: Der angefochtene Haftungsbescheid sei hinsichtlich des darin enthaltenen Verspätungszuschlages rechtswidrig, weil das FA nicht nachgewiesen habe, daß dieser Verspätungszuschlag nicht erst nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit des Klägers festgesetzt worden sei. Auch hinsichtlich eines weiteren Betrages sei der Haftungsbescheid rechtswidrig, weil unstreitig im November und Dezember 1979 keine Lohnzahlungen erfolgt seien. Im übrigen sei die Klage nicht begründet. Der Kläger habe seine Pflichten zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer zumindest grob fahrlässig verletzt.
Die Lohnsteuerforderungen des FA seien auch weder durch Zahlung noch durch Aufrechnung bzw. Verrechnung mit Umsatzsteuererstattungsforderungen der GmbH erloschen. Eine Zahlung sei unstreitig nicht erfolgt, und eine Aufrechnung mit Umsatzsteuerguthaben der GmbH scheitere daran, daß die GmbH keine Aufrechnung gegenüber dem FA erklärt habe. Die Aufrechnungserklärung der GmbH in deren Schreiben vom 9. März 1979 beziehe sich nur auf die Verrechnung von Umsatzsteuerguthaben mit Lohnsteuer für die Monate Dezember 1978 sowie Januar und Februar 1979. Darüber hinaus fehle es an der für eine Aufrechnung erforderlichen Fälligkeit des Erstattungsanspruchs, weil das FA gemäß § 168 AO 1977 nur der Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 1979 in Höhe von 1 685,65 DM zugestimmt, ansonsten aber geschwiegen habe. Der Kläger habe auch grob fahrlässig gehandelt. Seine Einlassung, er sei subjektiv von einem Erlöschen der Lohnsteuerschuld ausgegangen, könne ihn nicht entschuldigen. Seine Erwartung, das FA werde ganz allgemein die Möglichkeit einer Verrechnung prüfen, habe ihn nicht der Verpflichtung enthoben, die angemeldete Lohnsteuer abzuführen, da er nicht gewußt habe, ob und wann das FA seine Zustimmung zu den Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 168 AO 1977 erteilen werde. Er habe auch nicht behauptet, sich zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer beim FA vergewissert zu haben, ob die Zustimmung gem. § 168 AO erteilt und die Ansprüche auf Umsatzsteuererstattung damit fällig geworden seien. Angesichts der Höhe der angemeldeten Vorsteuerabzugsbeträge habe er damit rechnen müssen, daß das FA die Zustimmung von einer genauen Überprüfung abhängig machen würde.
Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung der §§ 34, 69 AO 1977. Er habe seine steuerlichen Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt, weil mit dem FA eine generelle Verrechnungsabrede bestanden habe. Weil das FA dies mehrfach so gehandhabt und ohne ausdrücklichen Antrag die Verrechnung für die Monate Dezember 1978 sowie Januar und Februar 1979 vorgenommen habe, sei es ermessensfehlerhaft, wenn das FA später von dieser selbst praktizierten Verfahrensweise von sich aus abgewichen sei und der GmbH davon keine Mitteilung gemacht habe.
Für diese Verrechnung habe auch die nach § 168 AO 1977 notwendige Zustimmung des FA vorgelegen. Diese sei darin zu sehen, daß das FA auf die Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH nicht reagiert habe. Wegen der bis April 1979 praktizierten Verfahrensweise hätte das FA die Lohnsteuerschulden auch in der Folgezeit verrechnen müssen. Weil er das Schweigen des FA als Zustimmung zur Verrechnung aufgefaßt habe, habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Außerdem sei ein Mitverschulden des FA nicht berücksichtigt worden, weil keine Mahnung des FA erfolgt sei, obwohl seit Mai 1979 ein Lohnsteuerrückstand bestanden habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung im Umfang der Klageabweisung und den Haftungsbescheid in der Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat die Klage wegen der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner über die von der GmbH nicht abgeführten Steuern zu Recht abgewiesen.
a) Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, daß die GmbH nach § 41a EStG verpflichtet war, die von den Einkünften ihrer Arbeitnehmer durch Abzug vom Arbeitslohn zu erhebende Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Nach den §§ 69, 34 AO 1977 i. V. m. § 35 Abs. 1 GmbHG traf den Kläger als Mit-Gesellschafter der GmbH die Pflicht, die einbehaltene Lohnsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln der GmbH an das FA abzuführen. Soweit durch schuldhafte Verletzung dieser Pflicht Steueransprüche nicht erfüllt worden sind, haftet der Kläger gem. § 69 AO 1977 persönlich neben dem Steuerpflichtigen.
b) Zu Recht hat das FG die Auffassung vertreten, daß der Kläger durch die nicht rechtzeitige Abführung der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge für die Monate April bis Oktober 1979 grob fahrlässig gehandelt hat.
2. Die Hinweise auf eine generelle Verrechnungsabrede und eine entsprechende Verfahrenspraxis des FA können den Kläger nicht entlasten und ändern nichts an seinem grob fahrlässigen Verhalten. Eine ausdrückliche Vereinbarung zur Verrechnung von Lohnsteuerschulden mit Umsatzsteuererstattungsansprüchen ist nicht getroffen worden.
a) Nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen des FG hat der Kläger selbst für die Monate April bis Oktober 1979 keine Verrechnungsanträge gestellt. Der Umstand, daß das FA der Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1979 zugestimmt hatte (§ 168 AO 1977), beinhaltete kein Einverständnis mit einer Verrechnung des sich aus der Voranmeldung ergebenden Erstattungsbetrages, weil das FA keine Aufrechnungserklärung abgegeben hat (§ 226 Abs. 1 AO 1977, § 388 Satz 1 BGB). Der Kläger hat auch keine Verrechnung beantragt, die hierfür vorgesehene Spalte im Voranmeldungsformular vielmehr unausgefüllt gelassen.
b) Ein Vertrauenstatbestand, der die grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers beseitigen könnte, ergibt sich auch nicht aus den vom FA für die vorangegangenen Monate vorgenommenen Verrechnungen. Denn für die Monate Dezember 1978, Januar und Februar 1979 hatte der Kläger nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die Verrechnung der Lohnsteuerschulden mit Umsatzsteuerguthaben ausdrücklich beantragt. Mangels eines gleichartigen Antrags für die Folgemonate konnte der Kläger nicht davon ausgehen, daß auch die darauf entfallenden Lohnsteuerschulden durch Verrechnung getilgt würden. Insofern wurde die GmbH durch die Aufrechnungen des FA in der Vergangenheit nicht von ihrer Pflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer für die Folgemonate entbunden. Deshalb folgt der Senat der Auffassung des FG, daß die unterlassene Abführung der Lohnsteuerabzugsbeträge bei der hier gegebenen Sachlage eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung darstellt.
3. Ein Ermessensfehler des FA kann nicht damit begründet werden, das FA habe es versäumt, die Entrichtung der Lohnsteuer anzumahnen. Der Kläger macht damit ein Mitverschulden des FA an einem Ausfall der Steuerzahlungen durch die GmbH als Steuerschuldner geltend. Ein solches Mitverschulden könnte bei der Beurteilung der Ermessensausübung allenfalls dann berücksichtigt werden, wenn die Beitreibung der Steuerforderungen wegen einer groben Pflichtverletzung des zuständigen FA fehlgeschlagen wäre. (vgl. Urteile des BFH vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683; vom 4. Juli 1979 II R 74/77, BFHE 129, 201, BStBl II 1980, 126). So liegt der Fall hier nicht.
Das FA hat mit der Inanspruchnahme des Klägers das ihm bei der Geltendmachung des Haftungsanspruchs eingeräumte Ermessen (vgl. §§ 191 Abs. 1, 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; § 102 FGO) trotz einer nicht näher begründeten Ermessensentscheidung nicht fehlerhaft ausgeübt. Denn im Hinblick auf die grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers ist davon auszugehen, daß das FA von seinem Ermessen stillschweigend sachgerechten Gebrauch gemacht hat (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125/126, BStBl II 1978, 508).
Fundstellen
Haufe-Index 414804 |
BFH/NV 1987, 616 |