Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Gesellschafters einer ,,unechten" Vorgesellschaft
Leitsatz (NV)
Der Gesellschafter einer sog. unechten Vorgesellschaft, d. h. einer Gesellschaft, bei der die Gründung einer GmbH zwar beabsichtigt, aber nicht zur Eintragung in das Handelsregister gelangt, haftet für die wegen des Verkaufs von Waren (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB) durch die Vorgesellschaft entstandene Umsatzsteuer unbeschränkt nach § 128 HGB.
Normenkette
AO 1977 § 191; HGB § 128
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichtete mit notariellem Vertrag vom 10. Februar 1978 zusammen mit seinem Schwager eine GmbH. Gegenstand des Unternehmens sollte der Handel mit Textilien aller Art sein. Der Geschäftsbetrieb war bereits vor dem Vertragsabschluß aufgenommen worden. Das Stammkapital der GmbH sollte 200 000 DM betragen, wovon eine Stammeinlage in Höhe von 20 000 DM auf den Kläger entfiel. Als alleiniger Geschäftsführer der GmbH war der Schwager des Klägers (Stammeinlage 180 000 DM) vorgesehen. Der Kläger sollte als Angestellter (Einkäufer) für die Gesellschaft tätig sein.
Der Antrag auf Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister wurde am 7. Februar 1979 gestellt. Am 23. Februar 1979 wurde der Geschäftsbetrieb eingestellt. Der Eintragungsantrag wurde am 8. August 1979 zurückgezogen. Durch Beschluß des Amtsgerichts vom 17. September 1979 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgelehnt.
Durch Haftungsbescheid vom 5. Mai 1982 in Form der Einspruchsentscheidung vom 10. August 1982 nahm das FA den Kläger mit 2 862,55 DM für Umsatzsteuerrückstände 1978 der Gesellschaft als Haftungsschuldner in Anspruch.
Die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage wies das FG ab. Es führte aus: Die . . . ,,GmbH" sei nicht ins Handelsregister eingetragen worden und zwischen den Beteiligten sei zusätzlich streitig, ob ihre Eintragung als GmbH überhaupt ernsthaft betrieben worden bzw. nur aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen unterblieben sei.
Gehe man davon aus, daß die Handelsregistereintragung der Gesellschaft als GmbH von vornherein nicht ernsthaft beabsichtigt oder betrieben worden sei, so wäre die Gesellschaft trotz des GmbH-Gründungsvertrages vom 10. Februar 1978 aufgrund des Rechtsformzwangs als OHG zu behandeln. Den Kläger träfe dann für die streitigen Steuerschulden die unbeschränkte persönliche Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB. Die gleiche Zahlungspflicht träfe den Kläger aber auch dann, wenn die ernsthaft betriebene Eintragung der Gesellschaft als GmbH nur aus von den Gesellschaftern nicht zu vertretenden Gründen unterblieben wäre. Denn nach dem Urteil des BGH vom 9. März 1981 II ZR 54/80 (BGHZ 80, 130, NJW - 1981, 1373) greife die sog. Differenzhaftung ein. Danach gingen alle Rechte und Pflichten aus Geschäften der Vor-GmbH mit der Eintragung auf die GmbH über. Zugleich erlösche die Haftung der Gründer aus Verbindlichkeiten der Vor-GmbH. Dafür hafteten die GmbH-Gesellschafter nunmehr anteilig für die Differenz, die sich durch Vorbelastungen der Gesellschaft zwischen dem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Eintragung bilanzmäßig ergebe. Die Folge sei, daß die Gesellschafter, die die GmbH zur Eintragung gebracht hätten, bei Überschuldung der Vor-GmbH jedenfalls ihre Stammeinlage nochmals leisten müßten, auch wenn die Einlagen bereits an die Vor-GmbH gezahlt und dort verbraucht worden seien.
Da die GmbH-Vorgesellschaft überschuldet gewesen sei, hätte der Kläger im Falle ihrer Eintragung als GmbH seine bereits geleistete Einlage nach dem Prinzip der Differenzhaftung des BGH nochmals leisten müssen. Er hafte deshalb auch dem FA gegenüber in Höhe seiner übernommenen Stammeinlage von 20 000 DM weiterhin persönlich. Diese Haftungssumme decke die streitigen Umsatzsteuerrückstände ab, selbst wenn in Rechnung gestellt werde, daß noch weitere Haftungsforderungen des FA über 9 328,12 DM (Lohnsteuer) und 425,19 DM (Arbeitskammerbeiträge) vorlägen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt der Kläger, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er rügt unrichtige Anwendung des geltenden Rechts, insbesondere von § 191 AO 1977 in Verbindung mit § 128 HGB.
Hierzu wird ausgeführt: Wenn man davon ausgehe, daß der als alleiniger Geschäftsführer der GmbH vorgesehene Gesellschafter, der Schwager des Klägers, es unterlassen habe, die Eintragung der GmbH in das Handelsregister ernsthaft zu betreiben, so könne dieser Umstand dem Kläger nicht angelastet werden, weil er hierauf keinen Einfluß gehabt habe. Die überaus starke Position des Mitgesellschafters habe in der vorgesehenen Kapitalbeteiligung (180 000 DM von 200 000 DM Stammkapital) und in der Übertragung der alleinigen Geschäftsführung Ausdruck gefunden. Dagegen sei dem Kläger - bei einer Minderheitsbeteiligung von nur 20 000 DM am Stammkapital der GmbH - nur die Anstellung als Einkäufer zugedacht gewesen. Bei dieser Sachlage sei die Vorgesellschaft nicht als OHG, sondern allenfalls als KG einzustufen, an welcher der Kläger mit einer Kommanditeinlage von 20 000 DM als Kommanditist beteiligt gewesen sei. Da der Kläger die Kommanditeinlage erbracht habe, komme eine Haftung für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft nicht mehr in Betracht (§ 171 Abs. 1 Halbsatz 2 HGB).
