Entscheidungsstichwort (Thema)
(Keine Inanspruchnahme des Arbeitgebers nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen trotz Ankündigung im Prüfungsbericht - subjektive Vorstellungen der Beteiligten hinsichtlich der Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird)
Leitsatz (amtlich)
Hebt die Finanzbehörde im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung für die Lohnsteuer-Anmeldungen des Prüfungszeitraums ohne jede Einschränkung oder Bedingung auf, so kann sie aufgrund der Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977 den Arbeitgeber für Lohnsteuer, die im Prüfungszeitraum entstanden ist, selbst dann nicht mehr als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen, wenn sie im Prüfungsbericht auf die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme für den Fall hingewiesen hat, daß die Lohnsteuer nicht von den Arbeitnehmern gezahlt wird.
Orientierungssatz
1. Wenn das FA bei seiner Vorgehensweise die rechtliche Bedeutung der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht voll übersehen hat, so beruht dies nicht auf einem Verhalten des Arbeitgebers, das dieser sich zurechnen lassen müßte, sondern auf einem nicht zutreffenden Rechtsverständnis des FA.
2. Bei der Abwägung, ob eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird, haben die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Beteiligten nicht eine alle anderen Umstände überragende Bedeutung, sondern sind nur ein Gesichtspunkt unter vielen.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 164 Abs. 2-3, § 173 Abs. 2, § 361 Abs. 2; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 19 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte Monteure als selbständige Subunternehmer beschäftigt. Bei ihr fand eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum 1. Mai 1986 bis 30. September 1990 statt. Der Prüfer vertrat die Auffassung, daß neun Monteure nicht selbständig, sondern Arbeitnehmer der Klägerin gewesen seien.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 4. April 1991 nur für die auf den Monteur A entfallende Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer für das Jahr 1989 in Anspruch. Gleichzeitig hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung für die Lohnsteuer-Anmeldungen 5/86 bis 9/90 auf. Hinsichtlich der weiteren acht Monteure forderte das FA deren Wohnsitz-FÄ auf, die Lohnsteuer nachzuerheben. Im Prüfungsbericht, der dem Haftungsbescheid beigefügt und auf dessen Inhalt wegen der Berechnungsgrundlagen Bezug genommen worden war, hatte der Prüfer die Klägerin darauf hingewiesen, daß eine nachträgliche Haftungsinanspruchnahme erfolgen würde, wenn die Lohnsteuer-Nachforderung bei einzelnen Monteuren erfolglos bleibe.
Mit einem weiteren Haftungsbescheid vom 26. Februar 1992 nahm das FA die Klägerin für die Lohnsteuer des Monteurs B der Jahre 1987 bis 1990 in Anspruch. Zur Begründung berief es sich darauf, das Wohnsitz-FA habe für 1986 bis 1990 nur einen Teil der Einkommensteuer realisieren können und nach Auffassung des dortigen FA könne mit weiteren Steuerzahlungen nicht gerechnet werden.
Zur Begründung ihrer Klage gegen beide Haftungsbescheide trug die Klägerin vor, daß die von ihr beschäftigten Monteure selbständige Subunternehmer und nicht ihre Arbeitnehmer gewesen seien. Außerdem machte sie geltend, daß wegen der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen 5/86 bis 9/90 durch den Bescheid vom 4. April 1991 die Änderungssperre des § 173 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) eingetreten sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es vertrat die Auffassung, die von der Klägerin beschäftigten Monteure seien in den Streitjahren nichtselbständig tätig gewesen.
Der Haftungsbescheid vom 26. Februar 1992 sei auch nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Die Klage sei jedoch insoweit begründet, als das FA die beigetriebene Einkommensteuer des Monteurs B der Jahre 1987 bis 1990 nicht dem entsprechenden Jahr, für das die Lohnsteuer geltend gemacht werde, zugerechnet habe.
Die Klägerin stützt ihre Revision auf eine Verletzung von § 173 Abs.2 AO 1977, rügt als Verfahrensmangel eine ungenügende Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und macht geltend, die Monteure seien selbständig tätig gewesen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Haftungsbescheide vom 4. April 1991 und vom 28. Februar 1992 sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet. Sie hat Erfolg, soweit die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheides vom 26. Februar 1992 insgesamt begehrt. Entgegen der Auffassung des FG stand dem Erlaß dieses Haftungsbescheides die Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 entgegen. Die Revision ist unbegründet, soweit die Aufhebung des Haftungsbescheides vom 4. April 1991 erstrebt wird.