Gehe man aber davon aus, daß die Eintragung der Vorgesellschaft als GmbH ernsthaft betrieben worden sei, so komme ebenfalls nur eine Haftung in Höhe einer nicht erbrachten Stammeinlage in Betracht. In jedem Fall - ob nun die Eintragung der GmbH ernsthaft betrieben worden sei oder nicht - bestehe somit für eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner keine Rechtsgrundlage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Kläger kann sich nicht auf das für Gesellschafter einer Vor-GmbH geltende Haftungsprivileg - Beschränkung der Haftung auf nicht geleistete Einlagen (vgl. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., Rdnr. 22 zu § 11, m. w. N.) - berufen, weil es sich im Streitfall um eine sog. unechte Vorgesellschaft gehandelt hat.
1. Eine unechte Vorgesellschaft ist gegeben, wenn die Gründer von vornherein nicht die Absicht haben, die Eintragung als GmbH zu erreichen, oder wenn der vollkaufmännische Geschäftsbetrieb der Gründervereinigung dadurch zum Dauerzustand wird, daß der Eintragungsantrag nicht ernsthaft weiter betrieben, insbesondere bestehende Eintragungshindernisse nicht beseitigt oder Eintragungsunterlagen nicht unverzüglich beschafft werden, oder wenn der Zweck der Gründervereinigung, die GmbH alsbald zur Entstehung zu bringen, gegenüber dem bereits eröffneten Geschäftsbetrieb in den Hintergrund tritt (vgl. Baumbach/Hueck, a. a. O., Rdnr. 28 zu § 11 GmbH-Gesetz; Bilsdorfer, GmbH-Rundschau 1980, 300; Hachenburg-Ulmer, GmbH-Gesetz, 7. Aufl., Anm. 14 zu § 11 GmbH-Gesetz; vgl. auch Urteil des BGH vom 7. Dezember 1964 II ZR 248/62, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1965, 246).
a) Die am 10. Februar 1978 gegründete Vorgesellschaft hatte die Eintragung in das Handelsregister nicht ernsthaft betrieben. Der Eintragungsantrag wurde erst am 7. Februar 1979, also fast ein Jahr später, gestellt, und zwar zu einer Zeit, als das Unternehmen schon am Ende war. Denn bereits Anfang 1979 wurde nach den Feststellungen des FG der Betrieb eingestellt. Als der Antrag gestellt wurde, bestand wegen der Vermögenslage der Gesellschaft keine Aussicht mehr auf Eintragung. Die Zurücknahme des Eintragungsantrages am 8. August 1979 hatte deshalb nur noch formelle Bedeutung. Die Gesellschaft war von Anfang an, d. h. seit dem Abschluß des GmbH-Vertrages vom 10. Februar 1978, eine unechte Vorgesellschaft. Diese setzte den schon zuvor ausgeübten vollkaufmännischen Gewerbebetrieb - Ankauf und Verkauf von Waren - fort. Die Gesellschaft war daher eine OHG (§§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 123 Abs. 2 HGB).
b) Entgegen der Ansicht der Revision können die für Kommanditgesellschaften geltenden Grundsätze keine Anwendung finden.
Die unterschiedliche Höhe der von dem Kläger und seinem Schwager einzubringenden Stammeinlagen in die GmbH (20 000 DM bzw. 180 000 DM) hatte nicht zur Folge, daß sich die Stammeinlage des Klägers mit der Aufgabe des Vertragszwecks in eine Kommanditeinlage im Sinne von §§ 161, 171 HGB verwandelte. Auch die in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene, aber mangels Eintragung der GmbH wirkungslos gebliebene Übertragung der alleinigen Geschäftsführung der GmbH auf den Schwager des Klägers war für die Gesellschaftereigenschaft des Klägers als Vollhafter einer OHG ohne Bedeutung (vgl. § 114 Abs. 1 und 2 HGB). Schließlich hat der Kläger die Eigenschaft eines Kommanditisten in der Personenhandelsgesellschaft auch nicht dadurch erlangt, daß er bei der GmbH als Einkäufer angestellt werden sollte und offenbar schon im Jahre 1978 als solcher tätig gewesen ist. Denn auch der Gesellschafter einer OHG kann gleichzeitig deren Angestellter sein (vgl. hierzu Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 27. Aufl., Anm. 3C zu § 110 und Anm. 4D zu § 109).
2. Die Gesellschafter einer OHG haften für die von der Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten unbeschränkt (§ 128 HGB). Das gilt auch für die Steuerschulden der OHG. Im Streitfall war die Umsatzsteuerschuld der OHG durch die im Streitjahr 1978 zunächst vor dem Abschluß des GmbH-Vertrages (10. Februar 1978), sodann als unechte Vorgesellschaft ausgeübte gewerbliche Tätigkeit begründet worden. Das FG hat deshalb die Umsatzsteuerhaftung des Klägers im Ergebnis zu Recht bejaht. Die vom FG außerdem geprüfte Frage, ob die Haftung auch nach den von der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätzen der sog. Differenzhaftung begründet sei (vgl. BGHZ 80, 130, NJW 1981, 1373 ff.; Baumbach/Hueck, a. a. O., Rdnr. 22 zu § 11), stellt sich schon deshalb nicht, weil es nicht zur Eintragung der GmbH gekommen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 414925 |
BFH/NV 1987, 687 |