1. Die Entscheidung der Vorinstanz, die von der Klägerin eingesetzten Monteure A und B seien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in den Streitjahren 1987 bis 1990 nichtselbständig tätig und deshalb Arbeitnehmer der Klägerin gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat bei seiner Abwägung alle entscheidungserheblichen Umstände berücksichtigt und die in Betracht kommenden Beweismittel ausgeschöpft. Die jeweiligen Wertungen des FG sind nachvollziehbar. Wenn das FG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung den vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung letztlich eine größere Bedeutung beigemessen hat als dem Vorbringen der Klägerin, sie und der Monteur B seien sich darüber im klaren gewesen, ein Subunternehmer- und mithin kein Arbeitnehmerverhältnis eingegangen zu sein, so ist dies entgegen der Auffassung der Klägerin rechtsfehlerfrei. Denn die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Beteiligten haben bei der Abwägung, ob eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt worden ist, nicht eine alle anderen Umstände überragende Bedeutung, sondern sind nur ein Gesichtspunkt unter vielen.
2. Da nach der zutreffenden Auffassung des FA und der Vorinstanz die von der Klägerin eingesetzten Monteure A und B ihre Arbeitnehmer waren, war sie verpflichtet, bei der Zahlung der jeweiligen Tätigkeitsvergütungen Lohnsteuer einzubehalten, anzumelden und abzuführen (vgl. § 38 Abs.3, § 41a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Diese Verpflichtung hat die Klägerin nicht erfüllt. Sie haftet daher gemäß § 42d Abs.1 Nr.1 EStG für die Lohnsteuer, die sie einzubehalten und abzuführen hatte.
Der im unmittelbaren Anschluß an die Außenprüfung erlassene Haftungsbescheid vom 4. April 1991, der die auf den Monteur A entfallende Lohnsteuer betrifft, ist daher in Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanz rechtmäßig. Die Revision ist insoweit unbegründet.
3. Die Revision hat jedoch Erfolg, soweit sie die Aufhebung des Haftungsbescheids vom 26. Februar 1992, der sich auf die Lohnsteuer des Monteurs B bezieht, insgesamt begehrt.
Dem Erlaß des Haftungsbescheides im Jahre 1992 stand entgegen, daß das FA bereits im April des Jahres 1991 im Anschluß an die Lohnsteuer-Außenprüfung für die Lohnsteuer-Anmeldungen des Prüfungszeitraums den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.3 Satz 3 AO 1977 aufgehoben hatte und somit eine Änderung nur noch unter den Voraussetzungen des § 173 Abs.2 AO 1977 zulässig gewesen wäre.
Nach dem Senatsurteil vom 15. Mai 1992 VI R 106/88 (BFHE 168, 532, BStBl II 1993, 840) steht dem späteren Erlaß eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides wegen neuer, den Prüfungszeitraum betreffender Tatsachen die Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 entgegen, wenn das FA aufgrund einer Lohnsteuer-Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung bei den in den Lohnsteuer-Anmeldungen des Prüfungszeitraums liegenden Steuerfestsetzungen aufhebt. Durch Urteil vom 15. Mai 1992 VI R 183/88 (BFHE 168, 505, BStBl II 1993, 829) ist entschieden worden, daß dem späteren Erlaß eines Pauschalierungsbescheides für einen den Prüfungszeitraum betreffenden Sachverhalt die Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 entgegensteht, wenn im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung der den Prüfungszeitraum betreffenden Lohnsteuer-Anmeldungen aufgehoben worden ist.
Diesen Urteilen liegt die Überlegung zugrunde, daß die Lohnsteuer-Anmeldung i.S. von § 41a Abs.1 Satz 1 Nr.1 EStG nach § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Die bei derartigen Steuerfestsetzungen bestehende Möglichkeit, den Steuerbescheid gemäß § 164 Abs.2 AO 1977 jederzeit zu ändern, entfällt, sobald der Vorbehalt der Nachprüfung vom FA aufgehoben wird.
Im Streitfall hat das FA den Haftungsbescheid vom 4. April 1991 betreffend das Jahr 1989 und den Monteur A erlassen und dadurch insoweit die Lohnsteuer-Anmeldungen für das Jahr 1989 geändert. Es hat sodann unter der Ordnungsnummer II. des zusammengefaßten Bescheids den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Lohnsteuer-Anmeldungen 5/86 bis 9/90 ausdrücklich aufgehoben. Es handelt sich bei dieser Aufhebung um einen Steuerbescheid; denn nach § 164 Abs.3 Satz 2 AO 1977 steht die Aufhebung des Vorbehalts einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs in BFHE 168, 532, BStBl II 1993, 840, 842, unter Nr.2 der Entscheidungsgründe). Dieser Steuerbescheid ist uneingeschränkt rechtswirksam geworden. Denn das FA hat die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht mit einer Bedingung versehen.
Damit ist entgegen der Auffassung des FG eine erhöhte Bestandskraft der Lohnsteuer-Anmeldungen der Streitjahre eingetreten. Ein den Prüfungszeitraum betreffender Haftungsbescheid, durch den die Lohnsteuer-Anmeldungen geändert würden, konnte nur noch unter den Voraussetzungen des § 173 Abs.2 AO 1977 erlassen werden. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor.
Soweit das FG meint, es handele sich bei dem Haftungsbescheid vom 26. Februar 1992 noch um einen Prüfungsfolgebescheid, ändert dies an der Beurteilung der Rechtslage nichts. Auch Prüfungsfolgebescheide können, wenn sie bestehende Bescheide ändern, nur erlassen werden, soweit die für eine Änderung der bestehenden Bescheide erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen noch vorliegen und die Finanzbehörde diese nicht zuvor durch andere Verwaltungsakte beseitigt hat.
Das FA hätte im Streitfall die Möglichkeit gehabt, die Außenprüfung erst zu beenden und den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.3 Satz 3 AO 1977 erst aufzuheben, nachdem geklärt war, ob die einzelnen Monteure in der Lage waren, die Lohnsteuer nachzuzahlen. Es hätte sich statt dessen auch dafür entscheiden können, unmittelbar im Anschluß an die Außenprüfung und vor Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einen Haftungsbescheid über die gesamte Lohnsteuer zu erlassen, die die Klägerin wegen der Lohnzahlungen an die neun Monteure hätte einbehalten und abführen müssen. Im Falle des Einspruchs der Klägerin hätte das FA den Haftungsbescheid gemäß § 361 Abs.2 AO 1977 solange von der Vollziehung aussetzen können, bis ermittelt war, ob die Monteure die Lohnsteuer selbst würden zahlen können.
4. Eine andere Beurteilung des Streitfalles ergibt sich nicht aus dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Allein der Umstand, daß die Klägerin aufgrund der Ausführungen im Prüfungsbericht mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß das FA wegen weiterer Lohnsteuerforderungen gegenüber den Monteuren einen weiteren Haftungsbescheid erlassen würde, rechtfertigt es nicht, die Klägerin unabhängig davon in Anspruch zu nehmen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme noch vorliegen. Wenn das FA bei seiner Vorgehensweise die rechtliche Bedeutung der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht voll übersehen hat, so beruht dies nicht auf einem Verhalten der Klägerin, das diese sich zurechnen lassen müßte, sondern auf einem Rechtsverständnis des FA, das sich im Lichte der erst später ergangenen Senatsurteile in BFHE 168, 532, BStBl II 1993, 840 und BFHE 168, 505, BStBl II 1993, 829 als nicht zutreffend erwiesen hat.
Fundstellen
BFH/NV 1995, 57 |
BStBl II 1995, 555 |
BFHE 177, 253 |
BFHE 1996, 253 |
BB 1995, 1230 (L) |
DB 1995, 1258-1259 (LT) |
DStR 1995, 933-934 (KT) |
HFR 1995, 446-447 (LT) |
StE 1995, 377 (K) |
WPg 1995, 669 (LT) |
StRK, R.25 (LT) |
FR 1995, 514 (K) |
Information StW 1995, 505-506 (KT) |
GStB 1995, Beilage zu Nr 7 (L) |
KFR, 1/95, 279 (H 10/1995) (LT) |
ZAP, EN-Nr 587/95 (L) |